Читать книгу Wenn nichts ist, wie es scheint - Angelika Godau - Страница 5
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Ich schlug die Augen auf und hatte für einen Moment keinen Plan, wo ich war. Die Sonne fiel durchs Fenster und ein Blick auf mein Smartphone zeigte mir, dass es erst sechs Uhr war. Sechs Uhr morgens, Sonntagmorgens. Ich ließ mich stöhnend in die Kissen zurückfallen, um weiterzuschlafen, hatte aber die Rechnung ohne Alli gemacht. Alli, mein Dackel mit dem Herzen eines Löwen, den mir vor drei Jahren eine Exfreundin geschenkt hatte. Mit vollem Namen hieß er Alligator vom Trifels, und sein Stammbaum war lang und eindrucksvoll. Ansonsten war er eben ein Dackel: Charmant, stur, verfressen und zur Selbstüberschätzung neigend. Meine Ex hatte behauptet, er sei wie ich, nur darum habe sie ihn gekauft. Nicht nur wegen dieser Behauptung war ich damals wenig begeistert über das Geschenk gewesen, aber Alli wäre ja kein Dackel, hätte er es nicht in Windeseile geschafft, mich um alle vier Pfoten zu wickeln. Jetzt konnte ich mir ein Leben ohne diesen Hund überhaupt nicht mehr vorstellen, ganz abgesehen davon, dass er mir schon aus vielen brenzligen Situationen herausgeholfen hatte.
Wer mich noch nicht kennt, ich bin Detlev Menke, Winzersohn aus Herxheim, Porschefahrer, Dackelbesitzer und Privatdetektiv im schönen Bad Dürkheim. Momentan befand ich mich in Zweibrücken, der Herzogstadt an der Grenze zum Saarland. Eine alte Schulfreundin hatte mich um Hilfe gebeten und ich war dieser Bitte aus mehreren Gründen gern nachgekommen. Zum einen war ich in Dürkheim mittlerweile bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund, was für einen privaten Ermittler nicht immer vorteilhaft ist. Zum anderen hatte ich einen heftigen Streit mit meiner ebenso schönen wie klugen Freundin, der taffen Oberkommissarin Tabea Kühn, gehabt. Dass wir uns stritten war nicht ungewöhnlich, aber dieses Mal war es ernst, das konnte nicht einmal ich übersehen. Sie hatte mir vorgeworfen, ihr die Luft zum Atmen zu nehmen, sie zu vereinnahmen, zu bevormunden und noch einiges mehr. Ich fühlte mich ungerecht behandelt und wehrte mich heftig, unterstellte ihr Karrieregeilheit und Emanzengehabe. Als mir aufging, dass ich ein weiteres Mal über jedes Maß hinausgeschossen war, war sie weg. Sie hatte nicht einmal die Tür geknallt, sondern langsam und leise hinter sich ins Schloss gezogen. Das war kein gutes Zeichen und die WhatsApp, die sie mir am nächsten Morgen schickte, bestätigte alle meine Befürchtungen. Sie ließ mich wissen, dass sie nicht bereit sei, unsere Beziehung so weiterzuführen. Ich sei nicht kritikfähig, hätte mein Machoverhalten nicht abgelegt und daher brauche sie erst einmal Abstand, und zwar eine ganze Weile. Ich solle die Zeit nutzen, über ihre Worte nachzudenken.
Ich widerstand meinem Impuls, sie umgehend anzurufen und ihr zu erklären, dass sie meine Absichten völlig falsch verstanden habe, rief stattdessen meine Schwester Wiebke an. Meine große Schwester, zu der mein Verhältnis in den letzten Jahren sehr viel besser geworden war und die ich schon öfter um Rat gefragt hatte. Wie immer nahm sie auch dieses Mal kein Blatt vor den Mund. Kaum hatte ich meine Geschichte zu Ende erzählt, lachte sie und sagte trocken: „Du bist einfach ein Idiot, Deti. Ein charmanter zwar, aber eben doch ein Idiot. Deine Tabea ist anders als die Frauen, mit denen du dich früher so umgeben hast. Sie spielt in einer ganz anderen Liga, ist ernsthafter, erwachsener, könnte man sagen, aber auf eine gute Art. Sie weiß, wer sie ist und sie weiß, was sie will. Davon abgesehen hat sie einen sehr anspruchsvollen und auch anstrengenden Beruf, den sie ernst nimmt. Sie hat nicht immer um 17. 00 Uhr Feierabend und manchmal muss sie sogar am Wochenende arbeiten, an deinem Geburtstag oder an Heilig Abend vom Tisch aufstehen, um zu einem Tatort zu fahren. Das solltest du doch am besten wissen, verdammt noch mal. Sie kann dann keinen Mann gebrauchen, der rumjammert …“
„Ich habe überhaupt nicht rumgejammert“, hatte ich sie empört unterbrochen, aber Wiebke hatte nur kurz abgewunken und weitergeredet.
„Vielleicht nicht direkt, aber du hast ständig irgendwelche Pläne gemacht, gemeinsame Urlaube geplant, immer wieder von Heirat und Familiengründung gesprochen. Du warst so sehr darauf fixiert, dass dir völlig entgangen ist, wie das für Tabea gewesen sein muss. Sie konnte immer nur vielleicht sagen, mal sehen, wenn ich keinen Dienst habe, usw. Und dass sie dir mehr als einmal gesagt hat, dass eine Heirat für sie noch nicht infrage kommt, das weiß ich zufällig genau, ich war mehrfach dabei.“
„Ja sicher“, hatte ich eingeräumt, „aber was ist denn so schlimm daran, dass ich sie heiraten will? Ich dachte immer, Frauen freuen sich, wenn man ihnen einen Antrag macht?“
Meine Schwester hatte die Augen verdreht und stöhnend erwidert: „Genau das ist dein Problem, Deti. Du hast nicht den leisesten Plan, was Frauen wollen. Ich weiß nicht, ob es dir schon mal aufgefallen ist, aber wir leben nicht im 19. Jahrhundert. Die Ehe ist nicht mehr alleiniges Ziel von Frauen. Heute haben die Berufe, anspruchsvolle Berufe, machen Karriere, also alles Dinge, die für euch Männer schon immer selbstverständlich waren. Geht das nicht in deinen sturen Schädel rein?“
Ich hatte noch so einiges dagegen gesagt, immer wieder betont, dass ich Tabea ja gar nicht bevormunden wollte und einengen schon gar nicht, aber Wiebke hatte nur den Kopf geschüttelt und am Ende gesagt: „Ich kann Tabea verstehen, du kapierst wirklich überhaupt nichts“ und war gegangen.
