Читать книгу kurzgeschichtet - Anita Koschorrek-Müller - Страница 9

Оглавление

Die Rallye

Es gibt Tage im Leben, die sollte man einfach wieder vergessen! Es war an einem Freitag, 16.00 Uhr, Feierabend. Der Feierabend an einem Freitag fühlt sich anders an, als an einem Mittwoch oder gar an einem Montag, einfach besser! Das Besondere an meinem Freitagfeierabend war für mich das anschließende Training im Sportverein. Immer wieder ein Highlight! So konnte die Woche ausklingen. Während des Trainings rückten Frust und Ärger der letzten Woche auf Abstand. Sportliche Aktivitäten setzen eben Glückshormone, die Endorphine, frei und beim anschließenden Glas Bier im Clubraum, mit ein paar netten Leuten, kam ich mal wieder zu der Erkenntnis: Das Leben ist schön! Da wusste ich allerdings noch nicht, was mir an diesem Abend und in der folgenden Nacht bevorstand: Die Rallye! In der Zeitung hatte ich davon gelesen, aber was ging mich das an? Damit hatte ich nichts am Hut. Autos waren für mich Transportmittel, um von A nach B zu kommen, und keine Sportgeräte. Aber bald schon musste ich feststellen, dass es Menschen gab, meist Männer, die das vollkommen anders sahen.

Gegen 20.00 Uhr machte ich mich mit meinem roten Auto von der Sporthalle auf den Heimweg. Seit einigen Jahren nannte ich ein kleines Bauernhaus am Ortsrand eines beschaulichen Dorfes mein Eigen. Dort, wo Fuchs und Hase sich „Gute Nacht sagen“, zwischen Wiesen und Feldern, war mein Zuhause. Von der Bundesstraße bog ich rechts ab, auf die Kreisstraße und hätte nach etwa drei Kilometern mein Dorf erreicht, wäre da nicht diese Straßensperre gewesen.

„Oh je“, dachte ich, „bestimmt ein schlimmer Unfall.“

Ich hielt an, stieg aus und ging auf die zwei Gestalten in den leuchtend orangefarbenen Warnwesten zu, die müde an der Absperrung lehnten und eine Zigarette rauchten.

„Was ist denn passiert?“, lautete meine Frage. „Wann kann ich denn hier weiterfahren?“

Einer der beiden Männer, ein Dicker mit saarländischem Dialekt, antwortete: „Ei, geh fott, heut net, da geht de Rallye!“

„Wie bitte? Ich muss doch irgendwie nach Hause kommen, ich wohne im nächsten Dorf!“

Da meldete sich der andere zu Wort, ein Blondschopf, dessen Haare mit Hilfe von mindestens einem Viertelpfund Haargel senkrecht in die Luft standen. Ich glaube, er hielt sich für unwiderstehlich.

„Aber hallo, junge Frau, die Rallye geht die ganze Nacht. Sie könnten aber gerne heute Nacht bei uns bleiben, wir würden uns dann ein bisschen nett unterhalten.“

„Vielen Dank, kein Bedarf! Jetzt sagen Sie mir doch bitte, welche Zufahrt zu meinem Dorf möglich ist. Man wird ja sicher nicht das ganze Dorf von der Außenwelt abgeriegelt haben.“

„Hm“, meinte der Dicke, „vielleischd iwwer de K zwoeverzisch, awwer do misse Se uff da Bundesstrooß surück in de Stadt fahre.“

Meine gute Feierabendlaune war dahin. Ich wendete mein Auto und fuhr zurück. Halt! Stopp! Da gab es doch noch den Schleichweg vom Nachbardorf aus, der führte direkt vor meine Haustür. Ich bog links ab, Richtung Nachbardorf und dann wieder links auf den Wirtschaftsweg und dann rechts auf den Waldweg, der nach etwa einem Kilometer bei meinem Haus endete.

