Читать книгу Strullkötters Gastmahl - Anja Kuemski - Страница 5

Kapitel 2

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Ein adrett gekleidetes Dienstmädchen öffnete Kattenstroth und führte ihn in das geräumige Wohnzimmer. Dort hatten sich offensichtlich bereits weitere Gäste versammelt. Zu Kattenstroths Kummer war Ortsgruppenleiter Pannhorst tatsächlich unter ihnen. Die anderen Anwesenden ignorierte er zunächst, da der Hausherr bei seinem Eintreten aufgesprungen war und nun auf ihn zu eilte, als begrüße er einen lange verschollen geglaubten Freund.

„Mein lieber Kattenstroth! Wir hatten uns schon Sorgen gemacht, nicht wahr, Auguste?“, fragte er die magere Frau an seiner Seite, die mit etwas verkniffenem Lächeln nickte und ebenfalls auf ihn zukam.

Heinrich August Strullkötter war kein Mann, dem man ohne guten Grund widersprach, und sie hatte ohne Zweifel über die Jahre gelernt, das nur im Notfall zu tun. Dass sie sich wirklich Sorgen gemacht hatte, konnte ernsthaft bezweifelt werden, denn es war nicht so, dass man oft miteinander zu tun hatte. Hin und wieder lief man sich über den Weg, grüßte, sprach ein paar Worte. Seit er vor fünf Jahren erst nach Westen und dann nach Osten abgerückt war, hatte er sie überhaupt nur ein einziges Mal gesehen, beim letzten Heimaturlaub. Und da hatte er wahrlich andere Interessen gehabt, als mit den Nachbarn zu plaudern. Damals hatte ihn nichts anderes gekümmert, als endlich seine Frau zu sehen. Zwei Tage hatte er bleiben dürfen, dann hatte er wieder zurückgemusst zur Truppe, die auf dem Weg nach Osten war.

„Herr Strullkötter. Gnädige Frau“, sagte er artig und grüßte militärisch zackig.

„Heil Hitler!“, brüllte Eduard Pannhorst neben ihm und schaute ihn von oben herab an.

Kattenstroth seufzte innerlich. Das konnte ein langes Essen werden. Anstatt zu antworten, nickte er nur und wandte sich den anderen Gästen zu.

Auguste Strullkötter wusste, was von ihr erwartet wurde, und stellte sie ihm vor.

„Zuerst die Damen, ich weiß ja, was sich gehört. Darf ich Ihnen also Elsbeth Hartung vorstellen? Sie ist eine erfolgreiche Heimatdichterin. Zum letzten Geburtstag unseres Führers hat sie ein Gedicht verfasst, das sogar in der Zeitung abgedruckt wurde. Sie ist außerdem stellvertretende Führerin in der NS-Frauenschaft unserer Ortsgruppe.“

Kattenstroth nahm die Hand der Dichterin und deutete einen Handkuss an, anstatt den Arm zu heben, was sie nicht zu stören schien, sondern ihr rundes Gesicht mit einer leichten Röte überzog.

Er war sich sicher, den Namen schon einmal gehört zu haben. Malwine turnte im Verein an der Königsbrügge und da kam man an der NS-Frauenschaft einfach nicht vorbei. Frau Hartung war nicht nur rein äußerlich eine Vorzeige-Deutsche, sondern hatte die treue Gefolgschaft des Führers derart verinnerlicht, dass sie jedes Mal bei der Erwähnung seines Namens verzückt aufseufzte. Zumindest behauptete Malwine das. Er nahm sich vor, darauf zu achten.

„Und sicherlich haben Sie auch schon von Thea Winter gehört, dem kommenden UFA-Star. Sie hat ihre Karriere hier am Stadttheater begonnen, aber inzwischen dreht sie auch mit Gründgens.“

„Aber nicht doch“, wehrte die junge Dame mit schlecht gespielter Bescheidenheit ab, beobachtete aber dann sehr genau durch ihre langen falschen Wimpern hindurch seine Reaktion.

„Mit Gründgens, alle Achtung“, erklärte Kattenstroth bereitwillig und deutete bei ihr ebenfalls einen Handkuss an.

Zufrieden lächelte sie und ließ ihre Hand noch einen Moment in seiner verharren. Seines Wissens nach hatte die junge Schauspielerin mitnichten an der Seite von Gustaf Gründgens gefilmt, sondern hatte es lediglich bewerkstelligt, auf ein Foto mit ihm zu gelangen, welches anlässlich einer Filmpremiere in Berlin gemacht worden war. Allerdings stand zu erwarten, dass sie mit ihrem Aussehen beim Hinkebein durchaus Chancen hatte, in die Riege der begehrten UFA-Stars aufzusteigen, die in erster Linie an seiner Seite glänzten, anstatt auf der Leinwand.

Er hielt es nicht für nötig, seine Gedanken zu dem Thema mitzuteilen und wandte sich den beiden Herren zu, die er noch nicht kannte.

„Oberbaurat Rudolf Möller, mein lieber Kattenstroth, hat große Pläne für unseren Kesselbrink. Er möchte es unserem Führer gleichtun und die Überlegenheit des deutschen Volkes durch ebensolche Bauten dokumentieren. Seine Entwürfe stehen denen des Herrn Speer in nichts nach, wenn ich das so sagen darf.“

„Wirklich beeindruckend“, schwafelte Kattenstroth und fragte sich, ob er schon jetzt zu gelangweilt klang. Aber entweder schien niemand seine Mühe zu bemerken oder man war es so sehr gewohnt, mit einem gewissen Maß an Scheinheiligkeit umzugehen, dass es niemanden mehr überraschte.

„Wir werden in Bielefeld einen Aufmarschplatz haben, da träumt man in Nürnberg nur von“, protzte der Oberbaurat. „Haben Sie da schon mal …? Also, sind Sie da aufmarschiert, Kattenstroth?“

„Nein, als das groß in Mode kam, stand ich an der Westfront.“

Irritiert rückte Möller seine Brille zurecht und schaute tadelnd zu Strullkötter, als sei es dessen Schuld, dass Kattenstroth sich ungehörig benahm. Die Hausherrin überspielte die Situation gekonnt und stellte auch den letzten Herrn vor.

„Wolfgang Wichmann, stellvertretender Chefredakteur der Westfälischen Neuesten Nachrichten.“

„Heil Hitler“, sagte der Mann mit Nachdruck und hob die Hand zum Gruß. Kattenstroth warf einen verstohlenen Blick auf Frau Hartung und musste ein Lachen unterdrücken. Malwine hatte Recht gehabt. Statt den Gruß zu erwidern, lächelte er den Redakteur unverbindlich an.

„Und dies ist natürlich Richard Kattenstroth, Oberleutnant der 6. Infanterie-Division, Träger des Eisernen Kreuzes Zweiter Klasse, Infanterie-Sturmabzeichen in Silber und der Medaille Winterschlacht im Osten. Wir sind stolz auf Sie, Kattenstroth, wirklich stolz.“

Tatsächlich sah Strullkötter so aus, als würde er vor Stolz platzen, als hätte er höchstselbst den weiten Weg nach Russland unternommen, um ihm das Zeug an die Brust zu heften. Aber keiner der hier Anwesenden war je über die Grenzen Westfalens hinausgekommen, da war Kattenstroth sich ziemlich sicher.

