Читать книгу Wenn nichts ist, wie es scheint - Angelika Godau - Страница 4
ОглавлениеPROLOG
Verstohlen schaute er sich um, bevor er eines der sorgfältig präparierten Fleischbällchen aus der Tasche zog, um es hinter einem Baum zu deponieren. Für Menschen fast unsichtbar, aber für Hundenasen keine Herausforderung. Ein Tier würde den Leckerbissen finden und gierig verschlucken, so wie es seiner Natur entsprach. Happs und weg lacht er, drehte sich aber sofort erschrocken um. Erleichtert atmete er auf, als er niemanden sah, der seine Worte hätte hören können.
Er war allein an diesem frühen Sonntagmorgen. Das Landesgestüt lag in tiefer Stille, noch ruhten die Pferde und kein Wiehern drang durch die geschlossenen Türen nach außen. Auch von den lärmenden Saatkrähen war nichts zu hören. Sie schliefen ruhig in ihren Nestern, hoch oben in den Kronen der mächtigen Platanen. Erst kurz nach Sonnenaufgang würden sie, als hätten alle auf ein Zeichen gewartet, zusammen unter lautem Gekrächze auffliegen und als schwarze Wolken den Himmel verdecken. Wo sie die Tage verbrachten, blieb ihr Geheimnis, aber sie kehrten tagein tagaus kurz vor Einbruch der Dämmerung wieder zurück. Hunderte von schwarzen Vögeln schafften es innerhalb von Minuten, ihr Stammnest zu finden und zur Ruhe zu kommen. Jetzt, zu dieser frühen Stunde, ließ nur der Schwarzbach ab und an ein gurgelndes Geräusch hören, fast wie ein Kichern, ansonsten nichts als Stille und Frieden.
Nicht mehr lange, dachte er, dann wird sich das ändern, griff erneut in seine Tasche und legte ein weiteres Fleischstück ganz nah an einem Baum ab. Mit der Vorbereitung hatte er sich große Mühe gegeben, Cuttermesser, Krampen, kleine Nägel und spitze Glasscherben vorbereitet und sortiert. Nun steckte in jedem der Häppchen etwas davon und würde seinen Zweck nicht verfehlen. Egal, ob der Hund den Leckerbissen im Ganzen runterschlucken oder vorher zerkauen würde, am Ende brauchte sein Halter den Tierarzt. Nur der konnte röntgen, endoskopieren, operieren, und versuchen mit seinem ganzen Können das Leben des Tieres zu retten.
Natürlich war sein Tun nicht unbemerkt geblieben und man wusste längst, dass in Zweibrücken jemand Köder auslegte. Es war schon angezeigt worden und auch die Presse hatte ausführlich darüber berichtet. Noch war er ein Phantom, wurde als Hundehasser dargestellt, als Psycho, dem es Freude machte, Leid über Mensch und Tier zu bringen. Das hatte ihn geärgert, weil es Unsinn war. Ihm ging es überhaupt nicht um die Hunde, und auch ihre Halter waren ihm gleichgültig. Trotzdem musste er auf der Hut sein, denn sollte man ihn erwischen, würde das üble Folgen für ihn haben, vielleicht sogar sein Leben in Gefahr bringen. Wie sollte er einer aufgebrachten Menge erklären, dass er so hatte handeln müssen. Wer würde verstehen, dass diese Frau Strafe verdient hatte, und die Hunde nur Mittel zum Zweck waren. Und selbst wenn, diese Welt war komisch, vielleicht sogar verrückt, denn verletzte jemand ein Haustier, einen Hund oder eine Katze, war das unverzeihlich. Bei Rindern oder Schweinen sahen die Menschen das weniger eng, deren Leid kümmerte sie kaum. Erst Eddy hatte ihm darüber die Augen geöffnet, und seither aß er kein Fleisch mehr. Eddy hatte ihm erklärt, dass die Menschen kein Recht hatten, ihre Mitgeschöpfe zu töten, um sie zu essen. Eddy hatte aus ihm einen besseren, einen besonderen Menschen gemacht. Dass ausgerechnet er nun Tiere leiden lassen musste, war für ihn ein Widerspruch gewesen, er wollte es nicht, und wäre froh gewesen, einen anderen Weg zu finden, aber es gab keinen. Das hatte er lange nicht verstehen können und es hatte heftige Diskussionen darüber gegeben. Am Ende hatte er Eddy aber zustimmen müssen.
Als er den Herzogplatz erreichte, wandte er sich nach rechts, ging über die kleine Brücke, vorbei am Bismarckdenkmal, dass seit über 120 Jahren Wind und Wetter, zwei Weltkriegen und Umquartierungen trotzte und gerade wieder einmal die Gemüter der Bevölkerung erhitzte. Er nickte dem Patina-bedeckten, ehemaligen Reichskanzler zu, weil er sich ihm auf eine seltsame Art verbunden fühlte. Er war wie Bismarck, der seine Ziele gegen alle Widerstände durchzusetzen gewusst hatte. Schnell und ohne sich noch einmal umzuschauen ging er über die Gestütsallee zurück zum Parkplatz gegenüber der Festhalle. Es war gerade 05.10 Uhr und damit höchste Zeit, zu verschwinden.