Читать книгу Wenn nichts ist, wie es scheint - Angelika Godau - Страница 6
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Max Bergmann ging absichtlich sehr früh joggen. Er mochte diese menschenleeren Straßen, wenn die Luft noch sauber war und wie frisch gewaschen wirkte. Vor allen Dingen mochte er die Ruhe. Das war etwas, wonach er sich sehnte, wovon er nie genug bekam. Unter der Woche, an seiner Maschine in einer metallverarbeitenden Fabrik, trug er sogar Kopfhörer, auch wenn seine Kollegen sich darüber lustig machten. Leider musste er die nach Feierabend absetzen, obwohl er sich so manchen Abend wünschte, er könnte sich darunter vor der lauten, vorwurfsvollen Stimme seiner Frau verstecken. Regina beklagte sich ständig über irgendwas. Ihr ganzes Leben schien eine Aneinanderreihung von Ereignissen zu sein, die nur dazu gemacht waren, sie zu kränken. Ihr Chef war ungerecht, bevorzugte immer die anderen, obwohl sie doch die einzige war, die in dem Laden wirklich arbeitete. Ihre Kolleginnen waren allesamt intrigante, selbstsüchtige Weiber, die nur ihren eigenen Vorteil im Auge hatten. Jeden Abend, wenn er nach Hause kam, schien sie bereits hinter der Tür auf ihn zu warten, um ihn sofort mit einem Schwall aus Klagen und Vorwürfen zu überschütten. Seit drei Jahren ging das nun schon, einzig Micky, der Hund, vor zwei Jahren aus dem Tierheim geholt, schien von ihrer Unzufriedenheit ausgenommen. Er machte niemals etwas falsch, er durfte alles, bekam alles, ihn überhäufte sie mit der Zärtlichkeit, die sie ihm verweigerte.
Früher war das anders gewesen. Früher, das klang, als wäre es eine Ewigkeit her, dabei waren sie gerade einmal sieben Jahre verheiratet. Sie hatten sich bei einer Veranstaltung im Rosengarten kennengelernt, waren ins Gespräch gekommen und hatten festgestellt, dass sie beide aus dem Norden der Republik stammten und den hier üblichen Dialekt nur rudimentär beherrschten. Sie hatten viel gelacht an diesem Abend, immer weitere gemeinsame Interessen entdeckt und sich bis über beide Ohren ineinander verliebt. Negative Erfahrungen, die sie beide bereits gesammelt hatten, wurden ausgeblendet und sie heirateten drei Monate nach ihrem Kennenlernen. Von wem diese Eile ausgegangen war, wusste er nicht mehr genau, er erinnerte sich aber daran, dass er sehr erleichtert gewesen war, die „Richtige“ endlich gefunden zu haben. Natürlich hatte er fest daran geglaubt, dass ihre Gefühle füreinander ewig währen würden. Ein einziger Abend, ein einziger Fehler, hatte alles verändert. Sein Fehler, und darum ertrug er ihre Launen, ihre Stimmungsschwankungen, ihre abweisende Haltung ihm gegenüber, mehr oder weniger klaglos. Es war eine Art Buße, die er sich auferlegt hatte, auch wenn er sich manchmal fragte, ob das nicht zu viel Leiden war für das, was er getan hatte. Etwas, das außerdem bereits vier Jahre her war und sich niemals wiederholen würde. Auf der Weihnachtsfeier der Firma hatte er, ganz entgegen seiner Gewohnheit, ein bisschen zu viel getrunken. Fröhlicher und offener als gewöhnlich hatte er mit der einen oder anderen Kollegin sogar ein bisschen geflirtet. Als gegen Mitternacht ausgerechnet Carola, auf die alle Männer im Betrieb abfuhren, mit ihm tanzte und sich in einer Art und Weise an ihn presste, die ihn ebenso verwirrte wie reizte, hatte er den Zeitpunkt verpasst, das gefährliche Spiel zu beenden. Sie hatten weiter getanzt, viel zu eng aneinandergedrückt, zwischendurch zu viel getrunken und das Verhängnis hatte endgültig seinen Lauf genommen. Seine einzige, klägliche Entschuldigung war, dass die Initiative allein von ihr ausgegangen war. Sie war es, die seine Hand genommen und ihn zum Parkplatz gezogen hatte. Sie war es auch, die seinen halbherzigen Einwand, er müsse jetzt nach Hause, lachend übergangen hatte und sich dann im Auto sofort den Pulli über den Kopf gezogen und seine Hose geöffnet hatte. Natürlich hätte er es verhindern, sich wehren müssen, nein sagen, schließlich war er glücklich verheiratet, aber er hatte geschwiegen. Stumm und verwirrt über das, was ihm da passierte, hatte er die Augen geschlossen und Carola gewähren lassen. Nicht einmal über eventuelle Folgen dieser ebenso spontanen wie völlig ungeschützten Nummer hatte er sich noch Gedanken gemacht, einfach nur den Augenblick genossen. Zumindest so lange, bis Reginas Gesicht am Autofenster aufgetaucht war. Den Ausdruck ihrer Augen würde er sein Leben lang nicht vergessen und das, was sie später gesagt hatte, auch nicht.