Frustriert und gekränkt wollte ich trotzdem noch einen weiteren Versuch mit einem männlichen Gesprächspartner starten und hatte Sand angerufen. Der Sandmann, Kollege von Tabea und lange Zeit nicht mein bester Freund, hatte in gespielter Verzweiflung die Hände in die Luft geworfen und gefleht: „Bitte, bitte verschone mich mit der Frage, was Frauen wollen. Ich bin seit Jahren mit einer verheiratet, aber ich glaube nicht, dass ich weiß, was sie wirklich will. Ja, ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie das selbst immer weiß. Ich glaube, darüber zerbrechen sich seit Adam und Eva die Männer den Kopf, oder vielleicht interessiert es sie nicht genug? Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Weißt du, meine Frau ist wirklich toll, ich liebe sie, daran besteht für mich kein Zweifel, aber wie oft sie schon gesagt hat: ‚Du verstehst mich einfach nicht‘, kannst du dir nicht vorstellen. Also, erwarte von mir keinen Rat, was du tun sollst. Ich weiß es nicht. Im Zweifelsfall das, was sie will, aber möglicherweise machst du genau damit den größten Fehler.“
„Du meinst, wenn ich jetzt gar nichts mache, sie einfach in Ruhe lasse, so wie sie es will, könnte sie darüber auch wieder sauer sein?“, hatte ich mich verblüfft vergewissert und Sand hatte nur genickt. Danach hatten wir über Fußball gesprochen, ein Thema, mit dem wir uns beide sehr viel leichter taten.
Das war jetzt drei Tage her. Ich hatte Tabea nicht angerufen, ihr keine Mail, keine WhatsApp und schon gar keine Blumen geschickt, sondern mich in Schweigen gehüllt. Auch von ihr hatte ich nichts gehört und das nagte gewaltig an mir. Ausgerechnet in dem Moment, wo ich drauf und dran gewesen war, sie anzurufen, hatte mein iPhone sich gemeldet und der Klingelton versetzte mir zusätzlich einen Stich. Immer wieder hatte ich davon gesprochen, ihn zu ändern, weil Knockin‘ On Heaven‘s Door mich einfach zu oft abrupt geweckt hatte. Getan hatte ich es nie, bis ich eines Morgens von „Der Mond ist aufgegangen“, geweckt wurde.
„Du wolltest doch einen ruhigen und leisen Klingelton?“ Am anderen Ende war eine kichernde Tabea gewesen, die das wissen wollte und sich vor lauter Vergnügen fast an ihrem Kaffee verschluckt hätte. Daran musste ich denken, als es jetzt klingelte, auch wenn ich den aufgegangenen Mond zwischenzeitlich gegen Perfect von Ed Sheeran getauscht hatte.
Es war Hella Labrius, Inhaberin einer Tierarztpraxis in Zweibrücken, die sie nach ihrem Veterinärmedizinstudium mit ihrem Vater zusammen führte. Nach dem üblichen Smalltalk: Wie geht es dir, was hast du gemacht, bist du verheiratet, hast du Kinder usw. stellte sich heraus, dass sie sehr genau wusste, was ich machte und dass sie mich aus genau diesem Grund anrief. Sie brauchte einen privaten Ermittler.
„Weißt du“, ihre Stimme klang traurig, „ich hatte heute den dritten Hund auf dem Tisch, der es nicht geschafft hat. Es ist zum Kotzen, man versucht alles, um das Leben des Tieres zu retten, und es reicht dann doch nicht aus. Oft ist es zu spät, die Verletzungen zu gravierend oder es sieht am Anfang ganz gut aus, dann gibt es eine Infektion und am Ende verliert man doch. Und die Verzweiflung der Besitzer muss ich auch ertragen. Das geht ganz schön ans Eingemachte, kann ich dir sagen. Ich würde was drum geben, dieses Schwein endlich zu erwischen. Klar, wir haben das angezeigt, die Presse hat darüber berichtet und in den sozialen Medien wurde mehrfach gewarnt, aber gefasst wurde er bisher nicht. Es ist immer das gleiche, die Typen sind alle gleichgestrickt. Ein feiges Pack, das sein tödliches Futter irgendwo hinschmeißt, dann unerkannt und ungesehen wieder verschwindet. Was ist, hilfst du mir?“
Eigentlich hatte ich keine rechte Lust, aber dann fiel mir ein, dass Tabea Abstand wollte und auch, wenn in Bad Dürkheim nicht täglich ein Mord geschah, bestand doch die Gefahr, dass wir uns über den Weg laufen würden; daher sagte ich zu. Ich packte einen Koffer, aufmerksam beobachtet von Alli, der wohl Sorge hatte, ich könnte ohne ihn verschwinden und rief noch kurz meine Mutter an, um ihr mitzuteilen, dass ich für einige Zeit in Zweibrücken arbeiten würde.
„Ich habe es schon gehört, mein Sohn, du hast Streit mit deiner Tabea“, unterbrach sie meine Erklärungen. „Wie konnte das denn wieder passieren, sie ist doch so eine nette Frau.“
War klar, der Lieblingssatz meiner Mutter fand in jeder Situation Anwendung, egal, um was es ging. Ebenso klar, dass sie mal wieder davon überzeugt war, dass ich daran Schuld hatte.
„Darüber möchte ich jetzt nicht reden, ich wollte dir nur sagen, dass ich einen Auftrag in Zweibrücken habe“, versuchte ich abzulenken, wusste aber schon, dass ich sie damit nicht aufhalten würde.
„Weglaufen war noch nie eine gute Idee“, überging sie denn auch meine Erklärung. „Walter hat auch gesagt, dass du dazu neigst, immer zu schnell die Flinte ins Korn zu werfen. Ihr müsst miteinander reden, Junge, glaub mir, das ist immer der beste Weg, Missverständnisse auszuräumen.“
„Sagt das auch Walter oder kommt dieser gute Rat von dir?“, versuchte ich es mit Sarkasmus, aber der prallte an ihr ab.
„Das findet Walter auch. Wenn wir Differenzen haben, dann reden wir darüber, und zwar so lange, bis wir uns einig sind. So macht man das, wenn man erwachsen ist. Junge, du musst doch …“
„Also, Mama, du weißt Bescheid. Wenn was sein sollte, du hast meine Handynummer. Ich melde mich, wenn ich zurück bin.“
Ich liebe meine Mutter, ehrlich, aber mir war jetzt nicht nach Ratschlägen zumute. Ich nahm Koffer und Alli, schloss meine Detektei ab, stieg in meinen Porsche und machte mich auf den Weg in Europas Rosenstadt.
Es war früher Nachmittag, als ich die Autobahn verließ, und vorbei an einem riesigen Outlet-Center, auf dessen Parkplätzen sicherlich 3.000 Autos dicht an dicht standen, Richtung Stadt fuhr. Ich passierte den Rosengarten und die Rennbahn und erreichte kurz darauf, von meinem Navi geleitet, Hellas Adresse. Ich parkte den Porsche unmittelbar vor der Tür, ließ Alli raus und spazierte mit ihm den Randstreifen entlang, um ihm die Möglichkeit zum Pinkeln zu geben. Davon machte er ausgiebig Gebrauch; es schienen eine Menge Düfte vorhanden zu sein. Dann ging ich zurück und klingelte an der Praxis. Der Summer öffnete mir und aus dem hinteren Teil kam schnell eine attraktive Frau gelaufen.
