Читать книгу Flo... Momente des Lebens - Angela Hünnemeyer - Страница 7

5. Kapitel

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Mein Karsten,

meine Liebe zu Dir ist zu groß und zu innig, um sie in Worte zu fassen. Ich werde damit sehr behutsam umgehen. Du hast einen Platz in meinem Herzen, fürchte nie, Deinen persönlichen Freiraum zu verlieren. Dir soll es gutgehen und niemals musst Du Angst vor irgendetwas haben. Lass uns nur unser bescheidenes Glück leben.

Britt

Mir war klar, dass Britt erkannt hatte, dass es für sie beide keinen Weg geben würde, jetzt noch nicht, lange noch nicht. Wenn sie füreinander bestimmt waren, dann würden sie sich finden, dann würde es irgendwann Wege für sie geben und genau darum nahm sie jeden Druck aus ihrer Beziehung heraus. Karsten war zu ihrem bescheidenen Glück geworden, einem Glück, das sie mit ihm zusammen genießen wollte.

Ich spürte Freude, aber auch ein wenig von dem Schmerz, der unweigerlich kommen würde. Ich sah die beiden förmlich vor mir sitzen, dort vor ihren Bildschirmen, zwei Menschen, die sich ihre Gefühle via Satellit und einer Entfernung von rund 400 km mitteilten, als säßen sie einander im Kerzenlicht gegenüber. Aus der Sehnsucht, sich gegenseitig in die Arme nehmen zu wollen, machten sie keinen Hehl.

Wie wäre wohl der nächste Schritt, den sie gehen würden? Wie würden sie reagieren, wenn sie feststellten, dass sie sich in ihren Fantasien gegenseitig völlig überhöht hatten?

Mein liebster Karsten,

es wird wunderschön sein. Wir werden still aufeinander zugehen und uns schweigend in die Augen sehen und unsere Blicke werden mehr sagen, als jedes Wort. Wir werden an einen Ort gehen, der nur uns gehört. Wir werden uns lieben, leidenschaftlich lieben und danach werden sanfte Worte fließen und wir werden dankbar sein, dass wir diese Momente leben durften. Wir werden uns aneinander festhalten, stundenlang festhalten. Herzklopfen werden wir haben, Herzklopfen in den ersten Minuten unserer Begegnung.

Ich kannte Britt lange genug, sie tickte genauso wie ich. Wenn sie sich mit Karsten treffen würde, dann würde sie ihn lieben, mit Haut und Haar.

Als plötzlich mein Telefon läutete und mich aus meinen Gedanken riss, bemerkte ich mit einer leichten Verwunderung, dass ich mich über die Störung ärgerte. Ich schaute auf den Apparat. Die Rufnummer kannte ich nicht.

„Sörensson!“, bellte ich kurz und bündig in den Hörer.

„Lindqvist Karsten hier, einen schönen guten Morgen!“, ertönte es beinahe eingeschüchtert zurück. „Guten Morgen, Hanna. Ich darf doch Hanna zu dir sagen?“

Ich räusperte mich. „Oh, guten Morgen. Das ist aber jetzt eine Überraschung, Karsten. Ich freue mich sehr, dich nun persönlich zu hören, du bist mir ja nicht mehr so ganz unbekannt.“

Karsten lachte: „Das ist ja auch eine unglaubliche Geschichte, in die wir drei da geraten sind. Ich würde dich gerne sprechen, wenn es deine Zeit erlaubt?“

„Nun ja, Zeit habe ich auf jeden Fall für dich. Wie geht es dir? Schwirrst du wie Britt irgendwo über den Wolken?“ Er durfte ruhig denken, ich sei skeptisch. Vielleicht würde er sich ja verplappern und sich als Halunke outen, dann konnte ich Britt hier und jetzt retten.

„Mir geht es gut, diese Geschichte hat mich zwar völlig überrollt, aber ich fühle mich super gut.“

Na klar, dachte ich zynisch. Welcher Mann würde das nicht, wenn er so intensiv hofiert würde, wie dieser Fremde aus Heilbronn?

„Du magst das jetzt vielleicht nicht glauben“, fuhr er fort, „aber ich liebe diese Frau, ja ich liebe sie.“ Er zögerte. „Ich werde mich eines Tages entscheiden müssen. Ich bin noch nicht frei, das weißt du, oder?“

Und ob ich das wusste. Ich räusperte mich erneut. „Ja, das habe ich vermutet.“

„Mein Wunsch wäre es, wir könnten unsere Liebe leben, ohne, dass jemals jemand anderer darunter leiden müsste“, sagte Karsten leise. Komisch, er klang aufrichtig. Ich spürte Mitleid mit ihm.