„Nichts wird je wieder so sein, wie es war“, hatte sie erklärt und seine Entschuldigungen und Beteuerungen mit einer Handbewegung zum Schweigen gebracht. „Das wirst du bereuen. Ich werde dir niemals verzeihen, niemals, verstehst du und wenn ich 100 Jahre alt werde. Du weißt ja, ich bin Skorpion, die vergessen nie, was man ihnen angetan hat.“
Anfangs hatte er noch gehofft, darauf vertraut, dass sie sich doch geliebt hatten, dass seine Frau mit der Zeit wieder zu ihm zurückfinden würde, aber es vergingen Monate und schließlich Jahre, ohne dass sich etwas geändert hätte. Da war er in seiner Verzweiflung auf die Idee mit dem Hund gekommen. Ihm war eingefallen, wie sehr sie sich ein Haustier gewünscht hatte, früher, als sie noch miteinander sprachen.
„Damit bist du immer angebunden, kannst nie etwas spontan entscheiden. Außerdem stinken die und haaren die Wohnung voll“, waren seine Argumente dagegen gewesen. „Außerdem, wenn wir erst Kinder haben, wirst du bestimmt froh sein, nicht obendrein für einen Hund sorgen zu müssen. Nein, nein, lass uns das auf später verschieben.“
Wenn er ehrlich mit sich selbst war, musste er aber zugeben, dass er nur ihre ungeteilte Aufmerksamkeit und Zuwendung behalten, und nicht mit einem Tier teilen wollte.
Heute wäre er schon mit der Hälfte an Zuwendung zufrieden gewesen, und so war er ins Tierheim gefahren und hatte sich aus den vielen angebotenen Kandidaten Micky ausgesucht. Warum? Weil er sich eingebildet hatte, in seinen Augen die gleiche Einsamkeit zu sehen, unter der er litt. Wie jeden Tag hatte Regina hinter der Tür auf ihn gewartet, um ihn mit ihren Klagen zu empfangen, aber die hatte sie alle vergessen, als sie Micky sah. Ab diesem Moment hatte sie sich verändert, ihre Stimme bekam wieder einen liebevollen, ja zärtlichen Klang. Leider galt das nicht ihm, sondern ausschließlich dem Hund. Für ihn änderte sich nichts, auch wenn er es immer wieder versuchte, immer wieder beteuerte, zu bereuen, was er getan hatte. Heilige Eide auf das Leben seiner Mutter schwor, es niemals wieder zu tun und alles dafür geben zu wollen, es ungeschehen machen zu können. Sie hörte zu, nickte und machte weiter wie bisher. Später hatte er mit Trennung, sogar mit Scheidung gedroht, ihr vorgeworfen zu übertreiben, Freude daran zu haben, ihn zu quälen. Sie hatte es hingenommen, kein Wort der Verteidigung, geschweige denn der Versöhnung war von ihr gekommen. Sie hatte den Hund an sich gedrückt und war aus dem Zimmer gegangen. In ihr eigenes, denn ein gemeinsames Schlafzimmer gab es schon lange nicht mehr, aus dem war sie noch in dieser verhängnisvollen Nacht ausgezogen. Und dann war Micky tot. Feige mit einem dieser schrecklichen Giftköder ums Leben gebracht, und natürlich war auch das seine Schuld. Er war es, mit dem er den letzten Spaziergang seines Lebens gemacht hatte. Er war es, der nicht aufgepasst, zugelassen hatte, dass der Hund etwas auf der Straße Gefundenes fraß. Regina wäre das nie passiert, sie ließ ihren Hund nicht eine Sekunde aus den Augen. Sie hatte ihm den Hund ohnehin nur wegen einer schweren Migräne anvertraut, und dann war Micky tot. All diese Anklagen hatte sie ihm noch im Auto entgegengeschrien, kaum, dass sie die Praxis der Tierärztin verlassen hatten. Umso verblüffter war er, als er jetzt die Wohnungstür öffnete und Regina singend in der Küche stehen sah. Er rieb sich die Augen, glaubte zu halluzinieren, aber das Bild blieb das gleiche.
