Читать книгу Braco - kleiner Bruder, großer Engel - Anina Toskani - Страница 6

Begegnungen mit Braco, Livestream & ein silberner Hoffnungsstreifen am Horizont

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Am 30. Juli 2013 erlebten Deli und ich gemeinsam die ersten Livestream Sitzungen mit Braco, denn, durch Spenden von Braco Anhängern, konnte Braco, mit einem kleinen Kamerateam, endlich, aus seiner Heimat, überall in die Welt, seinen Blick auf Computer übertragen. Angelika Whitecliff hatte dies zuerst, von Hawai aus, mit Braco ausprobiert. Dann ging es um die Welt und wurde erfolgreich zur neuen Möglichkeit, mit Braco in Blickkontakt zu treten.

Deli und ich profitierten davon, denn 2013 gab es am 30. Juli Livestream Sitzungen mit Braco aus Zagreb. Wir saßen beide daheim, gespannt, vor dem Computer. Um Braco herum, sah ich so viel helles Licht, bei seinen Auftritten vor der Kamera, dass ich dachte, das kleine Zimmer, in dem wir vor dem Computer saßen, sei ebenfalls von Licht erfüllt. Wieder einmal kippte ich fast vom Stuhl neben Deli, die mich geistesgegenwärtig mit ihrer tiefen Stimme rechtzeitig aus dem Halbschlummer weckte und so vor dem Herabrutschen vom Stuhl und einer hypnotischen Tieftrance bewahrte. Deli blieb bei den live Übertragungen stets ungerührt vor dem Bildschirm sitzen. Sie saß da, so cool wie manch ein pubertierender Teenager, der vorgibt, dass ihn nichts beeindrucken kann. Deli wirkte oft so skeptisch, als glaube sie den ganzen Zinnober nicht, was sie auch oft, ungeniert, sagte. Sie nahm nie ein Blatt vor den Mund. Ich nahm das nur zur Kenntnis, lächelte und schwieg. Trotzdem verfolgte Deli aufmerksam die endlosen Zeugnisse der Teilnehmer über Heilungen. Ich spürte deutlich, dass sie jedes Mal von der hellen Energie etwas in sich aufnahm, denn, wenn ich sie, anschließend, nach Hause begleitete, war sie guter Dinge und lächelte glücklich, was sonst im Alltag fast nie vorkam. Dann gelang es mir auch leichter, sie am Wochenende zu einem schönen Waldspaziergang mit nach draußen zu locken oder im Sommer sogar in unser nahegelegenes Freibad zu entführen. Dass sie mit 90 Jahren noch so fit war und mit mir schwimmen gehen konnte, war wirklich eine tolle Sache. Ich war dankbar für all diese Kleinigkeiten, sie waren wie Juwelen im Alltag, wenn ich sah, wie andere Senioren gebrechlich und ängstlich, mit ihrem Rollator auf der Straße, an uns vorbeigingen.

Als Deli schließlich zusagte, mich Ende Juli 2013 nach Stuttgart Böblingen zu begleiten, hüpfte mein Herz, denn ich wusste aus meiner ersten eigenen Erfahrung, dass die persönliche Begegnung mit Braco eine besonders tiefgreifende Wirkung auf schwerkranke Menschen haben kann. Ich freute mich so, dass meine Freude Deli einfach ansteckte. Trotzdem befahl ich mir selbst, keinerlei Erwartungen zu hegen und zu akzeptieren, wenn Deli im letzten Moment doch nein sagen sollte, falls der Satan des passiven Widerstandes ihr wieder im Nacken säße. So hatte ich es mir fest vorgenommen. Ich erklärte Deli am Abend vorher, ich würde sie telefonisch durch dreimaliges Klingeln wecken, damit sie gegen halb fünf Zeit habe, in Ruhe wach zu werden und aufzustehen. Dann würde ich gegen fünf das Auto vor dem Haus gegenüber auf dem Parkplatz parken und sie abholen, sodass wir zusammen dort einsteigen konnten. Gesagt, getan! Als ich bei Deli um kurz vor fünf ankam, war sie schon angezogen und startbereit. Das war bei ihrem sonstigen Widerstand gegen jede Unternehmung ein wahres Wunder für mich. Ich zeigte auf unseren Rotkäppchen-Korb und sagte fröhlich: „Die Hasenbrote für unterwegs mit dem Tee sind hier!“ So nennen wir seit Omas Zeiten die belegten Brote vom Vortag, die wir gern zum Picknick mitnehmen. Deli lächelte.

Bei unserer Ankunft würden wir genug Zeit für ein gemütliches Frühstück haben. Blumen hatte ich auch schon am Abend vorher beim Gretl Markt gekauft und im Kofferraum verstaut. Seit Deli in den Videos über Braco gesehen hatte, wie die Leute immer mit Blumen ankamen, bestand sie darauf, niemals mit leeren Händen dort zu erscheinen. Sie nickte zufrieden. Dann hakte ich sie unter und setzte sie, wie die Mutter der Porzellankiste, auf den Beifahrersitz. Ich sagte ihr, wir würden gemütlich fahren, da wir genügend Zeit für die Strecke hätten. Nachdem ich ihr so begeistert von meinem ersten Besuch in Stuttgart bei Braco erzählt hatte, war es nun vermutlich leichter für sie, ihre stetige Angst vor Fremden zu überwinden und sich auf die Reise einzulassen. Sie saß ohnehin, tagaus tagein, gelangweilt daheim, weil sie sich kaum noch allein auf die Straße traute.