„Deti? Ach, wunderbar, dass du da bist. Hast du schon etwas gegessen? Wie war die Fahrt? Hast du es gleich gefunden? Oh, ist das dein Hund? Der ist ja knuffig, wie heißt er denn?“
Erschlagen von so vielen Fragen auf einmal, blieb ich stehen und überlegte, wo ich mit den Antworten anfangen sollte.
„Ich weiß, ich weiß, ich rede zu viel“, kam mir Hella zuvor und lachte über meinen verwirrten Gesichtsausdruck. „Das legt sich, mach dir keine Sorge, ist nur am Anfang so, wenn ich noch etwas nervös bin. Also, schön dass du, äh, dass ihr da seid, herzlich willkommen.“
„Hallo Hella“, sagte ich, beugte mich vor, um sie rechts und links mit Küsschen auf die Wange zu begrüßen. „Das ist Alli, mein Dackel. Alli, das ist Hella, eine alte Schulfreundin von mir“, alberte ich, um die befangene Stimmung etwas aufzulockern. „Hallo Alli“, spielte sie mit, „freut mich, dich kennenzulernen, aber das ‚alte‘ nehme ich deinem Herrchen übel. Ist der immer so uncharmant?“
„Frag mal meine Freundin“, nickte ich resigniert, „auch wenn ich das jetzt wirklich nicht wörtlich gemeint habe, das mit dem alt.“
„Schon klar, habe ich auch nicht so aufgefasst. Also, hast du schon was gegessen? Vorschlag, wir gehen irgendwo hin, wo man draußen sitzen kann, essen eine Kleinigkeit und ich erzähle dir alles, was du wissen musst.“
„Einverstanden“, stimmte ich zu, „vorher müsste ich mir aber noch ein Hotel suchen. Ich bin jetzt erst einmal auf direktem Weg zu dir gefahren.“
„Du brauchst kein Hotel, ich habe ein Gästezimmer, in dem kannst du wohnen und Alli passt da auch noch rein.“
„Perfekt, wenn das kein Problem für dich ist, ich hasse Hotels.“
Eine viertel Stunde später saßen wir in Valentins Biergarten - in der Nähe der Rennbahn - und unterhielten uns angeregt. Die anfängliche Befangenheit war verflogen, wir frischten Erinnerungen auf, lachten über lange zurückliegende Ereignisse, dann wurde Hella ernst und kam auf den Grund meines Hierseins.
„Wie ich schon gesagt habe, macht seit einiger Zeit ein Hundehasser unsere Stadt unsicher, die ansonsten eher für Rosen und Pferde bekannt ist, als für Tierquälerei“, begann sie. „Mehrere Hunde sind bereits unter Qualen gestorben und weitere schwer verletzt worden. Alle Tierärzte der Stadt und der Umgebung sind in Alarmbereitschaft, jederzeit darauf vorbereitet, erneut ein Opfer dieses Irren behandeln zu müssen. Natürlich ist mehrfach Anzeige gegen Unbekannt erstattet worden und sowohl die Rheinpfalz als auch der Pfälzische Merkur haben ausführlich berichtet und Hundehalter gewarnt, aber es vergeht keine Woche ohne mindestens ein neues Opfer. Es ist einfach furchtbar.“ Hella hatte Tränen in den Augen und als sie bemerkte, dass ich sie verwundert ansah, nickte sie und sagte: „Meinen eigenen Hund konnte ich auch nicht retten, er gehörte zu den allerersten Opfern. Nele, ein Labrador, gerade mal ein Jahr alt.“ Sie griff nach ihrem Bierkrug, nahm einen tiefen Schluck, stellte ihn heftig zurück auf den Tisch und wischte sich mit einer energischen Geste die Tränen weg, die jetzt über ihre Wangen liefen. Danach stieß sie aus tiefem Herzen hervor: „Verdammte Scheiße, dieses verfickte Arschloch muss zur Rechenschaft gezogen werden!“
„Sehe ich auch so“, stimmte ich zu. „Ich könnte kotzen bei der Vorstellung, was die Tiere gelitten haben müssen. Ich glaube, wenn Alli durch so einem Schwein etwas passieren würde, ich wäre zu einem Mord fähig.“
„Das würde vielleicht etwas zu weit gehen“, lächelt Hella, wurde aber gleich darauf wieder ernst. „Die Polizei ist informiert, aber was kann die schon tun? Die können nicht hinter jeden Baum einen Beamten stellen. Bisher wissen wir nicht einmal, ob der Typ die Köder nicht einfach aus dem Auto wirft, oder vom Fahrrad schmeißt. Im Grunde genommen wissen wir gar nichts, außer, dass es Hackfleischbällchen sind, die er mit diversen Gemeinheiten präpariert. Neben Rattengift, Cuttermessern und Glasscherben haben wir bislang Nägel und Krampen gefunden. Zwei Hunde, bei denen es so aussah, als wären sie gerettet, starben im Nachhinein an inneren Blutungen, ausgelöst durch untemperiertes Glas. Das siehst du manchmal auf dem Röntgenbild nicht. Der Dreckskerl geht auf Nummer sicher; der will, dass die Hunde daran sterben.“
„Gibt es irgendeinen Hinweis darauf, dass es ein Mann ist“, wollte ich wissen, „oder ist das nur eine Vermutung?“
„Bauchgefühl, vielleicht auch Instinkt oder schlicht Vorurteile“, erwiderte Hella. „Niemand weiß es. Es könnte genauso gut eine Frau sein, auch wenn ich das einfach nicht glauben will.“
„Na ja“, widersprach ich, „Frauen können ganz schön brutal sein, das kannst du mir glauben. Ich habe davon in letzter Zeit eine Menge kennenlernen dürfen. Gehen wir also davon aus, dass wir keine Ahnung haben, ob der Täter männlich oder weiblich ist. Einverstanden?“
„Ja, sicher“ nickte sie und nahm erneut einen tiefen Schluck. „Was wir wissen ist, er oder sie scheint bestimmte Tage und bestimmte Wege zu bevorzugen. Bisher wurden Köder ausschließlich in der Innenstadt, also rund um den Rosengarten, den Exe und die Rennbahn gefunden. Bis auf eine Ausnahme, da sah es so aus, als hätte der Hund es in Homburg aufgenommen. Das Tier hat überlebt, und bei der Operation wurde eine Rasierklinge gefunden, die seinen Darm perforiert hatte, sonst nichts. Es könnte also gut sein, dass es sich nicht um den gleichen Täter gehandelt hat.“
„Du meinst, es laufen gleich mehrere derart kranke Typen hier rum?“, fragte ich konsterniert und Hella nickte.
