Читать книгу Young Agents - Andreas Schluter - Страница 11

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ERSTE ERMITTLUNGEN

Nur eine halbe Stunde später ist es so weit. Bei dem miesen Geschrammel von Shiona und Kati konnte ich mit meinem Gitarrenspiel wunderbar mithalten. Wenn man nicht genau hingehört hat, hat’s sogar Spaß gemacht. Shiona hatte bald ihre Gitarre beiseitegelegt und sich nur noch auf den Gesang konzentriert, der – zum Glück für unser aller Ohren – deutlich besser war als ihr Gitarrenspiel. Kati dröhnte zwar weiter auf ihrem Bass herum, aber Naomi hat sie geschickt runtergepegelt, sodass eigentlich nur noch Kati sich selbst gehört hat. Charles hielt mit seinem Schlagzeug als Einziger die ganze Band zusammen, und so erreichten wir, was wir wollten: Shiona ist nach der ersten halben Stunde vollauf zufrieden.

»Kommt mal her!«, ruft Naomi uns zu. »Ich kann noch ein paar Effekte drauflegen, das hört sich noch geiler an. Hört mal!«

Shiona läuft aufgeregt zu ihr, und ich begreife, dass Naomi etwas Besseres als eine technische Panne eingefallen ist, um mir die Zeit zu verschaffen, mich im Haus umzusehen.

»Bin gleich zurück!«, rufe ich den anderen zu. »Zu viel Cola getrunken vorhin. Muss schon wieder auf Klo.« Und schwupp bin ich raus aus der Tür.

Ich weiß, ich habe nicht viel Zeit. Zumindest nicht genug, um die riesige Villa zu durchsuchen. Deshalb vergewissere ich mich als Erstes, ob die beiden Autos noch unten stehen. Das tun sie. Und mein Gefühl sagt mir, dass diese Wagen uns weiterbringen könnten, wenn wir ihre Spur verfolgen. Ich muss also zu den Wagen und unbemerkt einen Sender anbringen. Direkt neben dem Fahrstuhl, mit dem wir gekommen sind, führt eine Tür ins Treppenhaus.

Ich sehe mich kurz um.

Niemand da.

Rein ins Treppenhaus.

Horchen. Nichts.

Weiter. Blitzartig die Treppe hinunter. Ohne Zwischenfälle gelange ich ins Erdgeschoss. Jetzt heißt es aufpassen.

Wieder Horchen.

Wieder nichts.

Tür auf und … verdammt. Sie ist verschlossen. Kein Problem für mich, trotzdem ärgerlich. Ich hab ein kleines, nützliches Set in meinem Jackenfutter versteckt, brauche damit nur wenige Sekunden, schon habe ich die Tür geöffnet und stehe … nicht in einem Flur, wie ich gedacht hatte, sondern in der Empfangshalle, die zum Glück groß genug ist, um sich im Zweifel verstecken zu können. Einige Statuen stehen hier, dann ist da ein mondäner, breiter Treppenaufgang, fast wie eine Showtreppe, eine Garderobe, zwei große Palmen und ein alter, dicker Olivenbaum in der Ecke, der, genau wie die Palmen, mit einem Strahler künstlich beleuchtet wird. Shionas Vater mag es offenbar mediterran. Aber wo geht’s raus in den Hof? Auch hier von der Empfangshalle? Es gibt neben der Haustür eine Reihe von weiteren Türen, die – vermute ich mal – zu weiteren Fluren oder Räumen führen.

Plötzlich Schritte.

Eine der Türen öffnet sich!

Ich schaue mich um. Und verkrieche mich schnell in die Ecke hinter den Olivenbaum.

Es ist ein schlechteres Versteck, als ich zunächst angenommen habe. Aber jetzt ist es zu spät, um zu wechseln. Ich mache mich so klein wie möglich. Eine der hinteren Türen öffnet sich, und heraus kommt – ein schwanzwedelnder, kurz und dumpf kläffender Dobermann. Ach du Scheiße! Der braucht mich nicht zu sehen, um mich aufzuspüren. Ich bin machtlos und überlege schon, ob ich nicht sofort aus meinem Versteck kommen und mich zeigen sollte. Lieber auf dummen Jungen machen, der sich verlaufen hat, als hier im Versteck erwischt zu werden. Ich erhebe mich schon halb, doch der Dobermann rennt an mir vorbei zur Haustür, die sich in diesem Moment öffnet. Der Hund springt sein Herrchen freudig an. Sein Herrchen ist offenbar Shionas Vater, Thorsten Maffei, der die Wiedersehensfreude mit seinem Hund erwidert. Die beiden knuddeln und spaßen herum, während hinter ihnen ein weiterer Mann durch die Tür tritt und stehen bleibt. Ein Leibwächter, nehme ich an. Shionas Vater geht, gefolgt vom Dobermann, nach hinten und durch eine Tür, sicherlich zu der Besprechung mit den Leuten aus den Limousinen. Der Leibwächter schließt jetzt die Haustür und geht seinem Chef hinterher. Doch dann bleibt er plötzlich stehen und beginnt zu »wittern«, wie ich es nur dem Hund zugetraut hätte.