Die Fahrt war doch eine willkommene Abwechslung. Unterwegs nach Stuttgart, hörten wir klassische Musik und Deli genoss es sichtlich, von mir chauffiert und unterhalten zu werden. Sie war guter Dinge. Der 28. September 2013 war, wie bestellt, ein schöner sonniger Tag. Bei geringem Verkehrsaufkommen kamen wir wohlbehalten gegen 8 Uhr an. Die Warteschlange an der Kasse für die Eintrittskarten war noch klein. Deli versank in ihrer gewohnten schweigsamen Schüchternheit, beobachtete alles ringsherum mit Argusaugen. In der Kongresshalle waren schon viele Menschen versammelt und wir gaben beim Hereingehen unsere Blumensträuße ab. Dann wurden wir in den Saal geleitet. Braco‘s Helfer wollten Deli wegen ihres Alters und, weil sie so klein ist, in die erste Reihe platzieren, doch sie protestier-te, ganz erschrocken, heftig gegen dieses Privileg und wehrte die Helfer sogar mit aufgeregten Armbewegungen ab. Sie hatte einfach nur Angst, ungeschützt direkt vor der Bühne zu sitzen. Wenn sie einen Stuhl vor sich hatte, an dessen Lehne sie sich beim Aufstehen festhalten konnte, war das für sie viel angenehmer. Also nahm ich sie mit, in eine der vorderen Reihen, wo sie in sich versank und sich, hinter den vorderen Personen, versteckte. Sie hasste es, in der Öffentlichkeit aufzufallen und wollte um keinen Preis gesehen werden. Wachsam wie ein Luchs, musterte sie argwöhnisch die Bühne, die anderen Menschen in den Reihen neben und vor uns und ganz besonders Braco, als er still und unerwartet eintrat und seinen Blick langsam über die Köpfe gleiten ließ. Von Deli kam kein einziger Kommentar. Gemeinsam gingen wir noch mindestens vier weitere Male in die Sitzungen. Ich spürte deutlich, wie Delis Gefühlspanzer transparenter wurde und sie von Mal zu Mal heiterer wurde. Auch mir ging es ähnlich. Trotzdem gab es noch immer etwas Dunkles um sie herum, etwas, dass entschlossen war, Erfolge zunichte zu machen. Ich kannte dieses krokodilartige Wesen schon, denn, mit seinen bissigen Angriffen, hatte ich bereits mehrfach unliebsame Bekanntschaft gemacht.

Sobald Deli daheim schlechte Laune hatte, verwies sie mich aus ihrer Wohnung und wollte allein sein. Sie beschäftigte sich dann stundenlang mit dem Sterben. Das Sterben nahm überhaupt den größten Raum in ihren Gedanken ein. Weil sie sich das nicht vorstellen konnte, wirkte es wohl so beängstigend auf sie.

In solchen Momenten, war es für mich besser, schnellstens das Weite zu suchen, um einem aggressiven Ausbruch oder einem tätlichen Angriff aus dem Weg zu gehen, denn Deli kannte auch meine sämtlichen Empfindsamkeiten und wunden Punkte. Sie konnte dann alle Knöpfe wie Fernsehprogramme betätigen und mich mit spitzen Bemerkungen bis aufs Blut reizen. Ließ ich mich hinreißen, wütend zurück zu bellen, mit meiner Opernstimme, bereute ich es bitter, gleich danach, denn im Grunde war Deli hilflos. Diese negativen Energien traten oft spürbar wie eine elektrische Ladung in Deli’s Umgebung auf und konnten auf Menschen oder Dinge wie ein unsichtbarer Dämon überspringen. Erst durch Achtsamkeit und wachsames Beobachten, erkannte ich das im Laufe der Jahre, nachdem ich viel zu oft auf diesen Mechanismus, mit üblen Folgen, hereingefallen war. Oft schon hatte ich beobachtet, wie ich, in ihrer Gegenwart, ur plötzlich grundlos wütend wurde. Irgendetwas reizte mich und brachte mich in Wut. Dann spürte ich Attacken wie von einem Gegner mit Tarnkappe. Es wirkte gelegentlich wie schwarze Magie, das war nicht zu leugnen!

Unsere erste Begegnung mit Braco’s Blick zu zweit verlief in Stuttgart ungestört. Die herzliche Begrüßung durch einen Helfer und ein kleiner Videofilm lenkten die Aufmerksamkeit auf Bracos internationales Wirken. Die Bühne war an beiden Seiten wunderschön mit weißen Lilien geschmückt, die den Raum mit einem paradiesischen Duft erfüllten. Ich fühlte mich wie über den Wolken. Braco kam auf leisen Sohlen, fast unbemerkt, von der Seite auf die Bühne. Ein Schweigen breitete sich im Publikum aus, dass man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Als er langsam seinen Blick erhob und auf das Publikum richtete, sah ich um ihn herum wieder viel silbrig helles Licht und lauter glänzende Pünktchen. Der helle Schein intensivierte sich in den sieben Minuten mehr und mehr. Er schien durch den Saal zu fluten. Die lichte helle Energie floss durch Braco’s Aura und strahlte von seinen Pupillen aus zu den Menschen im Saal wie zwei Laserstrahlen. Auch sah ich diesmal wieder, wie eine zweite Person, in ihrem Lichtkörper, dicht hinter ihm ging, die Bühne betrat und wieder mit ihm von der Bühne herunterging. Manchmal blieb die silbrig helle Aura noch eine Weile nach seinem Abgang auf der Bühne stehen. Ich fragte mich, ob das real war oder ein Nachbild meiner Augen. Es erstaunte mich maßlos, denn, normalerweise, bin ich im Alltag nicht hellsichtig, sondern mehr intuitiv veranlagt. Die zweite Person, hinter ihm, stand leicht erhöht, wie in der Luft. Sie blieb immer hinter ihm, wenn er sich bewegte. Ich dachte bei mir, das kann ja nur Ivica sein, sein verstorbener Lehrer und Meister. Aus der Lektüre der Bücher wusste ich schon, dass Ivica mit 48 Jahren durch einen Unfall beim Schwimmen an der südafrikanischen Küste ums Leben gekommen war und Bracos weltweite Mission erst danach begonnen hatte. Nur so konnte ich mir, das was ich sah, irgendwie zusammenreimen.

