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Rollator auf Abwegen

Mit leisem Zischen öffnet sich die automatische Schiebetür des Seniorenstifts „Abendrot“. Ein gepflegter älterer Herr mit silbergrauem Haarkranz, die Halbglatze übersät mit kleinen und großen Altersflecken, verlässt mit seinem Rollstuhl das Haus. Die Hände ruhen auf den Armlehnen, die rechte Fußstütze ist hochgeklappt, so dass der Fuß den Boden berührt. Mit kleinen schwungvollen Bewegungen des Fußes, wie bei einem Tretroller, setzt der Alte sein Gefährt in Bewegung. Dichtauf folgt eine zierliche, gebrechlich wirkende, ältere Dame, die mit ihrem Rollator den Rollstuhl zusätzlich anschiebt. Schritt für Schritt, Meter um Meter, kommen die beiden voran, nähern sich den Ruhebänken, die vorm Gebäude zum Verweilen einladen.

„Komm“, meint sie leise, mit brüchiger Stimme, „lass uns zu der ersten Bank gehen, die steht in der Sonne. Die Wärme wird deinem Rheuma guttun. Im Schatten ist es noch zu kühl.“

„Du hast Recht, mein Schatz“, antwortet er mit tiefer fester Stimme, die ich diesem greisen Herrn nicht zugetraut hätte. Er lacht auf.

„Frühlingssonne! Die tut den alten Knochen gut und weckt Frühlingsgefühle. Nicht wahr, meine Schöne.“

Mit diesem Lachen hat der Alte wohl vor vielen Jahren manch Mädchenherz erobert. Sie kichert verschämt und die beiden parken ein. Er rangiert den Rollstuhl neben die sonnenbeschienene Bank, auf der sie sich mit leisem Stöhnen niederlässt und die Bremsen des Rollators feststellt. So sitzen sie eine Weile mit geschlossenen Augen und genießen die wärmenden Sonnenstrahlen.

Die betagte Dame streichelt die Hand des alten Herrn. Daraufhin nimmt er ihre kleine abgemagerte Hand mit den zartrosa lackierten Fingernägeln in seine Hände und haucht einen Kuss auf den braun gesprenkelten Handrücken. Sie strahlt und er, der alte Charmeur, lächelt.

„Du hättest deinen Hut mitnehmen sollen. Die Sonne hat doch schon Kraft“, meint sie nach einer Weile und blickt besorgt auf die hohe Stirn ihres Begleiters.

„Mmh, morgen werde ich dran denken“, antwortet er. „Meinst du nicht, wir müssten aufbrechen, damit wir pünktlich zum Essen da sind?“

„Ja, Schatz, wir machen uns auf den Weg. Wenn der Aufzug wieder so lange blockiert ist, kommen wir zu spät und du weißt, das wird nicht gern gesehen“, entgegnet sie, erhebt sich mühsam, löst die Bremsen ihres Rollators und wartet, bis der Rollstuhl sich in Bewegung gesetzt hat. Sie reiht sich dahinter ein, schiebt den Rollstuhl vor sich her und der alte Mann versucht, indem er den rechten Fuß vom Boden abstößt, um das Tempo der Schubeinheit zu steigern.

Sie rollen an uns vorbei. Der alten Dame scheinen unsere Blicke peinlich zu sein, denn sie wendet sich ab und errötet. Kaum haben die beiden die Lichtschranke im Eingangsbereich passiert, öffnen sich die Schiebetüren.

Ich blicke ihnen nach, diesem Paar, das sich noch immer zugetan ist, nach wer weiß wie vielen Jahren. Kurz bevor sich die Türen wieder schließen, beobachte ich, wie sie ihn auf den Hinterkopf küsst und seine Wange tätschelt, jetzt, da sie sich unbeobachtet fühlt.

Ich seufze und sage zu Tante Else, die neben mir auf der Bank sitzt:

„Ach, wie schön! So ein altes Ehepaar und noch immer verliebt.“

„Von wegen“, antwortet Tante Else schroff und blickt mich mit versteinerter Miene an.

„Wieso, von wegen?“, hake ich nach.

Tante Else lebt schon zwei Jahre in der Seniorenresidenz „Abendrot“, kennt alle Mitbewohner, hat die Augen und Ohren überall und ist aufs Beste informiert.

„Ja, der Kerl ist verheiratet, aber nicht mit ihr. Zweimal in der Woche kommt seine Ehefrau zu Besuch, dann zieht sich die Freundin diskret zurück, und wenn die Alte wieder weg ist, wird geturtelt, was das Zeug hält.“

„Oh! Wer hätte das gedacht?“

Ich bin überrascht, denn mit dieser Enthüllung hatte ich nicht gerechnet. Meine Tante verschränkt die Arme vor der Brust.

„So sind sie, die Männer! Das wirst du auch noch erfahren, mein Liebes.“

„Aber doch nicht alle“, widerspreche ich. „Schau, du und Onkel Georg, ihr wart doch das Vorzeigeehepaar in der ganzen Verwandtschaft und es fehlte nicht viel, ihr hättet auch noch die goldene Hochzeit geschafft.“

Tante Else atmet tief durch.

„Ja, ja, beinahe hätten wir‘s geschafft, 50 Jahre Ehe, und Schorsch fast immer zweigleisig!“, klärt sie mich auf. „Aber jetzt muss ich zum Essen.“

Sie reicht mir die Hand.

„Tschüss, war schön, dass du mich besucht hast. Komm bald wieder.“

„Tschüss, Tante Else, ja, mach‘s gut und bis bald.“

Tante Else und ihr Rollator verschwinden hinter der Glastür und ich bleibe zurück.

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