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VERFOLGUNGSJAGD

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Ich verstecke mich gegenüber vom Restaurant auf der anderen Straßenseite hinter einem parkenden Auto. Das ist auch so ein Vorteil von uns Kinderagenten. Jeder Erwachsene, der sich am helllichten Tage hinter ein Auto kauert, würde schief angesehen werden, und man würde ihn sofort fragen, was er dort tut. Nicht so bei uns Kindern. Die Passanten denken sich, dass wir Kinder mit Gleichaltrigen Verstecken spielen. Eher würde man uns noch loben, dass wir draußen spielen, statt drinnen vor dem Computer zu hocken. Ich kann hier also seelenruhig warten, bis die beiden Typen das Restaurant verlassen.

Ich will Balu Bescheid geben. Doch in dem Moment, in dem ich das Smartphone aus der Tasche ziehe, um ihn anzurufen, steht er schon neben mir.

»Was machst du denn hier?«, frage ich verwundert.

»Ich konnte doch alles mithören«, antwortet Balu. »Als du mit den beiden Männer gesprochen hast, war mir schon klar, dass ihr denen auf den Fersen bleiben wollt. Tim ist noch drinnengeblieben, um die Wanzen zu verstecken, oder?«

»Balu, du bist genial«, lobe ich ihn.

»Ja, nicht wahr?«, antwortet er lächelnd.

Ich verpasse ihm sofort wieder einen Dämpfer. »Nicht gleich übermütig werden!«

Doch dann ist Schluss mit den Frotzeleien.

Die beiden Typen kommen aus dem Restaurant heraus. Einer von ihnen steckt sich gerade einen DIN A5 großen, braunen Umschlag in die Jacke.

Ich habe keinen Zweifel: Marias Vater hat wieder gezahlt. Ihm das Gartenhaus in die Luft zu sprengen, hat als Warnung und Bedrohung gewirkt.

»Ich fürchte, die steigen gleich in ein Auto, und das war’s dann mit der Verfolgung«, sagt Balu. »Denn da wir nicht wissen, welches ihr Auto ist, können wir auch vorab keinen GPS-Sender anheften.«

»Du hast GPS-Sender dabei?«, frage ich.

Balu zeigt mit seiner Mimik, dass er meine Frage überhaupt nicht versteht. »Klar!« Und ergänzt sofort: »Aber wie gesagt: Das nützt uns nichts. Oder weißt du, mit welchem Wagen sie gekommen sind?«

Ich schüttle den Kopf, zeige aber auf eine silberne Limousine, die eindeutig tiefergelegt ist. »Ich tippe, der da.«

»Verdammt«, sagt Balu. »Du hast recht. Da hätte ich auch selbst draufkommen können.«

Sofort will er über die Straße rennen, um einen Sender an den Wagen zu heften, da haben die beiden Typen aber ihre Limousine schon erreicht und steigen ein.

Balu dreht auf dem Absatz um und kehrt zu mir zurück. »Mist, du hattest recht! Was machen wir jetzt?«

Ich zeige auf mein E-Bike, das noch vor dem Restaurant steht.

»Nö, oder?«, stöhnt Balu. »Du willst jetzt nicht ernsthaft mit dem Rad die Verfolgung aufnehmen!«

»Bist du nicht mit dem Rad hier?«

»Doch, natürlich, aber …!«

»Also los!«

Der BMW fährt los. Ich flitze rüber zur anderen Straßenseite und schwinge mich auf mein Rad. Das Aufschließen geht schnell. Ich muss nur meinen Daumen auf eine bestimmte Stelle des Rahmens legen. Der Sensor erkennt meinen Fingerabdruck und löst die Radblockaden. Dann schalte ich den Elektromotor an, trete zum Start in die Pedale und sause los. Wir YOUNG AGENTS haben spezielle E-Bikes, die bis zu sechzig Stundenkilometer schnell werden. Das ist zwar nach der Straßenverkehrsordnung nicht erlaubt. Aber hallo? Wozu sind wir Agenten?