„Britt ist meine Freundin, Karsten, und zwar seit unserer Kindheit. Ich kann nicht einfach zusehen, wie sie jemand verletzt.“

Karsten schluckte, das konnte ich durchs Telefon hören. Dann klang es ganz leise vom anderen Ende der Leitung: „Hanna, Britt ist eine wunderbare Frau. Ich habe unglaubliche Sehnsucht nach ihr, glaube mir, hier zu sein, soweit von ihr entfernt, das schmerzt manchmal.“

Ich musste lächeln und sagte ganz leise: „Karsten, Britt ist eine Schwedin, durch und durch. Sie hat etwas Filigranes, aber auch etwas Robustes, um der harten Natur zu begegnen. Sie lässt sich nicht unterkriegen. Wenn sie am Boden liegt, steht sie immer wieder auf, klopft sich die Hände ab und beginnt von vorne. Sie ist eine Kämpferin, aber gleicht auch einer skandinavischen Göttin.

Ihr Gesicht strahlt, es kommt aus ihrem Innern, sie ist sehr schön, hat eine sehr zarte Haut, trotz ihres Alters ist sie unglaublich attraktiv und selten geht man an ihr vorüber, ohne einen zweiten Blick zu riskieren. Ob Mann oder Frau, sie zieht Menschen in ihren Bann. Sie hat einen unglaublichen Humor und sie ist sehr verständnisvoll, kritisiert meist nur sachlich, kann albern sein wie ein Kind und hat sich das Mädchenhafte erhalten. Sie ist intelligent und sehr fleißig, arbeitet Tag und Nacht und schafft etwas aus ihrem Innern heraus. Zudem hat sie Ziele, die sie gerne umsetzen möchte.“

Ich zögerte einen Augenblick. Wenn Karsten meine Telefonnummer kannte, dann wusste er sicher auch, dass Britt mir nicht nur Mails und SMS, sondern auch Fotos von ihm gezeigt hatte. „Wenn ich mir dein Bild anschaue“, fuhr ich nachdenklich fort, „dann denke ich, ihr würdet sehr gut zusammenpassen.“

„Wow, Hanna, du hast sie gerade so beschrieben, wie ich sie mir vorstelle. Sie hat mich in ihren Bann gezogen, es liegt ein Zauber in der Luft. Ich spüre das, trotz dieser Entfernung, die zwischen uns liegt.“ Seine Stimme schien vor Emotionen zu vibrieren. „Ich liebe sie über alles, obwohl ich sie noch nie sah. Wir werden uns bestimmt noch öfter unterhalten, Hanna, und ich möchte mich bei dir für dieses tolle und offene Gespräch bedanken. Mir war es wichtig dich persönlich zu sprechen, die Frau, die uns begleitet, die über diese Liebe schreibt. Ich danke dir für deine Mühe und auch dafür, dass zwischen uns beiden Vertrautheit ist."

„Weißt du Karsten, leg deinen Selbstzweifel ruhig ab, sie liebt dich von ganzem Herzen. Vergiss das nie und zweifel nicht mehr. Sie ist ein steter Mensch und sehr verlässlich. Das wollte ich dir noch mit auf den Weg geben. Lieben Dank für deinen Anruf und dein Vertrauen in mich. Bis bald und einen tollen Tag.“

„Auch für dich Hanna!“

„Bis bald Karsten!“

Nachdenklich beendete ich das Gespräch. Es war schwer, sich dem Sog der Gefühle zu entziehen, die sich zwischen meiner Freundin und ihrem Geliebten aufbauten. Britt gönnte ich Glück von ganzem Herzen, Karsten nach diesem kurzen Telefonat nun plötzlich auch. Das überraschte mich ein wenig. Alle Zweifel, die ich gehegt hatte, alle Sorgen, er könne mit Britt spielen und sie am Ende nur unglaublich verletzten, waren in mir aus unerfindlichem Grund wie weggeblasen. Wenn das Schicksal es vorsah, dass diese zwei zueinander fanden, wer war ich denn, daran zu zweifeln, dass es seine Richtigkeit haben würde?

