Читать книгу Strullkötters Gastmahl - Anja Kuemski - Страница 6
Kapitel 3
ОглавлениеUnterwegs traf er viele Menschen, die den Voralarm auch nicht ernst genommen hatten und weiterhin in ihren Gärten arbeiteten. Die Wirtin vom Schwan hängte Wäsche auf, zwei kleine Jungs spielten mit einem ausgebeulten Lederball mitten auf der Straße. Kurz bevor er sein Wohnhaus erreichte, traf er auf zwei Mädchen in Jungmädel-Uniformen. Eine grüßte ihn zögernd, als müsse sie überlegen, ob sie ihn wirklich kannte.
„Lisbeth Wittler, bist du das?“, fragte er freundlich. Die Familie Wittler wohnte ein paar Häuser weiter und die beiden Töchter halfen bei allen in der Nachbarschaft, die Hilfe benötigten. Das andere Mädchen in ihrer Begleitung kannte er nicht.
„Wollt ihr beide nicht mal langsam in den Luftschutzbunker?“
Die Mädchen winkten fröhlich ab.
„Das ist doch nur wieder falscher Alarm. Wir wollten für Fisch anstehen, aber da war nichts mehr zu machen. Jetzt haben wir Hunger und wollen bei mir zu Hause ein paar Äpfel holen.“
„Was ist mit deiner Familie?“
„So, wie ich Mama kenne, ist die mit Josephine schon losgelaufen, bevor der erste Voralarm ausgeklungen ist.“
Ein Dröhnen über ihnen ließ sie verstummen.
Besorgt blickten alle drei in den blauen Himmel. Zahllose Flugzeuge näherten sich aus Richtung Westen der Stadt. Im nächsten Moment ertönte Vollalarm. Kattenstroth brach der Schweiß aus.
„Die öffnen die Klappen!“, rief Lisbeth entsetzt.
„Los, Mädchen, jetzt lauft. Hier den Weg rauf, Richtung Promenade!“
Er schubste die beiden Mädel, die wie gelähmt die Flugzeuge beobachteten, die ihre tödliche Fracht jeden Moment abwerfen würden.
Die ersten Bomben wurden ausgeklinkt.
Grob packte er die Mädchen und zerrte sie über die Straße.
„Jetzt lauft endlich!“, schrie er sie an, aber die Kinder waren vollkommen kopflos. Anstatt zu seiner Familie heim zu eilen, nahm er die Mädchen an der Hand und rannte los.
Andere Bewohner aus der Nachbarschaft beeilten sich nun ebenfalls, um noch den schützenden Bunker zu erreichen.
Sie rannten die Mozartstraße hinauf, als ein eigentümliches Rauschen zu hören war. Dann explodierten die ersten Bomben im Bereich der Stadtwerke.
Kattenstroth wusste, dass ihnen nur noch wenige Minuten blieben. Zum Stolleneingang an der Schubertstraße war es näher, aber wahrscheinlich auch viel voller. Er entschied sich, lieber in Richtung Brands Busch zu laufen. Zur Not konnte er mit den Mädchen oberhalb der Promenade im Wald Schutz suchen.
Als sie die Querstraße entlang rannten, konnten sie die Einschläge der Sprengbomben hören, inzwischen schon bedrohlich nahe. Als sie den Eingang des Stollens erreichten, wollte der Stollenwart eben die Türen verschließen.
„Halt, warten Sie! Die beiden Kinder müssen noch mit rein!“
Er gab beiden noch einen letzten Stoß, sah sie halb in die Arme des Mannes stolpern, der ihnen bedeutete, sie sollten sich beeilen, und rannte dann weiter, am Löschteich vorbei, hinter zwei Soldaten her, die er vor sich in den Wald rennen sah. Er holte sie ein, als sie hinter einer alten Schutzhütte in Deckung gingen. Dann brach die Hölle über sie herein.
Dutzende von Sprengbomben schlugen um sie herum ein, dann folgten die ersten Brandbomben. Die Hitze machte das Atmen schwer. Eine Baumgruppe ganz in der Nähe ging in Flammen auf, die rasch um sich griffen.
„Wir können hier nicht bleiben!“, schrie Kattenstroth und signalisierte ihnen, weiter hinauf in den Teutoburger Wald zu rennen. Gewohnt, Befehlen zu folgen, stellten die beiden jungen Männer seine Anweisung nicht infrage.