Balu wäre es bestimmt trotzdem lieber gewesen, die Typen mit der Drohne zu verfolgen. Wir haben tatsächlich eine Drohne zur Verfügung, mit der man wie mit einem Flugtaxi fliegen kann. Aber die wurde bisher meistens von Charles oder Naomi geflogen. Und beide sind derzeit ja zu Hause in London und Paris.

Abgesehen davon, dass sowohl Balu als auch ich keinerlei Erfahrungen mit der Drohne haben, sind wir bei unseren Vorbereitungen auch nicht auf die Idee gekommen, dass wir sie jetzt brauchen würden. Die Drohne schlummert also auf dem Dach des Hauses unserer Agentenwohnung vor sich hin, während uns hier unten nur unsere E-Bikes bleiben.

Ich warte nicht auf Balu. Ich weiß, dass er mir folgt. Ich weiß aber auch, dass er wesentlich langsamer ist als ich. Doch ich will den BMW nicht aus den Augen verlieren.

Die Typen mit dem Auto zu verfolgen, scheidet für uns aus. Wir haben zwar in der Agentenakademie Autofahren gelernt, aber Kinder am Lenkrad sind fast noch auffälliger, als mit der Drohne durch die Stadt zu fliegen. Außerdem bin ich sozusagen als Quereinsteigerin zu den YOUNG AGENTS gekommen. Ich habe nicht so eine lange Ausbildung an der Akademie erhalten wie die anderen. Kurzum: Im Autofahren bin ich noch ziemlich schlecht.

Lieber jage ich dem BMW mit dem E-Bike hinterher. Das ist in einer Großstadt auch kein großes Problem. Jeder Wagen muss an so vielen roten Ampeln halten und sich durch so viele Staus quälen, dass ich mich mit dem E-Bike mindestens ebenso schnell durch die Stadt bewegen kann wie die Limousine. Zumal in den vergangenen Jahren auch an den Hauptverkehrsstraßen viele Radspuren ausgebaut wurden.

An der ersten roten Ampel muss ich mich schon extra ein wenig zurückhalten, um nicht genau neben dem BMW zum Stehen zu kommen. Die beiden Typen haben mich gerade im Restaurant gesehen und würden mich bestimmt wiedererkennen.

Ich bleibe also im Hintergrund und achte auch darauf, im toten Winkel zu stehen, damit sie mich nicht im Rückspiegel sehen können.

Gerade als Balu neben mir ankommt, springt die Ampel auf Grün.

Ich trete in die Pedale. Und Balu stöhnt auf: »Och, nööö!«

Schwerfällig setzt er sich erneut in Bewegung, wo er doch gerade einmal ein bisschen verschnaufen wollte.

Ich weiß wirklich nicht, wo das Problem ist. Balu fährt ein E-Bike, genau wie ich. Er braucht nur Gas zu geben. Das Ding fährt ja im Prinzip von selbst.

Aber ich habe keine Zeit nachzufragen. Ich muss dem BMW folgen.

Und ich habe Glück. Nur geschätzte fünfhundert Meter weiter fährt der BMW rechts ran und parkt direkt vor einem Restaurant. Wieder ein italienisches, was bei mir sofort den Verdacht auslöst, dass die dort bestimmt nicht einfach nur eine Pizza essen wollen.

Als ich mit meinem Rad dort ankomme, sind die beiden Typen schon reingegangen. Ich schaue mich um und sehe von Weitem Balu heranradeln. Seltsamerweise strampelt er wie ein Verrückter. Auf einem E-Bike!

Ich nutze die Wartezeit und mache schnell ein paar Fotos von dem BMW und seinem Kennzeichen mit dem Restaurant im Hintergrund. Und da Balu immer noch nicht da ist, laufe ich seitlich ans Restaurant heran, in der Hoffnung, einen Blick durchs Fenster ergattern zu können. Aber leider sind Gardinen davor. Ich kann zwar schemenhaft erkennen, wie die Typen mit jemandem reden, bei dem es sich wohl um den Besitzer handelt, aber für ein Foto reicht die Sicht nicht aus. Ich lege mein Ohr an die Scheibe, doch ich kann nichts von dem Gespräch hören. Stattdessen höre ich das laute Schnaufen von Balu, der jetzt vor dem Eingang ankommt. Ich winke und zische ihm zu: »Weg da vom Eingang!«

Balu versteht, steigt vom Rad und schiebt es zu mir. Er ist immer noch völlig außer Atem.

