Читать книгу Nicht schlank? na und! - Angelika Diem - Страница 7
1.2 Ungeschminkt? Alarm bei WHO und OECD
ОглавлениеAm 23. September 2010 veröffentlichte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)[1] einen Bericht, wonach Fettleibigkeit die Form einer Volkskrankheit angenommen habe. Demgemäß seien von hundert Männern in Deutschland bereits 60 übergewichtig, bei den Frauen 45. Österreich kann 57 übergewichtige Männer und 43 Frauen aufbieten, die Schweiz mit einigem Abstand lediglich 46 Männer und 29 Frauen. Leben die Schweizer so viel gesünder als die Bewohner der Nachbarländer?
Auch die Ernährungsberichte einzelner Länder (der Ernährungsbericht Deutschland 2008 kann über die Deutsche Gesellschaft für Ernährung – www.dge.de – oder den Buchhandel bezogen werden) benutzen in vielen Bereichen das Zahlenmaterial der OECD. Sieht man sich die englischsprachige Zusammenfassung der Studie „Obesity and the Economics of Prevention“[2] an, in welcher Daten aus der ganzen Welt in Grafiken gegossen wurden, fällt auf, dass in den Diagrammen, wo einmal die Erwachsenen und ein anderes Mal die Kinder aus der ganzen Welt verglichen werden, ein buntes Gemisch aus Jahreszahlen zwischen 2003 und 2009 anzutreffen ist. Die Datensätze unterschiedlicher Jahre stehen sich gegenüber. Ist es so egal, ob die Daten in sechs unterschiedlichen Jahren erhoben wurden? Stammen sie wenigstens aus den gleichen Quellen?
Wurde denn in allen genannten Ländern der gleiche Prozentsatz der Bevölkerung aus allen Schichten, Altersgruppen, Landesteilen zur gleichen Tageszeit (am besten nüchtern morgens) ohne Kleider und Schuhe gemessen und gewogen? Das ist weder aus den Diagrammen noch aus dem Begleittext ersichtlich. Von der OECD selbst stammt nur ein Teil der Daten.
Andere Studien stützen sich auf von den Befragten genannte Daten oder mischen diese mit gemessenen Werten. Dabei stellt sich die Frage der Zuverlässigkeit der Daten. Von den Befragten Genanntes kann geschönt sein; eine Vermischung verschiedener Erhebungsarten kann das Ergebnis ebenfalls verfälschen. So haben beispielsweise zwei Sozialwissenschaftler aus Bremen für einen Artikel im Fachblatt „Gesundheitswesen“ unter anderem die Daten des Bertelsmann-Gesundheitsmonitors benutzt, für den Menschen nach Zufallsprinzip ausgewählt am Telefon von Infratest auch nach Größe und Gewicht befragt wurden. Da solche Angaben mit Vorsicht zu genießen sind, wurden zur Sicherheit alle Befragten drei Zentimeter geschrumpft und zweieinhalb Kilo schwerer gerechnet. Auf diese Weise wurden die Deutschen so übergewichtig, dass Europa von der IOTF (International Obesity Task Force) für die EU aufgefordert wurde, Gelder bereitzustellen, damit der Trend zur Fettleibigkeit umgekehrt werden könnte.[3]
Wie ernst sind die Warnungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) betreffend des „Killers Nr.1“ – gemeint ist das Übergewicht – zu nehmen? Der erste Aufschrei dazu ertönte 1997 in Genf, wo sich eine Expertengruppe der WHO traf, um die BMI-Grenzen[4] festzulegen. Nur wurden diese nicht ausgewürfelt, sondern von einer Arbeitsgruppe vorbereitet, welcher der IOTF angehörte. Heute ist der IOTF Teil der IASO (International Association for the Study of Obesity) und der IOTF-Gründer Philip James wurde Vorsitzender der IASO, deren Etat zu zwei Drittel von Phramaunternehmen gesponsort wird. Mehr noch, für zwei dieser Unternehmen führte Philip James Untersuchungen für Diätmittel durch, die Studien fielen überragend positiv aus. Als Folge der von diesen WHO Experten 1997 festgelegten BMI-Werte, wurden ein Jahr später mit einem Schlag 35 Millionen US-Bürger übergewichtig, denn zuvor galten dort höhere Grenzwerte. Die Veränderung dieser Werte und die damit gestiegene Zahl der übergewichtigen und fettleibigen Amerikaner sorgte für Schlagzeilen und in der Folge für einen erhöhten Bedarf an Schlankheitsmitteln.
