Читать книгу Tobias, ich schreib Dir ein Buch - Angelika Nickel - Страница 7

Kapitel 5: Spiel mit mir

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Zornig warf Tobias die Tür hinter sich zu.

»So eine Scheiße, warum muss ich jetzt ins Bett? Ich bin doch noch nicht mal müde!«, schimpfte der Junge vor sich hin. Voller Wut ging er ins Badezimmer, das sich angrenzend an seinem Zimmer befand. Er putzte, schrubbte, seine Zähne, dann warf er seine Klamotten quer durchs Bad. Anschließend machte er die Dusche an und stieg darunter. Lange ließ er das Wasser über sich laufen. Die Wärme des Wassers ließ die Duschkabine beschlagen, so dass Tobias auch nicht lange brauchte, bis er auf die Idee kam, Gespenster und Hexen auf die angelaufenen Duschkabinenwände zu malen. Doch dann fiel ihm ein, dass seine Mutter gesagt hatte, dass es das alles nur in Märchen geben würde. Erneut stieg der Zorn in ihm auf. Mit der Handfläche wischte er die Figuren wieder weg, dann verließ er die Dusche, trocknete sich ab und besah sich im Spiegel. – Ein kleines Bäuchlein hast du ja schon –, dachte er. Aber dann grinste er seinem Spiegelbild entgegen und hüpfte in seinen Superman-Schlafanzug. Anschließend ging er in sein Zimmer. Er lief zum Fenster und sah hinaus. Aber außer der großen Parkanlage konnte er nichts sehen, was gespenstisch oder hexisch aussah. Seufzend ging er in sein Bett und ließ sich in dieses hineinfallen. Vom Bett aus sah er all seine vielen Kartons, die er morgen auspacken musste. – Ich werde mal Stefanie fragen, vielleicht hilft sie mir ja dabei? –, überlegte er. Dann drehte er sich zur Wand und zog sich die Decke über den Kopf.

Tobias war fast eingeschlafen, als er ein Weinen hörte. Ein fast unhörbares, aber sehr trauriges Weinen. Irgendwie hatte Tobias das Gefühl, dieses Weinen heute schon einmal gehört zu haben. Nein, es war nicht heute, es war gestern. Gestern, als er mit Emilie unten im Keller war. Genau da hatte er dieses Heulen schon mal gehört. Tobias warf die Decke von sich und setzte sich aufrecht in seinem Bett hin. Er sah sich in seinem Zimmer um, doch er konnte nichts sehen. Enttäuscht zuckte er mit den Schultern und legte sich wieder hin. Gerade als er wieder am Einschlafen war, hörte er eine traurige Stimme.

»Warum legst Du Dich wieder hin? Ich versuche schon den ganzen Tag Dich auf mich aufmerksam zu machen. Gut, zuerst nicht, da habe ich versucht mein Weinen zu unterdrücken, aber das gelang mir nicht. Immerhin, wie auch, ich weine ja schon seit vierhundert Jahren, da gibt man das nicht von heute auf morgen auf. Aber jetzt, jetzt bin ich hier bei Dir und Du beachtest mich so gar nicht. Dabei habe ich doch heute gehört, wie Du Deine Mutter erzählt hast, dass Du mich suchst. Und hier bin ich. Aber jetzt siehst Du nicht einmal nach mir. Im Gegenteil, Du tust gerade so, als sei ich Luft, als gäbe es mich gar nicht. Als wenn ich gar nicht hier wäre. Aber ich bin hier, genau hier! Komm, spiel mit mir. Warum willst Du nicht mit mir spielen?« Immer lauter weinte die Stimme.

Tobias sprang, wie von der Tarantel gestochen, aus seinem Bett. Er drehte sich in seinem Zimmer, als wäre er sein Kreisel. Mit schnellem Blick versuchten seine Augen sein Zimmer zu durchforschen. Aber er konnte nur verschwommen sehen. Schnell griff er zu seinem Nachttisch und zog seine Brille zu sich her, setzte sie auf. Nun war seine Sicht klarer. Aber erkennen konnte er dennoch nichts. Für Tobias sah noch immer alles gleich aus.

Dann, dort drüben in der Ecke, was war das? War es Nebel? Hier, in seinem Zimmer? Unmöglich. Doch was sonst konnte es sein? Hatte seine Mutter womöglich einen ihrer hauchdünnen Vorhänge hier aufgehängt? Bloß nicht, denn diese Dinger hatte er noch nie leiden mögen. Plötzlich hörte er es wieder. Das Weinen.

»Spiel mit mir, Junge. Warum willst Du nicht mit mir spielen? Ich bin hier, hier drüben. Siehst Du nicht, ich sitze auf Deinem Bett.«

»Wer bist Du? Und auf meinem Bett kann ich mal gar nichts sehen. Zeig Dich doch, wenn Du da bist. Immerhin hast Du ja mich angesprochen, und nicht ich Dich.« rief Tobias in den Raum hinein, wobei er seinen Blick nicht mehr von seinem Bett ließ.