Mist! Der Typ ahnt wohl, dass ich hier hinter dem Baum hocke. Er dreht sich in meine Richtung, kommt auf mich zu. Ich mache mich noch kleiner als ohnehin schon. Der Typ ist ebenso riesig wie der, der mir und Charles das Tor geöffnet hatte. Gegen den habe ich keine Chance. Ich bin zwar in verschiedenen Kampfsportarten ausgebildet, aber eben doch kein Superman. Der körperliche Unterschied bleibt: ich, ein normaler zwölfjähriger Junge, 1,48 Meter groß, 42 Kilo schwer; er, über zwei Meter und vermutlich ein 120-Kilo-Koloss. Der zerquetscht mich wie eine Kakerlake, wenn er mich in die Finger bekommt. Ich sitze in der Falle!

Es sei denn …

… er sieht mich nicht als Gefahr. Ich bin ein Kind! Gangster betrachten Kinder nicht als Gefahr. Zumindest nicht beim ersten Anblick. Also zeige ich dem Wächter meine kindliche Seite.

Kurz bevor er den Olivenbaum erreicht, komme ich dahinter hervor.

»Ist er fort?«, frage ich.

Der Riese bleibt verdutzt stehen. »Wer?«

»Na, der große Hund!«, sage ich. »Ich habe Angst vor großen Hunden.«

Der Riese stutzt, scheint zu überlegen, was er von der ganzen Sache halten soll, und fragt schließlich: »Wer bist du? Und wieso bist du hier? Hier unten, meine ich. Gehörst du zu Shiona?«

»Ich soll Chips holen«, schwindle ich. »Wir haben nichts mehr zu knabbern dort oben.«

»Shiona isst doch gar keine Chips! Viel zu viele Kalorien«, stellt der Koloss klar, wobei er misstrauisch seine breite Stirn runzelt.

»Aber Charles und ich!«, erwidere ich. Und das ist sogar wahr. »Ich wollte gerade zur nächsten Tankstelle oder einem Kiosk, um welche zu kaufen. Aber dann kam der Hund angesaust.«

Der Riese schaut mich missbilligend an. Aber ihm fällt wohl nichts mehr ein, um mich weiter auszufragen.

»Geh wieder hoch«, raunt er mich mit dunkler, mürrischer Stimme an. »Ich lasse euch welche bringen.«

»Oh!«, sage ich freudig. »Danke!«

Der Riese dreht ab und verschwindet durch die Tür, durch die auch Shionas Vater mit dem Hund gegangen ist.

Sag ich doch! Kinder werden nicht als Gefahr angesehen. Einem Erwachsenen hätte er sicher weder eine billige Ausrede abgenommen noch ihn allein hier im Flur stehen lassen.

Kaum ist der Riese außer Sicht, düse ich los. Durch eine andere Tür, die – so hoffe ich, zumindest von der Richtung her – nach hinten zum Hof führt, wo die Autos stehen.

Ich habe Glück. Ich gelange über einen kleinen Flur auf den Hof, sehe mich dort blitzartig um, krabble unter die Limousine und hefte einen meiner kleinen, magnetischen GPS-Sender ans Innere des hinteren linken Kotflügels. Das war’s. Ab sofort kann ich per Smartphone genau verfolgen, wohin der Wagen fährt. Jetzt im Eiltempo zurück, hoch ins Studio, bevor die Chips gebracht werden.

Ich schaffe es nicht ganz. Als ich ins Studio stürze, sind die Chips schon da, und Shiona ist stocksauer. Sie zeigt auf die Schüssel mit Knabberkram.

»Ich denke, du warst nur auf Klo? Stattdessen hast du unten Chips bestellt?«, fragt sie mich in scharfem Ton.

»Ich … äh … Hatte ich Appetit drauf«, stottere ich. Und stopfe mir sofort zwei Handvoll in den Mund.

»Bist du nicht ganz dicht?«, keift sie. »Du kannst nicht einfach ungefragt runtergehen. Da flippt mein Vater aus. Der arbeitet dort unten. Meine Gäste haben da nichts zu suchen. Außerdem wollen wir hier endlich proben!«

Ich murmle eine Entschuldigung, Shiona stellt sich aufnahmebereit ans Mikro, Charles und Kati sind auch so weit. Ich schnappe mir meine Gitarre und zwinkere Naomi zu, dass alles geklappt hat. Dann umfasse ich das Griffbrett für den ersten Akkord. Shionas Halsschlagader ist angeschwollen, ihr Kopf knallrot geworden.