Das ist nicht das einzige Beispiel von Verquickung zwischen Wissenschaftlern und Pharmaindustrie in den USA. So geht z. B. eine Studie der Obersten Gesundheitsbehörde der USA aus dem Jahre 2004 auf einen Wissenschaftler zurück, der finanzielle Unterstützung durch gleich mehrere Unternehmen genießt, welche der Abnehmindustrie zuzuordnen sind. Bezeichnenderweise wurde in dieser Studie das Übergewicht zur vermeidbaren Todesursache von 400.000 Menschen pro Jahr erklärt. Obwohl die Studie im Jahr darauf wegen schwerer mathematischer Fehler und veralteter Daten für nichtig erklärt werden musste, findet sich diese abschreckende Zahl auch Jahre danach noch in Artikeln,[5] die sich um Ursachen und Folgen von Übergewicht drehen.[6] Häufig werden Berichte in Medien des Effektes wegen so formuliert, dass man glauben könnte, jeder mit nur einem Kilo über einer gewissen Grenze wäre mit schwer adipösen Menschen gleichzusetzen, was die negativen Auswirkungen betrifft.[7]
Bedenklich finde ich die im OECD Bericht angepriesene Wirksamkeit von kombinierten Maßnahmen gegen Übergewicht. Diese Maßnahmen (z. B. Gesundheitserziehung, Gesundheitspromotion, Steuerregulationen und Lebensstil-Beratungen durch den Hausarzt) könnten angeblich allein in Japan jährlich 155.000 Menschen vor dem Tod durch chronische Krankheiten – welche das sein sollen, wird nicht gesagt – retten. In England müssen 70.000 Menschen abspecken, wollen sie nicht an einer chronischen Krankheit sterben und in Mexiko 55.000. Überspitzt formuliert: Wenn Sie also einen BMI über 24 haben, gehen Sie zum Arzt, der Ihnen laut OECD vor allem zu einer Lebensstiländerung raten soll, damit Sie nicht an egal welcher chronischen Krankheit sterben.
Offenbar ist den Verfassern des OECD-Papiers die bemerkenswerte Untersuchung von Katherine Flegal des staatlichen Centers for Disease Control and Prevention in Atlanta entgangen, welche erstaunlicherweise belegen konnte, dass Menschen mit einem BMI zwischen 25 und 30 länger leben, als „Normalgewichtige“. Menschen mit Adipositas (BMI zwischen 30 und 35) sterben nicht früher als besonders dünne Menschen mit einem BMI unter 18,5.[8]
Warum so unterschiedliche Ergebnisse? Weil es sich auch mit Blick auf ein Sterberegister nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen lässt, woran diese Menschen tatsächlich gestorben sind. Die auf dem Totenschein eingetragene Todesursache basiert ja nur in den wenigsten Fällen auf einer Autopsie. Zudem müssen Untersuchungen andere Faktoren mathematisch herausfiltern, die auch Einfluss auf die Lebenserwartung haben können, wie Rauchen, Geschlecht und Sozialstatus. Da es keine einheitliche Formel dafür gibt, erhalten unterschiedliche Forscher beim gleichen Datensatz unterschiedliche Endergebnisse, je nachdem wie die Faktoren mathematisch gewichtet wurden. So kann, wenn der Forscher es auf die Spitze treiben will, das übergewichtige Opfer eines Verkehrsunfalls in einem Zahlentopf landen, der angeblich belegt, dass Übergewicht allein schon zu frühem Tode führt. Eines ist auf jeden Fall belegt: Die Menschen leben aller Warnungen zum Trotz selbst mit Übergewicht länger. Betrug die Lebenserwartung für Frauen 1980 noch 77,2 Jahre, so liegt sie laut der Sterbetafel 2008/2010 des Statistischen Bundesamtes Deutschland bei 82,59 Jahren, bei Männern stieg im gleichen Zeitraum die Lebenserwartung von 69,6 auf 77,51 Jahre.[9]
Je nachdem welche Studie ich also lese, welchem Wissenschaftler und welchen Methoden ich eher vertraue, kann ich sehr unterschiedliche Daten und Schlussfolgerungen finden.