„Ich fürchte, ich muss Sie korrigieren, Herr Strullkötter. Die 6. Infanterie-Division existiert nicht mehr, es gab nur ein paar hundert Überlebende. Wir wurden eingesammelt und zusammen mit der 552. Grenadier-Division neu aufgestellt. Wir sind jetzt die 6. Grenadier-Division und wenn ich die Lage richtig einschätze, wird es die auch nicht lange geben.“

„Das ist …, das sollten Sie nicht …“, stammelte der Hausherr und blickte sich um, als befürchte er, die Gestapo würde ihn abholen, weil er nicht verhindert hatte, dass jemand so etwas aussprach.

Ortsgruppenleiter Pannhorst ließ es sich natürlich nicht nehmen, sofort darauf hinzuweisen, dass solche Äußerungen schon gefährlich nahe an Volksverhetzung grenzten und nur deshalb mit Nachsicht zu behandeln waren, weil er sicherlich noch unter den Folgen seiner Verletzung litt.

„Ansonsten möchte ich aber doch darauf bestehen, solche antideutschen Äußerungen nicht hören zu müssen.“ Er bedachte Kattenstroth mit einem boshaften Blick.

„Ich bin sicher, der Oberleutnant hat es nicht so gemeint, Eduard“, erklärte die junge Schauspielerin und warf ihm einen verschwörerischen Blick zu, der wohl mondän wirken sollte, jedoch eher dazu führte, dass Kattenstroth sich vornahm, ihr aus dem Weg zu gehen. Was auch immer da im Dunstkreis des Hinkebeins so üblich war, er wollte lieber nichts davon wissen.

„Tja, wollen wir uns dann zu Tisch begeben?“ Auguste Strullkötter reichte ihm ihren Arm und signalisierte ihm damit, dass er offenbar Ehrengast war. Das entsprach erst recht nicht seinen Vorstellungen eines gelungenen Mittagessens, ließ sich aber nun wohl nicht mehr vermeiden.

Erneut rief er sich die Ermahnungen seiner Gattin ins Gedächtnis, nichts Unbedachtes zu sagen. Bisher war er da offenbar nicht sonderlich klug vorgegangen. Manchmal war der Mund einfach schneller als das Hirn.

Als man saß, brachte das Dienstmädchen eine Suppenterrine herein und schöpfte jedem ungefragt etwas in den Teller. Anscheinend hatte er sich ganz erheblich verspätet, wenn man sich jetzt so beeilte mit dem ersten Gang.

„Es tut mir leid, gnädige Frau, dass ich so spät gekommen bin, aber im Geschäft …“ Er ließ den Rest offen und lächelte die Hausherrin entschuldigend an.

„Sie sind auf Heimaturlaub und helfen im Geschäft aus? Kattenstroth, Sie sind ja ein ganz Unverwüstlicher“, spottete Pannhorst.

„Ich finde es imponierend, dass Sie Ihrer lieben Frau helfen, trotz der schweren Verwundungen.“

Frau Strullkötter lächelte ihn besonders freundlich an. Offenbar konnte sie den Ortsgruppenleiter auch nicht leiden.

„Welcher Art waren denn Ihre Verletzungen?“, wollte die junge Schauspielerin wissen.

Kattenstroth würde nie verstehen, worin der Reiz für diese jungen Frauen lag, ausgerechnet danach immer wieder zu fragen. Bewunderung lag in ihrem Blick, aber auch eine unterschwellige Erregung, die seine Befürchtungen zu bestätigen schien.

„Granatsplitter im Bein, Erfrierungen in Händen und Füßen, Schussverletzung am Hals“, spulte er herunter. Es war ihm unangenehm, darüber zu reden und er wollte keinesfalls, dass es zum zentralen Thema bei diesem Essen wurde.

Wie zu erwarten, reckten alle ihre Hälse, um wenigstens eine Narbe am Hals zu erkennen, aber der Kragen seiner Uniform verhinderte das glücklicherweise. Schlimm genug, dass man seiner linken Hand ansah, dass sie zu nichts mehr zu gebrauchen war, selbst wenn es nur darum ging, die Gabel ordentlich festzuhalten. Mit etwas Glück würde er damit als untauglich für die Front eingestuft, wenn er in ein paar Tagen zum Stabsarzt ging. Zumindest hatte der Arzt im Lazarett das angedeutet, bevor er ihn in die Heimat geschickt hatte.

„Ich bin sicher, es gibt appetitlichere Themen zum Essen“, gab er schließlich zu bedenken und hoffte, dass wenigstens Frau Strullkötter diesen Hinweis aufnehmen würde.

Nachdem jeder Suppe bekommen hatte und auch die Weingläser gefüllt waren, hob der Gastgeber seines an.

„Verehrte Damen, werte Herren, ich möchte mich bedanken, dass Sie alle der Einladung in mein bescheidenes Domizil gefolgt sind an diesem wunderschönen sonnigen Tag. Heute vor vierzig Jahren hat mein Vater das Grundstück nebenan erworben und damit die Weichen gestellt, um aus einer kleinen Taschenfabrikation ein Unternehmen von Weltruf zu erschaffen. Fahrräder aus Bielefeld radeln überall in der Welt“, er wartete, bis alle gebührend über diesen Reim geschmunzelt hatten, „und nun obliegt es mir, daraus ein Unternehmen zu erschaffen, das nach dem Endsieg als Vorbild für andere dienen soll. Schon heute produzieren wir kriegswichtige Maschinengewehrteile, die dringend an der Front benötigt werden. Und diesen denkwürdigen Tag vor vierzig Jahren möchte ich heute im Kreise lieber Freunde feiern. Heil Hitler.“

„Heil Hitler“, antworteten alle, was der guten Frau Hartung sichtlich einen Schauer über den Rücken jagte. Heinrich Strullkötter prostete ihnen zu und sie tranken von dem Weißwein. Kattenstroth verstand nicht viel davon, aber er musste zugeben, dass er sehr gut schmeckte.

Prüfend blickte er auf seinen Teller, um sich die Suppe genauer anzusehen, bevor er davon aß. Farbe und Geruch ließen ihn jedoch nicht lange im Zweifel, was er da vor sich hatte und beruhigt begann er zu essen. Kürbissuppe. Das war unverfänglich und konnte selbst einem linientreuen Parteigenossen wie Eduard Pannhorst nicht den Appetit verderben.

Um alle Missverständnisse auszuräumen, sah sich die Gastgeberin offenbar auch genötigt, eine grundsätzliche Erklärung abzugeben. Frau Strullkötter war eine umsichtige und kluge Frau, das musste Kattenstroth anerkennen.

„Damit Sie sich nicht wundern, was wir heute alles auf den Tisch zaubern, kann ich Sie beruhigen, selbstverständlich muss niemand auch nur einen einzigen Abschnitt seiner Bezugsscheine abgeben.“

Alle lachten höflich, wobei der Ortsgruppenleiter ein wenig säuerlich dreinblickte.

„Unsere Tochter Hannelore hat es sich in den Kopf gesetzt, alles nur erdenkliche Obst und Gemüse auf den wenigen Metern anzubauen, die unser Garten hergibt.“ Sie wies mit der Hand vage in Richtung Garten. „Alles, was wir Ihnen heute anbieten, ist aus unserem eigenen Anbau. Also, die Kürbissuppe ist wirklich vollständig unserem Garten entwachsen, wenn ich das so sagen darf.“

„Wo ist denn das werte Fräulein Tochter?“, fragte der Redakteur Wichmann.