Wir saßen so weit vorn, dass ich einen Heiligenschein gewahrte, der sich über Braco’s Kopf befand und in etwa 15 cm Entfernung über seinem Hinterhaupt schwebte. Das faszinierte mich ganz besonders, denn bisher hatte ich dieses Phänomen nur auf Heiligendarstellungen und bei Ikonen aus alter Zeit gesehen. Mittendrin in einer der Sitzungen spürte ich, wie die heilende Energie bei mir den Bauch erfasste und tief in meine Gedärme nach innen ging und sich dort flugs ausbreitete. Es war so ein wohliges Gefühl, dass mir ganz warm und heimelig davon wurde. Die lichte Energie strömte in alle Ritzen und hatte eine heilende Wirkung, das konnte ich deutlich spüren: Ich wunderte mich, woher diese Energie auf intelligente Art wusste, dass ich seit Jahrzehnten an massiven Darm- und Verdauungsproblemen litt. Ein glückseliges Gefühl stellte sich dazu ein und ich hörte innerlich den Satz: „Ich bin vollkommen geheilt, ich bin vollkommen heil!“ Im gleichen Augenblick wusste ich, dass das stimmte und wunderte mich sehr über diesen spontanen Heilungserfolg. Ich kämpfte seit meiner Studentenzeit schon über vierzig Jahre gegen wiederkehrende Darmentzündungen, tausenderlei Allergien und Unverträglichkeiten. Essen war für mich konstant ein Stressfaktor wegen der Folgeerscheinungen. Ich konnte es kaum fassen, doch es war eine hundertprozentige Heilung. Ich fühlte mich in diesem Augenblick so leicht wie eine Feder und war sehr gerührt. In meiner Dankbarkeit kamen mir Tränen. Doch, im gleichen Moment, spürte ich in meinem intellektuellen Den-ken einen Zweifel, ob das überhaupt wahr sein könne. „Es war ja, wie man so sagt, viel zu schön, um wahr zu sein!“ Ich ließ den Zweifel auf sich beruhen, denn der lästige Verstand mit seinem inneren Kritiker zweifelt immer alles an. Später vergaß ich das Ganze und beobachtete still weiter meine nähere Umgebung und Deli. Auf Deli’s Seite spürte ich unsichtbare, winzige stechende Nadeln und unangenehme elektrische Entladungen, die sogar in mein Energiefeld eindrangen. Darüber wunderte ich mich sehr und konnte mir keinen Reim darauf machen, denn Deli sah beim Herauskommen aus dem Saal, nach dem Blick von Braco, so glücklich und entspannt aus, wie schon lange nicht mehr.

In einer der Sitzungen danach, hörte ich, hin und wieder, wenn ich zu Deli besorgt herüberhorchte, eine mir fremde, unsympathische, spitze, feindselige Stimme die Worte flüstern: „Du Schwein, Du Schwein, Du Schwein!“ Mir wurde ganz heiß und es fühlte sich wirklich so an, als hätte Deli unsichtbare Wesen um sich herum, die versuchten, Braco auf der Bühne boshaft anzugeifern. Ich war entsetzt, konnte das alles nicht klar definieren und spürte sofort Beschämung über diese frechen Angriffe und bekam das alles genau mit. Verwirrt fragte ich mich, wer und was das wohl sei. Erst nach längerem Nachdenken wurde mir klar, dass da dunkle Kräfte am Werk waren. Auch in anderen Sitzungen konnte ich mich mehrfach von diesem Phänomen überzeugen. Es war so, als ob sich negative Emotionen regelrecht personifizieren würden. Sobald ich das spürte, empfand ich, kurz darauf, immer, tiefe innere Beschämung über mich selbst, so als ob die Angriffe von mir ausgegangen wären, doch es schien etwas in der Luft zu hängen, was undefinierbar war und irgendwie mit Deli zusammenhing und sich mit mir, durch meine stetige Sorge um sie, verband. Als ich ein paar Jahre später mit Deli, auf dem Gelände der psychiatrischen Klinik, einen Spaziergang machte, konnte ich in einem hellsichtigen Augenblick, das dämo-nische Untier einmal leibhaftig mit den inneren Augen sehen. Es war ein großes dunkel graugrünes Krokodil, das wie mit weicher Watte gefüllt aussah. Damals schien es aus allen Nähten zu platzen, vermutlich durch den Einfluss psychiatrischer Medikamente. Dieses Krokodil wirkte auf mich so gierig, dass es am liebsten jeden aufgefressen hätte, der in seine Nähe kam: ein Nimmersatt mit aggressiver Persönlichkeit. Es kam mir oft gefährlich nah...

Nach dem Stuttgarter Braco Event musste ich zu meinem Leidwesen feststellen, dass ich, trotz der vollständigen Heilung und meiner Bereitschaft, soviel wie möglich von dem schönen, liebevollen und zarten Licht in mich aufzunehmen, im Alltagsstress die gesamte Heilung erneut einbüßte und, dann unter den gleichen Beschwerden litt wie schon all die Jahre. Allergien, Unverträglichkeiten, Immunschwäche und häufiges Bauchweh mit heftigem Durchfall quälten mich. Da ich dachte, es müsse an mir liegen, dass die Heilung nicht blieb, warf ich mir sogar gelegentlich vor, ich sei unfähig die gute Energie von Braco anzunehmen und dann wirklich bei mir zu behalten. Ich fühlte mich quasi schuld am Misslingen. Deli schien es ähnlich zu ergehen, doch sie war insgesamt misstrauischer und skeptischer gegen alles, was von außen auf sie zukam, besonders seit dem Tod meines Vaters. Seit dieser Zeit hatte sie auch unerklärlicherweise den Skeptizismus von Vati übernommen, der normalerweise gar nicht zu ihrem spontanen gefühlsbetonten rheinländischen Temperament gehörte. Trotz allem waren mir alle Zweifel gleichgültig, denn innerlich besaß ich die Gewissheit, dass in mir, tief innen, trotz aller Zipperlein, die hartnäckig wiederkehrten, ein Persönlichkeitswandel stattgefunden hatte und, dass auch Deli davon profitieren würde. Dieser Wandel sollte uns im Laufe der Zeit zu mehr Liebe, Verständnis und Gemeinsamkeit miteinander führen. Das war die Hauptsache. Alles andere war nebensächlich.

Für alles, was wir im Laufe der Jahre durch Braco’s heilende Energie empfingen, bin ich Braco und Ivica sehr dankbar. Ich spüre, mehr und mehr, wie ich mich, im Laufe der Zeit, von der hektischen, leidenschaftlich durch persönliche Talente getriebenen Person, mich selbst und meine Energie im Alltagsstress verzehrend, zu einem wahren Geduldsengel entwickelt habe, der für sich selbst und andere da sein konnte, wenn es gebraucht wurde. Nach den Erfahrungen in Stuttgart stellte ich vieles in meinem Leben um, auch die Ernährung.

Manche persönlichen Leidenschaften wie der Operngesang fielen in dieser Zeit dem Schweigen zum Opfer, denn ich wurde immer leiser, doch es tauchten neue künstlerische Aktivitäten aus dem Nichts auf. Ich begann einer inneren Anweisung zu folgen, die mich zum Malen aufforderte. So kam ich zur naiv-intuitiven Malerei, ohne es zu wissen. Dann verbrachte ich Abende damit, Deli’s und meine Geschichte als autobiografischen Roman aufzuschreiben. Durch die intensive Beschäftigung mit den Ereignissen reflektierte ich sie viel tiefer und mein Verständnis der Zusammenhänge erweiterte sich. Das war eine Vorbereitung auf übersinnliche Erfahrungen, die noch in der Zukunft lagen. Durch Braco und Ivica geriet mein Leben irgendwie auf eine andere Ebene, obwohl mir damals noch nicht klar war, wohin der Zug meines Lebens mit mir fuhr. Hoffnungsvoll akzeptierte ich die Veränderungen: Optimismus und Zuversicht kehrten immer wieder zurück, auch, wenn ich mich, so manches Mal, wie am Boden zerstört fühlte. Ich behielt die vollkommene Heilung auf allen Ebenen stets im Auge, ganz gleich, was passierte. Geduld würde irgendwie siegen, soviel wusste ich.

