Читать книгу Flo... Momente des Lebens - Angela Hünnemeyer - Страница 6

4. Kapitel

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Am folgenden Morgen und in den Tagen danach erhielt ich von Britt immer wieder Mails. Ich bekam nun immer häppchenweise eine Fortsetzung und wusste nie, was mich erwarten würde.

Seit ungefähr zwei Wochen lebte Britt nun schon ihr neues geheimes Leben.

Sie war irgendwie berauscht von den Gefühlen, die sie völlig vereinnahmten, konnte aber nicht richtig verstehen, warum alles so gekommen war. Doch über eines war sie sich im Klaren. Sie fühlte sich fantastisch.

Als sie mich an jenem Abend verließ, eilte sie nach Hause. Dort legte sie los und griff in die Tasten, und alles brach in einem Schwall aus ihr.

Vorweihnachtliche Atmosphäre mit Kerzenbeleuchtung, Klänge von schöner Musik, die sie aufgelegt hatte, unterstrichen ihre Stimmung und ließen sie in eine völlig neue Welt eintauchen. Sie war im Begriff einem Fremden eine sehr persönliche Mail zu schreiben.

Sie erzählte über ihren Beruf als Grafikerin und ein wenig über ihre Hobbys, schrieb ein wenig über sich, mit welchen Gedanken sie den Tag erlebt hatte und welche inneren Purzelbäume sie erlebte hatte. Nachdem sie die Email abgeschickt hatte, legte sich die innere Nervosität ein wenig und sie war gespannt, wann und was er ihr antworten würde. Kurz vor dreiundzwanzig Uhr erreichte sie dann seine Antwort.

Hi Britt,

ich habe deine erste SMS heute Morgen im Auto erhalten und irgendwie gleich das Gefühl gehabt, da musst du wenigsten kurz antworten. Hätte nicht gedacht, dass ich darauf Antworten bekomme, schon gar nicht ein Foto. Bin beeindruckt darüber, finde es total spannend. Ich wohne in Heilbronn und arbeite auch dort. So wie du jetzt noch am PC sitzt und arbeitest, mache ich das auch. Gehört eben dazu. Ich hoffe, mehr von dir zu hören, bin sicher, wir haben häufiger Grund zum Lächeln. Liebe Grüße

Karsten

Seine Mail las sich gut und sie war glücklich darüber, dass es ihm genauso ging wie ihr und dass er weiter Kontakt halten wollte. Nach lieben Gute-Nacht-Grüßen simsten sie dann am kommenden Tag weiter.

SMS-Nachricht:

Freitag, 7:58 h – 02.12.11

Guten Morgen Karsten. Ich wünsche dir einen tollen neuen Tag. Wir haben bestimmt noch sehr viel Grund zu lächeln. Ganz liebe Grüße und bis später einmal.

Britt

SMS-Nachricht:

Freitag, 8:10 h – 02.12.11

Guten Morgen liebe Britt. Schön von dir zu lesen. Wie ich sehe, bist du auch schon so früh auf den Beinen. Ich wünsche dir einen ganz tollen Tag.

Liebste Grüße

Karsten

So flossen zahllose SMS durch den Äther und es wurde dann an diesem zweiten Tag noch ein langer Abend.

Irgendwann bemerkten sie, dass es schon weit nach Mitternacht war und sie dringend Schlaf benötigten, da am nächsten Morgen die Arbeit nicht danach fragen würde, ob sie noch müde waren. Fest stand für sie, dass sie den Kontakt halten und einfach schauen wollten, wohin ihr Weg sie führen würde.