Es war ihm anzusehen, dass er auf die Anwesenheit der jungen Dame offensichtlich gehofft hatte. Das Stirnrunzeln der Gastgeberin verriet, dass sie das ebenfalls bemerkt hatte und keineswegs billigte. Kattenstroth konnte das nachvollziehen. Hannelore Strullkötter war erst sechzehn, wenn er sich nicht irrte.

„Unsere Tochter hat sich ganz dem Dienst am Führer verschrieben und hilft heute in der Feldküche am Bahnhof aus. Und unser Werner ist bei seiner HJ-Jungenschaft. Seit er die Pimpfenprobe bestanden hat, ist er gar nicht mehr zu bremsen.“

Die Enttäuschung über die Abwesenheit der halbwüchsigen Tochter stand dem Redakteur ins Gesicht geschrieben, wohingegen er für den Sohn des Hauses offenbar nicht das geringste Interesse aufbringen konnte.

Kattenstroth hatte schon bald nach der Gleichschaltung der Presse aufgehört, Zeitung zu lesen, da er davon ausging, dort nicht mehr mit Fakten versorgt zu werden. Andererseits hatte auch die linke Presse damit meistens gegeizt. Er verließ sich lieber auf das, was er mit eigenen Augen und Ohren mitbekam. Seit einiger Zeit war es um seine Wahrnehmung aber nicht mehr zum Besten bestellt. Vielleicht hatte der Lazarettarzt das damit gemeint, als er von einem schlechten Allgemeinzustand sprach.

Da man ihn zunächst in Ruhe ließ, genoss er die ausgezeichnete Suppe, die nur eine winzige Spur zu sehr nach Essig schmeckte, was ihn aber nicht störte, da seine Geschmacksnerven ohnehin nicht mehr die besten waren. Kräuter waren etwas, woran kein Mangel herrschte, und so hatte man auch hier nicht damit gegeizt. Aber selbstverständlich gab es überhaupt keinen Mangel an irgendetwas, wo dachte er denn hin?

Jeder Deutsche erhielt immer genau das, was für ihn erforderlich war, in genau der Menge, die für ihn erforderlich war. Oder was die Partei für erforderlich hielt. Kattenstroth wusste, dass sich das dramatisch ändern würde, sobald die Gebiete im Osten wieder verloren waren, die man zurzeit noch ausbeuten konnte.

„Kattenstroth, was sagen Sie denn zu unserem grandiosen Sieg bei Arnheim, was?“, fragte Pannhorst in einen Moment der Stille hinein.

Es wäre aber auch zu schön gewesen, wenn man das Thema hätte vermeiden können. Noch bevor er tatsächlich etwas dazu sagen konnte, hatte Wolfgang Wichmann das Wort ergriffen.

„Model und von Rundstedt, das sind wahre Deutsche. Soldaten mit Format. So können wir die vorübergehend verlorenen Gebiete im Westen zurückerobern. Man sollte einen von beiden mal besser in den Osten schicken, meinen Sie nicht, Kattenstroth? Der Paulus, der war ja unfähig. Ein Mann wie Model, der hätte Stalingrad halten können.“

Er blickte sie alle der Reihe nach an, als wolle er sie herausfordern, ihm zu widersprechen. Dabei lief ihm ein Tropfen Suppe am Kinn herunter, was es allen unmöglich machte, nicht fasziniert hinzuschauen. Als Wichmann sich der merkwürdigen Blicke schließlich bewusst wurde, tupfte er sich vorsichtshalber den Mund ab, was alle Betrachter aus einer Art Trance weckte.

Da nun doch noch von Kattenstroth eine Antwort erwartet wurde, nahm der sich viel Zeit, aß noch einen Löffel Suppe, tupfte sich den Mund ab, trank einen Schluck Wein, tupfte sich wieder den Mund ab und musterte Wichmann und Pannhorst schließlich mit betont kühlem Blick.

„Ohne Frage sind Model und von Rundstedt große Strategen; haben Sie die Herren mal kennengelernt?“

Solche Fragen stellte er recht gern, wenn ein Wichtigtuer allzu große Töne spuckte. Denn niemand würde infrage stellen, dass er mit den Herren Generalfeldmarschalls so gut wie per du war, was nicht stimmte, aber niemand nachprüfen konnte, da sie selber nur mit dem Mund große Soldaten waren und die Front nur aus dem Heeresbericht und der Wochenschau kannten. Und damit hatte er erfolgreich das Problem umgangen, dass er Model für einen Verbrecher hielt und es auch nicht fertiggebracht hätte, ein weiteres Wort über diesen Mann zu verlieren, ohne seine Ansicht dazu detailliert preiszugeben.

Er warf Frau Strullkötter einen weiteren entschuldigenden Blick zu, den die Dame sofort verstand.

„Meine Herren, ich denke, wir sollten den Oberleutnant heute einmal verschonen mit diesen Dingen. Immerhin ist er auf Heimaturlaub, da möchte er sich bestimmt nicht auch noch mit dem Frontverlauf auseinandersetzen.“

Aber Pannhorst war noch nicht fertig.

„Jetzt kommt die Gegenoffensive, da können die Lügenbarone in Amerika noch so viele Boys schicken. Der deutsche Soldat lässt sich von den Negern eben nicht verdrängen. Und dann stoßen wir bis zum Atlantik vor und schicken den Feind zurück ins Meer.“

„Heil Hitler“, fügte der Redakteur mit glänzenden Augen hinzu. „Wir müssen aber auch hier im Reich aufräumen. Die Verräter vom 20. Juli dürfen keine Nachahmer finden.“

„Da hat der Führer gründlich aufgeräumt, glauben Sie mir, Wichmann. Die Deutschen stehen weiterhin geschlossen hinter ihm, das war nur ein kleiner Kreis, verführt von bolschewistischer Propaganda. Es gibt keinen organisierten Widerstand mehr im Deutschen Reich!“

Er richtete sich zu voller Größe auf und schlug mit der Hand auf den Tisch, als wolle er so jeden Widerspruch im Keim ersticken.

Kattenstroth dachte an seine eigene Mutter, die sehr wahrscheinlich protestantische Flugblätter in Särgen schmuggelte und hielt sich mit jeglichem Kommentar zurück.

„Natürlich nicht“, ergänzte Strullkötter mir einer abwehrenden Geste, als habe er höchstselbst dafür gesorgt, dass dies so war. „Hier in Bielefeld hat man schließlich auch gerade erst kurzen Prozess gemacht mit den kommunistischen Vaterlandsverrätern bei Benteler und Dürkopp. Und die Stimmung in der Truppe ist nach wie vor siegessicher, nicht wahr, Kattenstroth?“

„Mit Verlaub, Herr Strullkötter, die meisten Soldaten haben wahrlich anderes zu tun, als sich mit Propaganda, von welcher Seite auch immer, auseinanderzusetzen.“ Warum nur konnte er nicht einfach lügen? Und war es überhaupt eine Lüge? Es gab eine Menge Kameraden, die nach wie vor unerschütterlich an den Endsieg glaubten und jede noch so harmlose Äußerung über den Führer als Wehrkraftzersetzung denunzierten.

„Es muss schrecklich sein, all die Toten, die Kälte, der Hunger“, mutmaßte Thea Winter und sie hatte dabei einen so romantisch-verklärten Blick, dass Kattenstroth übel wurde.

„Ist es“, quetschte er hervor. Die Bilder, die solche Bemerkungen hervorriefen, konnte er nur schwer wieder loswerden und sie waren gerade jetzt mehr als unwillkommen.