Doch wie sieht es in der alltäglichen Praxis aus? Mit welchen gesundheitlichen Folgen von Übergewicht und besonders von Fettleibigkeit auf die Gesundheit werden Ärzte tatsächlich gehäuft konfrontiert? Fragen wir einen Facharzt, der tagtäglich auch Patienten mit schwerer Adipositas behandelt:
Fragen an ...
... den Internisten Dr. med. Stephan Dertinger, Teil 1:
Gibt es erblich bedingte Faktoren, die für Übergewicht mitverantwortlich sein können?
Ja, das gilt vor allem für diejenigen, deren Übergewicht eine endokrinologische, also eine hormonbedingte Ursache hat. In den betroffenen Familien treten dann immer wieder dieselben Syndrome auf.
Generell gilt, dass Übergewicht zu einem guten Teil vererblich ist. Das heißt: Dicke Eltern haben oft dicke Kinder. Dabei lässt sich sicher nicht pauschal beurteilen, ob die Genetik oder das Umfeld die Hauptrolle spielt, ob also die Kinder das ungesunde Essverhalten der Eltern lediglich kopieren.
Was ist „viszerales Fett“ und wie kann es zuverlässig gemessen werden?
Zuverlässige Messmethoden für viszerales Fett, also jenes Darmfett, das sich an der Darmaufhängung befindet, gibt es nicht. Doch über den Bauchumfang lassen sich darauf Rückschlüsse ziehen: Die sogenannte „Apfelform“, der männliche, bauchbetonte Fettverteilungstyp, hat einen erhöhten viszeralen Fettanteil. Dieser Typus kann auch bei Frauen auftreten. Daneben gibt es auch den spezifisch weiblichen Fett-Typ, die sogenannte „Birnenform“, bei dem das Fett vor allem an Hüfte und Oberschenkel sitzt. Das ist der metabolisch, also auf den Stoffwechsel bezogen, unbedenklichere Fett-Typ. Der Bauchumfang gilt neben Computer- und Kernspintomographie als zuverlässigere Methode als der Body-Mass-Index (BMI), um auf viszerales Fett Rückschlüsse zu ziehen.
Welche Krankheiten können ausschließlich auf Übergewicht zurückgeführt werden?
Fast nichts kann einzig und allein auf Übergewicht zurückgeführt werden. Ein nicht zu unterschätzender Mitspieler auf dem Spielfeld der Krankheiten ist die Genetik – sogar beim Diabetes Mellitus. Fettleibigkeit gefährdet den Körper auf jeden Fall erheblich: Durch hohen Blutzucker, bedingt durch Diabetes, oder auch durch hohe Blutfettwerte, kann eine nicht-alkoholische Steatohepatitis entstehen. Dieses sogenannte „NASH-Syndrom“ hat mittlerweile die gleiche Prognose, was die Entwicklung einer Leberzirrhose oder eines bösartigen Lebertumors betrifft, wie eine chronische Hepatitis B oder C. Dem Patienten kann hier nur eine drastische Gewichtsreduktion helfen.
Dann gibt es noch das sogenannte „metabolische Syndrom“: Der Patient leidet da für gewöhnlich an starkem Übergewicht, wobei dies nicht an einem absoluten Wert festgemacht werden kann, arterieller Hypertonie (Bluthochdruck), Diabetes Mellitus und erhöhten Blutfettwerten. Bei dieser Hyperlipidämie sind die Triglyceride und die LDL-Cholesterin-Werte[10] im Blut erhöht und die HDL-Werte[11] erniedrigt. Auch eine Hyperurikämie kann auftreten, bei der die Harnsäurewerte im Blut erhöht sind. Die Betroffenen sind besonders gefährdet für kardiovaskuläre Erkrankungen. Sie haben aber auch ein erhöhtes Risiko ein Malignom (einen bösartigen Tumor) zu entwickeln. Bei Männern tritt häufig auch das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom auf, bei dem es immer wieder zu Atempausen während des Schlafs kommt, wodurch sich der Sauerstoffgehalt im Blut vermindert und der Kohlenstoffdioxidgehalt im Blut ansteigt. Die Folgen reichen von Tagesmüdigkeit über Depressionen, bis hin zu Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen bei lang anhaltender Unterversorgung mit Sauerstoff.
