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Kapitel 4

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2. Oktober

„Nun, dann muss er eben aufgeweckt werden“, ertönte eine laute, fordernde Stimme. Kattenstroth war davon erwacht. Die Stimme gehörte zu Eduard Pannhorst. Was hatte der hier zu suchen? Musste der nicht die Löscharbeiten koordinieren?

„Hören Sie, Herr Ortsgruppenleiter.“ Kattenstroth gefiel es, mit welcher Abscheu Malwine das Wort ausspucken konnte, ohne dabei tatsächlich respektlos zu klingen. „Mein Mann hat schwerste Verletzungen davongetragen, als er versuchte, anderen zu helfen. Ich lasse nicht zu, dass Sie ihn jetzt belästigen. Er kann Ihnen ohnehin nicht helfen, er ist zu schwer verwundet.“

Kattenstroth tastete langsam an sich herunter, um festzustellen, welcher Art seine Verletzungen denn nun tatsächlich waren. Er spürte einen dicken Verband um die Rippen, was die Probleme beim Atmen und die Schmerzen beim Husten erklärte. Seine linke Hand war gebrochen, aber das störte ihn nicht wirklich, da sie ohnehin kaum zu gebrauchen war. Seine Beine … seine Beine … Er konnte sie fühlen, aber … Er tastete mit der rechten Hand die Hüfte entlang. Da war auch ein Verband, rechts, der Oberschenkel, links auch. Er zog langsam die Decke beiseite und hob unter größten Schmerzen den Kopf an. Alles noch da.

Erleichtert ließ er sich zurück in die Kissen sinken. Die Schmerzen in den Beinen würden irgendwann nachlassen, die Taubheit in den Füßen nicht. Aber das war nicht so wichtig. Er hatte seine Beine noch. Ob der Krieg wohl vorbei war? Oder hatte niemand sonst im deutschen Reich überhaupt wahrgenommen, dass für die Menschen in dieser Stadt gerade ihre Welt untergegangen war?

Die Tür wurde schwungvoll geöffnet und Eduard Pannhorst trat ein, Malwine dicht hinter ihm.

„Das ist eine Unverschämtheit! Was erlauben Sie sich?“, empörte sie sich.

Der Ortsgruppenleiter blieb stehen und blickte Kattenstroth von oben bis unten an. Dann runzelte er die Stirn und zuckte mit den Schultern.

„Was? Haben Sie meiner Frau nicht geglaubt? Dachten Sie, ich drücke mich vor den Löscharbeiten? Wo waren Sie denn, als die Bomben fielen?“

Pannhorst funkelte ihn wütend an und machte auf dem Absatz kehrt.

Draußen hörte man ihn laut den Führergruß schreien. Kattenstroth erwartete, dass er die Haustür geräuschvoll zuschlagen würde, aber dann fiel ihm ein, dass sie keine Haustür mehr hatten. Er blickte zum Fenster. Erst jetzt sah er, dass die Glasscheibe durch ein Bettlaken ersetzt worden war.

„Was der sich erlaubt!“, schnaubte Malwine. Die Tatsache, dass sie Pannhorsts Werben damals vehement abgewiesen hatte, erfüllte ihn mit Stolz und Dankbarkeit. Er mochte sich gar nicht vorstellen, wie es ihr ergangen wäre, wenn sie diesen Lump geheiratet hätte.

„Vergiss ihn“, beschwichtigte er. „Wie sieht es draußen aus?“

„Die ganze Stadt steht in Flammen. Seit vorgestern wird überall gelöscht, aber die Feuerwehren kommen kaum durch.“

„Seit vorgestern?“

„Du warst etwas länger außer Gefecht, mein Lieber. Eine knappe Stunde, nachdem die Bomben gefallen waren, kamen die ersten Feuerwehren, inzwischen sind noch zahlreiche Fahrzeuge aus dem Ruhrgebiet angerückt. Aber in der Innenstadt steht einfach alles in Flammen, die kommen gar nicht hin zu den Brandherden. Da haben wir hier draußen noch fast Glück gehabt.“ Sie hielt inne. „Na ja, nicht alle.“

„Wo wart ihr?“

„Im Stollen an der Schubertstraße. Ich wollte erst nicht hingehen, weil ich dachte, ist doch sowieso wieder Fehlalarm. Aber deine Mutter hat darauf bestanden.“

„Man soll immer auf seine, also meine, Mutter hören.“

„Ich gelobe, dass ich das ab sofort immer tun werde.“ Sie zwinkerte ihm lachend zu. Ihm wurde schwer ums Herz. Er konnte nicht wieder zurück an die Front, er konnte einfach nicht. Vielleicht waren die Verletzungen jetzt ausreichend, um den Stabsarzt zu überzeugen, ihn untauglich für die Front zu schreiben.