„Aber ich kann Ihnen versichern, das ist bald vorbei. Der Dr. Goebbels hat letztens noch gesagt, wir werfen jetzt noch mal alle Reserven in die Waagschale und dann ist es bald vorbei.“

„So, hat er das gesagt? An die Ansprache erinnere ich mich gar nicht“, wunderte sich der Journalist.

„Oh, das war keine Ansprache. Ich hörte, wie er das beim Empfang sagte, also, bei der Premiere von Immensee. Ich muss schon sagen, der Veit Harlan, das ist ein toller Mann. Und erst der Herr Dr. Goebbels! Da sieht man eben das Charisma. Sonst würde der Führer ihn ja nicht ausgewählt haben, nicht wahr?“

Betretenes Schweigen war die einzige Antwort. Selbst Pannhorst und Wichmann wussten auf so ein dümmliches Geschwätz nichts Passendes zu erwidern. Glücklicherweise wurden sie von dem Dienstmädchen erlöst, das den nächsten Gang hereintrug.

„Wirsingrolle“, erklärte Frau Strullkötter sogleich. „Wir halten auch Kaninchen und Hühner. Mine, bring doch bitte noch eine Flasche dieses Weißweins herauf, ja?“

Das Mädchen knickste und ging hinaus.

„Sie sollten Ihr Dienstmädchen freistellen, gnädige Frau. Sie sollte eigentlich besser kriegswichtige Tätigkeiten übernehmen. Wir müssen alle mit anpacken.“

Eduard Pannhorst hatte sich gleich mehrere der Wirsingröllchen auf den Teller gelegt und angefangen zu essen, noch bevor alle etwas genommen hatten.

„Sie meinen, so wie Sie mit anpacken?“, fragte die Gastgeberin mit zuckersüßem Lächeln.

Der Ortsgruppenleiter hielt kurz inne, als müsse er ihre Wortwahl genauer überdenken, dann nickte er und kaute weiter.

„Wir müssen eben alle unseren Beitrag leisten“, kam ihm Wichmann zur Hilfe. „Zum Beispiel mussten wir komplett die Westfälische Zeitung übernehmen, inklusive Kollegen und Abonnenten. Das war kein Kinderspiel. Die Kollegen wollten schließlich auch weiter als Journalisten arbeiten. Aber das geht natürlich nicht; wenn die überzählig sind, müssen die eben genauso woanders eingesetzt werden wie Ihr Dienstmädchen.“

Besagte Mine war eben mit dem Wein zurückgekehrt und hatte die letzte Bemerkung offenbar mit angehört. Sie war stehen geblieben und schaute ihre Arbeitgeberin entsetzt an. Diese gab ihr mit einem kurzen Kopfschütteln zu verstehen, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte.

„Arbeitskräfte fehlen eben an allen Ecken und Enden. Ich bin ja ganz froh, dass wir weiter produzieren können, aber ganz ehrlich, wohl ist mir bei dem Gedanken nicht, Ostarbeiter zu beschäftigen.“ Strullkötter wandte sich direkt an Kattenstroth. „Wir produzieren für die Wehrmacht. Stellen Sie sich mal vor, Ihre Kameraden an der Front bekämen minderwertige Ware! Wir kontrollieren die Ostarbeiterinnen so gut es eben geht, da sind wir sehr streng. Aber ganz sicher sein kann man da natürlich nicht. Außerdem muss man immer damit rechnen, dass die mal aufmucken. Ich habe streng verboten, auf dem Fabrikgelände den Rundfunk zu hören und meine deutschen Mitarbeiter dürfen auch keine Zeitungen mitbringen. Ich will nicht, dass die irgendetwas mitbekommen, was den Kriegsverlauf angeht.“

„Wo wohnen die eigentlich?“, fragte der Redakteur.

„Auf dem Fabrikgelände. Ich habe eine der Hallen, die für die Produktion derzeit nicht benötigt wird, als Wohnbereich eingerichtet. Denen geht es gut bei mir.“

„Na, hoffentlich nicht zu gut. Es kann ja nicht angehen, dass das deutsche Volk Hunger leiden muss, damit wir die Ostarbeiter mit durchfüttern können. Da müssen Sie dringend aufpassen, Strullkötter“, mahnte der Ortsgruppenleiter.

„Aber Herr Pannhorst!“, mischte sich Kattenstroth nun doch ein. „Sie wollen doch damit nicht wirklich sagen, dass das deutsche Volk tatsächlich Hunger leidet? Die Zuteilungen der Lebensmittelrationen sind an höchster Stelle bemessen worden. Denken Sie, man hat sich dort geirrt?“

Eduard Pannhorsts Gesichtsfarbe wechselte in rascher Folge von blass zu tiefrot.

„Das … das … natürlich würde ich das nie behaupten. Selbstverständlich hat das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft die Versorgung bis ins kleinste Detail hervorragend berechnet.“ Dann schien er Morgenluft zu wittern. „Aber Sie müssen doch zugeben, dass es eine zusätzliche Belastung für unser Volk darstellt, wenn wir dieses Pack mit durchfüttern müssen.“

„Wir haben diese Leute doch aber selber hergeholt.“

„Weil wir Arbeitskräfte brauchten. Dadurch wurden Arbeiter für den Kriegsdienst freigesetzt, das wissen Sie doch, Kattenstroth. Und wenn jetzt der Volkssturm kommt, dann müssen eben alle ran.“

„Ist das sicher?“, fragte der Oberbaurat, der sich bisher vornehm zurückgehalten und eher dem Wein gewidmet hatte.

„Der Führer will ihn, Goebbels hat ihn schon ausgerufen, wenn auch noch nicht offiziell“, erklärte der Redakteur mit weltmännischer Geste. „Kann sich aber nur noch um wenige Tage handeln, die meisten Städte heben schon aus, richtig Herr Ortsgruppenleiter?“

„Das stimmt. Bormann hat Anweisungen zur Durchführung geschickt. Wir sind natürlich entschlossen, diesen in allen Punkten nachzukommen. Bis Mitte Oktober soll ein Bataillon bereitstehen.“

„Und werden Sie sich selber dann rekrutieren? Als Vorbild sozusagen?“

Frau Strullkötter ließ nach wie vor nicht erkennen, ob sie es ernst meinte oder den Parteifunktionär verspottete. Kattenstroth musste anerkennen, dass sie darin weitaus geschickter vorging als er selber. Er prostete ihr lächelnd zu, was sie ebenso erwiderte.

„Ich habe andere Aufgaben, gnädige Frau, aber das sind militärische Details, mit denen ich Ihr hübsches Köpfchen nicht belasten möchte.“

„Ach, belasten Sie ruhig, mein Bester, belasten Sie ruhig“, mischte sich der Gastgeber ein. „Meine Frau versteht eine Menge von Strategie und Buchhaltung. Und darum geht es hier doch, oder nicht? Es geht immer nur um Zahlen. Ob Menschen, Getreide oder Schleifköpfe, das ist ganz egal. Zahlen regieren die Welt.“ Strullkötter erhob sein Glas und prostete einmal in die Runde.