Was zunächst ganz harmlos in ihrem Unterbewusstsein zu ruhen schien, begann zu wachsen, ohne dass sie es bemerkten. Beide freuten sich so sehr von dem anderen etwas zu hören, dass sich ein unglaubliches Glücksgefühl in ihnen ausbreitete, wenn sie irgendwo eine Nachricht vom anderen entdeckten. Am dritten Tag telefonierten sie miteinander. Britt stand draußen im Wind und beide lachten, als sie sich hörten. Karstens Stimme ging ihr unter die Haut und erreichte ihr Herz. Sie waren sehr ausgelassen und nichts war ihnen fremd. Sie sprachen miteinander, als würden sie sich schon ewige Zeiten kennen, zwei Fremde, die sich benahmen, als wäre das Wort Unbekannter ein Fremdwort für sie. Seine Stimme hallte noch lange in ihrem Ohr und nun wusste sie, dass er so war, wie er schrieb. Äußerst liebenswert und sehr sympathisch.

Sie waren so mit ihrem Kennenlernen beschäftigt, dass sie zunächst ihren wahren Alltag außen vor ließen. Keiner von beiden fragte, was der andere machte oder wie sein privates Leben aussah.

Auch hoben sie nicht ab und schwebten irgendwo auf einer Wolke, nein es war eher ein stilles Kennenlernen und zudem ein sehr liebevolles.

Sie tauschten Fotos aus und versuchten, ihren Eindruck vom anderen zu vertiefen. Karsten sah auf jedem Bild, das er ihr schickte, anders aus und irgendwie hatte Britt das Gefühl, dass es keine Rolle spielte, denn sie hatte ihr Bild von ihm in ihrem Herzen und egal welcher Fotografie er in Natura am ähnlichsten sehen würde, er war der Mann, der ihr Herz erreicht hatte und das schon in den ersten Stunden ihres Kennenlernens.

Nach nur zwei Wochen waren ihre Mails bereits sehr vertraut und so war es auch nicht ungewöhnlich, dass sich innerhalb von einer Woche bei Britt leidenschaftliche Worte Bahn brachen, wie in einer Mail, die sie ihm am Nikolausabend in einer stillen Stunde schrieb.

Mein liebster Karsten,

nun ist es im Haus still geworden und ich finde Zeit, Dir einige Zeilen über das zu schreiben, was mich so sehr berührt. Damit Du Dir ein Bild machen kannst, beschreibe ich jetzt, wo ich sitze. Oben auf einer großen Empore befindet sich mein Sekretär. Dort habe ich eine Vanilleduftkerze angezündet und die Schreibtischlampe auf dem Sekretär gedimmt, um eine Atmosphäre zu schaffen, die meiner Stimmung entspricht.

Hinter mir stehen Bücherregale, gefüllt mit meinen Kostbarkeiten, zum Teil auch mit sehr alten Büchern, geschrieben in Sütterlin, denn alte Schriftsteller finden bei mir immer einen Platz. Ich schaue auf das Treppengeländer, das festlich geschmückt im Glanz der Lichter weihnachtlich erstrahlt.

Zudem höre ich wunderschöne romantische Musik, weil sie so sanft in mich fließt und mich mit meinen Gedanken weit hinaustragen in eine andere Stadt, eine Stadt in der ein Mensch lebt, der mein Herz auf eine besondere Art und Weise berührt hat.

Karsten, das, was wir zurzeit erleben, grenzt fast an Magie und doch ist es so realistisch. Deine Worte erreichen mein Herz, sie hallen nach und wenn wir uns unterhalten, ist es, als würden Tenor und Sopran in Einklang miteinander verschmelzen. Ich sauge sie auf, egal in welcher Form sie mich erreichen, denn sie sind wie Balsam für meine Seele, sind wie ein Streicheln meiner Sinne.

Karsten, wäre ich jetzt Annette von Droste-Hülshoff, würde ich wie sie damals Dir auch Gedichte und Liebesbriefe schicken, die Dich berühren und die Deine Fantasie beflügeln, die Dich für Momente in eine Welt versetzen, in der Du nur uns siehst. Die Momente mit Dir gehören nur mir, ich muss diese mit niemandem teilen. Sie sind unsere Welt der Sinnlichkeit, der Sehnsucht und des Verlangens. Ich habe mich verliebt, verliebt in diese Momente, ich genieße sie, ich genieße Dich in ihnen. Und wenn ich Dir dadurch wieder dein Strahlen zurück gezaubert habe, so hat das Ganze den Sinn gehabt, dass Du wieder auflebst, dass ich Dich zum Lächeln gebracht habe.