„Hallo Max“, unterbrach sie ihren Gesang und wandte sich ihm zu. „Warst du schon so früh joggen? Ich dachte, wir könnten zusammen frühstücken und später auf den Markt gehen. Ich habe Lust uns heute Abend etwas zu kochen. Geh duschen, die Eier sind gleich fertig.“
Er war perplex, konnte sein Glück kaum fassen, beeilte sich aber, ihr zuzustimmen. „Ja, ich war laufen, es ist so schön draußen. Natürlich, wenn du willst, gehen wir auf den Markt. Ich bin gleich wieder da, ich beeile mich.“
Fünf Minuten später saß er Regina am Frühstückstisch gegenüber und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Er löffelte sein Ei, lobte die perfekte Konsistenz, erwähnte den guten, starken Kaffee und kam sich wie ein kompletter Idiot vor. Er sprach mit der Frau, mit der er seit sieben Jahren verheiratet war und fühlte sich wie ein Schuljunge. Regina tat nichts, seine Befangenheit zu beenden, sie aß und trank … und schwieg.
„Ähm, was wolltest du denn heute Abend kochen?“, nahm er einen erneuten Anlauf und nach einer Weile sagte sie: „Oh, ich hatte an Frikadellen und Kartoffelpüree gedacht. Mit vielen gebratenen Zwiebeln obendrauf, so wie du es gerne hast. Vielleicht noch grüne Bohnen oder einen gemischten Salat dazu.“
„Großartig, darauf werde ich mich jetzt den ganzen Tag freuen“, jubelte er. „Deine Frikadellen sind legendär, die kriegt niemand so hin wie du.“
Der Blick, den sie ihm zuwarf, hatte etwas von einem Forscher, der ein seltenes Insekt betrachtet. Dann lächelte sie, nickte und knabberte an ihrem Toast. Um den Strohhalm nicht zu verlieren, den sie ihm hingehalten hatte, bot er ihr Hilfe in der Küche an, fragte, ob sie beim Friseur gewesen sei, aber sie verfiel wieder in Schweigen und so gab er schließlich auf.
Als sie eine Stunde später den samstäglichen Wochenmarkt an der Alexanderkirche erreicht hatten, änderte sich ihr Verhalten plötzlich erneut, sie ergriff sogar seinen Arm und zeigte fröhlich auf die aufgebauten Zwiebelberge eines Händlers. „Die sehen gut aus, die werde ich kaufen.“
Der Bauer hatte bereits eine Tüte in der Hand und füllte sie geschäftig. „Was soll’s denn geben?“, fragte er und Regina ließ ihn wissen, dass ihr Mann besonders gern Frikadellen äße, dazu selbstgemachtes Kartoffelpüree und sie ihm das am Abend kochen wollte. „Fläschkischelcher mit Grumbeerbrei un ausgebäde Zwiwwle? Na, dann brauchen Sie aber noch Grumbeere, wieviel sollen es denn sein?“ Regina erstand zwei Kilo, bezahlte und der Bauer rief ihnen noch nach: „Ich wünsche einen guten Appetit und nicht zu viele Blähungen anschließend.“
An einem anderen Stand kaufte sie Hackfleisch und verkündete dann, sie habe nun alles und wolle wieder heim.
„Wollen wir nicht irgendwo einen Kaffee trinken gehen? Das Wetter ist so schön und wir waren lange nicht mehr zusammen …“
„Nein, heute nicht, ein anderes Mal vielleicht, ich möchte jetzt nach Hause, ich muss ja auch das Essen vorbereiten.“
Max konnte sich zwar nicht vorstellen, wieso sie dafür den ganzen Tag brauchen sollte, schwieg aber, um den Funken Hoffnung, den er im Herzen trug, nicht zu verlieren.