„Ich bin nicht sicher, ob der Führer mit dieser Einschätzung einverstanden wäre“, beharrte der Ortsgruppenleiter. „Immerhin führen wir vor allem deshalb Krieg, weil man ihn uns aufgezwungen hat. Der Führer selber hat immer wieder betont, dass er den Frieden wollte, aber das internationale Judentum hat die Völker gegen uns aufgehetzt. Wir müssen uns doch wohl verteidigen.“

„Also, der Dr. Goebbels hat aber schon gefragt, ob wir den totalen Krieg wollen, oder?“ Fräulein Winter war offenbar nur teilweise dem Gesprächsverlauf gefolgt. „Ich war ja leider nicht dabei, als er im Sportpalast gesprochen hat. Da habe ich hier die Ophelia geprobt.“

„Ach ja? Ich kann mich gar nicht erinnern, Sie im Hamlet gesehen zu haben.“

Frau Strullkötter ließ sich nicht anmerken, ob sie das bedauerte oder nicht.

„Ich wurde leider krank und meine zweite Besetzung musste mich ersetzen.“

„Die gesamte Spielzeit?“

Beleidigt nahm die junge Künstlerin einen großen Schluck Wein.

„Ich bin seit zwei Jahren nicht mehr im Theater gewesen“, verkündete Frau Hartung. „Es stört den Kunstgenuss doch erheblich, wenn man mittendrin hinauslaufen muss, weil Fliegeralarm ist.“

„Aber wir haben danach doch immer weiter gespielt“, erklärte Fräulein Winter. „Und die meisten Zuschauer kamen zurück, wenn der Alarm vorbei war. Das ist schon ganz schön aufregend gewesen. Ich bin gespannt, wie das beim Film sein wird. In den UFA-Studios ist man ja sicherer, nehme ich an.“

„Dann drehen Sie wirklich mit Gründgens?“, fragte der Redakteur etwas ungläubig.

„Also, nicht direkt. Aber er dreht auch dort, gleichzeitig mit uns.“

„Na, das hörte sich eben aber noch ganz anders an“, murrte die Heimatdichterin.

„Ich habe nie behauptet …“, begann Thea Winter und schaute Hilfe suchend die anderen Gäste an.

„Sie haben das Missverständnis aber auch nicht aufgeklärt, als ich Sie eben dem Oberleutnant vorgestellt habe“, beschwerte sich nun auch Frau Strullkötter mit sichtlicher Genugtuung.

Kattenstroth vermutete, dass die junge Schauspielerin eher auf Wunsch des Gatten anwesend war.

„Meine Damen, das ist doch vollkommen unwichtig“, beschwichtigte der Hausherr dann auch sogleich mit einem wohlwollenden Lächeln an die junge Frau. „Fräulein Winter wird eine große Karriere beim deutschen Film machen, da besteht doch kein Zweifel. Wenn sie doch schon mit dem Goebbels diniert.“

„Oder war das vielleicht auch nur ein Missverständnis?“, beharrte Frau Hartung.

„Da gibt es ja ein Beweisfoto“, ergriff nun auch Pannhorst Partei für die hübsche junge Frau.

Der Redakteur hingegen machte eine vage Geste des Zweifels.

„Bilder sind manchmal irreführend. Gewiss, wir sehen das werte Fräulein an der Seite unseres geschätzten Propagandaministers, aber man weiß ja, dass er sich gern mit hübschen jungen Schauspielerinnen umgibt.“

„Wollen Sie damit etwa andeuten, dass ich …, dass ich …“, empörte sich die junge Frau wenig überzeugend.

„Mein lieber Wichmann, ich finde es in der Tat auch recht bedenklich, was Sie unserem Minister da unterstellen. Er ist immerhin einer der engsten Vertrauten unseres Führers.“

Der Ortsgruppenleiter gab sich weltmännisch, aber Kattenstroth wusste, dass er nur darauf lauerte, jemanden des Verrats am Führer bezichtigen zu können. Er würde dabei auch nicht Halt machen vor einem linientreuen Schreiberling, wenn er dadurch seine eigene rückhaltlose Treue zum Führer herauskehren konnte. Auch Wichmann schien sich dessen bewusst zu werden, denn er versuchte die Lage zu retten.

„Das ist aber doch kein Geheimnis, Herr Ortsgruppenleiter, es gibt ja eine Menge Bilder, die das belegen. Und ich bin sicher, Dr. Goebbels selber würde das in keiner Weise bestreiten. Er hat eben oft zu tun mit all diesen Schauspielerinnen, das bringt sein Ministeramt ja nun mal mit sich. Und wer würde an seiner Stelle nicht auch die Schönheit der jungen Damen bewundern? Es ist ja letztendlich ein Kompliment für die deutsche Frau, die sich hinter all diesen Hollywood-Darstellerinnen nicht verstecken muss, ganz im Gegenteil.“

Er lächelte die hoffnungsvolle Nachwuchsschauspielerin mit Kennerblick an. Die fühlte sich offenbar nur wenig geschmeichelt und schmollte noch etwas. Verständlicherweise war sie nicht beglückt darüber, dass man zwar bereit war, den Ruf des Propagandaministers zu beschönigen, sie aber weiterhin als Flittchen dastand.

Kattenstroth hatte zu all dem sicherheitshalber gar nichts gesagt, denn es war ihm erstens vollkommen egal, ob die junge Frau ihre Karriere zu beschleunigen versuchte, indem sie die Nähe zum Propagandaminister suchte, und zweitens gab es keine Möglichkeit, irgendetwas zu dem Thema beizusteuern, was Pannhorst nicht gegen ihn auslegen würde.

Frau Strullkötter beendete schließlich wirkungsvoll die sinnlose Debatte, indem sie ihr Glas hob, und Fräulein Winter zuprostete.

„Auf eine glänzende Karriere.“

Dem schlossen sich alle an.

„Jetzt, da das Theater hier geschlossen wurde, bleibt Ihnen ja auch gar keine andere Wahl, als Ihr Glück beim Film zu versuchen“, setzte die Frauenführerin nach. „Ich empfinde es als Zeichen der Zuversicht, dass man in Berlin weiterhin Unterhaltungsfilme produziert. Wenn keine Hoffnung mehr bestünde, den Krieg zu gewinnen, würde man das doch nicht machen, oder? Ich meine, wenn der Russe nach Berlin käme, dann könnte man da ja keine Filme mehr drehen.“

„Das ist vollkommen ausgeschlossen, Frau Hartung, dessen seien Sie versichert. Kein Russe wird je einen Fuß auf den Boden des Deutschen Reiches setzen, nicht wahr, Herr Oberleutnant?“

„Das will ich für uns alle hoffen, Herr Pannhorst.“

„Na, dazu braucht es schon ein wenig mehr als nur Ihre Hoffnung, meinen Sie nicht? Ihre Kampfkraft und Einsatzbereitschaft sind gefragt“, setzte Pannhorst lauernd nach.

„Ich denke nicht, dass man mir einen Mangel daran unterstellen kann.“

„Natürlich nicht“, beschwichtigte Frau Strullkötter. „Das würde niemand infrage stellen, nicht wahr, Herr Pannhorst?“ Ihr Ton hatte sich deutlich verschärft.

„Selbstverständlich nicht“, gab der Ortsgruppenleiter zähneknirschend zu. „Aber leider muss die Partei immer wieder feststellen, dass es nicht allen Volksgenossen so wichtig zu sein scheint, welches Schicksal uns droht, wenn der Russe im Osten siegen sollte. Man kann nicht umhin festzustellen, dass so mancher gar zu kleingläubig ist, um die Größe unserer Zeit zu erkennen. Die Geschichte wird sie eines Besseren belehren.“

„Natürlich, natürlich“, bemerkte der Gastgeber ein wenig desinteressiert.