„Ich weiß ja nicht, wie deine Erfahrungen so sind, aber ich persönlich bin der Meinung, dass die Menschheit immer verrückter wird. Keine Ahnung, warum, aber es vergeht doch kaum ein Tag ohne eine solche Giftköderwarnung. Ich meine, klar, viele Menschen tun alles für ihre Haustiere, Es sind Familienmitglieder, die gehegt und gepflegt werden, um die man sich liebevoll kümmert. Das ist okay, und manche tun auch zu viel des Guten. Sie vermenschlichen ihre Tiere derart, dass es schon fast tierschutzrelevant ist. Hunden wird das Fell gefärbt, man lackiert ihnen die Krallen, besprüht sie mit Parfüm und trägt sie in der Handtasche spazieren, damit sie nur ja nichts tun, was Hunde nun mal tun. Das ist das eine Extrem, und dann gibt es die, die Hunde hassen und sie mit präparierten Ködern aller Art vernichten wollen oder Katzen mit Luftgewehren abknallen, weil sie vielleicht ihr Geschäft in ihrem Garten verrichtet haben. Extreme natürlich, aber sie nehmen zu, auf beiden Seiten. Wie sieht es aus, nimmt Alli Fressbares vom Boden auf oder Leckerchen von Fremden?“
„Äh, beides, würde ich sagen. Er ist unglaublich verfressen, wird bei meiner Familie oft von Gästen gefüttert, und wenn er unterwegs einen stinkenden Knochen findet, sagt er auch nicht nein“, lachte ich. „Du wirst es nicht glauben, aber einmal hat er sogar ein menschliches Ohr gefunden und ich hatte echt Mühe, ihm das wieder aus den Zähnen zu ziehen.“ (Im Wingert lauert der Tod)
Hella schüttelte ungehalten den Kopf.
„Das ist überhaupt nicht witzig, weißt du das nicht? Genau das ist der Grund, warum so viele Hunde an diesen Scheißködern sterben. Ein Hund muss lernen, so etwas anzuzeigen, aber nicht zu fressen.“
„Nicht zu fressen?“, wiederholte ich ungläubig. „Wie soll ich ihn denn daran hindern? Außerdem … hast du mir nicht erzählt, dass auch dein eigener Hund … ich meine …“
„Ja, leider und darum ist es mir auch so ernst damit. Nele war noch jung und sie war ein Labbi. Verfressen ohne Ende, aber auch verspielt und unglaublich neugierig. Ich habe mit ihr trainiert, unterwegs nichts aufzunehmen, was ich nicht freigegeben habe, aber, nun ja, es roch wohl einfach zu verlockend. Es ist meine Schuld, ich hätte besser aufpassen müssen, aber dein Alli lebt noch, und du musst das trainieren, unbedingt. Ich werde dir heute Abend zeigen, wie das geht und dann müsst ihr das üben. Jeden Tag, an vielen verschiedenen Orten und dann muss das aufhören, dass wildfremde Leute ihn füttern, das geht einfach gar nicht.“
„Aha“, sagte ich, leicht angefressen, weil sie mir vorschreiben wollte, wie ich meinen Hund zu behandeln hatte. Passte mir gar nicht, schließlich hatte sie mich hergebeten, um ihr zu helfen, nicht umgekehrt.
„Sorry, wahrscheinlich denkst du gerade, dass ich mich um meinen eigenen Kram kümmern soll und dir nicht gute Ratschläge erteilen, stimmt’s? Aber du kannst mir glauben, wenn du deinen Hund sterben siehst, nur weil du nicht aufgepasst hast, dann werden dich später deine Schuldgefühle nicht schlafen lassen. Also, sei nicht beleidigt, sondern tu, was ich dir sage.“
Bevor ich etwas erwidern konnte, kam die Bedienung mit Wurstsalat und Bratkartoffeln, und wir vertieften uns eine Weile schweigend in unser Essen. Natürlich versuchte Alli etwas abzustauben, hüpfte, tanzte und fiepte, das volle Programm. Da alle seine Bemühungen von Hella ignoriert wurden, traute ich mich auch nicht, ihm etwas runterzureichen. Ihre Worte hatten mich verunsichert.
„Also, wenn du gern einen so aufdringlich bettelnden Hund hast, darfst du ihm natürlich was von deinem Essen abgeben, das ist kein Problem. Ich meine, abgesehen davon, dass stark gewürzter Wurstsalat ungesund für ihn ist“, unterbrach Hella grinsend meine Überlegungen.
„Nee, lass mal, ist schon gut, er frisst ja auch viel lieber Saumagen“, erwiderte ich, bemüht nicht beleidigt zu klingen.
Allis Ernährung war tatsächlich oft, na, sagen wir mal, suboptimal. Darüber hatte es schon so manchen Disput mit Tabea und Wiebke gegeben. Vor allen Dingen im Sommer bekam er oftmals Dinge, die er besser nicht bekommen sollte. Saumagen zum Beispiel. Da er ihn bisher aber immer gut vertragen hatte, ihm auch Pommes und Leberknödel keine Probleme zu bereiten schienen, hatte ich nie die Notwendigkeit gesehen, ihm diese Vergnügen zu verwehren. Schließlich war auch er ein Pfälzer, die brauchen das zum Leben. Als wir dann fast gleichzeitig unser Besteck auf den Teller legten, begriff auch mein Hund, dass er leer ausgehen würde und stimmte ein enttäuschtes Wuhuhuuuuu an. Er war ernsthaft empört. Das kannte er nicht von mir. Zumindest eine Kleinigkeit bekam er immer ab.