Nach 300 m, mitten im Wald, ich traute meinen Augen kaum, eine Straßensperre! Ein kleiner Mann mit Glatze, in orangefarbener Warnweste, kam sofort angerannt und baute sich mit wedelnden Ärmchen vor meinem Auto auf. Da ich bereits mein Tempo verringert hatte, gelang es mir, unmittelbar vor diesem Bild von einem Mann, mein Auto zum Stehen zu bringen. Ich öffnete das Fenster.

„Ei Fräuleinche, so geht des aber nit. Hier is die Rallye! Hier geht’s net weider!“

Aha, ein Hesse, vermutlich ein Frankfurter. Ich stieg aus.

„Jetzt hören Sie mir mal zu, junger Mann! Wenn ich jetzt hier etwa einen Kilometer weiterfahre, dann bin ich direkt vor meiner Haustür. Also drücken Sie mal ein Auge zu und lassen mich jetzt hier durch!“

„Nee, nee, Fräuleinche, des geht net! Es sinn schon ein paar Waren uff de Rennstreck unnerwechs. Des is jetzt lewensgefährlisch! Sie dürfen hier net dursch!“, antwortete der hessische Streckenposten, richtete sich kerzengerade auf und wurde dadurch mindestens zweieinhalb Zentimeter größer.

In diesem Moment glitten zwei Lichtstrahle durch den Tannenwald. Für einen kurzen Augenblick wurden der kleine Hesse und ich vom Scheinwerferlicht eines heranbrausenden Autos erfasst. Dann schwenkten die Scheinwerferlichter nach rechts ab. Mit einem ohrenbetäubenden Dröhnen verschwand das Auto in der Dunkelheit. Ich hatte ein Einsehen. Solange diese Irren unterwegs waren, fuhr ich besser keinen Meter weiter.

Nachdem meine Trommelfelle wieder einigermaßen funktionierten, wandte ich mich an den kleinen Hessen: „Können Sie mir denn wenigstens sagen, über welche Straße ich mein Dorf erreichen kann?“

„Da müsst isch mal jemand von der Rennleidung fraren. Wie heißt dann Ihr Dorf? Isch bin nämlisch net von hier!“

„Ich dachte es mir, man hört‘s.“

Der Streckenposten verschwand in der Dunkelheit und rief nach einem gewissen „Schorsch“. Kurz darauf erschien der „Schorsch“ mit einer Straßenkarte in der Hand.

„Joa mei, Madel, des is fei ganz schlecht!“, erklärte mir Schorsch, ein Bayer, und breitete seine Straßenkarte auf der Motorhaube meines Autos aus. Schorsch trug zwar keine Lederhosen, aber einen Vollbart. Ich zeigte Schorsch, wohin ich wollte und Schorsch zeigte mir, wo überall gesperrt war. Von den vier Möglichkeiten in mein Dorf zu gelangen waren drei hundertpro dicht. Ob die vierte Möglichkeit Erfolg versprach, würde vom Rennverlauf abhängen.

„Sixt Madel, un nu musst halt z’ruck!“

Im Schritttempo fuhr ich auf dem schmalen, vom Rückfahrscheinwerfer nur spärlich beleuchteten Waldweg zurück. Nach einer halben Ewigkeit fand ich eine Stelle zum Wenden, fuhr zum nächsten Dorf und dann zur Bundesstraße. Nach etwa zwanzig Minuten kam ich wieder in der Stadt an und startete nun einen weiteren Versuch, diesmal über die Uferstraße, mein Heimatdorf zu erreichen. Viele Wege führen ja bekanntlich nach Rom, aber wahrscheinlich heute Nacht nur einer nach Hause. Kurz vor elf erreichte ich das andere Nachbardorf, setzte den Blinker, bog von der Dorfstraße ab und stand zum dritten Mal vor einer Straßensperre. Ich stellte den Motor ab, legte den Kopf auf das Lenkrad, und dachte über den Sinn des Lebens nach.