Emails mit immer deutlicher formulierten Sehnsüchten folgen hin und her. Die Nächte hätten tausend Stunden länger sein dürfen, sie konnten sich nicht voneinander lösen.

Es folgten Tage und Wochen, die ausgefüllt waren mit Schreiben, Handys, die heiß liefen und Mail-Accounts, die bis zum Morgengrauen gefüllt wurden, man quoll über vor Sehnsucht und Verlangen, sich endlich zu sehen.

Ihr Schriftverkehr war so voller Harmonie, Leben, Verstehen, Zuhören, sich in Gedanken liebend, das war unglaublich. Sie telefonierten in der Weihnachtsnacht, man wollte den anderen berühren, seine Nähe spüren, nur die Entfernung, die zwischen ihnen lag, gebot ihnen Einhalt. Hinzu kamen die familiären Verpflichtungen der beiden Liebenden. Wie Magie wirkte das Verlangen nach dem anderen auf sie, äußerte sich in der Sehnsucht, sich wenigstens stündlich einmal kurz zu schreiben, darüber zu berichten, was man gerade tat und woran man dachte.

Inzwischen hatten beide viel über sich erzählt, was sie mochten, womit sie sich gerne beschäftigen, sie sprachen über Sport, Hobbys und Leidenschaften, Kleidung, bis sie beim Thema der sinnlichen Düfte angekommen waren.

Britt erzählte von ihrem Vanilleduft und ihrem Parfüm. Flo bevorzugte einen männlich herben Duft mit Zedernholz. Britt kannte es nicht, also besorgte sie sich eine Flasche. Somit konnte sie seinen Duft Tag und Nacht einatmen.

Sie gewöhnten sich von Stunde zu Stunde mehr aneinander.

Die große allgemeine Grippewelle hatte auch vor Britt nicht Halt gemacht. Viele in ihrem Umfeld waren mittlerweile erkältet und sie hatte gewusst, dass es nicht lange dauern würde, ehe auch sie an der Reihe war. Es hatte sie richtig erwischt, mit allem was dazugehörte. Schwächegefühle im Körper, Schüttelfrost, Husten, Schnupfen und Heiserkeit. Aber sie dachte, besser jetzt, als über die Feiertage, denn diese würde sie schon gerne im Kreise ihrer Familie erleben und das Fest ein wenig genießen wollen, auch wenn in diesem Jahr vieles anders geworden war, war es ihr wichtig, ein schönes Familienfest zu begehen.

Die Kinder würden dann anwesend sein und gute Gespräche und ein schönes Miteinander wäre Balsam für ihre Seele, wo sie doch alle vom Alltag im Laufe des Jahres aufgefressen wurden. Zudem würde sie gerne die Feiertage dazu nutzen, um über sich und Karsten einmal nachzudenken, das zu verarbeiten, was da eigentlich gerade mit ihnen geschah. Sie dachte an die Zeit vor Flo.

Die letzten Jahre waren mühselig gewesen. Ihre Ehe vegetierte einfach nur dahin, freundschaftlich zwar, aber mehr auch nicht. Man ging sich aus dem Wege, lebte nebeneinander her. Eines Tages würde sie erschrocken in den Spiegel schauen und erkennen, dass sie alt geworden sei. Ja, Britt hatte einen Schreck bekommen, wie die Zeit davonlief. Tagtäglich sah sie sich im Spiegel, kämmte sich mechanisch wie ein Roboter das Haar, ohne den Glanz darin zu erkennen, wusch sich täglich ihr Gesicht, ihren Körper, ihre Haut, ohne die Weichheit zu spüren, die sie immer noch hatte, trotz ihrer achtundvierzig Jahre, stand auf der Waage, sah einige Kilogramm Übergewicht, doch es störte sie kaum, selbst nicht, dass es von Woche zu Woche schleichend mehr wurde.

Was war nur geschehen mit ihr? Warum ließ sie sich seit Jahren nur so undiszipliniert treiben? Fehlte ihr wirklich die Aufmerksamkeit? War es das Salz in der Suppe, was das Leben schmackhaft machte? Hatte sie deshalb an allem das Interesse verloren, weil es eh keine Rolle spielte? War ihr das tägliche Allerlei mittlerweile so egal geworden, weil man jeden Schritt, den man im Laufe des Tages ging, morgens früh beim Aufstehen schon kannte?