»Was ist mit deinem Rad los?«, frage ich.

»Akku leer!«, hechelt er atemlos.

»Das ist nicht wahr!«, rufe ich aus. Ich weiß nicht, ob ich laut loslachen oder entsetzt sein soll. Ausgerechnet das Bike unseres Technik-Genies funktioniert nicht, weil der Akku leer ist?

Balu zuckt entschuldigend mit den Schultern. »Irgendwie saß der Stecker nicht richtig drin. Und da ich nicht damit gerechnet habe, das Bike nutzen zu müssen, hab ich das auch nicht kontrolliert.«

Balu ist unser »sitzender Agent«, könnte man fast sagen. Meistens übernimmt er bei unseren Einsätzen die technische Ausstattung, Überwachung und Koordination. Alles vom Bildschirm aus, während wir anderen uns draußen vor Ort direkt in Gefahr begeben und unsere Arbeit tun. Dass Balu mal mit rauskommt in den direkten Kampf gegen die Unterwelt, ist eine totale Seltenheit.

»Ich glaube, in Deutschland gibt es dafür den Ausdruck Sesselpupser«, teile ich ihm mit.

»Was ist ein Pupser?«, fragt Balu.

Ich muss lachen. »Das kannst du später mal selbst nachlesen«, antworte ich nur.

In dem Augenblick schwingt die Tür des Restaurants auf.

»Achtung!«, warne ich. Sofort sind wir beide wieder todernst und konzentriert bei der Sache.

Tatsächlich verlassen die beiden Erpresser das Lokal. Und wieder hat der eine einen braunen Umschlag in der Hand, den er soeben in seiner Jacke verstaut.

Wieder einen abkassiert!, denke ich bei mir.

»Die beiden Geldeintreiber sind gerade auf Kassentour, vermute ich«, flüstere ich Balu zu.

Wir beide haben uns an die Hauswand gedrückt, um nicht gesehen zu werden.

Die beiden Erpresser latschen zu ihrem BMW, steigen ein und fahren los.

»Los, hinterher!«, gebe ich das Kommando.

»Nein«, wehrt Balu ab. »Keine Chance. Mit dem schweren E-Bike ohne Akku strample ich mich tot. Fahr du. Ich komme langsam nach.«

»Okay«, sage ich, obwohl mir das nicht recht ist. Ich hatte ja eigentlich gerade vermeiden wollen, allein die Verfolgung aufzunehmen.

Ich renne los, schwinge mich auf mein Rad, trete in die Pedale, so stark ich kann, um das Rad in Schwung zu bringen, und drehe den Motor auf volle Kraft, um es gleich auf die verbotene Spitzengeschwindigkeit von sechzig Stundenkilometern zu bringen, denn ich sehe den BMW nicht mehr. Wo ist er? Er muss da sein. Die nächste Abzweigung ist erst ganz dort hinten. So weit kann der Wagen noch nicht voraus sein! Ich gehe aus dem Sattel, stehe nur auf den Pedalen, um weiter sehen zu können, ob ich irgendwo da vorn den Wagen entdecken kann. Da …

NEEEEEIIIIIINNNNNN!

Instinktiv und reaktionsschnell ziehe ich mit aller Kraft beide Handbremsen. Denn unmittelbar vor mir schießt ein Wagen vom Seitenrand auf die Straße. Mir direkt vors Vorderrad!

Wie auf der Akademie viele Male geübt, habe ich die rechte Handbremse – also die fürs Hinterrad – stärker gezogen als die linke, die fürs Vorderrad. Sonst hätte ich vermutlich einen Salto über den Lenker gemacht und mich möglicherweise schwer verletzt. So aber schliddert »nur« mein Hinterrad. Allerdings so stark und um fast 180 Grad, dass ich mich einmal in die entgegengesetzte Richtung drehe. Es schlingert und wackelt, aber ich kann es halten; auch, weil es mir gelungen ist, mich mit dem linken Fuß auf der Straße so abzustützen, dass ich nicht stürze. Nur wenige Zentimeter vor dem BMW komme ich zum Stehen.