Ich weiß nicht, wie es sein wird, wenn wir uns begegnen, doch wird es für uns beide ein Höhenflug der Gefühle werden und ich denke, ich spreche da auch für Dich. Wir beide spürten bisher immer das Gleiche.

Traumhafter kann eine Begegnung nicht sein, traumhafter können Worte am Telefon nicht klingen, traumhafter als dem anderen persönlich in die Augen zu sehen, kann es nicht werden.

Ich schaue in einen Spiegel, aber ich bin weit weg mit meinen Gedanken, als würde ich träumen und auf etwas warten. Es wird der Tag kommen, an dem ich Dir so in die Augen schauen werde, es wäre mein größter Wunsch. Wünsche soll man aufschreiben, dann gehen sie in Erfüllung.

Es wird ein besonderer Moment in unserem Leben werden, wenn wir uns begegnen, ein Moment, den wir nie vergessen werden. Ich könnte Dir jetzt noch stundenlang schreiben, es würde eine ellenlange Hommage an Dich werden, wie ein Liebesbrief, die Lyrik in mir lässt mich nicht mehr innehalten. Darum beende ich nun diese zarten Worte an Dich mit Respekt und Wohlgefühl, doch mit den Worten: Ich habe mich verliebt, verliebt in unsere besondere Art des Umgangs, verliebt in den Mann an einem anderen Ort in Deutschland.

Aber bitte…. Habe niemals Angst, es soll und wird keinen Einfluss auf Dein Leben geben, ich möchte und muss Dich einfach nur genießen. In Gedanken bei Dir

Deine Britt

Es gibt nur diesen Weg für uns, denn wir haben nur Momente. Im Jetzt ist es so! Im Morgen? Das wissen wir beide nicht!

Sie schickte diese Mail ab und noch in der gleichen Nacht antwortete er ihr.

Liebe Britt,

vielen Dank für deine wunderbaren Zeilen, Deinen… ja, Liebesbrief. Mir fehlen die Worte, so schön ist Dein Brief, so lieb. Er ist unglaublich, unerwartet und einfach nur schön.

Wenn wir uns eines Tags sehen werden, wird es ein ganz toller Moment für uns sein… und vielleicht auch ein schwerer. Ich kann nicht einmal annähernd so einfühlsame Worte finden wie Du. Du berührst mich sehr, von Anfang an spürte ich diese Nähe zu Dir, diese Magie.

Ich verspreche Dir, ich werde Dir ebenfalls meine Gefühle schreiben, sicher nicht in so schönen Worten, aber nicht mehr heute Nacht. Ich bin so unglaublich müde, meine Termine heute waren sehr anstrengend. Bitte sei mir nicht böse.

Ich wollte aber unbedingt Deinen Brief noch lesen und beantworten.

Ich hoffe sehr, Du bist nicht zu enttäuscht.

Liebste Nachtgrüße

Karsten

Ich saß da und war sprachlos, dabei bin ich eigentlich eine Frau der Worte. Beide hatten ganz deutlich die Nähe zum Ausdruck gebracht, die sie füreinander empfanden. Da floss Wärme, ja, Liebe würde ich sogar behaupten. Ich war sehr berührt und konnte mir ungefähr ausmalen, was die beiden empfunden haben mussten, als sie diese Texte vom anderen lasen.

Gleichzeitig setzte mein analytischer Verstand ein. Britt und Karsten erschienen mir wie Sternschnuppen, die in der Nacht auftauchten und dann plötzlich verglühten. Wie viel Zukunft konnte man einer Beziehung wünschen, die mit so wenig Vorlauf direkt in solche Höhen schoss? Würden die beiden an der Leidenschaft, die unverkennbar von ihnen Besitz ergriffen hatte, zerbrechen? Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieser Überschwang an Gefühlen in der normalen Lebenswelt dieser beiden überleben könnte. Was wussten wir von Karsten?

