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1. Kapitel

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Angela Hünnemeyer

Flo …

Momente des Lebens

Dieses Buch widme ich Britt und Karsten

Liebe fragt nicht nach einem Zeitpunkt

Liebe fragt nicht nach einem Ort

Liebe fragt nicht nach einem Warum

Die Motoren dröhnten, als die Maschine Fahrt aufnahm. Der Druck presste mich in den Sitz.

Was machte ich hier? Wieso saß ich völlig abgehetzt in einem Flugzeug nach Schweden? Wieso lief mir der Schweiß in den Mantelkragen, während meine Finger die hastig gepackte kleine Reisetasche umklammerten?

Wenn ich darüber nachdachte, wie viel das Ticket gekostet hatte, dann wurde mir schlecht. Aber Britt brauchte mich, und zwar dringend, und ich hatte keine Zeit zu verlieren, nicht eine Sekunde.

Das hatte ich davon, dass ich so gutmütig war. Dass ich nicht Nein gesagt hatte, als mich meine alte und beste Freundin vor ein paar Wochen angefleht hatte, ihr einen Gefallen zu tun, einen klitzekleinen Gefallen. Ich sollte Zeugin sein, sollte Protokoll führen, sollte hautnah die Geschichte ihres Lebens begleiten und in allen Einzelheiten festhalten.

„Du bist doch Autorin, oder?“, hatte sie gefragt. Fröhlich war sie durch meine Küche geschwebt und hatte gesungen. Ja, gesungen. Britt, die unmusikalischste Frau, die ich kannte. Britt, bei der die Katzen vor Schmerzen jaulten, wenn wir als Kinder in unserer kleinen Schwedensiedlung fröhliche Kinderlieder angestimmt hatten, vorzugsweise auf Schwedisch, damit uns die deutschen Kinder nicht verstehen konnten.

Das machten wir oft. Nicht singen, sondern Schwedisch sprechen und Geheimnisse austauschen. Britt, ihr Bruder Lars, ihre heimliche Liebe Sven und ich. Damals, als die Welt für uns alle noch in Ordnung war. Damals, als wir noch nicht wussten, wie schnell einem das Herz vor Kummer brechen konnte. Oder wie es veröden konnte, langsam und unerbittlich, weil wir uns mit weniger zufrieden gegeben hatten, als das Leben eigentlich für uns bereithielt.

„Natürlich bin ich Autorin“, dachte ich und folgte Britt, die inzwischen summend in meinen Wintergarten getanzt war.

Wir schrieben den 1. Dezember 2011. Das Wetter war kalt, fast eisig, aber bei mir war es mummelig warm an meinem vor sattem Grün überquellendem Arbeitsplatz, der Wiege meiner Kreativität.

Ich bin seit unserer frühesten Kindheit die Vernünftigere von uns beiden, zumindest hatten unsere Eltern das schon früh bestimmt. „Pass auf Britt auf“, mahnten sie mit monotoner Gleichmäßigkeit, wenn wir aus dem Haus stürmten. Gut, dass sie nie erfahren mussten, wie oft Britt mich aus dem Schlammassel zog, in das ich zielsicher immer wieder stolperte. Dennoch, ich hatte stets ein wachsam-liebevolles Auge auf die nur ein Jahr Jüngere gehabt.

Sie wirkte wie ausgewechselt. Was war geschehen? Ich sah uns wieder Zettelchen schreibend in der Schulbank sitzen, sah sie heimlich knutschend unter dem Apfelbaum mit dem ersten Mann ihres Lebens. Nun ja, Mann war vielleicht etwas übertrieben, er würde irgendwann einmal einer werden, der schwedische Blondschopf aus der Nachbarschaft mit den lustigen strahlenden Augen, Sven Bergman, der in seiner Hand einen Strauß Gänseblümchen für meine kleine Britt hielt.