Hella sah verblüfft auf den schimpfenden Dackel und schüttelte amüsiert den Kopf. „Na, der hat dich aber wirklich gut erzogen. Gib’s zu, du hast jetzt ein mega schlechtes Gewissen.“ Sie wartete ab, bis ich zustimmend genickt hatte, dann sagte sie: „Hunde sind aber nun mal keine Menschen. Wenn es um Futter geht, sieht jeder zu, dass er das, was er hat, auf dem schnellsten Weg in den eigenen Magen befördert. Teilen ist da nicht vorgesehen, außer bei Elterntieren ihren Welpen gegenüber. Hast du mal versucht, deinem Hund einen Knochen wegzunehmen?“
„Was? Nee, nur ein Ohr. Wieso, ich meine, warum sollte ich? Ich nehme ihm nichts weg, was er hat, das gehört ihm.“
„Und wenn es etwas Ungenießbares ist? Giftig oder gespickt mit Glasscherben, was dann? Darf er es dann auch behalten, weil es ihm gehört und du ihm nichts wegnehmen möchtest?“
„Jetzt hör aber auf, das ist doch Quatsch. Es gibt einen Unterschied zwischen einem Knochen, den ich ihm gegeben habe und Gift oder so was …“
„Ja, für dich gibt es den, aber für deinen Hund doch nicht. Der würde energisch protestieren, möglicherweise unter Einsatz seiner Zähne. Er weiß nicht, dass es zu seinem Schutz ist. So was muss trainiert werden, Detlev. Echt, mag sein, dass du mich für übervorsichtig, hysterisch, oder für schlicht bekloppt hältst, aber glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Ich sehe es in meiner Praxis einfach zu oft, was passiert, wenn Hunde elementare Dinge nicht lernen. Und im Augenblick bin ich zusätzlich ausgesprochen sensibilisiert. So, jetzt müssen wir fahren, ich will Elfie nicht so lange allein lassen.“
Ich kam nicht dazu, sie zu fragen, wer Elfie war; sie stand schon auf und eilte auf den Parkplatz zu. Als ich sie kurz vor meinem Porsche erreichte, sah ich, dass sie wieder geweint hatte und legte schnell meinen Arm und ihre Schultern. Sie wehrte ab und sagte gewollt burschikos: „Lass gut sein, ich entwickele mich noch zur Heulsuse, aber Nele war so ein quicklebendiger, junger und zu allen freundlicher Hund. Dieses kranke Miststück hat keine Ahnung, was es da anrichtet.“
„Vielleicht doch“, überlegte ich laut. „Vielleicht ist es genau das, was der will. Vielleicht geht es ihm gar nicht in erster Linie um die Hunde, vielleicht geht es ihm um die Halter. Um deren Trauer und deren Schmerz. Was, wenn der Typ geplant vorgeht? Also genau weiß, wer, wann, mit welchem Hund wo langgeht und danach seine Köder verteilt?“
„Unwahrscheinlich“ antwortete Hella langsam. „Gerade in der Rosengartenstraße, der Wittelsbacher Allee, also rund um die Rennbahn, sind jeden Tag unzählige Hundehalter mit ihren Vierbeinern unterwegs, da ist es reiner Zufall, wen es trifft.“
„Kann sein, aber was, wenn er zum Beispiel genau weiß, dass gewisse Leute immer sehr früh morgens, oder aber spät abends diese Wege gehen? Würde das die Menge nicht deutlich einschränken? Ich meine, er nimmt einfach ein paar tote Hunde in Kauf, um sein eigentliches Opfer zu treffen, sozusagen als Kollateralschaden. Könnte das sein? Wann bist du denn immer mit Nele gegangen?“
Ich sah Hella an, dass es in ihrem Kopf ratterte. Dann zuckte sie die Schultern und sagte: „Na ja, es stimmt schon, ich bin immer, also zumindest unter der Woche, Punkt halb sieben mit Nele gelaufen. Sie brauchte Bewegung, um dann bis zu meiner Mittagspause schlafen zu können. Mittags habe ich sie nur im Garten rumtoben lassen, und nach Praxisschluss bin ich meist rausgefahren, damit sie nicht immer die gleichen Wege laufen musste. Es wäre also schon möglich, dass mich jemand beobachtet hat. Ich meine, falls deine Theorie stimmt und es sich um einen Racheakt am Halter handelt und es nicht einfach ein ganz gewöhnlicher Irrer ist, der Hunde hasst.“
„Da wir es nicht besser wissen, nehmen wir es erst mal als Arbeitshypothese und dann sehen wir weiter. Hast du unter deinen Patienten vielleicht jemanden, der dir nicht wohlgesonnen ist, mit deiner Behandlung unzufrieden war, dir Rache geschworen hat oder so was?“
„Na ja, es kommt natürlich schon mal vor, dass Patienten glauben, ich hätte einen Fehler gemacht und es kommt auch vor, dass ich tatsächlich Fehler mache, aber Rache geschworen hat mir deswegen noch keiner. In letzter Zeit gab es auch keine dramatischen Behandlungen oder so was, außer die beiden Hunde, die ich wegen aufgenommener Giftköder behandelt und verloren habe.“
„Sind beide gestorben? Wie haben die Besitzer es aufgenommen?“
„Ja, Keks, ein Jack Russel, war schon tot, als er gebracht wurde. Die Besitzer waren geschockt, haben mich gebeten, ihnen einen Tierbestatter zu nennen, das war’s. Wir haben uns völlig normal unterhalten, sie wussten auch, dass ich meine Nele verloren hatte und wir haben uns gegenseitig getröstet. Der zweite Fall, ein Mischling namens Micky, hat noch gelebt, starb aber, bevor ich mit meiner Untersuchung fertig war. Er muss den Köder am späten Abend aufgenommen haben. Die Halter sind schlafen gegangen und haben erst am Morgen bemerkt, dass mit ihrem Hund was nicht stimmt. Sie riefen gegen halb sechs an. Ich bin sofort in die Praxis gefahren und fast gleichzeitig mit ihnen dort eingetroffen. Micky blutete aus Fang und Anus und war ohne Bewusstsein. Es war einfach zu spät. Da war vor allen Dingen die Frau sehr verzweifelt und hat sich lange nicht beruhigen lassen, aber auch sie hat mir keiner Vorwürfe gemacht.“
„Hm, in welchem Zeitraum sind diese Hunde verstorben, also auch deiner?“
„Das war alles in der vorletzten Woche … warte mal, also, Nele ist am siebten August am frühen Nachmittag gestorben. Ich bin sicher, sie hat diesen Scheißköder bei unserem morgendlichen Gassigang aufgenommen. Sie war anschließend bis zum Mittag allein im Haus und als ich kam … na ja, es war zu spät, ich will dir das nicht alles im Detail erzählen. Keks kam dann genau eine Woche später und Micky am nächsten Tag. Die beiden könnten also tatsächlich einen zeitlichen Zusammenhang haben, Nele eher nicht. Ich kann mir nämlich kaum vorstellen, dass innerhalb einer Woche kein einziger Hund weitere, dort versteckte Köder gefunden hat.“
„Könnte es nicht sein, dass du nur nichts davon weißt? Ich meine, es gibt doch sicher noch andere Tierärzte hier in Zweibrücken?“
„Ja, das stimmt natürlich, ich weiß von mehreren Hunden, aber nach zeitlichen Zusammenhängen müsste ich meine Kollegen noch mal befragen. Das dürfte kein Problem sein, auch, ob es auffällig viele tote Krähen gegeben hat, werde ich fragen, denn die könnten ebenfalls was von dem Zeug aufgenommen haben, sind ja Allesfresser. Aber jetzt lass uns bitte erst mal fahren, sonst wird Elfie sauer.“
Hella wohnte in unmittelbarer Nähe der Praxis in der Erdgeschosswohnung eines Zweifamilienhauses. Ich parkte auf ihre Anweisung hin erneut vor der Praxis und wir gingen die wenigen Schritte zu Fuß.