Nichts! Entfernung alleine war ja kein Hindernis, das sich nicht überwinden ließe, oh nein, ich kannte viele Paare, die eine funktionierende Fernbeziehung lebten. Aber es gab so viele Unbekannte in diesem von zarter Hingabe und stiller Sehnsucht durchwobenem Spiel. Sie konnten wie Tretminen auf dem Weg der beiden auftauchen, um das, was Britt so hingebungsvoll schon nach wenigen Tagen als Liebe bezeichnete, zu zerstören.

Ich begann, mir große Sorgen um meine Freundin zu machen. Was ging nur in ihr vor, dass sie alle Vorsicht über Bord warf und sich einem vollkommen Unbekannten öffnete? So kannte ich die kühle, sachliche Britt gar nicht! Konnte es wirklich sein, dass so viel unerfüllte Sehnsucht und Liebesfähigkeit jahrzehntelang in ihr geschlummert hatten, dass sie jetzt, bei dem kleinsten Finger, den ihr ein Fremder aus Baden-Württemberg mit ein paar SMS und Emails reichte, wie ein Vulkan ausbrach? Würden meine Zweifel sie kränken oder verletzen, wenn ich sie äußerte? Oder hatte ich nicht vielmehr versprochen zu schweigen und lediglich als Chronistin zu beobachten?

Die Frage, was richtig wäre und was nicht, verfolgte mich bis in die Nächte, wenn ich in unruhigen Schlaf sank und das Liebesgeflüster der beiden, welches ich durch meine Arbeit belauschte, zu verzweifelten Schreien um Nähe und Geborgenheit anschwoll.

Ein paar Tage später verreiste Britt für ein Wochenende. Es war mehr oder weniger eine Dienstreise. Zwischen ihr und Karsten hatte sich ein zartes Band gesponnen und ihre Mails waren voller Liebesbeteuerungen, ganz so, als hätten sie sich lange gesucht und endlich gefunden.

Sie verbrachte ein wunderschönes Wochenende, zwar auf Messe- und Ausstellungständen, doch sie hatte auch viel Freizeit, um mit ihren Kollegen und Kolleginnen ein wenig zu unternehmen. Zwei Tage war sie unterwegs und nicht mehr an ihrem Schreibtisch oder in der Nähe eines Computers. Abends ging sie zum Tanzen und fühlte sich unheimlich glücklich und beschwingt. Bevor sie losgefahren war, hatte sie Flo die letzten Mails geschrieben.

Mein liebster Karsten,

die Magie, die wir beide füreinander empfinden, schreit förmlich danach, dass wir uns weiterschreiben und ich wünsche mir so sehr, dass du dich am Wochenende per SMS meldest. Nach vielen Jahrzehnten des harten Arbeitens ist es an der Zeit, endlich einmal an sich zu denken, etwas für sich selber zu tun, ohne egoistisch zu sein.

Wir haben ein Recht darauf, uns gerecht zu werden und trotzdem nicht die Verantwortung für die Familie zu vernachlässigen. Es gibt Momente, die sollten wir uns gönnen, zum eigenen Wohlbefinden, zur Genesung, da spreche ich von Wellness für Körper, Geist und Seele.

Solch ein Wochenende entspricht ganz dem, was uns gut tun würde. Man bekommt und schenkt geschätzte Aufmerksamkeit. Gute Gespräche, ein Glas Wein dazu, lachen, strahlen, sich wohlfühlen. Dadurch wächst eine unglaubliche Kraft in Dir, eine Kraft, die Dich wieder stärkt. Genau solche Momente werde ich für mich jetzt immer wieder einmal mit einplanen, auch wenn ich damit das Dienstliche verbinde. Ich werde am Wochenende zwar auf der Messe einiges zu tun haben, doch werde ich mir Auszeiten nehmen, am Abend und in der Freizeit, Zeit für mich, und ich werde Zeit für Dich haben. Ich werde endlich die Britt sein, die sich selber einmal spürt.