Braco gab mir, mit seinem Blick, einfach Zuversicht und diese innere Gewissheit. Wieviel Geduld mich die Begleitung von Deli durch die Alzheimer Attacken, körperlichen Verfall und längeres Dahinsiechen kosten würde, ahnte ich damals allerdings noch nicht. Hilfen kamen fortan, Gottlob, stufenweise: überraschend fand ich zuerst eine sympathische Putzhilfe über den Tauschring. Sie putzte jede Woche die kleine Wohnung von Deli und war so liebenswert, einige Einkäufe in den Läden ringsherum für Deli zu erledigen, da Deli sich seit Monaten plötzlich weigerte, einkaufen zu gehen, obwohl das Gehen ihr nicht so schwer fiel und das Verlassen der Wohnung gesund für sie war. Unsere Zugehfrau war Slowenin, seit Jahren in Deutschland verheiratet; sie lebte aufgrund familiärer Probleme von Mann und Sohn getrennt. Sie konnte nicht mitansehen, wie ihr Sohn leichte Drogen nahm und mehr und mehr außer Kontrolle geriet. Die Machtlosigkeit gegenüber der Sucht veranlasste sie, die Zustände daheim hinter sich zu lassen und umzuziehen, denn ihr Ehemann war so naiv, dem Sohn noch ab und zu Geld zuzustecken. Der junge Mann investierte das Geld dann wieder in Drogen. Da unsere neue Zugehfrau liebenswert, hilfsbereit und spirituell interessiert war, lud ich sie ein, mit mir und Deli gemeinsam zu Braco nach Stuttgart zu fahren. Wir beschlossen spontan, Braco, in Esslingen, am 18. Januar 2014 zu Dritt zu besuchen.

Doch, je mehr ich mich bemühte, Deli‘s häusliche Verhältnisse zu ordnen und in den Griff zu kriegen, umso öfter attackierten mich Deli’s Alzheimer Dämonen und begannen, meine Aktionen zu behindern, um mich aus der Bahn zu werfen. Die Biester waren unberechenbar und gefährlich, wie ich feststellen musste. Vida war eine kostbare Unterstützung, da sie den spirituellen Ansatz von Braco’s Blick sofort begriff und mich dann unterstützte, Deli zu mehr Aktivität anzuregen. Wir versuchten gemeinsam, Deli, weg von den negativen Gedanken, auf der grünen alten Velourcouch, zu mehr Abwechslung, Vergnügen und Bewegung zu motivieren. Zu zweit leisteten wir fast zwei Stunden Überzeugungsarbeit, um Deli zu überzeugen, mit mir am Nachmittag, wie gewohnt, in unser Phönixbad zum Schwimmen zu fahren. Diesmal gelang es uns, sie für den Plan zu gewinnen. Erst, wenn Deli und ich die Wohnung verlassen hatten, konnte die Putzhilfe in Ruhe ihre Arbeit erledigen, solange wir unterwegs waren. Zu Braoc’s Veranstaltung im Kongresszentrum in Stuttgart Esslingen, starteten wir, mit unserem Rotkäppchen-Proviantkorb, gegen 5 Uhr früh vom Parkplatz, gegenüber von Deli’s Wohnanlage. Ich ging rechtzeitig zu Deli, half ihr beim Aussuchen der Kleidung und Anziehen. Dann bugsierte ich sie vorsichtig auf den Vordersitz im Auto. Vida saß hinten und hatte gewartet und sogar eine aufgebrachte Nachbarin davon abgehalten, wegen des laufenden Motor am Fahrzeug die Polizei zu rufen. Ich hatte den Wagen nur wegen der Kälte kurz auf-heizen wollen, bevor wir starteten.

Unterwegs kamen wir gut voran, die Straßen waren noch ruhig. Wir trafen ein, als gerade die erste Runde der Begegnungen mit Braco im Gange war. Freudig trugen wir unsere Blumen in der Hand, das Blumenritual nahm Deli immer besonders wichtig. Eine angenehme geschäftige Atmosphäre durchflutete die Halle. Zu Dritt waren wir gespannt, was kommen würde. Wir gingen insgesamt vier Mal in die Begegnung, denn wir wollten so viel wie möglich von Braco’s heller Energie auftanken, nachdem wir eigens aus München angereist waren. Ich schenkte der freundlichen Toilettenfrau auch ein Ticket und ermutigte sie, etwas von der positiven Welle Bracos mitzunehmen für ihre ganze Familie daheim. In einer der Begegnungen, berichtete eine Dame mittleren Alters im Publikum, dass sie schon länger zu Braco kam, um ihrer krebskranken Mutter zu helfen. Sie bedauerte, dass ihre kranke Mutter nie persönlich teilnahm und nicht an solche Phänomene wie geistige Heilung glaubte. Durch den Krebs war sie schon länger ein Pflegefall und ihr Leid hatte die Tochter enorm belastet. Nun erzählte die Tochter, dass ihre Mutter inzwischen bereits verstorben war und noch kurz vor ihrem Tod eine erstaunliche, wunderbare persönliche Veränderung durchgemacht hatte: die Tochter hat-te ihrer Mutter, genau wie ich es tat, immer DVDs von Braco vorgespielt und, obwohl die Mutter stets energisch und strikt dagegen war, hatte sie zuletzt doch noch Bracos heilenden Blick angenommen und sich dann mit ihrer Tochter zusammen, oft Braco’s DVDs angeschaut. Das war für Mutter und Tochter ein Wendepunkt gewesen. Die Tochter hatte zusätzlich regelmäßig das Foto der Mutter mit zu Braco genommen und nach einigen Wochen hatte sich die Mutter in ihrem Wesen so positiv verändert, dass sie wie eine Königin in ihrem Bett saß und keine Angst vor dem Sterben mehr hatte. Friedvoll, von Liebe erfüllt, verließ sie den Körper und ging hinüber. Als ich das hörte, berührte mich das so sehr, dass ich unvermittelt in Schluchzen ausbrach, denn die Geschichte traf mich im tiefsten Herzen: wie sehnlich wünschte ich mir für Deli, sie könne mit sich und der Welt Frieden schließen und die Schuldgefühle, die sie seit Jahren trug, loslassen. Es war mein größtes Seelenanliegen, Deli, mit ihren über 90 Jahren, den Weg ins Jenseits und ins Licht zu ebnen, frei von diesem täglichen Kampf gegen Dämonen und hasserfüllte Gedanken, der uns beiden das Leben schwer machte. Ich war zutiefst dankbar für all die Liebe und das Verständnis, das Deli mir als Kind entgegengebracht hatte, dass ich mir nichts sehnlicher wünschte, als sie glücklich zu sehen und ins Paradies gehen zu sehen. Es kam in den letzten Jahren sehr häufig vor, dass Deli ihre Überzeugung aussprach, sie laste so sehr auf mir und tue mir Unrecht. Selbst wenn ich das heftig bestritt und ihr bestätigte, dass ich freiwillig meine Pflicht als Tochter tue, glaubte sie, sie müsse für ihre Negativität noch nach dem Tod büßen. Sie trug zeitlebens eine Bürde an Schuldgefühlen und glaubte, sie habe alles im Leben, einfach alles, falsch gemacht. Oft bereute sie bitter ihren eigenen Zustand, selbst wenn sie nicht dagegen ankam. Es war für mich sehr schwer, ihr Leiden mitanzusehen und neutral zu bleiben. Ihr Kummer tat mir in der tiefsten Seele weh, sogar bis heute.