»Du kannst mich nicht sehen? Soll das heißen, dass ich in den vergangenen vierhundert Jahren unsichtbar geworden bin? Oh nein, bloß nicht. Wie sollen wir denn dann miteinander spielen können, wenn Du mich gar nicht sehen kannst?« Das Weinen wurde lauter und verzweifelter.

»Woher soll ich das wissen? Du willst doch mit mir spielen, jetzt, mitten in der Nacht. Dann musst Du Dir auch überlegen, wie ich Dich sehen kann. Du kannst mich doch sehen, oder etwa nicht?«

»Ja, Tobias, ich kann Dich sehen. Aber was kann ich nur tun, um dass auch Du mich sehen kannst?« Erneutes Klageweinen durchdrang Tobias´ Zimmer.

Tobias war froh, dass das Schlafzimmer seiner Eltern ganz weit in einem anderen Flügel des Schlosses lag, denn bei dieser Heulerei hätte es ansonsten nicht lange gedauert und seine Mutter wäre ihm auf der Matte gestanden. Und wie hätte er ihr das Ganze erklären sollen? Womöglich mit – Mama, hier ist ein Geist. Ich kann ihn zwar nicht sehen, aber er heult an einem

Stück? – Das hätte sie ihm niemals geglaubt, dazu kannte er seine Mutter zu gut. Im Gegenteil, dann wären die Es-gibt-keine-Geister-Belehrungen aufs Neue wieder losgegangen. Und darauf hatte er keine Lust. Wenn er dieses Thema wieder aufnehmen würde, dann wäre es erst in dem Moment, in dem er ihr das Gegenteil würde beweisen können.

»Ich kann Dich nicht sehen. Vielleicht bist Du ja auch nur zu spät dran, denn die Geisterstunde ist doch bereits vorbei.« flüsterte Tobias in Richtung seines Bettes.

Wieder ertönte lautes jämmerliches Weinen. Noch wehleidiger, noch trauriger.

Tobias lief zu seinem Bett hin. Auch wenn er nach wie vor niemanden auf seinem Bett sehen konnte, so tat ihm dieser Jemand doch leid. Beim Näherkommen stellte er fest, dass er wieder etwas Nebelartiges sah. Tobias blieb stehen, betrachtete sich das Ganze genauer. Die Schwaden woben immer um ein und den selben Punkt. Tobias kniff die Augen zusammen. Konnte es sein? Konnte es tatsächlich sein, dass hinter, unter, den Schwaden sich die Gestalt eines Jungen hervorschälte, ausmachte? Tobias ging noch näher an sein Bett, noch dichter zu dem Nebel hin. Ja, es war ein kleiner Junge, der sich unter diesem versteckte.

»Du musst diesen Nebel um Dich herum abstellen, dann kann ich Dich auch richtig sehen, hörst Du?«, schlug Tobias dem nebeleingehüllten Wesen vor.

»Glaubst Du, dass ich das kann? Hab ich Dir eigentlich schon gesagt, wie ich heiße?«, fragte die Stimme von seinem Bett.

»Nein, hast Du nicht. Aber ich hab Dir ja auch nicht gesagt, wie ich heiße. Und da ich hier wohne, sollte ich mich wohl zuerst bei Dir vorstellen. Ich bin Tobias van de Ströhm. Meine Familie und ich sind erst vorgestern hier eingezogen. Und was hat Dich hierher verschlagen?«

»Ich wohne auch hier und schon viel länger als Du. Seit über vierhundert Jahren. Und mein Name ist Schniefer...«

»Schniefer? Das ist aber ein komischer Name...«

»Den haben mir die Geister der Vergangenheit gegeben, weil ich immerzu am Heulen bin, deswegen Schniefer, denn wenn sie immer mit mir schimpfen, die Geister, dann versuche ich das Heulen zu unterdrücken und dann schniefe ich, weißt Du«

»Es gibt hier noch mehr Geister? Und Du kannst sie sehen?«

»Nein, ich kann sie nur hören, aber sehen kann ich sie nicht. Du bist seit vierhundert Jahren die erste Gesellschaft, die ich habe.« weinte der Geist.

»Ach, das ist aber schade. Schniefer, sagst Du? Du hast doch aber bestimmt auch einmal einen anderen Namen gehabt, damals als Du noch gelebt hast. Oder hast Du gar nicht gelebt? Bist Du schon immer ein Geist gewesen? Sag, komm erzähl mir ein bisschen mehr von Dir, das interessiert mich nämlich brennend.« bat Tobias den Geist Schniefer.

»Gelebt? Doch, ich glaube schon, dass ich auc hmal gelebt habe, so wie Du, aber dann...«

»Was, Geist Schniefer, was war dann? Los, rede, ich habe nicht jeden Tag die Gelegenheit etwas über Geister zu erfahren. Los, erzähl´, rede, was meinst Du, was willst Du mit – aber dann – sagen?« Tobias stand vor seinem Bett und redete zu diesem, zumindest hätte es auf jeden anderen, der ihn so hätte sehen können, so gewirkt.