„Wie sieht es bei Strullkötter aus?“

„Warum fragst du ausgerechnet nach dem?“

„Er selber interessiert mich weniger, aber seine Fabrik brannte. Das war der Grund, warum ich dahin wollte. Da waren Leute auf dem Gelände. Seine Fremdarbeiter durften ja nicht in die Schutzräume.“

Sie schaute ihn traurig an und schüttelte den Kopf. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass da jemand überlebt hat. Frau Langeworth von der Wirtschaft gegenüber hat gesagt, die ganze Fabrik liegt in Schutt und Asche. Und im Augenblick können sie noch nicht mal die Toten bergen, weil der Kreisleiter angewiesen hat, alle verfügbaren Kräfte sollten erst mal löschen und die Deutschen bergen. Die Fremdarbeiter würde man schon früh genug aus den Trümmern zerren. Das hat er gesagt. Weißt du, manchmal wünsche ich mir, ich könnte mit deiner Pistole umgehen.“

„Und was würde das ändern, Malwine? Ob Reineking, Pannhorst oder sonst einer. Es findet sich immer ein willfähriger Scherge, der den Willen der Partei gnadenlos durchsetzt. Und ich bin doch keinen Deut besser. Die Menschen, auf die ich geschossen habe, hatten auch Familien. Da trauern auch Mütter und Ehefrauen. Egal ob Franzosen oder Russen oder sonst wer. Am Ende sterben die Leute und zurück bleibt nur Elend. Ich gehe nicht zurück, Malwine, egal was passiert.“

„Einverstanden. Wir kümmern uns darum, wenn es soweit ist. Aber jetzt musst du da sowieso noch nicht drüber nachdenken. Im Augenblick kannst du nicht mal laufen.“

„Wie ist es unseren Nachbarn ergangen?“

„Die meisten haben sich in den Stollen retten können. Ihre Häuser sind größtenteils zerstört. Wir haben sehr großes Glück gehabt. Der Schuppen hat sein Dach eingebüßt, aber sonst haben wir fast nur Glasschaden.“

„In der Apotheke, da war die Familie im Keller eingeschlossen.“ Er erschauerte bei der Erinnerung an den Geruch von verbranntem Fleisch.

„Das Haus ist völlig ausgebrannt. Man hat ihre verkohlten Leichen im Keller gefunden.“

„Was ist mit den Wittlers? Die Tischlerei war heile, als ich vorbeikam. Vorgestern.“

„Ist auch immer noch heile. Alle sind wohlauf, nur die älteste Tochter wird noch vermisst. Aber sie ist bei den Jungmädeln, wahrscheinlich hat man sie irgendwo zum Helfen eingeteilt.“

„Aber sich zwei Tage nicht zu Hause zu melden? Sie muss doch davon ausgehen, dass man sich Sorgen macht.“

„Es wäre denkbar, dass sie vielleicht ums Leben gekommen ist. Wer weiß schon, wo sie war, als es losging.“

„Ich weiß es, Malwine. Ich habe sie getroffen, mit einer Kameradin. Kurz bevor die ersten Bomben fielen. Und ich habe sie begleitet, bis zum Stollen bei Brands Busch. Der Stollenwart hat sie noch reingelassen, da bin ich sicher.“

„Und du bist dir sicher, dass es Lisbeth Wittler war? Nicht vielleicht ein anderes Mädchen aus der Nachbarschaft? Es ist schon eine Weile her, dass du sie zuletzt gesehen hast.“

„Malwine, ich mag Probleme mit den Ohren haben und ich sehe manchmal ein bisschen verschwommen, aber mein Gedächtnis funktioniert tadellos. Und außerdem hat sie mich auch erkannt. Die Kameradin kannte ich nicht. Aber sie trug auch Uniform. Ich habe sie mitgenommen zum Stollen und bin dann weiter rauf in den Wald gelaufen.“

„Warum bist du da nicht einfach geblieben?“

„Ich wollte wissen, wo ihr wart“, erklärte er kleinlaut.

„Wie kann man nur so unvernünftig sein!“, schimpfte Malwine, aber er hörte ihr kaum zu. Die Sache mit der kleinen Wittler bereitete ihm Kopfzerbrechen.

„Sprich mit den Wittlers. Sie sollen das andere Mädchen fragen. Sie war im Stollen, das weiß ich.“

Sie tätschelte ihm lächelnd die Schulter und nickte. „Ich gehe gleich rüber. Aber du schläfst jetzt noch ein bisschen.“

„Bitte kein Laudanum mehr. Das macht mich ganz wirr im Kopf.“

„Aber die Schmerzen …“

„Sind auszuhalten. Geh nur.“ Er wollte nicht schlafen. Er wollte wissen, wieso Lisbeth Wittler nicht nach Hause gekommen war.

Strullkötters Gastmahl

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