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Sara und ihr Rucksack oder: Wie Kinder lernen können, eigene Erfahrungen zu machen

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Sara war ein Einzelkind, das nie ohne Rucksack irgendwohin gebracht wurde. Gebracht aber wurde sie immer – ob zur Schule oder zum Spielen um die Ecke. Als Grundschülerin ging sie keinen Weg allein. Der Rucksack musste immer in der Nähe sein, wenn Sara sich bei Kindergeburtstagen ihren Platz suchte – am liebsten bei Erwachsenen, z.B. den Eltern des Kindes, das sie eingeladen hatte.

Der Rucksack enthielt eine Trinkflasche mit „Gänsewein“, wie sie sagte – also Leitungswasser, falls man das ihr anderswo einmal nicht gegönnt hätte. Vor allem aber enthielt er drei verschiedene Flaschen Hustensaft – Löser, Blocker, Krampfstiller –, über deren Namen und unterschiedliche Wirkungsweise Sara detailliert Auskunft geben konnte.

Eines Tages starteten Saras Eltern eine Telefonaktion, in der sie der Reihe nach die Mitschülerinnen und Mitschüler instruieren wollten, dass sie Sara bitte nicht mehr weiterhin mobben sollen. Eine beherzte Mutter hatte den Mut, diese Telefonkette zu unterbrechen, indem sie aussprach, was die meisten empfanden:

 Sara konnte nicht gut Beziehungen und Freundschaften pflegen. Sie passte in das Bild, das sich aus Beobachtungen von Lehrerinnen und Lehrern ergibt: Schulkinder werden in jüngerer Zeit zunehmend ichbezogener und auf Erwachsene fixiert. Gerade Sara als Einzelkind war davon betroffen: Soziales Verhalten bildet sich nur aus, wenn Kinder in vielfältigen Beziehungsformen zu gleichaltrigen und nicht nur älteren Bezugspersonen stehen.

 Sara ging keinen Schritt allein. Zwar machte sie „Erfahrungen“ im wahrsten Sinne des Wortes, wenn sie gefahren wurde – aber, um im Bild zu bleiben, „begriff“ dabei nichts. Dass man auf der Straße vorsichtig sein muss, dass man bei einer wilden Schlittenfahrt mal auf dem Po landen kann, die Verantwortung für einen eigenen Weg: All das lernte Sara nicht.

 Sara trank nichts anderes als das selbst mitgebrachte Leitungswasser. Zu schmecken, was anderen schmeckt, sich auf Neues einzulassen – dieses Erlebnis wurde ihr verwässert, weil sie stets auf die eigene Trinkwasserversorgung zurückgreifen sollte und schließlich auch wollte. Doch Bildung ist die Fähigkeit, sich auf Neues einzustellen und damit umzugehen. Wie schmeckt das Leben? Was schmeckt mir? Was ist mir zu scharf, zu süß, zu schal? Entscheiden können gehört wesentlich zum Menschsein dazu – und dazu wiederum die Voraussetzung, dass man vergleichen kann. Nur so finden Kinder zu eigenen Fragen und eigenen Lösungen dafür, die beide zu ihrem Bildungsprozess gehören. Kinder brauchen nicht in wechselnden Schutzräumen immer nur das gleiche reine Wasser, sondern in Geborgenheit durch verschiedene Bezugspersonen auch andere Geschmacksnoten des Lebens. So fördert man den gesunden „Wissensdurst“ des Kindes.

 Ach ja, und der Hustensaft. Damit lernte Sara etwas Fatales schon früh: Das Leben scheint nicht zu bestehen zu sein, wenn man nicht ständig auf Drogen zurückgreifen kann – möglichst auf unterschiedliche mit der jeweils gewünschten Wirkung.

Die Eltern brachen die Telefonaktion ab und meldeten Sara auf Anraten der entschlossenen Mutter erst einmal zu einem Selbstbehauptungskurs an …

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