Das Wort Liebe hatte für sie keinerlei Bedeutung mehr. Natürlich liebte sie ihre Kinder, mochte sie ihren Beruf und ihre Mitmenschen, hatte auch gute Freunde an ihrer Seite, doch das Entscheidende war abhandengekommen, beziehungsweise hatte sie es noch nie so erlebt, wie jetzt mit Flo. Ihr war klar, dass jede Beziehung anders verlief, es kam auch auf den Menschen an, dem man Gefühle entgegenbrachte. Auch darauf, wie dieser seine Zuneigung zeigte. Und sie fühlte, je älter sie wurde, desto mehr Reife bekam sie, desto mehr Gedanken machte sie sich darüber, was ihr wirklich wichtig war. Und eine Erkenntnis war in ihr gereift: Für ihre innere Zufriedenheit und ihr Leben war nur sie allein verantwortlich. Es war ihr Leben, nur sie konnte ihre Seele pflegen und ihre Bedürfnisse befriedigen und für sich einmal etwas Gutes tun.

In ihrem Inneren begann eine Rebellion. Es waren regelrechte Tritte, die ihre Seele gegen sie selbst ausrichtete, damit sie endlich wieder in Bewegung kam. Immerhin war sie im besten Alter, in dem man eigentlich noch einmal etwas Neues beginnen und sich und seinem Leben eine Chance geben durfte. Meistens, wenn sie an einem solchen oder ähnlichen Punkt angekommen war, geschah etwas, als würde es von einer anderen Stelle angeordnet werden, und Britt sah es dann als eine Art Fügung, ein Anstoß, endlich in die Bewegung und Veränderung zu kommen. Und als es nun wieder einmal soweit gewesen war, da hatte sie ein paar Zahlen verdreht und einem wildfremden Mann eine SMS geschickt, die eigentlich ganz woanders hätte ankommen müssen, und nun bebte ihr Herz und zitterte ihr Körper vor Verlangen, wenn sie nur seinen Namen aussprach „Flo!“

Doch zunächst musste sie diese Supergrippe überstehen, ihren Kopf frei bekommen. Sie musste Flo besser kennenlernen und sie musste nachdenken. Das würde sie an den Feiertagen in stillen Stunden bei Kerzenschein und schöner leiser Musik, einem Tee und etwas Gebäck machen.

Eines war Britt klar, sie fing an sich zu verändern, sie begann abzunehmen, alleine schon durch die Erkrankung litt sie an Appetitlosigkeit, der Anfang war also gemacht. Der Anreiz war groß, denn sie plante, sich mit Flo zu treffen.

Als würde er ahnen, dass sein Glück mit Britts Genesung zusammenhing, kümmerte sich Karsten aufopfernd und zärtlich um sie:

Guten Morgen Britt,

hoffe wirklich, dass du zwischendurch einmal etwas Ruhe findest. Sitze im Zug und lese deine beiden letzten Mails von gestern und deiner so frühen von heute mit dem schönen Morgengruß. Ich bin letzte Nacht gleich eingeschlafen und habe von dir geträumt. Werde bitte schnell wieder gesund. Ich bin heute Abend auf dem Geburtstag eines Freundes und Kollegen und morgen Abend ist die Weihnachtsfeier mit der Bürobelegschaft. Ich bin daher leider beide Abende nur begrenzt erreichbar. Aber wir werden Zeit für SMS finden. Ich liebe dich. Dein Flo

Britt war glücklich und antwortete:

Hey du mein Flo,

Du hast von mir geträumt? Ich hoffe, es war wunderschön! Wie sahst Du mich in deinem Traum? Ich hatte ja viel Zeit heute Nacht und habe mir immer wieder Dein Foto angeschaut. Du bist mir so nahe. Nach dem Inhalieren eben schlummerte ich ein. Alleine das Ausruhen ist schon sehr erholsam. Ich bin so glücklich, dass wir uns gefunden haben Flo. Ich liebe Dich so sehr und ich freue mich über jede SMS und jedes Wort von Dir.

Deine Britt

Irgendwann schlief sie dann wieder ein und versuchte, schnell über ihre Grippe hinwegzukommen. So ging es in einer Tour weiter. Unzählige Mails füllten meinen Account. Britt schrieb mir, dass sie nächtelang seine Fotos anstarrte und Karsten studierte ebenso alle ihre Bilder immer und immer wieder. So legtensie einen Termin fest, wann sie sich endlich treffen würden.