Sie liefen parallel zur Promenade Richtung Betheler Forst. Von dort konnten sie durch das Dickicht der Bäume die Fliegerverbände sehen, die abdrehten, nachdem sie ihre Bomben abgeworfen hatten. Für einen Moment schienen sie zumindest sicher zu sein.
„Oberleutnant Kattenstroth“, stellte er sich nach Atem ringend vor. Sein verletztes Bein schmerzte höllisch.
„Obergefreiter Deppe.“
„Schütze Grundmann.“
Die beiden jungen Männer schnappten ebenfalls nach Luft.
„Heimaturlaub?“, fragte Kattenstroth.
„Urlaub sollte so nicht aussehen“, bemerkte der Obergefreite trocken und nickte den abdrehenden Flugzeugen hinterher.
„Da kommen noch mehr!“, schrie Grundmann und deutete auf die sich nähernden Geschwader. Die nächste Welle mit Spreng- und Brandbomben ging auf die Stadt nieder.
Der Himmel hatte sich inzwischen verdunkelt, alles war voller Rauch und Asche. Die ganze Stadt schien in Flammen zu stehen.
Kattenstroth hielt es nicht mehr aus. Er konnte hier nicht in relativer Sicherheit abwarten, während seine Familie vielleicht um ihr Leben kämpfte. Er hoffte, dass sie sich beizeiten in den Stollen geflüchtet hatten, aber vielleicht hatten sie den Alarm ebenso wenig ernst genommen, wie so viele andere? Er musste sich vergewissern.
„Ich lasse Sie dann allein, Sie werden sich schon durchschlagen“, erklärte er mit erzwungener Ruhe. „Wenn alles vorbei ist, melden Sie sich bei der Luftschutzzentrale im Sedanbunker.“
„Aber Sie können doch nicht da runter gehen“, sagte der Obergefreite entsetzt, als er verstand, wohin Kattenstroth wollte.
„Ich kann und ich muss. Viel Glück, meine Herren.“
„Heil Hit…“, sagte der Schütze Grundmann automatisch, hielt dann aber inne. Dann zuckte er mit den Schultern, grinste entschuldigend und nickte ihm zu. „Viel Glück.“
Kattenstroth rannte den Weg, den sie gekommen waren, wieder herunter. Der Schmerz im Bein war kaum noch erträglich, aber er musste es wenigstens versuchen. Er rannte direkt auf den Bombenteppich zu, der über seinem Viertel niederging.
Die Druckwelle einer der Bomben holte ihn von den Füßen, er prallte gegen einen Baum, musste sich zur Seite rollen, um nicht von einem anderen umstürzenden Baum erschlagen zu werden und krabbelte ein Stück auf allen Vieren weiter, den Blick immer fest auf sein Ziel gerichtet.
Als der den Steinweg herunter auf die Detmolder Straße stolperte, sah er auf der anderen Straßenseite die Fabrik Strullkötter lichterloh brennen. Er hielt sich mitten auf der Straße und rannte Richtung Innenstadt. Fast alle Häuser hier hatten Schaden genommen, alle Fenster waren zerborsten, die Druckwellen der gewaltigen Sprengbomben hatten teilweise die Dächer abgedeckt.
Überall in der Stadt prasselten hunderte von Brandbomben in die abgedeckten Dachstühle und setzten alles in Flammen. Zahlreiche Häuser brannten und noch immer fielen Bomben. Es war bereits die dritte Angriffswelle, die über die Stadt rollte.
Er wusste, dass die aufsteigende Hitze der Brände wahre Feuerstürme entfachen würde. Hier draußen war die Stadt längst nicht so dicht bebaut wie in der Innenstadt, aber auch hier schien er mitten in die Hölle geraten zu sein.
Als er an der Apotheke Wiebrecht vorbeikam, sah er den Friseur Brüggemann und den Stadtinspektor Diekmann, beide aus der Nachbarschaft, wie sie versuchten, den verschütteten Eingang der Apotheke freizulegen. Als sie ihn sahen, riefen sie um Hilfe.
„Unten im Keller! Die Familie ist verschüttet!“, schrie Diekmann über den Lärm der Flugzeugmotoren und die zahllosen Detonationen hinweg.