Wie hängen Diabetes und Gewichtszunahme zusammen?
Der Zucker beim Diabetes Mellitus führt zu einer Hyperinsulinämie: Der Insulinpegel im Blut ist zu hoch. Insulin ist das stärkste appetitanregende Hormon, das wir im Körper haben, deswegen führt es immer zur weiteren Gewichtszunahme und so ist das ein Teufelskreis.
Welche Krankheiten werden durch Übergewicht begünstigt? Welche treten gehäuft bei Übergewichtigen auf? Und welche verlaufen bei Übergewichtigen schwerer?
Übergewicht ist ein wesentlicher Faktor für das weitere Fortschreiten von Krankheiten. Nehmen wir einmal den Diabetes Mellitus als Beispiel: Manche Patienten erkranken, weil sie übergewichtig sind. Sie würden vielleicht erst im Alter an Diabetes erkranken. Wenn sie aber sehr übergewichtig sind, bekommen sie ihn schon früher – mit 30 oder 40 Jahren. Das Übergewicht verschlechtert auch die Zuckerwerte an sich und macht die Diabeteseinstellung schwieriger. Ein dünner Diabetiker ist daher immer leichter zu behandeln als ein dicker Diabetiker. Durch Zucker lässt sich auch Bluthochdruck sehr viel schlechter und schwieriger einstellen. Diabetes kann dann schließlich eine Kettenreaktion im Körper auslösen: Die Gefäße können verkalken, wodurch wiederum ein Herzinfarkt oder ein Hirnschlag ausgelöst werden kann. Auch das Schlafapnoe-Syndrom verstärkt sich mit jedem Kilo.
Ein Problem stellt auch die Belastung des Körpers durch Übergewicht dar: Der Mensch muss mit seinem Stützapparat, also Knochen, Muskeln, Sehnen und Bändern, die beim Mann für etwa 80 Kilo, bei der Frau für etwa 60 Kilo ausgelegt sind, das Übergewicht tragen. Bei sehr übergewichtigen Menschen sind oft kaputte Kniegelenke die Folge, weil das hohe Gewicht Knochen und Gelenke schneller abnutzt. Übergewichtige haben auch ein erhöhtes Risiko, an Osteoporose, einer Form der Knochenerweichung, zu erkranken.
Bei welchen Krankheiten ist Übergewicht bei der Genesung hinderlich?
Eigentlich bei allen. Dicke Patienten sind sehr viel schwieriger zu operieren: Das Risiko bei der Operation und bei der Narkose ist aufgrund der Begleiterkrankungen höher und die Wundheilung ist schlechter. Bei einer neuen Hüfte zum Beispiel ist ein Patient mit 70 Kilo leichter zu rehabilitieren wie ein gleich großer Patient mit 120 Kilo. Das Übergewicht ist für alle Genesungen letztendlich von Nachteil.
In welchem Zusammenhang stehen Übergewicht und Bluthochdruck?
Jeder vierte Mitteleuropäer hat die genetische Disposition für eine arterielle Hypertonie (zu hoher Blutdruck) und jeder zweite über fünfzig leidet bereits darunter. Bei dicken Menschen ist die Gefahr größer, dass sie letztendlich tatsächlich einen zu hohen Blutdruck bekommen. Übergewicht allein ist allerdings nicht für den hohen Blutdruck verantwortlich, es gibt auch dicke Menschen mit einem normalen Blutdruck. Diabetes korreliert viel stärker mit Übergewicht als Bluthochdruck.
Was sind die Auswirkungen der „Hyperlipidämie“ genannten Fettstoffwechselstörung?