Es sollte der 8. Januar 2012 am frühen Abend sein.

Endlich hatten sie die Gewissheit, dass sie sich sehen würden. Der Ort des Treffens, den sie vereinbarten, war genau der Richtige, wo sie ganz alleine waren, zwar inmitten des pulsierenden Lebens, doch trotzdem konnten sie die Türe hinter sich schließen und nur für sich sein. Das war ihnen ganz wichtig und es sollte etwas ganz Besonderes werden, etwas, was sie niemals vergessen würden. Kerzenlicht, Musik und nur sie, Britt und Karsten. Für die Verpflegung würde gesorgt sein, denn auf diesem Zimmer würde alles bereitstehen. Eigentlich mussten sie für nichts den Raum verlassen, es sei denn, sie wollten spazieren gehen.

Sie hatten bestimmte Vorstellungen, wie ihre ersten Minuten verlaufen sollten und das grenzte schon an eine Inszenierung - geplant bis ins kleinste Detail.

Britt würde schon nachmittags in dieses tolle Hotel fahren, sich auf die kommenden Stunden mit Karsten seelisch vorbereiten, sich aus ihrem Alltag mental ausklinken, während er sich auf dem Wege zu ihr machen würde. Sie würde ein schwarzes, glattes, hochgeschlossenes Kleid tragen. Darauf einen schlichten, breiteren schwarzen Wildledergürtel und diesen leger um die Taille fallen lassen. Oder würde sie doch eine schwarze weite Stoffhose mit einem todschicken enganliegenden Oberteil darauf tragen? Britt war sich da noch nicht so sicher und wollte es in dem Moment entscheiden, wenn es soweit war.

Karsten würde eine schwarze Hose mit einem weißen Hemd, offen und locker über diese fallend, mit einem weißen T-Shirt darunter tragen.

Britts Haut würde nach Vanille duften. Und seine? Er würde den Duft tragen, den sie schon durch die Parfümprobe, die sie sich besorgt hatte, kannte. Sie würde ihm die Zimmernummer ihres Raumes im Hotel simsen, mehr nicht. Und wenn er ankam, würde er ihr per SMS Bescheid geben, dass er das Hotel betreten hatte. Erst dann würde sie die Türe weit öffnen, die Musik leise andrehen, das Licht löschen, die Kerzen anzünden und sie würde sich ans Fenster stellen und hinausschauen in den dunklen Abend.

Er würde sehr leise das Zimmer betreten, sie am Fenster stehen sehen, nur ihre Rückenansicht, nicht ihr Gesicht und er würde langsam auf sie zugehen, sie von hinten umarmen und ihren Hals zärtlich küssen und sein Gesicht an ihr Haar legen und sie einatmen.

Sie würde seinen Duft ebenfalls aufsaugen und endlich seine Stimme in der Realität hören.

Britt hatte ihm gesagt, dass sie dann seine rechte Hand nehmen und diese auf ihr Herz legen würde, damit er ihr Herz, das nur für ihn schlägt, fühlen würde. Er war bei diesen Worten fast abgehoben und zunehmend nervöser geworden.

Flüsternd würde sie ihm sagen: „Flo, ich liebe dich, ich habe dich noch nie gesehen, werde mich dir gleich zuwenden und in deine Augen schauen und doch sage ich dir vorher, ehe das geschieht, dass ich dich liebe, von ganzem Herzen liebe!“

Auch er würde ihr auch etwas ins Ohr flüstern, was ihr eine Gänsehaut und ein tiefes Wohlgefühl schenken würde. Aufgeregt würde Britt sich ihm zuwenden, ganz langsam und ihm in die Augen schauen, im Kerzenlicht und unter den wunderschönen Klängen der Musik.

Dies würde der Moment sein, den sie niemals vergessen würden, ehe sie abhoben in eine andere Sphäre dieses Seins. Britt wusste, dass Tränen ihre Augen füllen würden und dann, ja dann würden sie sich küssen, erst ganz behutsam und zärtlich und dann ineinander verschmelzen und sich nicht mehr loslassen.

Ja, so erträumten sie beide ihre ersten Minuten, und so würden sie ihn leben, ihren ersten Moment.

Flo … Momente des Lebens.