Jemand klopfte an das Seitenfenster meines Autos. Ich hob den Kopf und blickte nach links in das grinsende Gesicht eines jungen Schnösels: „Na, war wohl heute Abend ein Glas Bier zu viel?“

Der Mann trug eine schwarze Lederjacke, auf der viele Reklameschilder verschiedener Benzinmarken klebten, und natürlich eine orangerote Warnweste. Ich begann augenblicklich mit Atemübungen, um meine angeschlagenen Nerven zu beruhigen. Die Sätze: ‚Ganz ruhig bleiben! Ich bring ihn um! Tief durchatmen! Ich steig jetzt aus und schreie! Der regt mich nicht auf, der nicht! Ich hau ihm eine aufs Maul!‘, kreisten durch mein Hirn.

Nachdem ich mich wieder im Griff hatte, stieg ich langsam aus. Der Schnösel war inzwischen zu seinem Kumpel gegangen, der an der Absperrbarriere lehnte und gähnte. Die beiden unterhielten sich und ich konnte jedes Wort verstehen.

„Ich glaube, die da, in dem roten Auto, ist ganz schön besoffen“, sagte er mit gedämpfter Stimme. „Sollen wir nicht besser die Bullen rufen?“

Blitzschnell stand ich neben diesem dünnbrettbohrenden Streckenposten und legte los: „Ja, tun Sie das nur, rufen Sie die Polizei, vielleicht bekomme ich dann eine Eskorte, um endlich nach Hause zu fahren. Was ihr Euch hier erlaubt, das ist ja wohl das Hinterletzte!!! Jetzt fahre ich seit drei Stunden in der Gegend herum und niemand kann mir sagen, wie ich nach Hause komme, und alles wegen dieser bescheuerten Rallye! Ihr meint wohl, ihr könnt euch alles erlauben, statt die Anwohner vernünftig zu informieren, über das, was hier heute Abend abgeht. Sie sagen mir jetzt sofort, ob auf dieser Straße noch ein paar Irre unterwegs sind und dann fahr ich weiter und wagen Sie es nicht, mich daran zu hindern!!!“

Die beiden Streckenposten, der grinsende Schnösel und der Gähner, wichen einen Schritt zurück und blickten mich entgeistert an. Der Gähner, ein Rothaariger mit Schnurrbart, fand als erster seine Sprache wieder. Zwischen uns entwickelte sich ein handfester Streit, der damit endete, dass der rothaarige Gähner ein Sprechfunkgerät zückte und mit irgendjemandem von der so genannten „Rennleitung“ Kontakt aufnahm: „Also ich müsste unbedingt wissen, ob auf der L 41 noch Wagen unterwegs sind, hier steht nämlich eine junge Frau, die will nach Hause und muss über die L 41 fahren.“

Eine quakende Stimme aus dem Sprechfunkgerät antwortete, dass die L 41 jetzt frei sei.

„Sehen Sie, junge Frau“, sagte der Schnösel, der inzwischen nicht mehr grinste, „wozu denn die ganze Aufregung und jetzt bleiben Sie mal schön auf dem Teppich. Sie haben ja gehört, die Rennleitung gibt die Strecke jetzt frei und Sie können nach Hause fahren.“

„Ich habe gehört, was Ihre Rennleitung gesagt hat, und ich habe auch gehört, dass Sie gesagt haben, ich wäre besoffen“, antwortete ich, „und ich bestehe darauf, dass Sie sich dafür entschuldigen!“

„Na ja, was soll man denn denken, wenn jemand mitten in der Nacht sein Auto abstellt und den Kopf auf das Lenkrad legt? Jetzt stellen Sie sich mal nicht so an.“

„Eine Entschuldigung ist das zwar nicht“, entgegnete ich, „aber ich habe keine Lust mehr auf irgendwelche Diskussionen mit Streckenposten. Jetzt lassen Sie mich hier durchfahren, auf Wiedersehen meine Herren!“

Ich setzte mich in mein Auto und fuhr nach Hause. Nach zehn Minuten hatte ich mein Ziel erreicht. Mein Kater Wasti wartete schon vor der Haustür. Wir gingen ins Haus, Wasti bekam sein Futter und ich kochte mir noch eine Tasse „Schlaf- und Nerventee“. Ich wollte nur noch schnell ins Bett und nahm die Tasse Tee mit ins Schlafzimmer. Dann lag ich im Bett, schlürfte meinen Tee und ließ die Ereignisse des Abends noch mal Revue passieren. Diese Geschichte müsste ich eigentlich aufschreiben, aber glauben würde die mir sowieso keiner.