Wie besessen räumten die drei Männer die Gesteinsbrocken beiseite, immer Gefahr laufend, von weiteren umherfliegenden Trümmerteilen getroffen zu werden. Aus dem Keller hörte man schwach panische Schreie. Ein eigenartiges Rauschen drängte sich in Kattenstroths Bewusstsein. Er drehte sich um und sah im nächsten Moment eine Bombe in der nahe gelegenen Kohlenhandlung einschlagen.
„Deckung!“, schrie er, dann holte die Druckwelle sie alle drei von den Füßen, die Hitze versengte ihnen die Haut. Teile der Frontmauer der Apotheke fielen durch den Druck ebenfalls in sich zusammen und stürzten halb auf sie drauf.
Kattenstroth lag begraben unter Schutt, halb auf dem Treppenabgang zum Keller der Apotheke. Die Hitze, die er immer noch spürte, schien nun eher von unten zu kommen.
Als die Taubheit in den Ohren nachließ, horchte er. Aber man hörte keine Schreie mehr aus dem Keller. Stattdessen verbreitete sich ein eigentümlicher Geruch. Den kannte er zur Genüge. Der Geruch von verbrannten Menschen war etwas, das man nie wieder vergessen konnte, wenn man es einmal gerochen hatte. In Todesangst versuchte er unter den Trümmern hervorzukriechen.
Neben ihm tauchte das aschfahle Gesicht des Friseurs auf.
„Phosphor“, krächzte Kattenstroth und deutete auf den Keller. Qualm stieg von dort auf.
„Wo ist Diekmann?“ Er sah sich suchend um.
Brüggemann deutete wortlos auf einen Haufen Schutt, unter dem ein Fuß hervorragte. Flammen begannen aus dem Keller zu züngeln.
„Kommen Sie, Brüggemann, da unten kann keiner überlebt haben. Wir müssen hier weg, das steht gleich alles in Flammen.“
Aber Brüggemann hockte sich auf den Schutthaufen, der bis zur Mitte der Straße gerutscht war, und schüttelte müde den Kopf.
„Ich kann nicht mehr. Da, sehen Sie? Mein Laden. Nichts mehr übrig geblieben. Vor acht Monaten habe ich meine Mutter beim Bombenangriff verloren. Und jetzt mein Haus. Wozu soll ich mich wieder aufraffen? Ich kann auch gleich hier abwarten, bis es mich trifft.“
„Mensch, Brüggemann, jetzt kommen Sie schon. Ich kann Sie doch hier nicht einfach sitzen lassen!“
„Ich habe jedes nur erdenkliche Opfer für Führer, Volk und Vaterland gebracht. Ich mag nicht mehr. Mir bleibt nur noch das eigene Leben. Meinetwegen erschießen Sie mich wegen Wehrkraftzersetzung.“
„Sie sind ja nicht mehr bei Sinnen. Los, Brüggemann, kommen Sie endlich. Ich will zu meiner Familie.“
Er packte den Friseurmeister am Arm und wollte ihn auf die Beine zerren, aber der Mann ließ sich vollkommen hängen. Kattenstroth gab auf und humpelte weiter.
Hier und da sah er vereinzelt Menschen, die schon notdürftig versuchten, Brände zu löschen, während um sie herum immer neue Bomben fielen. Eine vierte Angriffswelle legte die noch stehenden Reste der Stadt endgültig in Schutt und Asche.
Aus den Wehrmachtsberichten wusste er, dass man oft Zeitzünder verwendete, um zu verhindern, dass die Feuerwehren sofort nach dem letzten Angriff in die Stadt hineinfahren würden. Die Löscharbeiten würden sich deutlich verzögern und damit den Feuerschaden noch weiter verschlimmern. Sie mussten damit rechnen, dass es noch stundenlang zu Explosionen kommen würde und sie beim Löschen zunächst auf sich allein gestellt waren.
„Hört das gar nicht mehr auf?“, schrie Kattenstroth den Flugzeugen hinterher. Er fragte nicht, ob einer der Piloten sich wohl Gedanken machte, was er der Bevölkerung antat. Er kannte die Antwort, er hatte an der Ostfront gekämpft und jede Illusion darüber verloren, was der Mensch anderen antun konnte.