Es gibt viele Ereignisse in einem Leben und eines der schönsten war unser Kennenlernen. Jeder kann Momente für sich zaubern, er muss nur in sich hineinhören, was ihm gut tut.

Es ist wunderbar, ein süßes Geheimnis im Herzen zu bewahren, ein Geheimnis zwischen Dir und mir, das dich schützt und nichts zerstört.

Du mir ach so Unbekannter, Du könntest mein Tagebuch sein, in dem ich mich bis auf die Seele entblöße, Du würdest meine Worte verschlingen und niemand würde sie je erfahren, weil sie nur uns beiden gehören.

Du spürst dies ganz genauso wie ich und deine Gedanken sind bei mir. Ich spüre, wie Deine Hände schnell in die Tasten greifen, um Dein Mailprogramm zu öffnen, um erwartungsvoll hineinzuschauen, ob eine Nachricht von mir gekommen ist. Wir haben von Anfang an geahnt, dass nicht nur Magie im Spiel ist, sondern auch wärmende Energie, die uns beide sanft umhüllt.

Ich hoffe, immer und immer wieder von Dir zu hören. Auch wenn ich nur kurz antworten kann, so werde ich bei Dir sein, so tun wir uns gegenseitig einfach nur gut.

Britt

P.S. Wann hat Dir eigentlich jemand zum letzten Mal gesagt, dass Du ein wunderbarer Mann bist? Ich sage es dir… jetzt. Du bist ein wunderbarer Mann!

Wenige Minuten später erreichte sie seine Antwort.

Liebste Britt,

Du hast recht, wir haben ein Recht darauf, unser Leben zu leben, zu genießen und daraus Kraft zu tanken, um sich selbst und anderen gut zu tun.

Ich werde in Gedanken teilhaben an deinem Wochenende. Es ist ein seltsames Band, das uns verbindet, ohne dass wir uns kennen und deshalb werde ich auf deine SMS ungeduldig warten. Es ist ein tolles Gefühl, dass Du mich als wunderbaren Mann siehst, es ist lange her, dass ich das gehört habe. Ich möchte, dass Du weißt, dass Du eine aufregende, geheimnisvolle, sensationelle Frau bist. Tun wir uns also gut.

Liebste Grüße

Karsten

Britt lächelte. Welcher Zauberer tanzte hier mit ihnen seinen zauberhaften Tanz? Welche Macht ließ sie sich immer mehr dem anderen gegenüber öffnen und eine Vertrautheit spüren, die man vom Verstand her nicht mehr logisch erklären konnte?

Liebster Karsten,

ich habe gerade Tränen in den Augen, nicht vor Schmerz, sondern vor Freude und Glück. Es ist ein stilles Glück, welches ich in meinem Herzen trage und nur mit dir teilen werde. Es ist unser Glück, ein bescheidenes, glücklich machendes Gefühl.

Ich sage Dir etwas, ich werde es vielleicht nur einmal in diesem Leben sagen dürfen, behalte es in Deinem Herzen, denn es ist nur für Dein Herz bestimmt: Ich liebe Dich.

Verzeih mir, ich kenne Dich nicht und doch kenne ich Dich. Ich werde Dir schreiben, wann immer es geht.

Britt

Seine Antwort darauf las sie unterwegs an einer Raststätte.

Wow Britt, welch wunderbare Worte.

Ich bin überwältigt und freue mich sehr darüber. Für mich ist alles neu und ich bin noch zu involviert in meinem Leben und bin nicht wirklich frei, jetzt noch nicht. Aber ich bin sehr glücklich darüber, wie Du fühlst und freue mich, so oft es dir möglich ist, von Dir zu hören.