Strullkötter gehörte zu denen, die sich die politische Situation wohl zunutze machten, ohne ernsthaft Stellung zu beziehen, solange das nicht erforderlich war. Er war in die Partei eingetreten, weil er sich Vorteile für sein Unternehmen davon versprach, daraus hatte er nie einen Hehl gemacht. Aus seiner Sicht ging es weniger um ideologische Übereinstimmung als vielmehr wirtschaftliche Überlegungen. Und damit war er beileibe kein Einzelfall.

Für Männer wie Pannhorst, die alles andere als ihre eigene fanatische Verblendung für minderwertig hielten, musste ein Opportunist wie Strullkötter ein Dorn im Auge sein. Ein Kriegsgewinnler, dessen gute gesellschaftliche Verbindungen für Pannhorst wichtig waren, da die Seilschaften innerhalb der Partei weit weniger gut funktionierten, als diejenigen, die über Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte, in der Bürgerschaft entstanden waren.

Kattenstroth war sich ziemlich sicher, dass der Ortsgruppenleiter mit seinem zur Schau gestellten maßlosen Fanatismus in erster Linie seine gefühlte gesellschaftlich unterlegene Stellung zu kompensieren versuchte. Es war das erste Mal, dass man ihm Macht gegeben hatte, und wie zu erwarten, konnte er damit nicht umgehen.

Es war dieser vorauseilende Gehorsam, der Kattenstroth wirklich Angst machte, wie das alles noch enden sollte. Vor allem aber bedeutete es für ihn, dem Mann möglichst keine Angriffsfläche zu bieten. Denn, auch wenn er ein Kriegsheld war, so würden ein paar wohlgesetzte Gerüchte das alles zunichtemachen.

Seit dem 20. Juli waren die Offiziere der Wehrmacht unter Generalverdacht geraten, so mancher Parteifunktionär witterte eine Chance, sich durch besondere Strenge als kommender Mann anzudienen. Für eine Karriere in der Partei waren Denunziationen und Intrigen ein idealer Weg, sein Ziel schnell zu erreichen.

Männer wie Pannhorst glaubten, dass sie das Recht dazu hatten, da niemand außer ihnen dem Führer so treu ergeben war. Es war gefährlich, sich in ihrer Nähe aufzuhalten, da sie jede Gelegenheit nutzen konnten, andere ans Messer zu liefern, um sich selber in eine bessere Position zu bringen. Einen dekorierten Kriegshelden als heimlichen Widerständler zu überführen, würde Pannhorst sicher gefallen. Ob das den Tatsachen entsprach, würde kaum noch jemanden interessieren, ein Gerücht würde vollkommen ausreichen. Vielleicht sollte er seiner Mutter alle weiteren Aktivitäten untersagen, zu ihrer aller Sicherheit.

„Wollen wir dann mit dem nächsten Gang beginnen?“, unterbrach die Gastgeberin seine Gedanken. „Ich hätte Ihnen sehr gern einen Fischgang serviert, aber es war einfach keiner zu bekommen.“

„Aber nicht doch, gnädige Frau“, beruhigte sie der Oberbaurat. „Ich bin sicher, was immer Sie als Nächstes hervorzaubern, es wird ganz ausgezeichnet schmecken. Darf ich fragen, ob Sie selbst das alles vollbracht haben?“

„Nun, ich kann zumindest sagen, dass ich daran beteiligt war. Als gute deutsche Hausfrau muss man eben mit dem zurechtkommen, was da ist. Aber ich gestehe, dass unsere Perle Mine nicht unerheblich dazu beigetragen hat.“ Sie lächelte dem Dienstmädchen zu, das gerade eine große Servierplatte hereintrug.

Man konnte Pannhorst ansehen, dass er noch etwas dazu bemerken wollte, aber die furchtlose Hausfrau gab ihm dazu keine Gelegenheit, indem sie einfach weitersprach.

„Wenn ich unsere Mine nicht hätte, dann wüsste ich nicht, wie ich zurechtkommen sollte. Immerhin habe ich eine Menge zusätzlicher Verpflichtungen auf mich genommen. Aber wie hätte ich auch nein sagen sollen, als die gute Frau Hartung zu mir kam und mich um Unterstützung für die Ortsgruppe der NS-Frauenschaft bat, nicht wahr?“

„Na, so wichtig wird das schon nicht sein. Es ist Ihre Pflicht, als deutsche Frau in erster Linie als Mutter daheim zu wirken. Sie haben doch Kinder, die Ihnen im Haus helfen könnten.“

Kattenstroth musste ein Grinsen unterdrücken. Pannhorst hatte sich soeben sein eigenes Grab geschaufelt. Der Protest von allen Seiten ließ dementsprechend nicht lange auf sich warten.

„Wollen Sie damit sagen, dass die Frauen in unserer Organisation unwichtige Aufgaben übernommen haben? Die NS-Frauenschaft ist überflüssig?“, fuhr die Heimatdichterin den Funktionär an.

Kattenstroth ging davon aus, dass genau das in der Tat dessen Ansicht entsprach. Die meisten Männer in der Partei hielten das ganze Frauengedöns, wie es abfällig hinter vorgehaltener Hand bezeichnet wurde, für vollkommen überflüssig und waren der Ansicht, dass es lediglich dazu diente, den Frauen das Gefühl zu geben, das neue Reich aktiv mitgestalten zu können. Aber in Wirklichkeit war das natürlich nicht gewünscht, keiner von denen würde sich seine Privilegien auch nur ein winziges Stück von einer Frau beschneiden lassen. Dass eine Frau wie die Hartung das nicht sah, weil sie der Propaganda erlegen war, konnte er nicht ausschließen, aber er ging davon aus, dass zumindest Frau Strullkötter sich dessen sehr bewusst war und ihr Engagement in der Organisation ebenso zielorientiert war wie die Parteimitgliedschaft ihres Mannes.

Sie konnte sich zurücklehnen und beobachten, wie die verblendete Hartung mit dem verblendeten Pannhorst in einen Wettstreit eintrat, wer der bessere Nationalsozialist war. Frau Strullkötter versetzte dem Mann schließlich den verbalen Todesstoß.

„Darüber hinaus, mein lieber Herr Pannhorst, können meine Kinder mir mitnichten im Haus helfen, wie es eigentlich erforderlich wäre, da sie als Mitglieder von HJ und BDM dem Führer an anderer Stelle dienen. Verlangen Sie allen Ernstes, dass ich ihnen das untersage?“

Und damit war er erledigt. Er wusste das, sie wusste das. Alle am Tisch wussten das. Die Frage war nur, wie Pannhorst damit umgehen würde. Kattenstroth wusste aus Erfahrung, dass der Mann nachtragend und rachsüchtig war.

„Nun, wie auch immer, die Hilfe Ihrer Perle ist auf jeden Fall gerechtfertigt, gnädige Frau. Dieses geschmorte Kaninchen ist gar zu köstlich.“

Rudolf Möller ließ keinen Zweifel, dass es ihm herzlich egal war, wer das Duell nun gewonnen hatte, solange er nur so großartig bewirtet wurde.

„Freut mich, dass es Ihnen schmeckt.“

Sie würdigte den Ortsgruppenleiter keines Blickes. Stattdessen wandte sie sich mit besonderer Liebenswürdigkeit an Kattenstroth.