Als leise die Musik im Saal einsetzte und Braco die Bühne betrat, sah ich wieder eine Flut von hellem Licht von seinem Oberkörper ausgehen. Ich blickte in seine Augen. Plötzlich schien mein Inneres ihm zuzurufen: „Ich kenne Dich, ich kenne Dich, Du bist mir überhaupt nicht fremd! Ich liebe Dich seit jeher!“ Ich wusste nicht, warum mein Inneres ihm das zujubelte. Es geschah einfach von selbst. Innerlich zutiefst bewegt, stand ich mit weit aufgerissenen Augen da und lauschte dem, was mein Inneres hervorsprudelte, während ich Braco unverwandt ansah. Ich bin nicht der Typ Mensch, der spontan einem Fremden, eine Liebeserklärung macht, zumal dieser fremde kein Wort spricht und sich nicht mit Einzelnen beschäftigt, sondern der ganzen Gruppe. Doch hier wurde ich Zeuge, wie mein Inneres sich zu Braco‘s Seele bekannte. Die spontane Reaktion verstörte mein rationales Denken gewaltig. Auch diesmal hatte ich von Sitzung zu Sitzung den Eindruck, dass Braco’s Energie wuchs und wuchs und der Raum sich immer mehr mit Licht erfüllte. Ich sah nicht nur das silbrige Licht, sondern hinter ihm auch tiefdunkles schimmerndes Violett, grüne Ringe darin, dann überwiegend goldgelbes Licht um ihn herum. Ich konnte erkennen, wie, über dem Bereich, wo bei Mönchen die Tonsur sitzt, ein kreisförmiges Gebilde mit intensiver Energie austrat, wie ein Heiligenschein. Dann sah ich neben ihm und um ihn herum lauter schwarze Schattenfiguren, die von hellem Schein umgeben waren. Ich vermutete, dass die geistige Welt und die Verstorbenen ebenfalls in größeren Gruppen anwesend waren.

Anscheinend mochte auch die Astralebene seinen heilenden Blick. Viele Eindrücke stürzten spontan an diesem Tag auf mich ein. Ähnliches erlebe ich sonst nur selten in manchen Träumen. Unvermutet defokussierten sich meine Augen, was mir auch oft im Livestream geschah. Ich dachte zuerst, Braco’s Aura noch besser zu erkennen, doch es geschah etwas Unerwartetes: plötzlich standen zwei Bracos auf der Bühne, wie Zwillinge nebeneinander, wobei ich den einen, als Menschen aus Fleisch und Blut, den anderen in der gleichen Form, jedoch mehr als Licht- oder Energiewesen sah. So etwas hatte ich noch nie erlebt! Mein erstaunter Verstand begann nachzudenken, wie das zustande kam. Ich nahm an, dass mein Gehirn einfach von jedem Auge einzeln ein Bild empfangen hatte und diese nicht synchronisierte, sondern beide Bilder nebeneinander stehen ließ. Ich dachte zuerst, es sei eine Halluzination, erinnerte mich aber an amerikanische Augenzeugen, die Ähnliches in Videos auf youtube berichtet hatten. Während dieser Begegnung in Esslingen spürte ich Heilungsenergie noch nach dem Hinausgehen aus dem Saal, wie sie mich überraschend beim Gang auf die Toilette ‚überfiel‘, so-dass ich einen Moment dachte, ich könne nicht mehr stehen, so intensiv waren die Energie und ein deutlicher Schmerz. Das weiße Licht ging durch meine Augen und wurde im Bereich der Sinusitis in den Nasennebenhöhlen als Heilenergie spürbar. In dieser Nacht konnte ich zum ersten Mal ruhig atmen, ohne zugeschwollene rechte Nasenseite, wie es seit Jahren oft der Fall gewesen war. Am nächsten Tag ging es mir besser. Unsere Rückfahrt aus Stuttgart verlief ruhig, denn alle Staus waren auf der anderen Autobahnseite. Am Sonntag danach war Deli noch immer aufgeräumt und guter Dinge: wir gingen mehrere Stunden im Wald spazieren und lachten viel über nette Erinnerungen, wie schon seit Jahren nicht mehr. Ich dachte, jetzt kommt die Deli, die ich kenne, meine lustige, liebenswerte Mutter, die waschechte Kölnerin mit dem rheinischen Humor, wieder zutage und freute mich sehr. Daheim schauten wir gemeinsam die DVD – vom Funken zur Flamme - , die uns eine Dame in Stuttgart empfohlen hatte. Es sah wirklich so aus, als seien Deli’s Alzheimer Symptome zurückgegangen. Ich konnte ihr sogar klarmachen, dass diese boshafte innere Stimme, die stets forderte, sie solle sich umbringen, irgendwie nur die Stimme eines boshaften Etwas sein konnte, das versuchte, sie zu ängstigen und in Panik zu versetzen, seit sie dieses Dunkle während ihrer Schilddrüsenoperation unter Vollnarkose vor über 40 Jahren mitgebracht hatte, ohne es zu ahnen. Ich sagte ihr, sie solle diesem komischen Ohrwurm einfach nicht mehr zuhören, sondern ihn ignorieren. Dann würde er von allein verschwinden. Sie nickte einsichtig und bestätigte mir sogar meine Beobachtungen. Ich war sehr erstaunt, dass sie mit über 92 Jahren so geistesgegenwärtig war und diese Zusammenhänge klar erkennen konnte. „Von wegen Alzheimer!“ Dachte ich, „Deli ist ganz klar bei Verstand und nicht wirklich dement.“ Sie wirkte plötzlich wieder so, wie ich sie von früher kannte, so wie sie, in meiner Schulzeit, bei allen Freundinnen und meinen Lehrern, beliebt gewesen war, aufgrund ihres unternehmungslustigen Wesens und ihrer Unkompliziertheit. Meine Hoffnung auf weitere Besserung ihrer Alzheimer Krankheit wuchs.