Karsten

Sie waren beide nicht frei. Gebunden in ihrem Alltag, gebunden in ihrem Leben und ihrer Verantwortung. Mit Steffen hatte sich Britt längst schon auf ein freundschaftliches Miteinander geeinigt, schon lange gingen sie emotional eigene Wege, auch wenn die von Britt eher trostlos gewesen waren. Sie atmete tief durch, irgendwie glücklich, aber auch irgendwie sehr, sehr traurig, dass er es nicht wagte, ihre Gefühle offen zu erwidern.

Britt bemühte sich verzweifelt zu akzeptieren, dass sein Leben es nicht zulassen würde, weiter zu gehen, als sie bereits mit ihren Eingeständnissen gegangen waren. Sie grübelte und grübelte. Sie sprach mit mir, als sie mich anrief, von Liebe, die keine Erfüllung finden würde, dann wieder von einer Freundschaft, die sie nicht verlieren wollte.

Was hätte ich ihr raten sollen? Würde sie denn auf mich hören, wenn ich sie warnte, wenn ich ihr riet, die Zügel anzuziehen und einen Schritt zur Seite zu machen, damit sie erkennen konnte, wie gefühlsschwanger ihre Mails wurden – von Mail zu Mail und SMS zu SMS mehr -, und wie sich Karsten zwar freute, aber immer auch ein wenig versuchte, nüchtern zu bleiben und einen Abstand zu retten, der ihm für sein eigenes Leben unverzichtbar erschien?

Offensichtlich kannte ich meine Freundin nicht so gut wie ich dachte, denn sie kam ganz von selbst zu dem Entschluss, dass sie sich zurücknehmen müsse. Ihr Kopf hämmerte, sie hatte Angst vor den ungewohnt tiefen Gefühlen, die von ihr Besitz ergriffen hatten und die alles zu verschlingen drohten: sie, Karsten, ihre noch so junge Beziehung. Wenn sie nicht die Bremse zog, dann würden sie in einem Feuerball der Leidenschaft über die Klippe in die Tiefe stürzen –sie tiefer als er, das schien sie irgendwie zu spüren.

Karsten

Du hältst Dich zurück, um Deine Familie nicht zu riskieren, damit sind wir nicht mehr auf Augenhöhe und das immer wieder zwischen den Zeilen zu spüren, würde mir wehtun. Ich werde nun konsequent sein, darum werden keine Worte der Leidenschaft mehr kommen. Vielleicht wollte ich sie auch nur hören, so wie Du. Vergeblich auf ein Echo zu warten, schmerzt mehr als alles, was ich erwartet hatte. Ich werde jetzt wieder ganz vernünftig sein, das bin ich mir schuldig. Ich denke, es ist typisch Frau, die meist mehr interpretiert, als ein Mann. Ich danke Dir für Deine ehrlichen Worte. Genießen wir einfach die Aufmerksamkeit des anderen und das Glück dieses wunderbaren Kennenlernens, das kein Zufall war.

Britt

Das war Britts Abschiedsmail an Karsten, wenigstens auf der völlig außer Kontrolle geratenen Gefühlsebene. Sie versuchte nicht mehr an ihn zu denken, was ihr natürlich nicht gelang. Zu sehr hatte sie sich mit all ihrer aufgestauten, jahrzehntelang verschütteten Sehnsucht auf ihn gestürzt wie eine Ertrinkende. Ja, das Beispiel gefiel mir gut. Sie ertrank in einem Meer an Emotionen, die sie Liebe nannte.

Ich wagte nicht zu beurteilen, ob sie nicht ein wenig vorschnell mit diesem so gewichtigen Wort war, aber wer war ich denn schon, das zu beurteilen? Eine Frau wie Britt, die auf die Fünfzig zuging und sich früh zwang, die Liebe für ein Gerücht zu halten, musste eines Tages einfach die Kontrolle über sich verlieren. Dass es dazu einer einzigen, belanglosen SMS bedurfte, hätte ich mir nicht einmal im Traum vorstellen können.