Schweigend fuhren sie nach Hause, schweigend verlief auch der restliche Tag. Seine angebotene Hilfe in der Küche lehnte sie ab, auch den Tisch wollte sie selbst decken, und so verzog er sich ins Schlafzimmer und machte ein Nickerchen. Später schaltete er die Sportschau an und freute sich über den sensationellen Sieg seiner geliebten Borussia gegen den FC Augsburg. Fünf zu eins gewonnen, das war geradezu perfekt und dazu passte, dass genau beim Abpfiff Regina in der Tür erschien und ihn aufforderte, zu Tisch zu kommen. Sie sagte tatsächlich zu Tisch, was ihm merkwürdig vorkam. So merkwürdig, wie dieser ganze Tag. Seine Verwunderung nahm weiter zu, als er das Esszimmer betrat.
Der Tisch war gedeckt wie an Weihnachten. Das gute Geschirr und Kerzen in der Mitte. Tiefroter Wein funkelte in den Kristallgläsern, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte und die er scheußlich fand. Selbst das Silberbesteck schien sie geputzt zu haben, und auch sie selbst sah toll aus. Ein ihm unbekanntes enges, dunkelblaues Kleid aus weichem, fließendem Stoff umspielte vorteilhaft ihren sehr schmal gewordenen Körper. Er starrte sie mit offenem Mund verblüfft an.
„Setz dich doch Max“, lächelte sie, „alles ist fertig, lass es dir schmecken.“ Damit hob sie ihr Glas und prostete ihm zu.
Er hätte lieber ein Bier getrunken, was ja auch entschieden besser zu dem deftigen Gericht gepasst hätte, aber er schwieg und trank ihr zu. Der Wein war schwer und hinterließ ein seltsam pelziges Gefühl auf seiner Zunge, aber da er kein Kenner war, sagte er nichts darüber.
Regina füllte seinen Teller mit zwei knusprig - braunen Frikadellen und einem kleinen Berg Püree, auf den sie wie eine Mütze geschmälzte Zwiebeln packte. Dazu reichte sie ihm einen bereits zusammengestellten Salatteller.
„Ich hoffe, er schmeckt dir, ich habe das gute Olivenöl aus Kreta und den teuren Balsamicoessig für das Dressing benutzt. Du weißt ja, Öl und Essig sind das A und O für jeden guten Salat.“
„Das stimmt, da hast du wirklich recht“, stimmte er eilfertig zu, auch wenn er keine Ahnung hatte, ob das der Wahrheit entsprach. „Es schmeckt einfach wunderbar, vor allen Dingen die Frikadellen sind dir hervorragend gelungen.“
„Ja, das finde ich auch“, stimmte Regina ihm kauend zu. „Das muss an den Zwiebeln liegen, die haben einen sehr kräftigen Eigengeschmack.“ Wieder erhob sie ihr Glas und animierte ihn zum Trinken. Als er es leergetrunken hatte, überlegte er, ob er sich ein Bier aus dem Kühlschrank holen konnte, aber Regina kam ihm zuvor und schenkte Wein nach.
Nach einer halben Stunde schwirrte sein Kopf und der Gürtel drückte unangenehm in der Magengegend. Er hatte eindeutig zu viel gegessen, und dazu dieser schwere Rotwein, das war er nicht gewohnt. Regina saß ihm lächelnd gegenüber und schien sich ausgesprochen wohl zu fühlen. „Was ist? Geht es dir nicht gut? Hat es dir nicht geschmeckt?“
„Oh doch, natürlich hat es mir geschmeckt, darum habe ich vermutlich auch zu viel gegessen und der Wein ist mir zu Kopf gestiegen, glaube ich. Du weißt ja, ich trinke nur selten Alkohol.“
„Ja, aber wenn, dann weißt du nicht mehr, was gut für dich ist“, antwortete sie und selbst sein beschwipster Verstand registrierte den bitteren Unterton.