Oft lud ich Deli zu mir ein, um Braco’s DVDs an-zuschauen. Ich holte sie daheim ab, weil sie den Weg nicht mehr gut allein bewältigen konnte. Es war immer eine schöne Abwechslung für sie und mich, trotz der sportlichen Herausforderung, zwei Etagen zu Fuß, zu meiner Wohnung, die Treppen zu steigen. Im Januar 2014, an einem Sonntagabend schauten wir wieder einmal die zwei DVDs an – die Schönheit ist in uns - und – vom Funken zur Flam-me. Während wir still lauschten, in meinem winzigen Schlafzimmer auf zwei Stühlen eng nebeneinander sitzend, empfand ich bei der zweiten DVD sehr klar, wie Energie zu uns floss.

Von diesem Energiezufluss wurde ich plötzlich mü-de und so schwer wie Blei in meinem Körper, dass ich einzuschlafen drohte. Als ich mich, bewusst konzentriert, noch tiefer entspannte und meinen Blick nach innen wandte, wurde mir wenige Minuten später klar, dass ich tief innen, in einen See aus lauter Apathie, eingetaucht war. Dieses Schweregefühl hielt mehrere Minuten an, löste sich dann, nach und nach, auf. Deli warnte mich unterdessen, nicht vom Stuhl zu sinken, wenn ich mich noch tiefer in die Entspannung fallen ließe. Ich blieb wach und, nach dem Livestream, war meine Lebensbatterie frisch aufgeladen. Ich fühlte mich lebendiger, jünger. Auch in Delis Gesicht entdeckte ich ein entspanntes himmlisches Lächeln, wie seit Jahren nicht mehr. Wir waren beide glücklich und teilten den schönen Augenblick. Auf dem Heimweg zu ihrer Wohnung, ging die Sonne unter, genau vor unseren Augen, über dem Park, als großer orangefarbener Ball: ein zauberhafter Anblick! Wir genossen die letzten Strahlen und das Lichtermeer von orange über pink bis hin zu Blautönen hinter den dunklen Baumwipfeln. Entzückt blieben wir stehen, fasziniert vom himmlischen Schauspiel. Wenig später bogen wir um die Häuserecke, da zwitscherte uns eine junge Amsel frühlingshafte Lieder entgegen, so vergnügt, als käme sie auch gerade aus der Begegnung mit Braco. Ich wies mit dem Finger auf die Amsel und machte Deli auf sie aufmerksam. Da jubilierte die Amsel noch einmal laut-hals voller Fröhlichkeit. Spontan bemerkte ich, dass der Vogel unser inneres Licht sah und uns deswegen, voller Freude, sein Herzenslied entgegenschmetterte. Ich fühlte mich so verbunden mit der Natur um mich herum, dass mir vor Freude Tränen in die Augen stiegen. Noch heute erinnere ich mich noch heute an diesen unvergesslichen Moment.

Leider waren harmonische Augenblicke selten von längerer Dauer. Am 30. Januar begann erneut Braco’s Livestream. Ich saß viele Stunden allein vor dem Bildschirm, um mich zu beruhigen und Kraft zu tanken, denn, am Vortag war wieder einmal der mühsam aufrecht erhaltene Haussegen in Delis kleiner Wohnung zusammengebrochen. Diese stetigen Rückfälle waren das Schlimmste in diesen Jahren und brachten mich jedes Mal aus der Fassung. Sie unterminierten auf Dauer meine Gesundheit. Deli hatte am Freitag unsere liebenswerte, spirituelle Putzhilfe heftig angepflaumt und lautstark beschimpft, ihr einfach die Haustür nicht mehr geöffnet, als sie mit zwei schweren Einkaufstaschen vom Gemüsemarkt zurückkam. Vida musste die Tüten vor der Haustür abstellen. Am frühen Nachmittag, so erzählte Vida mir später, hatte Deli, als Vida gerade mit dem Schrubber im Bad unterwegs war, die Balkontür daneben und dann die Badezimmertür so laut zugeknallt, dass Vida vor Schreck der Schrubber aus der Hand gefallen war. Vida war nicht die einzige Putzhilfe, die solche Attacken erleben musste. Als ich abends von der Arbeit heimkam, klingelte es an meiner Tür und unsere liebenswerte Putzhilfe fiel mir weinend in die Arme. Sie war völlig aufgelöst und erzählte mir dann die ganze Story, wie Deli sie mehrfach bedroht und aggressiv angefeindet hatte. Ich war fassungslos, denn, am Wochenende vorher, war Deli zahm wie ein Lämmchen gewesen und hatte mit mir einen großen Spaziergang im Perlacher Forst unternommen. Ich staunte über die unfassbaren Veränderungen. Zur Beruhigung lud ich Vida zum Bleiben ein, tröstete sie über Deli’s Verhalten hinweg und erzählte ihr, dass Deli mich, obwohl ich ihre Tochter bin, auch schon mehrere Male tätlich angegriffen hatte und manchmal irgendwie als Mensch nicht wiederzuerkennen war, sobald das dämonische Krokodil bei ihr das Kommando übernahm.

Dann legte ich zum Trost eine DVD von Braco auf. Wir sahen wie Bracos kleiner Sohn Andelon, im Alter von fünf Jahren, ein wunderschönes Lied für Ivica, Braco’s Lehrer, zu Gitarrenbegleitung sang und erfreuten uns an dieser, wunderbar mit klassischer Musik unterlegten, DVD. Während des Anschauens spürten wir, wie ganz viel positive Energie zu uns kam und unsere Gemüter beruhigte. Ich beschloss, Deli an diesem Abend in Ruhe zu lassen. Wir gingen früh zu Bett und schliefen ungestört.