Es muss differenziert werden zwischen erstens einer reinen Hypertriglyzeridämie (erhöhter Wert von Triglyceriden), zweitens einer reinen Hypercholesterinämie (erhöhte Cholesterinwerte) und drittens einer gemischten Hyperlipidämie. Alle Formen lassen sich hauptsächlich auf genetische Ursachen zurückführen; der Patient muss die Anlage dazu haben. Die Folgen bei einer Hypercholesterinämie sind eine Arteriosklerose, also Kalk- und Plaqueablagerungen in den Gefäßen. Mögliche Folgen davon sind Schlaganfall und Herzinfarkt. Die reine Hypertriglyzeridämie ist weniger atherogen, sie allein hat weniger Gefäßablagerungen zur Folge als die beiden anderen Formen, führt aber vermehrt zu einer Fettleber.
Wie erleben Sie die Patienten in Ihrer Praxis?
Manche übergewichtige Patienten geben ungern zu, dass sie für das Übergewicht auch mitverantwortlich sind. Oft sagen sie: „Ich esse doch so wenig“, greifen dann aber bei der Torte beherzt zu. Solche Patienten betrügen den Arzt und auch sich selbst. Manche Patienten nehmen jedoch unabsichtlich zu viele Kalorien zu sich, meist in flüssiger Form, zum Beispiel mit stark zuckerhaltigen Erfrischungsgetränken oder flüssiger Sahne im Kaffee.
Ist der Körper nach vielen Diäten und dem Jo-Jo-Effekt danach permanent auf „Hungersnot-Kalorienbunkern“ eingestellt? Oder normalisiert sich der Verbrauch nach einer Weile wieder? Wie lange dauert es, bis sich der Körper an ein bestimmtes Essverhalten gewöhnt?
Das ist schwer zu beantworten, weil ich als Arzt nicht weiß, was die Patienten wirklich essen und wie viele Kalorien sie aufnehmen. Wenn der Jo-Jo-Effekt auftritt, ist auch die Dauermotivation nicht gegeben und das ist ein großes Problem. Wenn sich im Gespräch zwischen Arzt und Patient zeigt, dass der Patient nicht bereit ist, seine Ernährung umzustellen und Bewegung in seinen Alltag zu integrieren, macht eines allein auf die Dauer keinen Sinn. Es geht nur mit beidem! Nehmen wir zum Beispiel einen Menschen, der seine normalen 80 Kilo hat und einen anderen Menschen, der von 120 auf 80 Kilo abgenommen hat. Der zweite, will er sein niedrigeres Gewicht halten, darf nur 85 Prozent der Kalorien, die der erste zu sich nimmt, verstoffwechseln. In diese Falle tappen viele Diäthaltende: Sie müssten für immer 15 Prozent weniger essen als ein niemals dick gewesener Mensch mit gleichen Körpermaßen, um ihr neues Gewicht zu halten.
Wenn man über eine lange Zeit große Mengen an Nahrung zu sich genommen hat, dehnt sich der Magen aus. Wenn man die Nahrungsmenge verringert, verkleinert sich dann nach einer Weile das Fassungsvermögen des Magens wieder?
Ja, das ist so. Bei sehr dicken Menschen tritt auch eine starke Magendehnung auf. Der Magen kann aber durch eine Verringerung des Nahrungsvolumens wieder auf Normalgröße zurückschrumpfen.
Wie kann ich unterscheiden, ob mein dicker Bauch auf viszerales Fett, welches sich an den Eingeweiden befindet und als gesundheitlich bedenklicher gilt oder auf subkutanes Fett, die Vorratsschicht direkt unter der Haut, zurückzuführen ist? Kann mein Bauch aufgrund bestimmter Nahrungsmittel auch nur aufgebläht sein?