Momente, die sie bis dato schon gelebt hatten, Momente, die Flo gewidmet waren, Momente, in denen er nur Britt gehörte, Momente, in denen sie sich ihm anvertraute und für die er die Verantwortung in seinen Händen hielt, Momente tiefer Glückseligkeit. Irgendwo in Deutschland … irgendwann in Deutschland … ganz alleine in Deutschland. Flo und Britt, zwei Menschen, die sich über einen ungewöhnlichen Weg kennengelernt hatten.

Hinter mir hustete einer meiner Mitreisenden.

Ich schrak auf, wie aus einem leichten und unruhigen Schlaf. Kaum hatte ich mich orientiert und begriffen, dass ich noch immer im Flugzeug nach Schweden saß, um Britt zu Hilfe zu eilen, leuchtete das Signal, man solle sich anschnallen, endlich auf. Meine Güte. War dieser Flug wirklich doppelt so lang gewesen wie die davor? Oder war es meine Unruhe, die jede Minute dehnte, als wolle sie alleine schon nicht enden, geschweige denn eine Stunde oder ein ganzer Flug?

Ohne, dass wirklich Eile vonnöten gewesen wäre, richtete ich meinen Sitz auf, schnallte mich an und starrte aus dem Fenster. Unter uns breitete sich eine dichte Wolkendecke aus. Na klasse.

Ich war sehr erstaunt gewesen damals, als ich erfuhr, wie Britt und Karsten ihr erstes Treffen geplant hatten. Da war ja wirklich alles bis auf das i-Tüpfelchen durchdacht. Ich erinnerte mich, dass ich mich gefragt habe, ob die Enttäuschung nicht groß sein würde, wenn die Inszenierung aus irgendeinem Grund nicht so perfekt verlief, wie sie sich das offensichtlich vorstellten? Was, wenn das Zimmer nicht fertig war, wenn sie ankamen? Was, wenn eine Glühbirne durchknallte? Oder wenn Karsten in einen endlosen Stau geriet? Wie viel Romantik würde übrigbleiben, wenn Britt auf dem Bett einschlief, weil er einfach nicht im Hotel ankam?

Die Vorbereitungen für das Weihnachtsfest und die Arbeit der beiden in ihren Jobs hielt sie voll auf Trab. Nachts flossen ellenlange tief erotische Sehnsuchtsmails, tagsüber waren sie geschlaucht von dem Mailmarathon in der Nacht und ihrer täglichen Arbeit. Die Feiertage verflogen wie im Flug. Das war für beide wohl mit eines der schönsten Weihnachtsgeschenke, sich an solch einem Tag zu hören.

Freudig hatte Karsten von den strahlenden Kinderaugen seines Sohnes erzählt. Mit drei Jahren erlebte man solch ein Fest noch mit großen Kulleraugen, und ein stolzer Vater ging richtig auf, wenn er davon berichten konnte. Britt sah ihn vor sich, wie glücklich er war und ihr Herz floss über.

Rasend schnell vergingen die Tage zwischen den Jahren und der Silvestertag war hereingebrochen.

Wir wollten gemeinsam bei Britt ein wenig feiern und ich konnte mir rege vorstellen, was sich in ihren Gedanken abspielte, besonders wo der Jahreswechsel bevorstand. Ich war in keiner guten Feierlaune, denn ich spürte, dass dieser Abend eine Leidensgeschichte werden würde. Ich wünschte so sehr, ich würde mich irren.

Die Stimmung im Hause der Hansens war sehr entspannt. Britt hatte sich unglaublich viel Mühe gemacht, ein tolles Essen zu zaubern und ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich ihr bei den Vorbereitungen nicht geholfen hatte. Doch sie beruhigte mich und meinte, dass ich ja wohl zurzeit genug mit dem Skript zu tun hätte, dass sie das gar nicht mehr gutmachen könnte, die Stunden, die ich damit verbringen würde. Ich ließ es mir also beruhigt schmecken.

Gegen 23 Uhr war Steffen plötzlich verschwunden und irgendwie fiel es niemandem auf, außer mir. Britts Töchter hatten noch einige Freunde eingeladen, die Musik lief ziemlich laut und es war ein lustiges und turbulentes Durcheinander. Ich dachte an meine Kinder und vermisste sie sehr, denn auch sie brachten immer Leben in unser Zuhause. Irgendwann ging ich dann in die Diele, um meine Stiefel zurechtzustellen, damit es um Mitternacht nach draußen gehen konnte, um das Feuerwerk anzuschauen.