Am nächsten Morgen, einem Freitag, ging ich, wie gewohnt, mit dem Rotkäppchenkorb fürs Früh-stück zu Deli. An der Tür empfing mich eine verstört aussehende Greisin, die auf jedes Wort freundliche Wort aggressiv reagierte. Sie war nicht wiederzuerkennen. Deli schrie mich an, ich solle abhauen und ging mit Händen und Füßen auf mich los, bevor ich verstand, was überhaupt los war. Ich erkannte sie nicht wieder, sie war mir völlig fremd und verhielt sich, wie nie vorher, in all den Jahren. Es lag eine Atmosphäre von Hass in der Luft, die mir völlig fremd war.

In der Wohnung war es dazu so stockfinster, dass man nicht die Hand vor den Augen sah. Also ging ich flugs an Deli vorbei und versuchte, erst einmal Licht in das Dunkel zu bringen, indem ich die elektrischen Rollos im Wohnzimmer per Knopfdruck betätigte. Doch, mein Druck auf den Schalter verursachte, dass der Schalter irgendwie streikte und die große Rollo schief auf halber Höhe hängenblieb. Dann funktionierte der Schalter gar nicht mehr. „Das fängt ja schon gut an!“ dachte ich, „hier spukt es tatsächlich!“ Deli hatte erstaunlicherweise im Bad die Rollo inzwischen selber korrekt hochgefahren und war nun richtig stinkwütend auf mich, dass ich angeblich ihre Rollade kaputtgemacht hatte.

Als mein Blick in die Küche fiel, sah ich, dass die schweren Einkaufstaschen vom Vortag, die Vida mitgebracht hatte, unaufgeräumt in der Küche herumstanden und vermutete richtig, dass auch die Wäsche noch im Keller, in der Waschküche, liegengeblieben war. All diese Dinge hatte Deli bisher, ohne zu murren, selber erledigt. Allmählich merkte ich, wie Ärger und Frustration in mir hochstiegen und mich regelrecht übermannten. „Mein freier Freitag!“ dachte ich ärgerlich, „muss nun so für Blödsinn dahingehen!“ Ich versuchte krampfhaft, mich zur Ruhe zu zwingen, so gut es ging, konnte mir aber eine bissige Bemerkung nicht verkneifen, dass Deli es sich auf Kosten anderer einfach gutgehen lasse, ohne zu bedenken, wieviel Arbeit die Putzhilfe und ich regelmäßig für sie erledigen würden.

Als ich mich direkt neben Deli auf die Couch setzte und nun da saß, wo sie stets ihren bösen inneren Stimmen zu lauschen pflegte, schien das bei Deli eine Art inneren Kampf auszulösen. Ich spürte, wie zwei Mächte gegeneinander prallten. Es lag wieder einmal eine elektrische Ladung in der Atmosphäre, die mir unheimlich vorkam. Ich stand auf, bat laut und energisch Erzengel Michael um Hilfe für die Reinigung des Wohnzimmers und ging durch den Raum. In Deli’s Gesicht wechselten Emotionen wie in einem Film: sie schien von einem inneren Kampf unsichtbarer Parteien beherrscht zu sein, schwankte zwischen Jammern, Wehklagen und übelsten Wortattacken gegen meine Person. Sobald sie Schimpftiraden gegen mich losließ, meldete sich bei ihr das schlechte Gewissen. Wir waren beide mit der Situation hoffnungslos überfordert. Schließlich schrie sie mich an, sie wolle gar nichts mehr außer Sterben und ich solle doch endlich abhauen. Schockiert wich ich zurück. Da ich sie, als einzige Tochter, sehr liebe und verehre, fühlte ich mich tief verletzt. Ich schwieg und, während ich alles Liegengebliebene aufräumte und die Wäsche aus dem Waschkeller heraufholte, übermannte mich eine Art bleierne Todesmüdigkeit nach der arbeitsreichen Woche. Ich fragte mich, wieso ich nur Undank für meinen Einsatz erntete und von ihr ununterbrochen zurückgewiesen wurde, obwohl sie mich als ihre einzige Vertrauensperson so sehr liebte. Dann spürte ich, wie eine deftige handfeste Wut über ich-ren Starrsinn in mir hochkochte. Ich war fix und alle, nachdem ich endlich die Reste der trockenen Wäsche aus dem Keller geholt hatte. Atemlos kam ich die Treppe herauf mit dem Waschkorb unter dem Arm. Ärgerlich warf ich zuletzt, noch immer ganz außer Atem vom Hin- und Her Gerenne, die trockene Wäsche auf die grüne Couch mit den Worten, die Unterwäsche könne sie wenigstens selber in den Schrank einräumen anstatt dauernd den dämlichen inneren Stimmen zu lauschen und sich auf die faule Haut zu legen. Als sie daraufhin wieder aggressiv zurückbellte, riss mir der Geduldsfaden und ich brüllte meinen ganzen Frust über die Situation mit meiner Opernstimme heraus. Ich schrie, bei mir sei die Toleranzgrenze erreicht und sie solle doch einmal über ihr störrisches Verhalten nachdenken. Dann rannte ich aus der Haustür, warf diese hinter mir zu mit Schwung und überließ Deli ihrem Schicksal. Ich war aufgelöst, zwischen Wut und Verzweiflung, völlig außer mir, rannte den ganzen Weg bis zur Wohnung, wo ich atemlos und tränenüberströmt, natürlich inzwischen von Gewissensbissen geschüttelt, ankam. Daheim sank ich auf meine kleine schwarze Chesterfield und brach in Schluchzen aus. Mit den Nerven am Ende, saß ich da, das Gesicht in den Händen vergraben und dachte: „ So kann es nicht weitergehen. Irgendetwas muss geschehen, ich halte das nicht mehr aus!“ Den heimtückischen Angriffen der Dämonen aus heiterem Himmel und deren anhaltenden Versuchen, mich in Delis Nähe immer in Wut, Scham und Schuldgefühle zu bringen, war ich immer wieder hilflos ausgeliefert.