Jetzt wurde ihm noch heißer und er spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. „Regina“, bat er, „bitte lass uns doch jetzt nicht wieder mit dieser alten Geschichte anfangen. Ich weiß, ich habe einen schlimmen Fehler gemacht, und ich würde alles darum geben, ihn ungeschehen machen zu können. Kann ich aber nicht, also …“
„Also hast du als Zugabe auch noch meinen Hund vergiftet!“
Irgendwie fanden ihre Worte keinen Zugang zu seinem Gehirn. Er hörte sie, aber er verstand sie nicht. Was hatte denn jetzt der Hund mit seinem Seitensprung zu tun?
„Wie meinst du das? Wieso? Ich meine, ich habe doch nicht …“
„Doch hast du, da bin ich mir ganz sicher. Du hast es nicht ertragen, dass ich wieder glücklich war, dass ich Micky geliebt habe. Du musst alles zerstören, so wie du unsere Liebe zerstört hast, musstest du auch meine Liebe zu diesem unschuldigen Wesen zerstören.“
Sie hatte sich in Rage geredet, hektische rote Flecken breiteten sich über ihr Gesicht und den Hals aus und die Haare lösten sich aus der Spange.
„Ich verstehe dich nicht, Regina, wirklich. Ja gut, vielleicht habe ich nicht genug aufgepasst, vielleicht hätte ich es verhindern können, aber du kannst doch nicht sagen, ich hätte deinen Hund…“
„Und ob ich das sagen kann! Ich habe dich beobachtet, wenn du joggen gegangen bist. Ich habe genau gesehen, dass du Dinge fallenlassen hast, aber ich habe zu spät begriffen, was das war. Du bist dieser Dreckskerl, der Hunde vergiftet, der auch meinen Micky umgebracht hat.“
„Regina! Du weißt nicht mehr, was du sagst. Ich würde doch nie im Leben einem Hund etwas zu Leide tun. Du weißt, ich bin ein Tierfreund, ich füttere sogar die Krähen und die Enten, obwohl das verboten ist. Es war nur Brot, was ich geworfen habe, Brot, sonst nichts. Du hast mir einfach immer zu viel eingepackt und ich wollte es nicht wegschmeißen, also habe ich es an die Tieren verfüttert.“
Mittlerweile war ihm sterbensübel, sein Kopf dröhnte und der Schweiß lief ihm über das Gesicht.
„Das höre ich mir nicht länger an, das geht jetzt wirklich zu weit, Regina. Ich habe einmal einen Fehler gemacht, das habe ich nie bestritten und dafür hast du mich seither an jedem einzelnen Tag bestraft, aber hier ist für mich Schluss.“
Er stand auf, stieß dabei seinen Stuhl um und verließ mit schnellen Schritten den Raum und die Wohnung. Ihm war sterbensübel und er wusste nicht, ob von zu viel Wein, zu viel Essen oder von dem, was Regina ihm unterstellt hatte. Er brauchte frische Luft, musste seinen Kopf wieder klarkriegen und überlegen, was er als nächstes tun sollte. So viel stand für ihn fest, das konnte er nicht hinnehmen, dafür musste Regina sich bei ihm entschuldigen, und zwar ernsthaft. Irgendwo gab es auch für ihn eine Grenze und die hatte seine Frau heute Abend überschritten.
Er lief Richtung Innenstadt, schaffte es taumelnd, den Herzogplatz zu überqueren und ließ sich schließlich erschöpft auf eine Bank fallen. Er hatte keinen Blick für die architektonische Schönheit der barocken Gebäude, sein Mund brannte wie Feuer, und seine Eingeweide krampften sich immer heftiger zusammen. Nur mit größter Anstrengung gelang es ihm, den aufsteigenden Brechreiz zurückzudrängen. Ich bin krank, ich brauche einen Arzt, dachte er verwundert, doch dann kam ihm schlagartig die Erkenntnis. So ungeheuerlich, dass er sich kaum traute, weiter zu denken. „Sie will meinen Tod, sie hat mich vergiftet“, flüsterte er und suchte in den Taschen seiner Jacke verzweifelt nach dem Handy. Er fand es nicht und ihm fiel ein, dass er es neben seinem Bett abgelegt hatte, um Fußball zu gucken. Borussia hat gewonnen, war sein letzter Gedanke, bevor er das Bewusstsein verlor und von der Bank fiel.