„Komm rein“, forderte sie mich auf, nachdem sie die Haustür aufgesperrt hatte, „aber pass auf, dass Elfie nicht auf Alli tritt.“
Bevor diese Warnung meine Gehirnwindungen passiert hatte, kam etwas Dunkles auf mich zugeflogen, zwei Riesenpranken legten sich rechts und links auf meine Schultern, zwei Reihen beachtlich weißer Zähne blitzten auf, und eine sehr lange, sehr feuchte Zunge wusch mir das Gesicht.
„Das ist Elfie“, hörte ich entfernt die Stimme von Hella und war sicher, dass sie sich gerade köstlich amüsierte.
Zwischenzeitlich war es mir gelungen, diesen Hund von der Größe eines Ponys dazu zu bewegen, seine Pfoten wieder runter auf den Boden zu stellen, ohne Alli unter einer zu begraben. Den schien der Größenunterschied nicht sonderlich zu beeindrucken, jedenfalls bemühte er sich bereits eifrig darum, Elfies Hinterteil zu erreichen, um es ausgiebig zu beschnüffeln. Leider gibt es Dinge im Leben, die auch mit ausgefeilter Technik nicht zu lösen sind, und alle seine Bemühungen endeten kurz über Elfies Knien.
„Wie in Gottes Namen bist du auf die Idee gekommen, einen Irischen Wolfshund ausgerechnet Elfie zu nennen?“, fragte ich in die unbekannte Tiefe der Wohnung hinein, in der Hella verschwunden war.
„Wieso nicht?“, kam von Ferne die Antwort. „Du hast es doch gerade erlebt, sie kann fliegen wie eine Elfe, darum heißt sie Elfie.“
Zwischenzeitlich war es der Elfe offenbar aufgefallen, dass ihr neuer Verehrer sich redlich abmühte, alles Wesentliche über sie zu erfahren, ohne sonderlich erfolgreich zu sein. Einen Augenblick sah es so aus, als überlege sie angestrengt, dann knickte sie grazil ihre langen Beine ein und begab sich in Bauchlage. Alli überschlug sich fast vor Begeisterung, denn jetzt hatte er das Ziel seiner Wünsche unmittelbar vor der spitzen Dackelnase.
„Ich hoffe deine Elfie ist nicht gerade läufig, ansonsten wäre es vielleicht besser, du kämest mal zurück, um Schlimmeres zu verhindern“, rief ich etwas unsicher, aber da stand Hella schon in der Tür und lachte: „Keine Panik, sie ist nicht heiß, ansonsten wäre es vermutlich bereits zu spät und nicht mehr zu verhindern. Tiere sind da erfinderisch, wie du siehst.“
„Ich verstehe! Wo ein Wille ist, ist auch ein Gebüsch“, lachte ich und guckte fassungslos auf meinen sabbernden Dackel.
„Meinst du, du kommst für eine Weile hier allein klar? Ich muss noch für zwei Stunden in die Praxis, ich kann den Urs nicht alleine lassen und mein Vater ist zurzeit am Gardasee im Urlaub“, wollte Hella wissen, aber es hörte sich nicht wirklich wie eine Frage an.
„Na klar“, antwortete ich schnell, „das ist doch kein Problem, lass dich von mir bloß nicht stören.“
„Tue ich nicht! Komm mit, ich zeige dir noch schnell dein Zimmer und das Bad. Gegen 19 Uhr bin ich wieder hier. Du kannst dir schon mal überlegen, was du heute Abend gern unternehmen möchtest.“
Ich packte meine mitgebrachten Klamotten aus, ging ausgiebig duschen und legte mich dann, nur mit einem Handtuch ums Wesentliche gewickelt, auf das Bett. Dass ich einschlafen würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Aber ich wurde tatsächlich um 19. 15 Uhr von einer lachenden Hella geweckt. Wie ertappt sprang ich auf, das Handtuch trennte sich von meinen Hüften, und ich stand splitternackt mitten im Raum.
„Ist das ein Anmachversuch?“, fragte Hella amüsiert, anstatt peinlich berührt den Raum zu verlassen.
„Quatsch, nein“, beeilte ich mich zu versichern, während ich nach dem Handtuch griff, um es mir erneut um die Lenden zu schlingen. „Muss an der vielen frischen Luft liegen, die macht müde. Außerdem habe ich die letzte Nacht ausgesprochen schlecht geschlafen.“
„Schon gut, ist doch kein Ding. Worauf hast du denn jetzt Lust? Sollen wir was essen gehen, ich habe schon wieder Hunger.“
„Können wir machen, aber vorher muss ich mit Alli raus …“ Das Klingeln von Hellas iPhone unterbrach unsere Überlegungen und ich nutzte die Chance, um mich anzuziehen. Ich hatte gerade die Jeans oben, als Hella rief: „Sorry, ich muss sofort in die Praxis, offenbar hat es schon wieder einen Hund erwischt, willst du mit?“
„Was? Wen? Ich meine, ja klar, gerne. Kann ich Alli denn hier mit Elfie allein lassen?“
„Sicher, warum nicht? Elfie ist durch und durch friedlich und dein Dackel wird ihr schon nichts tun. Wenn es zu lange dauert, kannst du ja zwischendurch mal nach den beiden sehen.“
Ich lief hinter ihr her ins Wohnzimmer, warf einen Blick auf meinen Hund, der gemeinsam mit seiner neuen Flamme in einem Korb lag und schlief.
Hella war schon aus der Haustür und ich beeilte mich, ihr zu folgen. In der Praxis war noch niemand, aber sie hatte gerade erst ihre Gummihandschuhe übergestreift, als mit quietschenden Reifen ein Auto vor der Tür hielt. Noch bevor der Motor verstummte, knallte eine Tür und eine aufgeregte Frauenstimme rief laut um Hilfe. Ich wartete nicht auf Hellas Okay, sprintete aus der Tür und half einer etwa 60-jährigen, sehr fülligen weiblichen Person einen offensichtlich kranken Hund aus dem Kofferraum zu heben. Aus der Schnauze lief Blut und reichlich Blut war auch auf der Decke, auf der er gelegen hatte.
Auch Hella tauchte jetzt auf und dirigierte uns in ihr Behandlungszimmer.
„Das ist Bruno, sechs Jahre alt, reinrassiger Ridgeback und bisher kerngesund“, teilte sie mit, während sie sich bereits das Stethoskop in die Ohren steckte, um den Hund abzuhören. Danach schaute sie ihm ins Maul, roch sogar daran, drückte auf Zahnfleisch, Brustkorb und Bauch und legte ihm dann schnell und geschickt eine Infusion, was der geschwächte Hund widerstandslos über sich ergehen ließ.