Britt tänzelte verzückt aus dem Wintergarten und zurück in die Küche. Sie hörte auf zu singen, strahlte mich an und sagte nur ein Wort: „Flo!“

Erstaunt sah ich mich um. „Wie Floh? Wo sind Flöhe? Habt ihr Flöhe irgendwo?“ Ich schüttelte mich ein wenig und auf meinem Rücken spürte ich einen Juckreiz. „Moment, kannst du dich vielleicht einmal ein wenig präziser ausdrücken?“

Doch das tat sie nicht, stattdessen hielt sie endlich an, stellte sich ans Küchenfenster, schaute verträumt hinaus und murmelte abwesend: „Flo ist da!“

Jetzt spinnt sie völlig, dachte ich, stellte mich neben sie, stupste sie an und fragte: „Also, was ist mit den Flöhen?“

Sie schaute mich an, als ob ich Chinesisch sprechen würde. Sie begann, sich wieder im Kreis zu drehen, breitete die Arme aus und sang: „Flo, Flo, Flo!“

„Oh Mann, was ist denn heute mit dir passiert? Gab es eine Detonation im Büro? Ist der PC explodiert oder was hat dein süßes Köpfchen so auf Verwirrmodus gestellt?“

Aber auch das verstand sie nicht, schaute weiter abwesend an mir vorbei und in eine Ferne, in die ich ihr noch nicht folgen konnte. Also versuchte ich es auf die alte Tour.

Vad händer Britt?“, sagte ich.

Flo är där, utan h, inga loppor eller loppor!”, sagte sie.

Ich hatte sie soweit. Sie sprach wieder in fast ganzen Sätzen. Ihre Muttersprache hatte sie zurückgeholt in die flohlose Realität und daran erinnert, dass wir einen deutschen Wortschatz von ungefähr fünfhunderttausend Wörtern besaßen, so genau waren sich die Gelehrten darüber noch nicht einig. Und dieser verfügte über mehr, als nur das Wort Floh.

Lächelnd ging ich hinüber zum Küchentisch, setzte mich auf einen Stuhl und schaute sie an.

”Was hast du gerade gesagt? Flo ist da, also Floh ohne (utan) h, nicht (eller) - der Floh (lopper) oder die Flöhe? Du meinst gar nicht die Flöhe, also diese komischen Tierchen, die schon bei der Aussprache des Wortes Juckreiz verusachen, du meinst Flo, einfach nur Flo ohne h?”

”Jaaaaaaaaaaaaa, meine Hanna, ich meine den Flo ohne h!”, lachte sie laut.

”Noch einmal fürs Protokoll, wir sprechen aber nicht gerade von deinem Ehegatten Steffen, der nun einen neuen Spitznamen bekommen hat, oder? Löst er in dir plötzlich Singen und Tanzen und begrenzten Wortschatz aus? Nein, das glaube ich nicht. Also ist Flo jemand anderes. Es ist doch ein er, oder? Vielleicht ein neues Haustier, eventuell ein Hund?”

Natürlich hätte es mich gefreut, wenn ein Hund es geschafft hätte, ihr wieder ein Lächeln zu entlocken. Ich dachte an alte Zeiten und tausend Gründe, die uns zum Strahlen gebracht hatten, nicht nur Händchenhalten mit Sven Bergman unterm Apfelbaum.

So langsam kam Britt wieder etwas runter auf den Teppich, natürlich war es ein schwedischer Sisalküchenteppich. Sie landete und kam zu mir hinüber, küsste mich auf die Wange und flüsterte mir ins Ohr: ”Da! Da ist er! Flo...!”

Mit diesen Worten legte sie mir ihr Handy in den Schoss. Ich räusperte mich, denn ihr Knutschanfall hatte mich etwas verwirrt. Neigierig nahm ich das Handy und dachte doch wirklich im ersten Moment, ein ”Flo” sei in der Leitung und hätte dieses Theater gerade via Handy mitverfolg, doch ich sah schnell, dass sich das Gerät im Ruhemodus befand.

Britt wurde ernst und setzte sich mir gegenüber. War das wirklich die Britt, die ich von früher kannte, die wieder lachte, deren Augen funkelten? Und das alles nur wegen dieses Handys und Flo?