Gedankenverloren blätterten meine Finger in dem ordentlich abgehefteten Stapel an Korrespondenz, den ich von den beiden aussortiert und mit auf die hastige Reise genommen hatte. Die Originale zu lesen war schon fast schmerzhaft für mich, vor allem die gefühlsdichten Beteuerungen, die von einer Frau produziert wurden, die ich seit Jahrzehnten nur als wortkarg kannte. Britt hatte nie mit Worten gespielt, sondern sich sachlich und beinahe schmerzhaft nüchtern stets schnörkellos ausgedrückt. Mehr als alles andere zeigte mir ihre Wortwahl in den Mails an Karsten, wie sehr sie aus den Fugen geraten war.

Ich sah aus dem kleinen Fenster des Flugzeugs. Das Wetter war wunderbar. Egal, was die Turbulenzen verursacht hatte, die uns eben noch um unser Leben hatten fürchten lassen, es war am Himmel nicht ein Wölkchen zu entdecken und entsprechend sanft gestaltete sich inzwischen mein Flug nach Stockholm. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Ich war die Strecke schon so oft geflogen, doch nie war sie mir so unendlich lang vorgekommen wie jetzt.

Zeit, dachte ich plötzlich. Wie relativ sie doch war. Dreißig Jahre, die wenig bis nichts bedeuteten, musste man nicht wortreich erklären. Und für die Gefühlsstürme von wenigen Tagen, die für Britt die Welt bedeuteten, schien es einfach nicht genug Worte zu geben.

Wie sehr musste sich die vergleichsweise kühle Sachlichkeit dieses Flo in Britts verwundete Seele gebrannt haben, als sie seine Antwort auf ihre Rückzugsmail las. Als ich die Abschrift dieser SMS las, zog sich mein Magen stellvertretend für Britts zusammen, auch wenn ich Verständnis für ihn hatte. Mir fiel auf Anhieb kein Mann ein, dem es nicht geschmeichelt hätte, sich von einer hübschen Frau wie Britt beflirten zu lassen. Aber mir fiel auch keiner ein, der nicht nach ihren Liebesschwüren Angst bekommen hätte, in eine Gefühlsfalle zu tappen, aus der es kein Entkommen gab.

Hey Britt,

ich verstehe Dich, aber ich weiß nicht, ob ich das kann. Mich hat die Situation umgehauen, sie ist neu für mich. Ich habe so etwas wie mit Dir noch nicht erlebt. Ich verstehe, dass Du hören und spüren möchtest, dass Du geliebt wirst. Aber ich kann Dir das zurzeit nicht schreiben. Ich weiß es nicht, da bin ich ehrlich, und ich kann nichts erzwingen. Ich weiß, Du bist zutiefst enttäuscht von mir. Das tut mir sehr leid. Schlaf bitte gut und träum etwas Schönes. Muss jetzt nachdenken. Ich werde mich erst einmal zurückziehen.

LG

Karsten

Für Britt fiel mit dieser Antwort ihr Traum in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Auf keinen Fall würde sie ihm noch einmal etwas von Liebe oder tiefen Gefühlen schreiben. Zu sehr weckte seine Abwehr einen Schmerz in ihr, den sie kaum benennen, geschweige denn in den Griff bekommen konnte.

Ich erinnerte mich daran, wie sie plötzlich vor meiner Tür gestanden hatte. Sie versuchte die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten und ließ sich von mir kaum trösten. Ohne, dass meine Worte sie überhaupt erreichten, saß sie vor ihrem Kakao, rührte ihn nicht an und ging nach einer Viertelstunde wieder. Sie stürzte sich am nächsten Morgen in ihren Alltag. Ihr Notebook fuhr sie nicht hoch, ihr Handy schaltete sie nicht ein und als sie abends nach Hause kam, legte sie sich sofort schlafen. Sie fühlte sich so erschöpft, als hätte sie einen ganzen Monat gegen Dämonen gekämpft, dabei hatte sie sich nur einen Tag lang gezwungen, Karsten nicht zu schreiben.