Die Straßenlaterne in meiner Straße stand glücklicherweise vom Haus weit genug entfernt, sodass ich die Fensterläden im Sommer nicht zu schließen brauchte. Als ich noch in der Stadt wohnte, ärgerte ich mich immer über das Licht der Straßenlaterne, die unmittelbar vor meinem Schlafzimmerfenster stand. Hier aber konnte ich vom Bett aus die Sterne sehen.

Doch plötzlich wanderte ein Lichtstrahl vom Fenster über die Wand bis zu meinem Bett. Motorengeräusch war zu hören, kam langsam näher, wurde lauter, lauter und verschwand dann wieder in der Nacht. Wer war denn jetzt noch unterwegs? Nach zwei Minuten das gleiche Spiel. Es war kein Traum! Es war Realität! Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitzschlag! Die RALLYE! Sofort sprang ich auf und schloss die Fensterläden. Dann legte ich mich wieder ins Bett und versuchte, die Geräusche zu dämpfen, indem ich meinen Kopf unters Kissen steckte. Die Luft wurde knapp, ich begann zu schwitzen und das Brummen der Motoren war immer noch zu hören. Alle paar Minuten näherte sich ein Rennwagen. Das Motorengeräusch wurde lauter, dann ein Aufheulen und das Dröhnen wurde wieder schwächer. Irgendwann musste ich wohl eingeschlafen sein. Ich träumte von riesigen brummenden Insekten, die mich verfolgten. Auf der Flucht vor diesen Viechern stellten sich mir immer wieder große, kleine, dicke, dünne, rothaarige, blonde und bärtige Männer in den Weg und alle trugen orangefarbene Warnwesten.

Am späten Vormittag erwachte ich. Stille! Der Albtraum hatte ein Ende. Als ich die Zeitung aus dem Briefkasten holte, traf ich meine Nachbarin.

„Guten Morgen, ich dachte schon du wärst krank, weil deine Fensterläden so lange geschlossen waren“, sagte Rosa. „Das ist man von dir gar nicht gewöhnt.“

„Morgen Rosa, ich bin rallye-geschädigt! Erst haben die mich gestern Abend nicht ins Dorf gelassen und dann sind die die halbe Nacht durch den Wald gebrettert. Habt ihr das denn nicht gehört?“

„Doch schon, aber unser Schlafzimmer liegt ja nach hinten raus, da war es nicht ganz so schlimm“, entgegnete Rosa.

„Ich wollte heute so viel im Garten arbeiten, aber da wird wohl nichts draus“, erklärte ich. „Ich fühle mich wie gerädert.“

Bis Sonntag hatte ich mich erholt und schon bald war es wieder Montag und ich musste zur Arbeit. In der Mittagspause las ich in der Zeitung einen Artikel über die Rallye. Laut Zeitungsbericht war die Rallye ein voller Erfolg. Leider gab es einige Kollateralschäden. Ein Reh, ein Hase und ein Fuchs hatten das Rennen nicht überlebt und fanden ihren Tod im Straßengraben.

Eine oder mehrere männliche Leichen, in orangefarbenen Warnwesten, wurden nicht gefunden. Das wunderte mich! Sollte ich die einzige Person gewesen sein, die von der Rallye strapaziert worden war? Um meinem Ärger Luft zu machen, schrieb ich einen Brief ans Ordnungsamt, das für die Ausrichtung der Rallye zuständig war. Ich warte übrigens immer noch auf eine Antwort.

Wenn ich heute lese oder höre, dass eine Rallye stattfindet, suche ich das Weite. Ich möchte nämlich die restlichen Jahre meines Lebens weder hinter Gittern noch in der Klapse verbringen.

*Ich danke meinem Freund Harald für die Unterstützung in Sachen Fremdsprachen und, dass er mich überhaupt auf die Idee gebracht hat, diese Geschichte aufzuschreiben. Es hat riesigen Spaß gemacht

kurzgeschichtet

Подняться наверх