Читать книгу Finn und Tea bei den Kreuzrittern - Anja Obst - Страница 6
ОглавлениеBeim Abendessen blieb den Eltern nicht verborgen, dass ihr Sohn irgendwie aufgeregter war als sonst. Auch wenn Finn versuchte, das so gut wie möglich zu verbergen.
»Hattest du einen schönen Geburtstag?«, fragte ihn seine Mutter.
»Oh ja! Er war super!«
Die Eltern wechselten einen verstohlenen Blick. So außergewöhnlich war der Tag nun wirklich nicht gewesen. Eigentlich wie immer, abgesehen von dem Besuch der Großeltern und den Geschenken.
»Was hat dir denn am besten gefallen?«
»Die Reise!«, sprudelte Finn ohne zu überlegen hervor. Sofort biss er sich auf die Zunge.
»Welche Reise?«, fragten seine Eltern auch gleich unisono.
»Also, äh, das Spiel mit den Rittern, meine ich«, stammelte Finn.
Das Blut schoss ihm in Sekundenschnelle in den Kopf.
»Finn hat eine Abenteuerlandschaft quer durch sein Zimmer gebaut«, erklärte der Vater und fragte dann seinen Sohn: »Sind die Ritter denn schon in Jerusalem angekommen?«
»Nein, noch nicht. Der Papst hat doch gerade erst verkündet, dass sie auf Kreuzzug gehen sollen. Die Ritter bereiten sich noch vor.«
»Ach so, ja, das ist natürlich wichtig bei so einer langen Reise.«
»Vorbereitungen sind doch furchtbar langweilig, oder?«, fragte die Mutter.
Sie zog bei der Frage eine Augenbraue nach oben, wie sie es immer tut, wenn sie sicher ist, Finn beim Flunkern zu ertappen. Finn schluckte. Nervös rutschte er von einer Pobacke auf die andere. Um Zeit zu gewinnen, griff er zu seinem Glas und nahm drei kräftige Schlucke Orangensaft.
»Ich wollte gerne alles so echt wie möglich machen«, sagte er dann.
Wieder stieg die Hitze in seinen Kopf.
»Ich habe viel im Lexikon gelesen, wieso es eigentlich Kreuzzüge gab und so. Das hat wohl länger gedauert, als ich dachte.«
An dem Blick seiner Mutter konnte er ablesen, dass auch diese Erklärung sie nicht überzeugte.
»Und wieso gab es Kreuzzüge?«
Natürlich, seine Mutter konnte nicht locker lassen!
Was hatte Tea vorhin erklärt? Eroberungen und Bekehrungen, richtig? Genau! Das waren zwei der Gründe gewesen. Gespannt schaute Finn seine Mutter an, als er antwortete.
»Unglaublich, da ist ja endlich mal was hängengeblieben von dem, was du gelesen hast«, lobte sie.
Finn erkannte jedoch an ihrer Körperhaltung, dass sie noch immer Zweifel hatte. Dann nämlich verschränkte sie ihre Arme und legte ihr Kinn auf die rechte Hand.
»Das Lexikon ist wirklich toll!«
Finn merkte, dass er damit ihr Misstrauen noch vergrößerte, trotzdem fuhr er fort:
»Es ist sehr verständlich, ausführlich und spannend geschrieben.«
»Hast du denn auch gelesen, wer die Ritter eigentlich waren?«, mischte sich der Vater ein.
Erst durch den ärgerlichen Blick seiner Frau merkte er, dass er sie in ihrer Spurensuche gestört hatte. Finns Kopf nahm langsam wieder seine normale Farbe an und er sagte, er habe nur etwas über Kreuzzüge erfahren, aber nicht viel über die Ritter selbst. Er war froh, dass sein Vater das Thema gewechselt hatte und hoffte, dass die misstrauischen Fragen seiner Mutter jetzt vielleicht aufhörten. Als seine Mutter wieder zum Sprechen ansetzen wollte, sagte er noch schnell:
»Ich weiß eigentlich nur, dass die Ritter so was wie Soldaten waren.«
»Nicht nur«, warf der Vater ein, den zweiten verärgerten Blick der Mutter ignorierend. »Ritter zu sein war eine Ehre, die nur den Adeligen vorbehalten war.«
»Also konnte nicht jeder einfach so Ritter werden«, fragte Finn und dachte an Leopold. Adelig war er ihm nicht vorgekommen.
»Nein«, erklärte der Vater. »Leute, die einem niederen Stand angehörten, wie Bauern zum Beispiel, hatten kaum eine Chance, zum Ritter ernannt zu werden. Außer vielleicht, sie haben etwas ganz Besonderes geleistet.«
»Was sind denn Stände?«, fragte Finn dazwischen.
»Das sind Gesellschaftsklassen. Also praktisch eine Sortierung der Bürger. Der König hatte den höchsten Stand und somit die Macht in einem Land. Danach kamen die Adeligen, dann die Geistlichen und ganz unten in der Hierarchie standen dann Handwerker und Händler und zuletzt die Bauern.«
»Also konnten Bauern gar keine Ritter werden?«
»Wie heute war auch im Mittelalter vieles eine Frage des Geldes«, sagte der Vater. »So weit ich weiß, gab es eine Ausbildung, um Ritter zu werden. Aber die dauerte sehr lange und kostete natürlich sehr viel Geld. Das konnten sich die Bauern nicht leisten.«
»Eine Ausbildung? Echt?«, warf jetzt Finns Mutter ein.