»Ich weiß es nicht mehr so genau. Immer, wenn ich versuche mich daran zu erinnern, dann fühle ich mich ganz schlecht und alles um mich herum wird dunkel. Ich habe schon so oft versucht von den anderen Geistern etwas mehr zu erfahren, aber sie legen dann immer ganz erschrocken ihre Geisterfinger auf ihre Geistermünder und flüstern hinter diesen hervor, dass ich schweigen soll, dass ich das Unheil nicht noch mehr heraus provozieren soll...«

»Aber, Du kannst doch die anderen Geister gar nicht sehen.«

»Ja, aber ich kann sie fühlen. Und Geister fühlen anders, weißt Du? Geister fühlen sehend...«

»Schweigen sollst Du? Das sind aber komische Regeln bei Euch Geistern. Ja, und was machst du dann, Schniefer?«

»Was ich dann mache, willst Du wissen, Tobias? Was sollte ich denn dann schon machen? Ich habe dann immer geschwiegen, bis heute. Aber jetzt bis ja Du da, da habe ich wenigstens jemanden, der mit mir redet. Vielleicht spielst Du ja auch mal mit mir.«

Hoffnungsvoll sahen die Geisteraugen durch den nebenlartigen Smog, der sie umgab.

»Ja, wenn Du willst, dann können wir auch mal zusammen spielen. Aber zuerst solltest Du mal versuchen für mich richtig sichtbar zu werden. Aber nur für mich, nicht für die anderen, denn die brauchen Dich vorerst nicht zu sehen. Und wenn Du erst mal sichtbar bist, dann sollten wir mal versuchen herauszufinden, wer Du mal warst, wie Du geheißen hast.«

»Wie glaubst Du denn, dass ich mich sichtbar machen soll?«, fragte der Geist.

»Das weiß ich auch nicht, denn ich bin bisher noch nie ein Geist gewesen, noch einem begegnet. Aber wenn ich Du wäre, dann würde ich mal versuchen ganz gest daran zu denken sichtbar werden zu wollen, wer weiß, vielleicht klappt das dann ja auch. Und wenn nicht, dann hast Du ja noch ganz viele Stunden zum Üben, denn ich muss jetzt erst mal schlafen, denn was glaubst Du, was später los sein wird, wenn ich nicht rechtzeitig wach werde und mein Zimmer nicht in Ordnung bringe?! Also, lass mich jetzt bitte schlafen. Du kannst ja mal das Sichtbarwerden üben...«

»Aber wie soll ich das denn machen? Ich kann mich doch gar nicht selbst sehen.«

»Schniefer, komm, ich mach Dir mal die Badezimmertür auf, dort drinnen ist ein großer Spiegel. Vor dem kannst Du ja mal üben. Und wenn Du dann sichtbar bist und es frühestens sieben Uhr morgens ist, dann darfst du mich auch wieder wecken.« Tobias wollte gerade aus seinem Bett, als Schniefer sagte: »Du brauchst mir nicht die Tür öffnen, ich komme auch so hindurch. Nur aus dem Kellergewölbe, da ist es mir nie gelungen herauszukommen, aber dorthin bin ich ja auch versperrt worden...«

»Du meinst mit Sicherheit eingesperrt worden. Nicht versperrt. Aber hör zu, ich muss jetzt unbedingt schlafen, Schniefer. Bitte, geh Du jetzt ins Bad und später reden wir weiter. Uns wird schon einfallen, wie Du sichtbar werden kannst. Aber jetzt: Gute Nacht.«

Schniefer verließ Tobias´ Bett und war im nächsten Moment in Tobias´ Badezimmer verschwunden und versuchte vor dem Spiegel Erscheinungsübungen. Aber so sehr er sich auch anstrengte, es gelang ihm nicht. Er konnte sich nicht im Spiegel sehen. Traurig setzte er sich in die Duschkabine und schlief ein.

Auch Tobias brauchte, trotz seinem abenteuerlichen Nachterlebnis, nicht allzu lange, bis er eingeschlafen war. In dieser Nacht träumte er von Geistern, von ganz vielen Geistern, die im Schloss seiner Eltern umherspukten und die versuchten Schniefer zu fangen, ihn wieder im Kellergewölbe einzusperren.

In dieser Nacht schlief Tobias so unruhig, dass er am Morgen, wenn er erwachen würde, sich mit Sicherheit darüber wundern würde, weshalb das Bettzeug, die Bettwäsche, von seinen Federbetten gezogen war. Denn durch sein Hin- und Herdrehen, kam er an die Knöpfe der Bettwäsche, so dass diese durch die Knopflöcher rutschten. Und so war es für die Bezüge ein Leichtes von den Kissen und Decken herunterzurutschen.

Tobias, ich schreib Dir ein Buch

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