»Oh Mann!«, schimpft sie. »Ich kann so nicht singen! Immer müssen wir auf dich warten! Wegen so blöder Chips, die ich sowieso nicht ausstehen kann. Weißt du, wie dick die machen? Jetzt hab ich ’nen Kloß im Hals! Nur deinetwegen!«

Meinetwegen? Wieso …? Genau in dem Augenblick vibriert mein Handy in der Hosentasche. Ich weiß: Das ist der GPS-Sender, der sich meldet. Die Limousine hat sich in Bewegung gesetzt. Scheiße! Da müsste ich jetzt hin.

»Wasser!«, krächzt Shiona. »Ich brauche sofort eine Flasche Wasser!«

»Ich hole dir eine«, biete ich an. Das wäre die Gelegenheit, nachzusehen, wohin die Limousine fährt.

»DU NICHT!«, keift Shiona.

»Ich mach es«, bietet Kati sich an.

Oh nein! Nicht ausgerechnet Kati, die Einzige, die mit uns nichts zu tun hat. Die Limousine haut ab, und wir stecken hier fest. Ich hoffe nur, die Aufzeichnung läuft, die den Weg der Limousine nachzeichnet.

Shiona lässt sich auf ein Sofa fallen, das hinter Naomi im Studio steht.

»Oh Mann«, stöhnt sie. »Was hab ich mir mit euch da bloß eingeladen?«

Ihr Blick geht hilfesuchend zu Naomi.

»Was meinst du?«, fragt sie, als wäre sie seit Jahren im Musik-Business tätig. »Kann man mit den beiden arbeiten?«

»Unbedingt!«, versichert Naomi ihr. »Charles ist herausragend gut als Schlagzeuger. Und Liam spielt doch auch super.«

Die arme Shiona kann ja nicht ahnen, dass wir zusammengehören.

Im Vergleich zur Zicke Shiona scheint Gonzo mit einem Mal ein total netter Kumpel zu sein. Aber was soll’s? Wir sind zu dritt in der Höhle des Löwen, und hier müssen wir auch bleiben. Koste es, was es wolle.

Schon ist Kati zurück mit dem Wasser, allerdings einem mit Sprudel.

»Was soll das denn?«, meckert Shiona sofort los. »Mit Sprudel? Da muss ich beim Singen ja aufstoßen. Oh Mann, Leute! Ich will hier professionell arbeiten.«

Sie springt auf und rennt aus dem Studio. »Ich hol’s mir selber.«

Dann bleibt sie kurz stehen. »Und wehe, einer von euch haut wieder ab!«

Mir juckt es in den Fingern, das Smartphone hervorzuholen und den Wagen zu verfolgen. Doch Kati hat mich im Blick.

Ich zwinge mir ein Lächeln heraus. Kati erwidert es nicht.

Dann kommt Shiona schon zurück, mit einer Flasche Wasser in der Hand.

»Probieren wir’s noch mal«, sagt sie.

Wir spielen noch ein paar Takes, nehmen mit dem Computerprogramm sogar ein Stück auf. Naomi schafft es, aus unserem Geschrammel am Mischpult tatsächlich eine halbwegs hörbare Version zu basteln, was mich allerdings nur wenig wundert. Naomi ist an technischen Geräten eine wahre Meisterin. Ich hab da öfter so meine Schwierigkeiten, sprich: Immer, wenn ich eine superneue Agenten-Geheimtechnik nutzen will, funktioniert sie nicht und irgendwas geht schief. Bei Naomi aber klappt immer alles. Ich glaube, sie besitzt magische Hände, die selbst nur aus Bits und Bytes und ein paar Drähten bestehen. Jedenfalls klingt unsere erste Aufnahme überraschend gut. Entsprechend gut gelaunt verabschiedet Shiona uns.

»Okay«, sagt sie schließlich. »Mein Gesang ist gut, der Rest: geht so. Morgen um zehn Uhr wieder hier. Alles klar?«

»Öh«, wende ich ein. »Da haben wir Schule!«

Shiona ist Widerspruch offenbar nicht gewohnt. »Zehn Uhr habe ich gesagt. Basta!«

»Klar«, verspreche ich.

Wenigstens habe ich so für die Schule ein gutes Alibi, obwohl eigentlich mein Auftrag mich daran hindert hinzugehen. Ich kann die Band vorschieben.

»Bis dann!«, verabschiede ich mich und gehe mit Naomi und Charles.

Kati scheint zum Glück noch etwas bleiben zu wollen.

Unten, draußen vor der Tür, schaue ich sofort auf mein Smartphone. Die Karte zeigt, wohin die Limousine gefahren ist.

»Wir müssen zum Hafen!«, sage ich.

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