Im Laufe der Jahre hatten sie ihr Strahlen verloren. Seit sie Steffen geheiratet hatte, fehlte ihr etwas. Ich dachte immer, sie gäbe sich damit zufrieden, im Leben eben nicht das Glück geschenkt bekommen zu haben, das uns die Liebesfilme und Romane unserer Jugend versprachen. Nie zuvor hatte ich erlebt, wie ein bei der Trauung gehauchtes, kaum wahrnehmbares „Ja!“ so klang, als würde jemand gerade bewusst auf alle Emotionen verzichten, die das Leben schenken konnte. Eigentlich verkörperte sie seit ihrer Heirat nur noch das Traurige, schien mit allem abgeschlossen zu haben. Daran änderte auch die Geburten ihrer inzwischen erwachsenen Töchter nichts. Wo waren die Jahre nur geblieben, wo war Sven nur geblieben, ja, wo war er eigentlich? Wie kam ich nur gerade jetzt auf ihn? Na gut, ich hatte mir immer für Britt gewünscht, dass Sven sie eines Tages zur Frau nehmen würde, aber dann war er sang- und klanglos verschwunden und am Ende hatte sie eben Steffen Hansen geehelicht. Vermutlich kam ich gerade auf Sven, weil ich seit gut dreißig Jahren, seit er fort war, Britt nicht mehr in einem solchen Zustand erlebt hatte.

Ich bat sie, uns einen Kakao zuzubereiten. Derweil holte ich mein Notebook aus dem Wintergarten und setzte mich zu ihr an den Küchentisch. Wir zündeten eine Kerze an, dimmten das Licht, ich öffnete ein neues Dokument, legte einen Ordner an und schrieb eine Überschrift, die mir in den Sinn kam:

Flo ... Momente des Lebens

Mit diesen Worten war ich endgültig hineingezogen worden in Britts Geschichte. Unwiderruflich. Jetzt saß ich in diesem Flieger und fürchtete um mein Leben? Die „kleinen Turbulenzen“, über die der Kapitän mit sanfter Stimme auf Deutsch und dann auf Schwedisch plauderte, schüttelten den Flieger durch und ich war nicht die Einzige an Bord, die sich völlig verkrampft hatte. Ich sah aus dem Fenster und versuchte mich abzulenken.

Nachdem ich Britt mit der Aufgabe, Kakao für uns zuzubereiten, wieder ins reale Leben gezerrt hatte, rückte sie mit ihrem Plan heraus.

„Das hier ist die Geschichte, nach der du dein Leben lang gesucht hast, Hanna!“, strahlte sie mich an.

Hatte ich nach einer Geschichte gesucht? Ich konnte mich nicht erinnern. Wenn ich eines im Überfluss hatte, dann waren es gute Stoffe, und meine Leser und die Verlage wussten das. Nein, ich konnte mich nicht erinnern, jemals etwas Derartiges geäußert zu haben. „Hä?“, fragte ich also folgerichtig.

„Doch, doch! Die wahre Liebe, die alles verändernde, alles beantwortende Liebe! Erinnerst du dich nicht? Du hast gesagt, du würdest erst an sie glauben, wenn sie dir begegnet und du würdest daraus sofort einen Bestseller schreiben, sollte dir mal die richtige Story über den Weg laufen.

Und, voilá!, hier kommt sie jetzt!“

„Moment mal, Kleines!“, versuchte ich sie wieder zu erden, aber an der Art, wie sie verzückt in ihrem heißen Schokoladengetränk rührte, erkannte ich, dass sie bereits wieder bei den Flöhen war, Verzeihung, bei Flo.

„Wir haben uns doch erst vor ein paar Tagen das letzte Mal gesehen, da hing der Himmel für dich noch nicht voller Geigen. Willst du mir erzählen, dir sei die wahre Liebe begegnet?“ Ich konnte nicht glauben, was sie da sagte.