»Ja, das war wie eine richtige Ausbildung. Aber was genau die da gelernt haben, weiß ich leider auch nicht. Reiten auf jeden Fall, und Kämpfen, Bogenschießen, so was halt, denke ich.«
»Ich kann ja mal im Lexikon nachschlagen, vielleicht finde ich was dazu«, erklärte Finn.
»Sonst googeln wir es eben.« Der Vater griff zu seinem Smartphone.
»Nicht beim Essen!«, befahl Finns Mutter scharf.
Finn kicherte, denn sein Vater schnitt eine Grimasse wie ein ertappter Sünder. Das brachte ihm noch einen strafenden Seitenblick seiner Frau ein.
»Reich mir doch bitte mal die Käseplatte, Liebes«, flötete er ihr zu.
»Wie wäre es zuerst mit einem Stück Brot?«
Der Vater sah auf seinen leeren Teller, nickte und nahm dann mit der linken Hand den Brotkorb entgegen, den Finn schon bereit hielt, und angelte mit der rechten nach einem Stück Camembert. Seiner Frau warf er einen Luftkuss als Dankeschön zu. Sie grinste. Richtig böse war sie natürlich nicht gewesen. Es war ihr aber wichtig, dass vor allem beim Essen nicht ständig mit diversen Geräten rumhantiert wurde. Die Familie soll sich wenigstens einmal am Tag nur auf das Essen und die Gesellschaft am Tisch konzentrieren. Das angeregte Gespräch über Ritter war mit ihrem scharfen Einwurf allerdings zum Erliegen gekommen. Es wollte sich auch keine neue Diskussion richtig entfalten. Es klang fast wie eine Erlösung, als Finns Mutter schließlich fragte:
»Seid ihr fertig mit essen?«
»Ja, danke.«
»Ich auch! Darf ich schon aufstehen?«
»Ja, nimm aber bitte deinen Teller mit in die Küche.«
Ihre Hoffnung, dass Finn eventuell auch die anderen beiden Teller mitnehmen würde, erfüllten sich nicht. Dem Jungen muss man wirklich alles ganz genau sagen, von alleine kommen solche Ideen wohl nicht. Kurz nach dem Geräusch, wie der Teller unsanft in der Spüle landete, waren Finns hastige Sprünge die Treppe hinauf zu hören.
»Das war ja mal ein interessantes Gespräch beim Abendbrot«, bemerkte der Vater.
»In der Tat. Ich würde nur zu gerne wissen, was Finn vorhin mit der Reise gemeint hat.«
»Wahrscheinlich einfach nur, dass er mit seinen Ritterfiguren über diese Kissenlandschaft gehoppelt ist.«
»Nein, nein, da steckt was anderes dahinter! Du bist immer so leichtgläubig.«
»Vertrauensvoll«, verbesserte der Vater lächelnd. »Und wo soll er denn schon alleine hinreisen?«
»Weiß ich nicht. Nirgendwohin. Aber gerade das verwirrt mich ja. Hast du nicht gemerkt, dass er anders war? Aufgekratzter?«
»Stimmt, ein bisschen, jetzt, wo du es sagst. Aber ist das nicht normal, wenn man Geburtstag hat?«
»Ich hab mal lieber ein Auge drauf. Da ist irgendwas im Busch.«
»Du machst dir zu viele Gedanken. Er hat tolle Geschenke bekommen, ein Thema entdeckt, was ihn fasziniert, genießen wir es doch, dass er mit Ritterfiguren über eine Kissenlandschaft reitet, anstatt draußen wieder irgendeinen Blödsinn zu machen.«
»Blödsinn kann man auch im Haus machen!«
»Aber wenigstens landet er weich.«
Finns Mutter lachte. Beruhigt war sie aber durchaus nicht.
Tea hatte Finns Abwesenheit genutzt und die frühere Anordnung der Figuren in der Ritterburg geändert: Nun stand eine der Figuren, die mit der Ritterburg geliefert wurden, vor den ganzen anderen. Die Menschenmenge war um einiges beschaulicher, als sie es erlebt hatten. Finn erkannte die Szene aber sofort.
»Welcher davon ist Leopold?«, fragte er.
»Dieser hier mit dem schwarzen Pferd.«
»Aber Leopolds Pferd war braun.«
»Siehst du hier irgendwo ein braunes Pferd?«
Obwohl Finn nicht an Teas Worten zweifelte, dreht er den Karton einmal um und hob die zusammengeknüllte Plastiktüte hoch. Der Plastik-Leopold musste tatsächlich mit einem schwarzen Pferd Vorlieb nehmen. Finn machte mit dem Spielzeugpferd galoppierende Bewegungen und schaute dann mit einem Seitenblick zu Tea. Sie war gerade dabei, die Figuren erneut umzustellen und verfrachtete sie vom Burgplatz hinein in die Burg.
»Warum stellst du sie denn alle in die Burg?«, fragte Finn.
»Gleich findet eine Zeremonie statt.«
»Was denn für eine?«
Tea hielt inne, riss dann plötzlich die Augen weit auf und tat, als ob ihr just eine Idee gekommen wäre.
»Warum schauen wir uns das nicht einfach leibhaftig an?«
Sie zwinkerte Finn zu. Er verstand sofort, was sie meinte, ergriff die kleine Hand, die sie ihm entgegenstreckte und grinste breit voller Vorfreude.