„Ich hoffe, das Essen bekommt Ihnen? Man hört immer wieder, dass Soldaten Probleme mit üppigem Essen bekommen, nach den Entbehrungen im Felde.“ Sie tätschelte wohlwollend seine verletzte Hand.

„Ihre Sorge ehrt Sie, gnädige Frau, aber ich kann Ihnen versichern, dass es mir ausgezeichnet bekommt. Und ich kann mich dem Herrn Oberbaurat nur anschließen, es schmeckt vorzüglich.“

„Sehr gut, sehr gut. Dann wird es Sie freuen zu hören, dass es auch noch eine Nachspeise geben wird. Auch mit einfachsten Mitteln kann man ein festliches Mahl zaubern, nicht wahr, Frau Hartung? So etwas lernt man bei den Nachmittagen in der Frauenschaft.“

„Wir alle haben unsere Aufgaben und die Chance Großes zu vollbringen“, nahm ihr Gatte den Faden auf. „Wir können nicht alle Führer des Deutschen Reiches sein, aber wir müssen alle unserer Bestimmung folgen. Schließlich gilt es, auch in Zukunft darauf acht zu geben, dass man nicht zum Spielball der Mächte wird, sondern selber den Ball führt. Natürlich empfiehlt es sich, all seine Kraft in den Dienst der größten Macht zu stellen.“

Strullkötter hatte einen leicht entrückten Blick bekommen bei diesen Worten, was seiner Gattin offensichtliches Unbehagen bereitete. Kattenstroth wunderte sich ein wenig, denn er verstand nicht, was der Hausherr meinte. Auch die anderen Gäste tauschten verwunderte Blicke.

„Ich nehme doch an, Sie meinen mit der größten Macht unseren Führer?“, fragte Pannhorst irritiert nach.

„Auch wenn mancher es sich wünschen mag, der Führer wird nicht ewig leben, mein lieber Pannhorst. Und was machen wir dann?“

„Nun, er wird seine Nachfolge sicher bereits aufs Beste geregelt haben.“

„Also, der Herr Dr. Goebbels …“, begann das Fräulein Winter, wurde aber von Strullkötter unterbrochen.

„Kein irdisches Reich ist je von Dauer, auch wenn wir uns das wünschen mögen.“

„Reden Sie etwa von der Kirche? Strullkötter, ich hätte Sie nie als besonders religiös eingeschätzt“, wunderte sich nun auch der Oberbaurat.

„Ach was, Kirche. Nein, ich rede von höheren Mächten. Im ewigen Gefüge der Zeit sind wir nichts als unbedeutende Würmer. Aber hier und jetzt, zu unseren Lebzeiten, kann sich jeder zu einem kurzen Moment wahrer Größe erheben und den ewigen Mächten zeigen, dass wir sehr wohl in der Lage sind, aus dem Einerlei des Schicksals hervorzutreten.“

Betretenes Schweigen folgte diesem leidenschaftlichen Ausbruch. Kattenstroth war sich ziemlich sicher, dass niemand hier am Tisch verstand, wovon der Mann redete. Strullkötters Augen hatten einen beinahe fiebrigen Glanz bekommen, sein Blick ging durch sie alle hindurch, als könne er durch Zeit und Raum hindurchschauen und dort die Mächte sehen, die er zu beeindrucken hoffte. Wer immer die auch sein sollten.

„Nun, wie dem auch sei, ich denke, der Führer hat uns allen als leuchtendes Vorbild zu dienen, wenn es darum geht, zu wahrer Größe emporzusteigen“, erklärte Wichmann mit Nachdruck und alle wirkten beinahe erleichtert, dass man zu einem vertrauten Thema zurückkehren konnte.

Das Gespräch plätscherte eine Weile dahin und Kattenstroth bemühte sich, nicht den Faden zu verlieren, da er mehr damit beschäftigt war, Strullkötter zu beobachten, der nach wie vor in seiner persönlichen Vision gefangen zu sein schien. Er warf einen fragenden Blick zur Ehefrau hinüber, die ihn zu verstehen schien und mit einem entschuldigenden Lächeln die Schultern zuckte.

Kattenstroth hatte die Frau als Verbündete erlebt und wollte ihr aus der peinlichen Situation heraushelfen, also macht er ihr erneut Komplimente über das vorzügliche Essen, was sofort sehr bereitwillig vom Oberbaurat aufgegriffen wurde, sehr zum Verdruss des Ortsgruppenleiters, dessen Lobhudelei des Führers damit wirkungsvoll unterbunden wurde.

Ein vertrautes Signal beendete jedoch vorübergehend jedes Gespräch über das Essen. Immerhin holte der Lärm den Gastgeber aus seiner Träumerei.

„Voralarm. Machen Sie sich keine Sorgen, Herrschaften, die fliegen woanders hin.“

„Was macht Sie da so sicher, Herr Strullkötter?“, wollte die Schauspielerin wissen.

„Die fliegen doch fast immer vorbei. In Bethel werden britische Offiziere gepflegt, da werden die uns wohl kaum bombardieren.“

„Mit Verlaub, Herr Strullkötter, darf ich Sie daran erinnern, dass ausgerechnet Bethel vor fast genau vier Jahren Ziel eines Angriffs war? Mehrere Kinder wurden getötet.“ Eduard Pannhorst witterte offenbar Morgenluft.

Kattenstroth musste sich sehr zusammenreißen, dazu nichts zu sagen. Er wusste von seiner Mutter, dass es Versuche der Partei gegeben hatte, die behinderten Kinder in Bethel abzutransportieren, und zu dem Zeitpunkt war von einer generellen Kinderlandverschickung noch nicht die Rede gewesen. Was auch immer dahintersteckte, der Pastor hatte es verhindern können.

Hier nun ausgerechnet Pannhorst zu sehen, wie er Mitgefühl mit eben diesen Kindern heuchelte, war für Kattenstroth nur schwer hinnehmbar. Er erwog ernsthaft, dem Ortsgruppenleiter im Dunkeln aufzulauern, um die Gefahr, die von diesem Mann ausging, ein für allemal zu beseitigen. Bei all den Menschen, die er schon getötet hatte, wäre dies vielleicht die einzige Tat, die nicht auf seinem Gewissen lasten würde.

„Die Amis und die Engländer können unsere schönen Städte bombardieren, so viel sie wollen, es wird ihnen nicht helfen. Das deutsche Volk steht geschlossen hinter dem Führer. Wir lassen uns nicht einschüchtern durch den täglichen Terror dieser Mörderbanden.“ Pannhorst saß mit jedem Wort noch ein wenig aufrechter.

„Und wenn es eine Stadt getroffen hat, so steht die Partei sofort bereit mit Hilfsmaßnahmen für die Ausgebombten, die Hitlerjugend betreut Hilfsbedürftige, wir sind vorbereitet auf den totalen Krieg, da werden sich die Herrschaften noch wundern“, fügte der Redakteur leidenschaftlich zu.

Pannhorst war jetzt endlich in seinem Element. „Draußen vor der Stadt stehen Feuerwehren aus dem Ruhrgebiet, die sind sofort bereit, falls es uns mal treffen sollte.“

„Werden die denn im Ruhrgebiet nicht gebraucht?“, wollte Fräulein Winter wissen.