Es war kurz vor Mitternacht. Sie hatte sich die ganze Zeit in ihrem Bett hin- und hergewälzt. Im Halbschlaf schoss sie auf einmal hoch, als hätte es irgendwo eine Detonation gegeben. Ihr Herz raste. Verwirrt schaute sie auf die Uhr und sah, dass es 23.40 Uhr war. Dann fiel ihr Blick auf ihren Laptop und sie sprang aus dem Bett, fuhr ihn hoch und öffnete ihr Mailprogramm.

Karsten hatte geschrieben, um 23.38 Uhr, genau in dem Moment, wo sie so erschreckt hochgefahren war. Keine Anrede in der Mail, nichts. Nur drei Worte, die sie zu lesen bekam:

Ich liebe Dich

Britt fasste sich an ihr Herz, sank langsam auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und schüttelte den Kopf. Freudentränen liefen ihr über die Wangen. Sie starrte auf diese drei Worte und konnte es kaum fassen. Ihr war bewusst, dass er nur Dinge sagte, die er meinte und vertreten konnte, selbst wenn er sie damit verletzte. Genau das schätzte sie ja an ihn.

Sie nahm den Laptop mit ins Bett, kuschelte sich ein und antwortete ihm.

Sprachlos...

Liebster Karsten,

Ich werde diese drei Worte in meinem Herzen tragen.

Ich liebe Dich auch.

Britt

Ja, nun war sie wieder Herrin ihrer Lage. Auch für mich kam es sehr überraschend, damit hätte ich nicht gerechnet. Nicht nur mit der Nachricht, nein, auch nicht damit, dass mitten in der Nacht mein Emailprogramm fröhlich klingelnd auf sich aufmerksam machen würde.

Ich Idiot! Seitdem ich die beiden begleitete, hatte ich es mir angewöhnt, den Rechner herunterzufahren, sobald ich mich hinlegte. Irgendwie hatte ich mich in Sicherheit geglaubt, als die Wende bei meiner Freundin und ihrem unbekannten virtuellen Liebhaber kam. Nun, dachte ich resigniert, dann gehe ich eben noch mal ins Bad, jetzt, wo ich sowieso schon wach bin und im Wintergarten stehe wie eine Schlafwandlerin.

Was dann folgte, hätte Microsoft stolz gemacht. Die zahlreichen Mails, die nun zwischen den beiden hin und her flogen und immer mich in CC mit bedienten, verursachten geradezu ein kleines Konzert in meinem Rechner. Meine Güte. Ich öffnete hier und da eine Email, dann schüttelte ich den Kopf und fuhr den Rechner runter. Ich hatte kein Recht, dies mitzulesen. Und, ehrlich gesagt, auch keine Lust. Zu viele Liebesschwüre sind nicht gesund für Außenstehende. Auch wenn ich sie viel zu schwülstig fand, ich spürte doch, wie etwas in mir mit leisem Stimmchen „Nein, wie süß!“ dachte. Das konnte unmöglich ich sein. Ich war nüchtern und hielt neutralen Abstand, oder? Wenn ich es aber nicht war, die da in meinem Kopf ein kleines bisschen neidisch wurde auf die Cyberbeziehung in meinem Rechner, wer war das dann?

Ich schüttelte den Kopf und ging ins Bett.

Plötzlich war meine Kopfreise in die Vergangenheit, ehe ich mich wieder darin verfing, zu Ende. Die Stewardess klapperte mit Gläsern, als ich die Augen öffnete. War ich etwa eingeschlafen? Ich gähnte. Wir hatten noch Zeit bis zur Landung, stellte ich nervös fest. Mehr, als mir lieb sein konnte. Ich betete, dass Britt die Nerven behielt, bis ich bei ihr war. Mein Blick schweifte über die Wolken und ich verfing mich wieder in meine Gedanken der vergangenen Zeit.

Flo... Momente des Lebens

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