Ich hatte schon einen kleinen Schwips, denn ich trank selten Alkohol, aber trotzdem war mein Aufnahmevermögen noch geordnet. Ich hörte eine Stimme in der oberen Etage und da ich auch das WC aufsuchen wollte, unten aber das Gäste-WC belegt war, entschloss ich mich, nach oben ins Bad zu gehen. Es war für mich nichts Ungewöhnliches, war ich doch seit vielen Jahren hier in diesem Hause auch heimisch, so wie die Hansens bei mir.

Je höher ich stieg, desto deutlicher hörte ich diese Stimme. Es war Steffen, der dort sprach und er wirkte nervös und gereizt und versuchte händeringend Erklärungen zu finden. Es schien fast so, als wenn er telefonierte. So wurde ich ungewollt Mithörerin eines Gespräches. Ich wollte schnell ins Bad huschen, aber ich hatte kaum eine Chance, das Gespräch nicht mit anzuhören: „Mein Schatz, alles wird gut, ich werde mit ihr sprechen. Ich denke sogar, die Zeit ist reif, denn sie hat sich in den letzten Wochen verändert. Sie ist entspannt, mit ihren Gedanken oft woanders und sie sieht so glücklich aus. Aber das hat nichts mit mir zu tun, denn wir haben kaum Zeit füreinander und unsere Beziehung ist geklärt. Unsere Töchter sind erwachsen, sie werden es verstehen und unser Baby, deines und meines, wird in geordneten Familienverhältnissen geboren werden. Ich freue mich so auf unser neues Leben. Britt wird es verstehen, wir sind Freunde geworden und mehr nicht.“

Mich traf der Schlag, Steffen wurde Vater, bekam ein Kind mit einer anderen Frau. Jedem hätte ich so etwas zugetraut, nur Steffen nicht. Er liebte eine andere Frau, heimlich, und niemand hatte es bemerkt. Wenn nun ein Baby unterwegs war, dann musste diese Beziehung auch schon länger gehen.

Ehe ich es schaffte, mich ins Bad zurückzuziehen, wurde die angelehnte Türe des Schlafzimmers von ihm geöffnet und er trat heraus.

Kreidebleich starrte er mich an und stammelte: „Wie lange stehst du schon hier, Hanna?“

Ich schaute ihn entsetzt an, einige Sekunden vergingen, ehe ich antworten konnte. „Lange genug Steffen. Lass uns bitte hier aus diesem Treppenhaus verschwinden und kurz reden, bitte.“ Ich schob ihn sanft zurück ins Schlafzimmer und er ließ es still geschehen.

„Hanna, ich flehe dich an, denke nicht schlecht über mich. Ich liebe diese andere Frau schon sehr lange und sie leidet unter dieser Situation. Du kennst meine Ehe mit Britt, du weißt, dass wir nie wirklich glücklich geworden sind. Ich möchte endlich eine gute Lösung finden, ohne zu verletzen, doch es geht mir an die Nerven. Und bald kommt das Baby.“

Zitternd stand er vor mir und irgendwie tat er mir leid. „Beruhige dich Steffen, alles wird gut. Wenn du es wünschst, werde ich vermitteln und helfen. Sie wird es verstehen. Natürlich wird es nicht leicht, ihr seid aneinander gewöhnt, doch ihr wusstet insgeheim immer, dass sich eines Tages eure Wege trennen würden.“

Ich nahm seine Hand und er dankte mir. Trotzdem hatte er Angst vor dem Gespräch mit Britt.

In diesem Moment ging die Tür auf und Britt trat ein, lächelnd. Stumm starrten wir sie an, denn sie ging schweigend auf Steffen zu und nahm seine Hand. „Sie sollen euch Glück bringen, sie brachten unseren beiden Töchtern Glück und nun werden sie dem dritten Baby auch diese Chance geben und das Recht auf ein glückliches Dasein schenken.“ Vorsichtig wickelte sie eben noch das Papier ab, dann legte sie die ersten Babyschühchen von Yvonne, ihrer Ältesten, in seine Hand. „Es wird wieder eine Tochter, Steffen, du kannst dich einfach als Mann nicht durchsetzen. Und wir werden alle zur Taufe kommen, schau einmal, wer alles kommen wird.“

Ich wich sprachlos wie noch nie zurück, denn die Tür ging erneut auf und herein traten Britts und Steffens Töchter, aber noch jemand betrat den Raum. Es war eine hübsche zierliche Frau mit einem kleinen Babybauch.