„Das ist erst mal etwas zum Stabilisieren des Kreislaufs, damit er nicht kollabiert. Erzählen Sie, Frau Sänger, wo sind sie mit ihm gewesen und wie hat das angefangen?“
„Ich war in der Stadt ein paar Besorgungen machen, danach bin ich mit Bruno noch eine Runde am Schwarzbach langgegangen. Da trifft er immer viele von seinen Freunden, aber heute war kaum jemand unterwegs. Ich habe nicht gesehen, dass irgendwas passiert wäre oder so, aber plötzlich hat er ganz laut aufgeschrien und wollte nicht weiterlaufen. Ich habe gedacht, er hätte sich vielleicht was verstaucht oder wäre in eine Scherbe getreten, also habe ich seine Beine und die Pfoten untersucht, aber nichts finden können. Dann hatte er plötzlich Blut an der Schnauze und ich dachte, er hätte sich da vielleicht draufgebissen, weil er sich erschreckt hat. Wissen Sie, er ist ja auch so sensibel, erschrickt sich schnell und …“ Frau Sänger verstummte, dicke Tränen liefen über ihre Wangen und sie schniefte vernehmlich.
Hella nickte und lächelte ihr auffordernd zu. „Sie haben alles richtig gemacht, wie ging es weiter?“
„Wie es weiterging? Nun, er ist dann erst normal gelaufen, es war ja auch nicht mehr weit, aber gerade als wir mein Auto erreicht hatten, fing er mit diesen komischen Geräuschen an. Ich dachte er hustet, aber irgendwie war das anders und dann kam richtig viel Blut aus seiner Schnauze. Ich habe ihn darum schnell in den Kofferraum gehoben, was gar nicht so einfach war und Sie dann sofort angerufen.“
„Haben Sie vielleicht beobachtet, dass er irgendwas vom Boden aufgenommen hat?“
„Aufgenommen? Sie meinen, gefressen? Nein, ist mir nicht aufgefallen, aber Sie wissen ja wie Hunde so sind, die finden immer was. Und viele Leute füttern da auch die Enten, also liegt da oft Brot oder so was. Das will er immer haben, könnte also schon sein. Ach Gottchen, ich hätte besser aufpassen müssen, ich weiß, aber mein Mann hat mich angerufen und ich habe mit …“
„Gut, ich gebe Bruno jetzt erst einmal etwas zum Schlafen, denn ich muss ihn röntgen, es könnte sein, dass er etwas verschluckt hat, was die Blutung verursacht.“
In diesem Augenblick wurde sie von Bruno unterbrochen, der seinen Mageninhalt in einem Schwall auf den Tisch entleerte. Hella nahm einen hölzernen Spatel und begann das Ergebnis zu untersuchen.
„Hm, wann hat er das letzte Mal Futter bekommen? Oha, was ist das? Ja, habe ich mir gedacht, jetzt können wir nicht mehr warten, ich werde operieren müssen. Sie drehte sich um, zog eine Schublade auf und entnahm ihr eine lange Pinzette. Damit zog sie etwas aus dem Erbrochenen hervor und hielt es hoch. „Ein abgebrochenes Cuttermesser, wer weiß, was das angerichtet hat und ob da nicht noch mehr ist.“
Brunos Frauchen begann jetzt hemmungslos zu schluchzen und wollte sich offenbar über ihren Hund werfen, wurde aber von Hella daran gehindert.
„Schon gut, Frau Sänger, beruhigen Sie sich. Wenn wir Glück haben, ist noch nichts weiter in den Darm gewandert. Ich werde Bruno jetzt narkotisieren und eine Endoskopie durchführen, danach sehen wir weiter. Sie können da im Augenblick leider nichts tun, aber ich gebe Ihnen sofort Bescheid, sobald ich etwas weiß.“ Von einem kleinen Wagen nahm sie eine Ampulle, zog sie auf und fügte den Inhalt durch den Infusionskonus hinzu. „Bruno wird jetzt gleich einschlafen, Deti, hilfst du mir bitte, ihn rüber zu tragen?“
Ich nickte, nahm den bereits fast schlafenden, verdammt schweren Hund auf den Arm, trug ihn keuchend ins Nebenzimmer und legte ihn auf einem Metalltisch ab. Entweder, ich war mittlerweile sehr verweichlicht, oder die ältere Dame verfügte über ungeahnte Kräfte. Wie, in drei Teufels Namen, hatte sie diesen Hund in den Kofferraum bekommen? Ich nahm mir ernsthaft vor, nach Erledigung dieses Auftrags wieder sehr regelmäßig Sport zu machen.
„Das sieht nicht gut aus“, flüsterte Hella mir zu, „mit Sicherheit ist Bruno ein weiteres Opfer dieser präparierten Fleischbällchen. Und so wie der blutet, ist die Speiseröhre verletzt. Zwei von diesen Cuttermessern waren im Erbrochenen, außerdem Glassplitter. Verdammte Hacke, das muss aufhören, du musst diesen kranken Typen einfach zu fassen kriegen. Ich will nicht jeden zweiten Tag einen Hund in diesem Zustand sehen.“
Sie kritzelte etwas auf einen Block, der neben einem Monitor lag, reichte mir den Zettel und sagte: „Ruf da an und bitte Urs, umgehend wieder herzukommen. Ich werde operieren müssen und dazu brauche ich seine Assistenz.“
„Kann ich doch machen“, bot ich an, aber Hella schüttelte den Kopf.
„Bist du Tierarzt oder zumindest Humanmediziner, medizinisches Fachpersonal, Anästhesist? Nein, daher kannst du es nicht machen, also bitte, ruf meinen Kollegen an und sag ihm, er möge sich beeilen. Dann musst du mir bei der Endo helfen, das ist nicht schwierig.“
Ich zückte mein Smartphone, tippte die Nummer ein und als sich ein Hallo meldete, sagte ich meinen Spruch auf, bekam die Zusage, umgehend zu kommen und drückte auf Ende.
„Er sagt, er sei in fünf Minuten hier, was soll ich tun?“
Hella zeigte mir, wie ich Bruno in Position halten musste, damit sie das Endoskop einführen konnte. Sie starrte konzentriert auf einen Monitor, gab ab und an einen unverständlichen Laut von sich und ich kam mir ziemlich überflüssig vor.
„Hör mal“, sagte ich daher, „wenn dein Kollege kommt, bin ich hier nur im Weg. Wenn es dir recht ist, verschwinde ich, gehe mit Alli Gassi und wir treffen uns dann später bei dir Zuhause.“
„Hm“, machte Hella, und ich nahm es als Zustimmung. Kurze Zeit später erschien der Typ, den ich angerufen hatte, nickte mir zu und beachtete mich nicht weiter.
„Okay, ich bin dann mal weg“, sagte ich, bekam aber von keinem der beiden eine Reaktion.