Benommen von der Hitze, der Angst und den Schmerzen torkelte er nach Hause. Das Beerdigungsinstitut stand noch. Die Fensterscheiben waren zerborsten, die Haustür halb eingedrückt, aber das Gemäuer schien unversehrt.
Er lief hinein und rief nach seiner Familie. Niemand antwortete ihm. Im Schlafzimmer sah er sofort, dass der Notkoffer fehlte. Sicherheitshalber sah er auch im Keller nach, aber auch da war niemand. Vollkommen erschöpft sank er auf die Knie. Tränen der Erleichterung rannen ihm über das Gesicht. Zwar war das noch keine Garantie, dass sie lebten, aber immerhin gab es ihm Hoffnung.
Langsam wurde ihm bewusst, dass das Dröhnen nachgelassen hatte. Mühsam erhob er sich und stieg die Treppe wieder hinauf. Durch die Rauchwolken am Himmel konnte er vage in der Ferne die letzten Flugzeuge abdrehen sehen. Er schaute in die andere Richtung, zur Innenstadt, aber da war nichts zu sehen außer Rauch und Asche. Angestrengt horchte er, versuchte alle anderen Geräusche auszublenden. Vereinzelte Explosionen. Kein Motorenlärm. Stattdessen glaubte er, in der Ferne die Sirenen der Feuerwehr zu hören.
Mit neu gewonnener Kraft machte er sich auf den Weg Richtung Sedanbunker, um Befehle für den Löscheinsatz zu bekommen, als ihm einfiel, dass bei Strullkötters in der Fabrik Menschen waren.
Er rannte den Weg wieder zurück, sah schon von weitem die Flammen noch immer meterhoch aus den Werkshallen schlagen.
Auf Höhe der Apotheke saß Brüggemann nach wie vor auf dem Schutthaufen. Die Apotheke brannte inzwischen auch, aber er schien die Hitze nicht zu spüren. Er gab dem Friseur einen Schubs, der ihn zu Fall brachte.
„Jetzt komm mit! Bei Strullkötter sind Leute im Werk, denen können wir vielleicht noch helfen!“
Er fragte sich kurz, ob er jemals wieder in normaler Lautstärke würde sprechen können und schüttelte dann den Kopf über seine absurden Gedanken.
Brüggemann rappelte sich auf und blickte ihn irritiert an. „Das sind Ostarbeiter.“
„Und?“
„Es gibt eine Anweisung des Kreisleiters, dass zuerst Volksgenossen gerettet werden müssen.“
„Und?“, wiederholte er.
Er zerrte den Mann unsanft die Straße hinunter, Richtung Fabrik.
„Ich habe Sie gerade vor den Flammen an der Apotheke gerettet. Jetzt helfen wir gemeinsam den Fabrikarbeitern.“
Unschlüssig zuckte Brüggemann die Schultern, kam aber mit.
Kurz bevor sie die Fabrik erreichten, wurden sie von dem Drogisten Schultz aufgehalten. Vor seiner Drogerie war ein Blindgänger niedergegangen und lag nun mitten auf der Straße in einem kleinen Krater.
„Was mache ich denn jetzt?“, fragte er mit weinerlicher Stimme, offenbar der Ansicht, dass ein Wehrmachtsoffizier immer eine Antwort hatte.
„Jemanden kommen lassen, um den Zündkopf auszubauen“, schlug Kattenstroth vor.
„Können Sie das nicht?“ Schultz wirkte ein wenig enttäuscht.
„Ich bin bei der Infanterie“, sagte er, als ob das alles erklären würde. „Lassen Sie den Blindgänger da, wo er ist, und kommen Sie mit zu Strullkötter. Da sind Menschen in der Fabrik.“
„Na und? Ich habe hier genug eigene Sorgen, was scheren mich da Strullkötters Fremdarbeiter.“
Kattenstroth wollte ihn wütend anfahren, wurde aber von Brüggemann am Arm weitergezogen.
„Habe ich doch gesagt, dass das niemanden interessiert. Jetzt kommen Sie, ich dachte, Sie wollten denen helfen.“
Kattenstroth zögerte einen Moment, er hatte das Gefühl, jeden Moment würde sein Bein einfach nachgeben, aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen.