„Die kommen aus Essen und Dortmund. Da ist schon alles kaputt. Da brauchen sie die Feuerwehr ja dann wohl nicht mehr. Also können die ruhig hier bei uns warten, bis es soweit ist. Falls es jemals soweit ist.“

Sie aßen zunächst in Ruhe weiter. Der Voralarm war inzwischen zur täglichen Gewohnheit geworden, kaum jemand nahm das noch ernst. Oft genug hatte man alles stehen und liegen gelassen, war in die Luftschutzräume geeilt, nur um kurz darauf die Entwarnung zu hören und wieder nach Hause zu gehen. Viele Bewohner der Stadt teilten Strullkötters Ansicht darüber, warum man bisher größtenteils verschont geblieben war.

Kattenstroth war unwohl bei dem Gedanken, zu Hause zu sein, aber dennoch nicht bei seiner Familie. Nicht, dass er sie hätte beschützen können, aber er wollte wenigstens mit ihnen zusammen sein, falls es diesmal wirklich ernst wurde. Er stellte fest, dass es leichter war, dem Krieg aktiv als Soldat zu begegnen, als daheim nichts tun zu können, außer abzuwarten, ob man getroffen wurde.

Nach einem weiteren Signal wurde Fräulein Winter doch ziemlich unruhig.

„Ich glaube, ich würde doch lieber in den Luftschutzbunker gehen“, beharrte sie.

Der Gastgeber machte eine auffordernde Geste. „Bitte, wenn Sie meinen. Aber es bleibt noch genug Zeit wenigstens aufzuessen. Möchten Sie ein wenig von der Nachspeise kosten? Mine, bring die Rotweinbirnen, das Fräulein Winter hat es etwas eilig.“

„Ach, bitte, es ist nur …, ich …“

„Sie meinen, Sie sind ja noch so jung und haben alles noch vor sich, im Gegensatz zu uns?“, spottete Frau Hartung.

„Das ist eine infame Unterstellung! Ich wollte das überhaupt nicht sagen! Ist es denn falsch, Angst zu haben? Der Oberleutnant mag es ja gewohnt sein, dass ihm Bomben und Kugeln um die Ohren fliegen, aber ich bin doch kein Soldat!“

„Ich würde auch Wert darauf legen, beizeiten in den Bunker zu kommen“, bemerkte der Oberbaurat gelassen und nahm sich eine der dargereichten Rotweinbirnen.

„Also schön“, lenkte der Gastgeber ein. „Mine, was ist mit dir?“

„Ich gehe hier in den Keller, dann kann ich erst noch das Essen wegräumen.“

„Sie haben einen Luftschutzkeller?“, fragte Wichmann interessiert.

„Nun ja, er erfüllt nicht die offiziellen Erfordernisse, aber es wird schon ausreichen. Ich denke nach wie vor, dass es falscher Alarm ist.“

„In welchen Bunker gehen Sie, Oberleutnant?“, wollte Fräulein Winter wissen.

Irritiert blickten sie alle an. Pannhorst erklärte es ihr schließlich, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. Und aus seiner Sicht war es das sicher auch. Zwar hatte es dazu keine offizielle Anweisung gegeben, aber die Grundhaltung der Machthaber war unmissverständlich.

„Als Angehöriger der Wehrmacht geht er natürlich nicht in den Bunker. Das wäre ja noch schöner, dass ein wehrfähiger Mann die ohnehin knappen Plätze in den Bunkern belegt, während Frauen und Kinder keinen Einlass mehr finden. Da könnte man ja auch gleich noch die Ostarbeiter reinlassen. Jeder wehrfähige Mann hat sich für Löscharbeiten bereitzuhalten.“

„Ach, dann gehen Sie auch nicht in den Bunker?“, hakte Frau Strullkötter nach, obwohl sie die Antwort mit Sicherheit kannte. Pannhorst hatte offenbar genug Niederlagen für einen Tag erlitten und stand auf.

„Ich muss in die Luftschutzzentrale im Sedanbunker. Der Kreisleiter erwartet, dass wir alle unsere Pflicht da tun, wo der Führer uns hingestellt hat. Heil Hitler.“

Damit verließ er das Haus ohne ein weiteres Wort.

„Also, was nun? Auguste, möchtest du in den Bunker gehen? Ich werde hierbleiben. Ein Strullkötter lässt seine Fabrik nicht im Stich.“

„Was machen Ihre Arbeiter?“, wollte Kattenstroth wissen.

„Die Deutschen dürfen natürlich die Bunker aufsuchen. Zur Not nehme ich den einen oder anderen auch bei mir hier im Keller auf, dann können sie länger arbeiten.“

„Und die anderen?“

„Bleiben in ihrer Baracke. Sie haben Pannhorst ja gehört. Ist kaum genug Platz für unsere eigenen Leute in den Bunkern. Daher habe ich einen Keller ausbauen lassen. Ist etwas notdürftig, aber was soll ich machen? Ohnehin müssen die weiterarbeiten, auch bei Vollalarm. Ich habe eine Genehmigung, dass wir auf dem Gelände eine eigene Betriebswarnung haben dürfen, dann erst gehen die Ostarbeiter in die Schutzbaracke.“

Er zuckte mit den Schultern, zum Zeichen, dass es ihn nicht wirklich interessierte, wo die Zwangsarbeiter unterkamen. In den Dimensionen, in denen sich Strullkötter eben noch verloren hatte, war das wahrscheinlich in der Tat ohne jede Bedeutung. Kattenstroth hatte diese Geisteshaltung sehr verwundert, denn der Fabrikant war eigentlich immer ein sehr pragmatischer Mensch gewesen.

„Ich werde mich dann auch auf den Weg machen. Die Ortsgruppe der Frauenschaft geht auch in den Sedanbunker. Aber ich wollte nicht mit dem Herrn Pannhorst zusammen gehen“, bekannte die Heimatdichterin und nickte ihnen zum Abschied zu. „Heil Hitler.“

„Tja, also dann gehen wir auch mal los. Gnädige Frau, ich bedanke mich für die Einladung und das köstliche Essen. Bedauerlich, dass es ein so abruptes Ende findet, aber es wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn es heute mal keinen Fliegeralarm gegeben hätte.“ Der Oberbaurat deutete einen Diener an.

„Wenn Entwarnung gegeben wird, kommen Sie einfach wieder. Ich habe sogar noch einen Kuchen gebacken.“

„Meine liebe Frau Strullkötter, Sie sind unvergleichlich. Und ich werde Sie beim Wort nehmen.“

Er ließ sich von Mine seinen Hut und den Mantel reichen, grüßte noch einmal in die Runde und ging zur Tür.

Dort drehte er sich noch einmal um. „Ich gehe Richtung Stollen unterhalb der Promenade bei Brands Busch. Möchte mich jemand begleiten?“

„Ich glaube, ich sollte vielleicht besser mit Ihnen gehen. Nach all dem, was ich Herrn Pannhorst heute so an den Kopf geworfen habe, wäre es vielleicht unklug, ebenfalls in den Sedanbunker zu gehen. Ich werde Sie begleiten, Herr Möller, wenn du nichts dagegen hast, Heinrich“, wandte sich die Gastgeberin an ihren Gatten.

„Nur zu, der Oberbaurat wird schon auf dich achtgeben, nicht wahr?“

„Sie können sich auf mich verlassen, Herr Strullkötter, ich bringe Ihnen Ihre Gattin wohlbehalten zurück. Sonst noch jemand, der sich uns anschließen möchte?“

Das Fräulein Winter und der Redakteur wollten.

Kattenstroth schaute ihnen nach, als sie den Steinweg hinaufgingen und machte sich selber in die andere Richtung auf den Weg nach Hause.

Strullkötters Gastmahl

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