Steffen prallte zurück gegen den Kleiderschrank und seine Töchter fassten ihn schnell unter die Arme, damit er nicht umkippte, weil er so perplex war. Er konnte das nicht glauben und dann sah ich, wie Britt der fremden Dame aufmunternd zunickte. Diese lächelte und scheu ging sie auf Steffen zu, nahm seine Hand und legte sie auf ihren Bauch. „Steffen, wir werden eine richtige Großfamilie und deine Tochter, die bald zur Welt kommen wird, hat zwei wunderbare Schwestern und eine Patentante, die mehr als nur verstehend ist.“ Bei diesen Worten schaute sie Britt lächelnd an.

„Woher wisst ihr alle … also ich meine, seit wann wisst ihr … und warum ließ man mich im Unklaren … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll!“ Steffen stammelte nur herum und ich beobachtete Britt genauestens, wie es ihr dabei ging.

„Steffen!“, nun sprach Britt wieder. „Ich habe Melanie in der Arztpraxis kennengelernt. Es war vor ungefähr acht Wochen, Anfang November. Sie stand vor mir und gab Daten an, Blutgruppen wurden besprochen von den Eltern des Kindes und sie gab auch den Kindsvater namentlich an. Ich habe zunächst nicht richtig hingehört, doch nach einigen Sekunden registrierte ich, welchen Namen sie ausgesprochen hatte. Im ersten Moment dachte ich, es wäre nur eine zufällige Namensgleichheit, bis sie dann eine äußerst seltene Blutgruppe nannte, B Rhesus negativ. Da dachte ich, dass es schon seltsam sei, denn genau diese hast du auch. Da konnte es sich nicht nur um eine Namensgleichheit handeln.

Als sie die Praxis verließ, folgte ich ihr, ließ einfach meine Untersuchung sausen. Ich sprach sie draußen auf der Straße an. Das Gespräch war zunächst ziemlich kritisch, nicht von meiner Seite aus, sondern sie hatte Angst, verständlicherweise. Ich versuchte sie zu beruhigen, auch wenn es die reinste Absurdität war, dass ich der Geliebten meines Mannes gut zureden musste. Doch schnell fasste sie Vertrauen und ich lud sie zu einem Kaffee hier in unser Haus ein. Wir sprachen uns aus. Auch für mich war es sehr überraschend.“

Britt lächelte. Steffen lauschte ihr sprachlos. „Ich habe das auch nicht so einfach weggesteckt, aber mir stand es nicht zu, darüber zu urteilen, ich kenne ja nun unsere Situation hier seit Jahren und auch ich bin ja nicht glücklich damit. Mir wurde klar, dass du und ich uns nicht wirklich vernünftig ausgesprochen hatten, wie wir weiter zusammenleben wollten. So wäre es auf die Dauer ja nicht weitergegangen. Ich fand mich schnell damit ab, dass das Leben entschieden hatte. Melanie war sehr ehrlich zu mir und wir überlegten, wie wir es dir irgendwie schonend beibringen konnten. Ich sprach auch, und bitte verzeihe mir, mit unseren Töchtern darüber. Wir beschlossen zunächst das Weihnachtsfest vorübergehen zu lassen, dann aber in Rücksichtnahme auf sie und das ungeborene Kind schnellstmöglich eine Klärung herbeizuführen. Wir wünschen uns, dass das neue Jahr glücklich für alle beginnt.“

Steffen schluckte und schaute auf die Uhr. „Wir haben noch genau fünfzehn Minuten Zeit, um Frieden zu schließen, um mit einem guten Gefühl in das neue Jahr zu gehen. Ich habe trotz allem Sorgen um dich, Britt. Was wird aus dir werden?“

Britt umarmte ihren Ehemann und sagte ihm leise: „Ich werde meinen Weg gehen! Bitte mache dir keine Sorgen um mich.“

Ich atmete tief durch, jetzt machte ich mir nämlich Sorgen, denn ich konnte Britts Gedanken lesen. Nachdenklich gingen wir alle hinaus, um gemeinsam das Feuerwerk anzuschauen und das neue Jahr zu begrüßen.

Es war ein merkwürdiges Silvesterfest und ich hatte beschlossen, meine eigene Überraschung für Britt zunächst einmal für mich zu behalten, denn ich war der Meinung, dass es für heute an Überraschungen gereicht hatte.

Flo... Momente des Lebens

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