Ein Blähbauch fühlt sich härter als Fett an und ist oft auch schmerzhaft. Das subkutane Fett spürt man, man kann es sozusagen „in die Hand nehmen“. Es hat eine Korrelation mit dem viszeralen Fett: Je mehr Bauchfett, desto höher auch der Anteil an viszeralem Fett. Für aufgeblähte Bäuche gibt es mehrere mögliche Ursachen, das kann auch bei sonst schlanken Menschen auftreten. Häufige Auslöser sind Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse, bakterielle Fehlbesiedelung des Dünndarms, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, zum Beispiel von Fruchtzucker oder Milchzucker. Auch Lamblien, also einzellige Parasiten im Dünndarm, können verantwortlich sein. Ein Blähbauch hat aber mit viszeralem Fett nichts zu tun.
Kann man den Fettstoffwechsel beschleunigen oder begünstigen?
Nein. Der Fettstoffwechsel ist genetisch bedingt. Man kann den Triglyzeridwert durch eine fettarme Diät etwas beeinflussen, aber eine cholsterinarme Diät kann das Cholesterin nur um zehn Prozent senken. Wenn also ein Patient ein Gefäßproblem hat oder mehrere Risikofaktoren eine Rolle spielen, braucht er immer auch eine medikamentöse Unterstützung.
Nachdem ich das Interview beendet hatte, musste ich auf dem Heimweg tief durchatmen. Das war nicht unbedingt, was ich mir zu hören erhofft hatte. Zuhause stellte ich mich wieder einmal auf die Waage. Ich war (noch) nicht wieder auf meinem bisherigen Höchstgewicht, aber Bluthochdruck, Schlafapnoe und Diabetes Typ II waren in meiner Familie keine Unbekannten. Musste ich also damit rechnen, über kurz oder lang auch daran zu leiden, weil ich mehr wog als noch vor zehn Jahren?
Doch Körpergewicht allein hat nicht viel Aussagekraft. Sonst müssten Ringer, Gewichtheber und Kugelstoßer ständig auf Diät gesetzt werden.
Wie also feststellen, ob man wirklich „zu dick“ ist? Neben dem sattsam bekannten Body Maß Index wird neuerdings auch die Relation von Köpergröße zu Bauchumfang oder der reine Bauchumfang herangezogen. So sollen 88 cm bei der Frau und 102 cm beim Mann nicht überschritten werden (vor dem Hintergrund, dass mehr Bauchumfang auch mehr viszerales Fett bedeuten kann und das gesundheitlich bedenklicher ist als das Unterhautfettgewebe an Gesäß und Schenkeln).
Jede pauschalierende Grenze, die quer über alle Altersgruppen und Kontinente hinweg gezogen wird, ist mit Vorsicht zu genießen. Nicht in allen Regionen der Welt werden die Menschen durchschnittlich gleich groß. Meine ganz persönliche Antwort auf die Frage: „Bin ich zu dick?“ ist eine Gegenfrage: „Zu dick wofür?“ – Um mich ungehindert zu bewegen? Um im Flugzeug keine Sitzgurtverlängerung erbitten zu müssen? Um eine bestimmte Sportart beschwerdefrei ausüben zu können? Um in das Lieblingssommerkleid vom letzten Jahr zu passen? Um von der Umwelt als „schlank“ angesehen zu werden?
Bei einigen dieser Fragen, muss ich gestehen, dass es nicht mein Umfang oder mein Gewicht (allein) war, was mir im Weg stand, sondern Befürchtungen, Ängste, mangelnde Kraft oder Kondition.
Wie meine Umwelt „zu dick“ definiert, vermag ich als einzelne Person nur in kleinem Rahmen zu beeinflussen. Um gegen die Tiefschläge und die Frustration, die sich daraus ergibt, besser gerüstet zu sein, setzte ich innere Ausgeglichenheit und Selbstakzeptanz auf meine „Das möchte ich erreichen“-Liste.
Noch vor zwei Jahren sorgte ein Blick auf die Waage dafür, dass ich mich elend fühlte. Und als mein alter Hausarzt mir damals riet, mich mehr zu bewegen, um fitter zu werden, glaubte ich, dass eine Diät allein das besser richten könnte – mit dem Ergebnis, dass ich einige Zeit nach Diätende mehr wog war als je zuvor.
Wenn man wie ich allein nicht in der Lage ist, sich am Schopf aus dem Schlammloch zu ziehen, wird es höchste Zeit, sich guten, fachlichen Rat zu holen.