Читать книгу Liturgisches Husten - Angela Traute Maria Boeckh - Страница 6

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Vorwort

Wenn man kurzgewachsen ist und gerne Orgel spielen möchte, hat man als Kind schlechte Karten: Ich musste bis zu meinem 14. Lebensjahr warten, ehe ich dem geliebten Instrument im wahrsten Sinne des Wortes näher treten konnte; denn endlich waren die Beine so lang, dass ich mit beiden Füßen an die Pedale – das sind die Tasten, die mit den Füßen gespielt werden – reichte.

Im Gegensatz zum Klavier, wo man zuweilen sogar schon als vierjähriges Menschlein mit kleinen Händen und baumelnden Beinen die Tasten im Unterricht drücken darf, weil das Treten der zwei bis drei Pedale für Anfänger sowieso noch kein Thema ist, gehört beim Orgelspiel das Pedalspiel von Anfang an dazu.

Als Pfarrerstochter und dank des Entgegenkommens unseres Kirchenmusikers hatte ich täglich unkomplizierte Möglichkeit zum Üben, die ich auch nutzte, so dass ich es trotz meiner eher unspektakulären pianistischen Vorkenntnisse im Orgelspiel recht bald zu einer gewissen Fertigkeit brachte. Es dauerte nicht lange, da bekam ich schon die ersten „Muggen“1 vermittelt: Mit knapp 16 Jahren spielte ich meine ersten Beerdigungen.

Nun, die meisten Menschen bezeichnen nur eine Beerdigung als ihre eigene, und mit ziemlicher Sicherheit werden sie dabei nicht Orgel spielen. Wie anders bei Kirchenmusiker/innen! – vor allem bei solchen, die es noch werden wollen; z.B. also bei mir: Ich war noch jung, keine Spur von abgebrüht und nahm meine Aufgabe sehr ernst. Mit einer gewissen Aufregung sah ich den Beerdigungsterminen entgegen.

Beerdigungen gehören, musikalisch gesehen, zur einfachsten Übung des Kirchenmusikers und lassen sich deshalb auch sehr unkompliziert an Laienmusiker abgeben. Da wenig Zeit zur Verfügung steht, muss alles knapp gehalten sein: Kurzes Vorspiel, kurzes Nachspiel, dazwischen zwei oder drei Einzeiler oder Lieder, fast immer nur eine, max. zwei Strophen. Gemeindegesang ist bei Beerdigungen eher unüblich, weil man der Gemeinde – zu Recht oder Unrecht – diesbezüglich nichts mehr zutraut. Tatsächlich drücken meistens entweder die Tränen auf die Stimmbänder, oder die Musikalität der Anwesenden ist schon längst in den Keller des Bewusstseins abgesunken. So betrachtet ist es also ganz egal, wie oder was man spielt – einerseits. Andererseits wiederum gar nicht.

In diesem Buch geht es um das „Andererseits“ – nicht nur bei Beerdigungen, aber doch vorrangig.

Dieses „Andererseits“ macht die ganze Faszination der musikalischen Arbeit aus. Speziell bei Beerdigungen berührt mich immer die einzigartige Möglichkeit, einem Menschen zu begegnen, den ich – in den meisten Fällen – nie gesehen habe und auch nie sehen werde, der aber in seiner Persönlichkeit trotzdem so präsent ist wie kaum ein Anderer, der der Feier beiwohnt: Der oder die Verstorbene. Darüber hinaus bringt der Grenzbereich zwischen den Welten Situationen hervor, die sich in einem solch breiten Spektrum zwischen tiefem Ernst und unaussprechlicher Komik bewegen, dass ich sie dem geschätzten Leser nicht vorenthalten möchte; denn trotz weitgehender Tabuisierung des Themas Tod und Sterben bleibt doch keinem von uns die Berührung damit erspart. Vielleicht motivieren die hier berichteten Ereignisse den einen oder anderen sogar dazu, sich lieber früher als später mit dem Thema Beerdigung zu befassen. Unsere brüchig gewordenen Rituale könnten dann auf eine schöne Art belebt und – im besten Fall – erneuert werden.

Dies ist ein persönlicher Bericht. Fast alle Situationen habe ich selber erlebt, einige wurden mir von Kollegen oder Pfarrern erzählt. Namen und Ortsangaben wurden verändert oder zurückgehalten. Da fast alle Begebenheiten in Berlin stattfanden, ist der Berliner Tonfall ein unverzichtbarer Anteil dieses Buches.

Manche Ereignisse liegen schon Jahrzehnte zurück. Wenn ich sie trotzdem erwähne, dann deshalb, weil sie nur auf dem Kalender verjährt sind.

Berlin, im August 2020

1 Musikalisches Gelegenheitsgeschäft

Liturgisches Husten

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