Sind die nicht ganz dicht?

Ich drehe mich um und will aus Wut und Angst losbrüllen. Mein ganzer Körper zittert noch. Da sehe ich, wie zwei Männer aus dem Wagen stürzen und auf mich zukommen. Es sind die beiden finsteren Typen! Verdammt! Wie ist das möglich? Die können doch unmöglich wissen, dass ich eine Agentin bin! Blitzartig schießt mir die Idee in den Kopf, in die Offensive zu gehen.

»HABEN SIE ’NEN KNALL?«, brülle ich die beiden an, bevor sie irgendetwas sagen können. Ich hoffe, dass es auf dem Bürgersteig Passanten gibt, die Zeuge dieser Attacke geworden sind und mir als Kind, das beinahe überfahren wurde, sofort zur Seite stehen. Oder irgendeiner der Autofahrer.

Aber die hupen nur, weil der BMW fast quer auf der Straße steht, und umkurven uns schimpfend und weiterhin hupend.

»Wieso verfolgst du uns?«, fragt einer der beiden Typen mich ganz unverblümt.

Ich bin geschockt. Also doch? Er weiß, dass ich eine YOUNG AGENT bin? Nein, das kann nicht sein.

Bevor ich etwas antworten kann, fährt der Typ fort: »Spiel gefälligst woanders Detektiv. Verstanden? Wir mögen keine Schnüffelkinder!«

Wieder komme ich nicht dazu zu reagieren.

Denn von der Seite nähert sich ein altes Mütterchen. Sie geht gebückt an einem Stock. Aber sie macht dennoch einen resoluten Eindruck.

»Hören Sie!«, schimpft sie mit den Männern und hebt drohend ihren Gehstock. »Ich habe das genau gesehen! Sie sind ohne Blinker auf die Straße gerast. Um ein Haar hätten sie das arme Mädchen umgefahren. Schämen Sie sich!«

Die beiden Typen schauen die Alte entgeistert an.

Der eine will sichtlich etwas erwidern. Doch der andere ist schneller.

»Verpiss dich, Oma!«, schnauzt er die alte Dame an. »Du hast überhaupt nichts gesehen!«

»Da seien Sie mal nicht so sicher, junger Mann! Wofür halten Sie mich? Für eine blinde und verblödete Greisin, nur weil ich nicht mehr so gut laufen kann?« Mit der freien Hand hebt sie ein hochmodernes Smartphone in die Höhe. »Die Polizei habe ich schon verständigt.«

Mir huscht ein Grinsen übers Gesicht.

Die beiden Typen schauen sich verwirrt an und scheinen sich ganz offenbar zu fragen, wie sie jetzt reagieren sollen. Sie nicken sich gegenseitig zu und entscheiden sich für die Flucht.

»Glück gehabt, dass wir keine Zeit haben, Oma!«, droht der eine noch. Dann rennen beide zurück zum BMW. Bevor er einsteigt, zischt er mir noch zu: »Und du mach, dass du wegkommst! Ich hab dich im Blick.«

Ich dich auch! Das denke ich aber nur.

Stattdessen sage ich zur alten Dame: »Vielen Dank!«

»Geht es dir gut? Hast du dich auch nicht verletzt?«

»Nein, alles bestens. Vielen Dank!«

Der BMW braust los.

»Wir sollten sehen, dass wir von der Straße kommen«, sage ich. Denn die Fahrbahn vor uns ist wieder frei.

Die Frau nickt und geht am Gehstock zurück zum Bürgersteig.

»Fahr vorsichtig!«, ruft sie mir noch zu.

»Was ist mit der Polizei?«, frage ich. »Müssen wir jetzt auf die warten?«

»Ich hab die gar nicht gerufen«, ruft mir die Frau zu. »So schnell bin ich dann doch nicht mehr mit meinen 92 Jahren. Die Bengel sollten nur Angst bekommen!«

Mit diesen Worten geht sie weiter ihres Weges.

Ich winke ihr lachend hinterher.

»Was ist passiert?«

Ich drehe mich um.

Balu ist angekommen.

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