Keinen Plan, ob es Frust war, Langeweile oder einfach das Bedürfnis, etwas von Tabea zu hören, auf alle Fälle rief ich sie an. Ignorierte, dass sie Abstand wollte und redete mir ein, dass der durch einen Anruf nicht gefährdet wurde. Es klingelte lange, bis sich schließlich die Mailbox meldete. War klar, sie ließ mich auflaufen, aber bitte, wenn sie es so wollte, das konnte ich auch. Launig ließ ich sie wissen, dass mich meine alte Freundin Hella gebeten habe, einen Auftrag in Zweibrücken zu übernehmen und ich daher bis auf weiteres bei ihr zu erreichen sei. Erst nachdem ich das losgeworden war, kam ich mir plötzlich blöd vor und hätte es gern zurückgenommen.
Es war fast 21 Uhr als ich die Haustür hörte und Hella hereinkam. Sie sah erschöpft aus, ließ sich in einen Sessel fallen und sagte: „Ich brauche einen Schnaps. Da drüben steht eine Flasche Grappa, mach dich mal nützlich.“ Als ich ihr wieder gegenübersaß, prostete sie mir zu und trank dann in einem einzigen Zug ihr Glas leer. „Das hat gutgetan“, sagte sie, „aber wenn das noch lange so weitergeht, werde ich zur Alkoholikerin. Bruno hat die Operation überlebt und fürs erste sieht es nicht ganz schlecht für ihn aus. Über den Berg ist er allerdings noch nicht, das hängt davon ab, ob wir wirklich alles an Glas entfernt habe, was er verschluckt hat. Seine Zunge, der Rachen und die Speiseröhre hatten einige Schnitte, aber der Magen war intakt. Zum Glück war er schnell in der Praxis und hat sich dann auch noch übergeben. Das Zeug hatte daher nicht viel Zeit, seinen Verdauungstrakt noch weiter zu zerstören. Wäre auch noch der Darm verletzt gewesen … ich glaube, das hätte er nicht überlebt. Zum Glück war Urs erreichbar und obendrein in der Nähe. So konnte er mir assistieren, vier Augen sehen auch in so einer Situation mehr als zwei. So, ich muss jetzt mal abschalten, sonst nehme ich das wieder mit ins Bett. Dann kreisen meine Gedanken, ich grübele endlos und an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Ich muss aber morgen früh wieder fit sein für die Praxis. Komm, lass uns in die City fahren und was essen.“
Nun wachte ich also am frühen Sonntagmorgen in ihrem Gästezimmer auf und Alli schien entschlossen, mich am Weiterschlafen zu hindern. Er jankte, tanzte auf den Hinterpfoten und war seltsam aufgedreht. „Gib Ruhe, Hund, sagte ich, „es ist noch zu früh zum Gassigehen, es ist erst sechs Uhr.“ Alli quittierte meine Ansage mit heftigem Gebell, danach lief er zur Tür und begann, sie mit den Pfoten zu bearbeiten.
„Hör sofort auf, du Spinner“, schimpfte ich, sprang aus dem Bett und öffnete die Tür einen Spalt breit. Sofort war er raus und ich sah ihn mit fliegenden Ohren den Flur entlangrennen.
Natürlich, ich hatte völlig seine neue Flamme Elfie vergessen, die hatte ihn offenbar um den Schlaf gebracht. Unschlüssig stand ich da, und hatte keinen Plan, was ich als nächstes unternehmen sollte. In der Wohnung war bis vor 30 Sekunden noch völlige Ruhe gewesen, die jetzt vom lauten Freudengeheul meines Dackels unterbrochen wurde. Auch Elfie gab einige begeisterte Töne von sich, die dazu führten, dass ihr verschlafenes Frauchen, nur mit Slip und T-Shirt bekleidet, in der Schlafzimmertür auftauchte.
„Was ist denn hier los, seid ihr verrückt, am frühen Sonntagmorgen einen solchen Lärm zu veranstalten?“, begehrte sie zu wissen und gähnte ausgiebig.
„Ist dein Hund immer so früh auf den kurzen Beinen? Elfie pennt bis in die Puppen, wenn ich sie nicht zum Aufstehen zwinge.“
„Alli steht nie früh auf, wenn er nicht muss, er scheint aber gerade unter juveniler Bettflucht zu leiden, seit er Elfie kennt“, lachte ich und bemühte mich krampfhaft, sie nicht anzustarren. Wieso war mir bisher nicht aufgefallen, wie krass sie aussah? „Was meinst du? Wenn wir schon mal wach sind, könnten wir doch mit den beiden einen Spaziergang machen. Das Wetter ist super und vielleicht fällt uns unterwegs was ein, wie wir diesen Misttypen erwischen können.“
„Ohne Kaffee gehe ich keinen Meter, das kannst du vergessen“, knurrte Hella und schlurfte in rosa Plüschpantoffeln in die Küche, um die Kaffeemaschine startklar zu machen.
„Auch gut, dann springe ich schnell unter die Dusche, danach hätte ich auch gern einen Kaffee“, stimmte ich zu und setzte mein Vorhaben in die Tat um.
Geduscht und rasiert erschien ich zehn Minuten später in der Küche, in der Hella, noch immer spärlich bekleidet, am Tisch saß. Vor sich eine große Tasse mit tiefschwarzem Kaffee.
„Mach dir selbst einen, ich bin zu müde“, ließ sie mich wissen und zeigte auf die Maschine.
„Kein Problem, aber soll ich nicht vielleicht Elfie mitnehmen und du legst dich noch einmal hin und schläfst dich aus? Was hältst du davon oder geht sie nicht mit Fremden?“
„Die geht mir jedem, kein Problem. Würdest du das wirklich machen? Das wäre wunderbar, ich bin so müde, ich glaube, ich könnte eine Woche am Stück schlafen“, seufzte sie und wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Na, dann machen wir das so“, bestimmte ich. „Lass mich grad meinen Kaffee austrinken, dann marschiere ich mit den beiden los und du gehst schlafen.“
Um Elfie das Geschirr anzuziehen, musste sie sich bücken und gewährte mir damit einen langen Blick auf ihren wohlgerundeten Busen. Als sie merkte, dass ich sie anstarrte, richtete sie sich auf, warf mir einen tadelnden Blick zu. Ich wurde leicht verlegen und versuchte schnell Alli Halsband und Leine anzulegen, während der wie ein Floh auf Speed um mich herumsprang. Da alter Porsche und Irisch Wolf größenmäßig nicht kompatibel waren, ging ich zu Fuß, es war nicht weit bis zu meinem Ziel. Ich wollte mir die Gegend um den Rosengarten ansehen, auch wenn ich nicht wusste, was ich mir davon versprach. Hätte ich auch nur geahnt, welche Kette von Ereignissen ich damit lostreten würde, ich hätte Alli ignoriert und einfach weitergeschlafen.