Er folgte Brüggemann, der immerhin gewillt schien, ihm wirklich zu helfen. Hinter sich hörten sie Schultz etwas Unverständliches vor sich hin meckern.
Als sie sich noch einmal umdrehten, schaufelte er Erde und Schutt in den Bombentrichter.
„Ach du Kacke!“, schrie Brüggemann und warf sich zu Boden. Kattenstroth wurde mitgerissen.
Im nächsten Moment explodierte alles um sie herum.
*
Wie aus einem Nebel tauchte die Welt um ihn herum wieder auf. Verschwommen sah er das Gesicht Malwines. Wahrscheinlich ein Traum. Das war in Ordnung, da konnte er beruhigt die Augen wieder schließen.
Etwas rüttelte ihn. Die Explosion. Jetzt würde er doch noch sterben. Jemand strich ihm sanft über die Wange.
Es war anstrengend, die Augen wieder zu öffnen, aber das war nun doch zu merkwürdig. Schon wieder Malwines Gesicht. Vielleicht doch kein Traum. Ein Kind. Sein Kind. Mutter. Wo kamen nur all die Gesichter her?
Irgendwas tropfte auf sein eigenes Gesicht. Regnete es? Es war doch ein schöner, sonniger Herbsttag gewesen. Aber da war etwas vom Himmel gefallen. Bomben. Feuer. Da war kein Regen. Jetzt regnete es. Die Gesichter waren auch nass. Salz. Tränen. Die Gesichter weinten. Ergab auch mehr Sinn. War er tot und sie weinten um ihn? Warum konnte er darüber nachdenken?
Ein Hustenanfall erschütterte ihn und der Schmerz im Brustkorb raubte ihm den Atem. Etwas wurde ihm an die Lippen gehalten. Flüssigkeit. Wasser. Er trank einen Schluck, was den Schmerz noch verstärkte. Malwines Gesicht lächelte und weinte gleichzeitig. Sie beugte sich vor und küsste ihn sanft auf die Stirn. Langsam sickerte in sein Bewusstsein, dass er nicht nur in seinem eigenen Bett lag, sondern auch, dass seine gesamte Familie um ihn herum versammelt war. Sie hatten überlebt. Tränen der Erleichterung rannen nun auch über sein eigenes Gesicht. Er versuchte sich zu erinnern, wie er hierhergekommen war. Der blöde Schultz hatte den Blindgänger zugeschüttet.
„Der blöde Schultz“, murmelte er.
Malwine schaute ihn fragend an.
„Blindgänger“, krächzte er, was aber nicht hilfreich zu sein schien.
„Drogerie Schultz?“, fragte sie und er nickte schwach.
„Der Mann ist tot. Wolltest du ihm helfen?“
„Wollte zu Strullkötter.“ Das Sprechen fiel ihm schwer. „Wasser, bitte.“
Sie hielt ihm das Glas erneut an die Lippen.
„Man hat dich gefunden, halb unter Trümmern begraben. Der Brüggemann lag auf dir, das hat dir wahrscheinlich das Leben gerettet“, erklärte sie. „Er selber hat es leider nicht überlebt.“
Kattenstroth schloss die Augen. Na bitte, Brüggemann. Da hattest du dein letztes Opfer für Führer, Volk und Vaterland. Selbst in seinem Kopf klangen die Gedanken bitter. Er war so müde. Er hätte da mit Brüggemann sterben sollen. Wieso war immer er derjenige, der überlebte? Wie viele Freunde, Kameraden, Bekannte musste er noch begraben? Hörte das denn nie auf?
Malwine tätschelte ihm die Wange. „Jetzt komm erst mal wieder auf die Beine. Hast ziemlich was abbekommen.“
Nicht genug, um zu sterben, dachte er grimmig. Aber er wusste, Malwine würde kein Verständnis für solche Gedanken haben. Vielleicht sollte er wirklich noch ein wenig schlafen. In seinem Kopf dröhnte es, er glaubte, immer noch Explosionen zu hören. Seine Gedanken wurden merkwürdig schwammig. Er fühlte sich wie in Watte gebettet. Malwine hatte irgendetwas ins Wasser gerührt. Laudanum. Wiebrecht. Die Apotheke brannte. Watte und Phosphor. Wo sind die Beine hin? Brands Busch, in Sicherheit. Tot.