Deli verstand es nämlich meisterhaft, bei mir sämtliche Knöpfe zu drücken, bis ich auf die Palme ging. Genau das gleiche Spiel hatten Delis Alzheimer Dämonen wohl auch mit meinem Vater getrieben. Ich zerbrach mir Stunden den Kopf, wie ich mich selber in den Zustand eines Buddha versetzen könnte, der gegen unflätige Beschimpfungen und jedes aggressive Betragen gefeit ist, Gleichmut und ein Lächeln in allen Lebenslagen bewahrt. Deli war oft für jede Aufmerksamkeit und Miteinander dankbar, wenn ich sie in normaler Verfassung antraf. Aber Attacken waren inzwischen an der Tagesordnung. Ich versuchte, sie wie kindliche Trotzphasen zu betrachten und ohne mich darauf einzulassen, mit den Wechselbädern der Gefühle, wie mit einer kalten Dusche, fertig zu werden! Doch, es war viel leichter gesagt, als getan! Als sich die Lage weiter zuspitzte, fiel die gesamte Last des Alltages auf mich. Ich war nun für zwei kleine Haushalte, Versorgung und Sicherheit von Deli, ihre Körperpflege und meinen Ganztagsjob für 20 Kollegen und zwei Chefs allein zuständig. Darüber hinaus konnte ich die Putzhilfe nun nicht mehr allein mit Deli in der Wohnung lassen, sondern musste stets anwesend sein oder Deli ablenken, beschäftigen, mitnehmen zum Spazierengehen oder Einkaufen, damit sie nicht die Putzhilfe attackierte. Sie mochte keine Fremden in ihrer Wohnung! So lastete der Alltag auf meinen Schultern und ich geriet mehr und mehr in den Burnout, ganz ohne es selber zu merken. Ich wusste mir keinen Rat. Zugleich blieb keine freie Minute darüber nachzudenken, denn es gab endlos viel zu erledigen. Ich funktionierte im Alltag wie ein Rädchen im Getriebe. Manchmal, wenn ich im Wohnzimmer Deli’s Reste von Inkontinenz und Durchfall mit einem Putzlappen beseitigte, denn solche Dreckarbeit konnte ich unserer Putzhilfe einfach nicht zumuten, übermannte mich eine wilde Mischung aus Wut, Ekel, Selbstmitleid und totaler Erschöpfung. Gleich darauf, machte ich mir heftige Vorwürfe, dass ich, als einzige Tochter meiner geliebten Mutter, nicht einmal mehr wusste, ob ich Deli lieben oder hassen sollte.

Am schlimmsten waren jene Rückschläge nach regelmäßigen Phasen der Hoffnung auf Besserung. Niemand kann ermessen, wie es ist, wenn ein Familienmitglied Verantwortung für einen kranken, nicht zurechnungsfähigen Elternteil übernimmt. Auch als erwachsener Mensch bleibt man doch immer das Kind seiner Eltern. Es unmöglich, aus der Eltern-Kind-Rolle herauszuschlüpfen und die Situation, distanziert wie ein Fremder, neutral oder unbefangen zu betrachten. Es war ein langer Lernprozess, bis es mir gelang, trotz aller Wirren und Angriffe, mein Augenmerk, nur auf die guten Seiten zu richten und die bösen Seiten aus Nächstenliebe zu ignorieren, möglichst ohne Protest und, ohne aufgebracht zu sein. Alzheimer Dämonen sind das beste Überlebenstraining, um unbändigen Humor und Geduld in allen Lebenslagen zu entwickeln. Ich lernte mehr und mehr, alles was kam, in Liebe zu akzeptieren. Das war der allergrößte Lernprozess, während dieser anstrengenden Jahre mit Deli und ihren negativen Gedanken. Heute bin ich dankbar für dieses Training, denn, unterwegs im Dickicht von Missverständnissen, Kummer, Schmerz, Trauer, Krankheit und totaler Erschöpfung, begriff ich Buddha’s Lehren in der Praxis und lernte, sie umzusetzen.

Ich beschreibe die Ereignisse schonungslos offen, nicht, um Mitleid zu erwecken, sondern, um Menschen aufmerksam zu machen, wie sich das Alzheimer Leiden unbemerkt wie ein neues Familienmitglied in die Sippe einschleicht und dann versucht, das Ruder herumzureißen, um negative Emotionen an die Macht zu bringen und den Alltag zu bestimmen. Dann beginnt die emotionale Achterbahntour, die alle Familienmitglieder aufreibt und die Familie heillos zerrüttet. Unbewältigte Vergangenheit gehört in sachkundige Hände, wie auch die Pflege von Alzheimer Demenz. Es braucht Fachpersonal, das die Symptome kennt und damit umgehen kann. Als pflegender Angehöriger eines emotional kranken und dementen Menschen hat man meist wenig Chancen, für die betroffene Person das Richtige zu tun, denn Helfen soll man so viel wie möglich, aber auch nur so viel wie nötig. Es ist wichtig, Alzheimer Kranke und Depressive zur Selbständigkeit anzuhalten. Alzheimer Demenz ist genauso anstrengend wie die Pflege eines schwerstbehinderten Kleinkindes, das geistig zurückgeblieben ist und dazu unter Aggressionen leidet.

In den Jahren an der Seite von Deli wurde mir nach und nach klar, dass ich keine Chance hatte, sie aus dem Teufelskreis der negativen Gedanken herauszuholen, da sie schon zu lange von diesen Gedanken besessen war. Und doch gab es, trotz allem, immer Momente der Belohnung voller Freude. Jeder winzige Fortschritt, jedes Leuchten in den Augen von Deli, gab mir Auftrieb. Ich gab nie die stille Hoffnung auf, dass alles, was auch immer geschehen mochte, ein gutes Ende nehmen würde. Ich vertraute auf Braco, seine positive Ausstrahlung, meine Erzengel, Gabriel und Michael, und meine Beziehung zu Jesus Christus, die seit meiner Kindheit vorhanden war. Dieses Riesenvertrauen sorgte für mein Überleben und ließ Deli mit der Zeit mehr und mehr spüren, dass sie trotz aller Missstände und ihres renitenten Verhaltens akzeptiert war und geliebt wurde.

Ich lernte, ihre aggressiven Launen mit stoischer Geduld zu ertragen und heftige Bemerkungen humorvoll zu überhören. In meinen Meditationen und inneren Gebeten wandte ich mich immer wieder an den Himmel und so kamen mit der Zeit Antworten von dort, mit denen ich nie gerechnet hätte. Ich wage nicht auszudenken, wo wir, ohne Braco’s himmlische Energie, sein im Blick ausgedrücktes tiefes menschliches Mitgefühl und die Zeichen des Himmels gelandet wären.




Braco - kleiner Bruder, großer Engel

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