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Der Schock

Matthäus 5,48:„Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“

Keine Frage, die Auferstehung Jesu von den Toten ist an Brisanz kaum zu überbieten. Mein Herz glühte für das Geheimnis dieses Wunders und ich rang um Erkenntnisse, die mich dem Verstehen näher bringen könnten.

Ich kam nicht umhin, das Versagen der Menschheit einzugestehen. Wo sind diejenigen, die heilen, Tote ins Leben zurückholen, die „vollkommen sind, gleichwie unser Vater im Himmel“? Um es genau zu sagen: Die Menschheit schien mir konsequent auf der Stelle zu treten. Warum ...?

Nun sollte man ja zumindest in der Kirche etwas spüren von dem Wissen um die Herrlichkeit „hinter dem Schleier“, um das Licht jenseits der sichtbaren Welt – und was gibt es Schöneres, als in diese Welt wieder zurückzukehren?

Der Schock war gründlich, als ich meine ersten Beerdigungen spielte: Eine muffige, spärlich beleuchtete Kapelle und das zwanghafte Schwarz, das wie eine Schicht aus Pech und Teer nicht nur an Menschen und Dingen klebte, sondern auch die ganze Atmosphäre belastete, verwandelte den Ort in einen Vorraum der Schattenwelt. Hier hatte offensichtlich ein Mensch sein Leben verpfuscht und wurde mit Extra-Geleit in die Hölle befördert. Ein paar salbungsvoll gesprochene Bibelworte konnten darüber auch nicht hinwegtäuschen. Grund genug zum Heulen.

Auch ich heulte beinahe, aber aus Wut. Es war natürlich unschwer zu erkennen, dass das Versagen nicht auf Seiten des Verstorbenen lag, sondern bei denen, die die Feier gestalteten. Dummerweise gehörte auch ich zu den Letzteren.

Die Einflussnahme des Organisten auf die Gestaltung der Feier hat allerdings natürliche Grenzen: Sein Wirkungsfeld ist die Musik. Er zeichnet sich zudem in erster Linie dadurch aus, dass er nicht unangenehm auffällt: Er sollte spielen, aber eben das, was er soll, d.h. was den Wünschen der Angehörigen, des Pfarrers und des Bestattungsinstitutes entspricht. Ein gern gesehener Organist macht das. Organisten mit eigener Meinung sind eher anstrengend und deshalb in der Regel weniger gern gesehen.

Die Gefahr einer geistigen Lähmung muss an dieser Stelle angesprochen werden. Wenn man Dinge so macht, weil man sie so macht, ist die Katze schon tot. Besser, sie ist nur im Sack, dann kann man sie wenigstens wieder herauslassen ...

Um der Lähmung zu entgehen, entwarf ich immer kühnere Visionen für meine eigene Beerdigung. Während man neben oder unter mir (Organisten spielen meistens auf Emporen) in schwarzer Trauerzeremonie Sarg um Sarg und Urne um Urne zu ihrer „letzten irdischen Ruhestätte“ aussegnete, feierte ich im Geiste von oben meine eigene Zeremonie: In weißen Kleidern, tanzend um den auf einem hellen Tuch stehenden schlichten Sarg, würden alle an meiner Freude teilhaben. Der Pfarrer würde eine meiner zahlreichen, während vieler Trauerfeiern verfassten Predigten halten, die von der Freude und der Realität der Auferstehung, der ewigen Verbundenheit allen Lebens, der Möglichkeit des inneren Gespräches mit dem „Verstorbenen“ und der Notwendigkeit, an sich selber zu arbeiten, handeln würde. Die letzte Träne würde versiegen und ...

Meine Visionen waren lebhaft, ich wurde innerlich zum Apostel. Trotzdem änderten sie nichts an der traurigen Tatsache, dass etwa 80% aller Feiern eher trostlos als freudig verliefen. Ich musste meine Meinung revidieren, dass dies nur an den Institutionen lag. Offensichtlich gibt es wenige Menschen, die klare Vorstellungen darüber entwickeln, wie sie von dieser Erde verabschiedet werden wollen. In Konsequenz dieser nicht wahrgenommenen Verantwortung treten – meistens verkümmerte – Formen in Kraft, die Andere geschaffen haben.

Liturgisches Husten

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