„Naja, noch nicht so richtig, aber ich bin auf dem Weg zu ihr, sie hat mich gefunden. Er hat mich gefunden. Flo ist da!“

Nicht schon wieder, dachte ich. „Und was kann ich für dich tun?“

Ungläubig riss sie die Augen auf. „Na, was wohl? Darüber schreiben!“

„Worüber?“

„Über Flo und mich, natürlich!“

„Aber da gibt es doch noch gar nichts zu erzählen!“

„Das ist doch gerade das Tolle!“, schwärmte sie und mich beschlich die Ahnung, dass sie von der Arbeit einer Autorin nicht allzu viel verstand. Entweder wir denken uns unseren Stoff aus, planen ihn in Gedanken durch und schreiben ihn auf, oder wir blicken auf etwas, was andere schon erlebt haben und schreiben darüber. Nur wenige von uns schreiben über etwas, was noch niemand erlebt hat.

„Ich soll einen Science Fiction schreiben?“, fragte ich also irritiert.

„Nein, Dummkopf!“ Liebevoll streichelte sie über meine Hand, die auf dem Tisch lag, so, als würde sie einer dementen alten Dame erklären wollen, dass sie heute ganz gewiss nicht vor den Altar treten müsste.

„Was denn dann?“

„Ich nehme dich mit auf meine Reise ins Glück. Du schreibst sozusagen am Puls der Zeit, verstehst du?“

„Nein.“

„Hanna, nun tue mir doch den Gefallen!“, flehte sie und ich begann zu begreifen, dass ich die Option auf ein herzhaftes „Nein“ nicht mehr hatte. Im Gegenteil. Meine liebe kleine Britt war so aufgewühlt, so von den Socken, dass sie nicht mehr klar denken konnte. Sie war davon überzeugt, dass sie dabei war, ein Wunder zu erleben, ein regelrechtes, einmaliges, heiliges Wunder, und dass ich mich mehr als glücklich schätzen durfte, Augenzeugin desselben zu werden. Meine Güte, wie sollte das gehen?

„Ich werde dich mit allen Informationen versorgen, ja? Tagesaktuell. Du sammelst sie, ja? Dann schreibst du was darüber.“ Sie nickte mir aufmunternd zu. „Du kannst so schön formulieren, mir fällt niemand ein, den ich lieber darum bitten würde, als dich, meine liebste und älteste Freundin, meine Hanna!“

Was hätte ich sagen sollen? Scher dich zum Teufel? Nein, nein, das kam nicht in Frage. Ich merkte, wie sich mein Magen zusammenzog. Mir fehlte, das wusste ich genau, das Voyeur-Gen vollkommen. Es bereitete mir großes Unbehagen mir vorzustellen, dass ich nun die intimen Details einer sich aufbauenden Beziehung durchstöbern sollte, um daraus die Quintessenz zu ziehen, die sich für eine literarische Verdichtung eignen könnte. Und, wenn ich das mal heimlich denken durfte: Niemand wusste, ob dieser Typ, in den sich meine traurige, stets sachliche Britt scheinbar Hals über Kopf verliebt hatte, nicht vielleicht jemand war, der es auf ahnungslose Frauen abgesehen hatte.

Das Flugzeug sackte unvermittelt ab und mein Schrei mischte sich mit denen der anderen Fluggäste. Himmel nochmal! Wenn ich eines nicht ausstehen konnte, dann Reisen, auf denen sich mein Magen drehte und mir übel wurde.

Um mich abzulenken, öffnete ich meine kleine Reisetasche. Darin befanden sich das bisherige Manuskript und eine Auswahl aus zahllosen, zum Teil vollkommen unlesbaren, unbeschreiblich kitschigen wortgetreuen SMS- Abschriften und endlosen Emails, die Britt mir im Laufe der letzten Monate in die Hand gedrückt hatte. Wenn ich an die Berge von Papier dachte, die ich nicht mitgenommen hatte, weil sie inzwischen zahlreiche Ordner füllten, und wenn ich sah, wie fein und überschaubar das war, was ich bisher geschrieben hatte, dann erfüllte mich dieses mit Stolz, aber auch mit großer Sorge. Verdammt, konnte der Pilot nicht ein bisschen Gas geben? Ich musste zu Britt! Dringend!

Flo... Momente des Lebens

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