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Frau Meller

Dienstags und freitags Vormittag stand sie auf einer der drei Stufen, die zum Kirchhofsbüro führten: Frau Meller. Sie trug ein schwarzes, schmales Kostüm, das knapp über das Knie reichte. Eine kleine schwarze Handtasche hing über dem abgewinkelten Unterarm, und ihr mildes Lächeln schien schon seit Ewigkeiten so gewesen zu sein. Sie bewegte sich wenig.

Als kleine Kinder beobachteten wir sie heimlich aus dem Wohnzimmerfenster und guckten, was sie machte. Faszinierenderweise bestand ihre Wichtigkeit offensichtlich darin, dass sie nichts machte.

Es hieß, dass sie auf die Sargträger aufpasste. Das schien mir völlig absurd, denn die Sargträger waren große, starke Männer, gegen die Frau Meller wie ein Püppchen wirkte. Und dennoch: Wenn das große schwarze Auto mit dem Sarg und den schwarzen Männern kam, bewegte sich auch Frau Meller mehr als sonst. Von ihrem milden Lächeln ging eine unbestechliche Autorität aus. Kein Zweifel: Sie WAR wichtig.

Als ich später selber bei Beerdigungen spielte, versuchte ich ihrem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Es gelang mir nicht. Sie war inzwischen betagter und ihre milde Autorität war von einer leichten Müdigkeit überschattet. Eines Tages kam sie nicht mehr.

Jahre vergingen. Wieder spielte ich bei Beerdigungen, diesmal freiberuflich als Aushilfe, mal hier, mal da. Noch immer beschäftigte mich Frau Meller. Ich beobachtete die Sargträger und konnte nichts entdecken, was eine Bewachung derselben notwendig gemacht hätte.

Eines Tages traf ich jemanden aus der „alten Zeit“. Er kannte Frau Meller ...

... da hatten eines Tages die Sargträger zwischen ihren Auftritten zu kräftig zur Flasche gegriffen. Schwankenden Schrittes näherten sie sich dem Sarg, räumten die Blumen zur Seite, lallten ihr „In Jottes Nam’n“ und stolperten mit dem Sarg aus der Tür. Mit Hilfe des Pfarrers kamen sie gerade noch zur Grabstelle. Dort landete der Sarg hochkant in der Grube.

Diesem Ereignis verdankte Frau Meller ihren Arbeitsplatz. Kein Zweifel: Sie WAR wichtig!

Aber auch ohne Alkohol kann das flüssige Element so mancher Feierlichkeit groteske Züge verleihen; z.B. wenn der Himmel sich öffnet – nicht etwa, um den Verstorbenen aufzunehmen, sondern um kannenweise Regen auf die Trauergemeinde zu schütten. Ganz ohne Promille rutschte ein Sargträger aus und landete hinter dem Sarg in der Grube, die panische Witwe fast noch hinterher. Hier hätte selbst Frau Mellers milde Macht versagt.

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