Читать книгу Kleine Literaturgeschichte der Großstadt - Angelika Corbineau-Hoffmann - Страница 8

Оглавление

[Menü]

Panoramen – Gesamtschau der Großstadt

Die Großstadt, Gegenstand von höchster Vielfalt, in einer panoramatischen Gesamtschau darstellen zu wollen, gehört zum Schwierigsten, das diese Thematik für die Literatur bereit hält. Was sich per se einerseits der Größe und der Totalität verpflichtet weiß, entzieht sich andererseits und eben deswegen jedem totalisierenden Zugriff. Nach den einleitenden Überlegungen will es scheinen, als könne das Bild der Großstadt in der Literatur kein Gesamtbild sein, sondern allenfalls aus einer Serie von Einzelbildern bestehen, die im besten Falle vom Leser zu einem Bild der Vorstellung zusammengefügt werden: Das Gesamtbild der Großstadt als Leistung der Imagination, als (Ab-)Bild des Imaginären? Schon dieses wäre schwierig genug, müssten doch die Einzelbilder mit dem Anspruch versehen sein, sich entweder mosaikartig in das Gesamtbild einzupassen oder aber exemplarisch für die Großstadt insgesamt stehen zu können. So leicht aber macht es sich die Großstadtliteratur nicht. Denn sie beabsichtigt nicht weniger, als dass ihre jeweilige Darstellungsweise die Großstadt mit einem umfassenden Gestus einholt, selbst wenn die Darstellung selbst nur aus Einzelbildern besteht. So steht die Großstadtdarstellung in der Literatur von Anbeginn an im Zeichen des Paradoxen und erlegt sich eine Absicht auf, deren Realisierung alles andere als gesichert erscheint. Wenn diese überhaupt gelingen soll, ist sie auf die Mithilfe, ja die aktive Teilnahme des Lesers angewiesen, der im Akt der Lektüre selbst schon jene Eigenarten entwickeln muss, die für den Gegenstand typisch sind; für die Dauer der Rezeption ist der Leser sowohl dem Text als auch dem Thema ähnlich, wird er selbst gleichsam ‘großstädtisch’. Dies soll nicht als Warnung verstanden werden, die den Leser unserer Darstellung abschrecken soll; im Gegenteil möchten unsere Lesarten eine Hilfe sein, sich für die Zeit der Lektüre dem Gegenstand anzuverwandeln.

Alle in diesem Kapitel zu betrachtenden Texte, vom Beginn der Großstadtdarstellung in der Moderne bis weit ins 19. Jahrhundert hinein, das diesen Gegenstand auf einen Gipfel seiner poetischen Potenz trieb, entspringen der risikoreichen Absicht, die Stadt in ihrer Totalität erfassen zu wollen. Es handelt sich dabei um erzählende Texte bei Lesage und Victor Hugo, um einen beschreibenden Text bei Stifter. Scheint diese Zuordnung gesichert, ist sie doch vielleicht im Zuge der Darstellung zu revidieren: Sind die beiden Romane so narrativ, wie man zunächst vermuten würde, sind die Skizzen Stifters wirklich nur deskriptiv? Ungeachtet ihrer jeweiligen Unterschiede streben die Texte danach, einen erhöhten Standpunkt einzunehmen und die Stadt ‘von oben’ zu betrachten; sie implizieren damit auch, sich gleichsam über die Dinge zu stellen und aus einer Perspektive höherer Ordnung das Geschehen zu sichten. So könnte sich herausstellen, dass die Schilderung der Stadt immer mehr meint als das Faktische und Sichtbare, dass sie Reflexionen mit einschließt und Bedeutungen zu setzen sucht.

Kleine Literaturgeschichte der Großstadt

Подняться наверх