Читать книгу Fearless - Anja Schäfer - Страница 10
ОглавлениеNICK VUJICIC
*1982
WENN LEUTE NICK KENNENLERNEN und feststellen, dass er weder Arme noch Beine hat, witzelt er gern: »Meine anderen Teile sind gerade zur Inspektion!« Nicks komplizierter Nachname wird Wu-ji-tschitsch ausgesprochen und kommt aus Serbien, denn von dort waren seine Großeltern nach Australien ausgewandert, wo Nick geboren wurde. Warum ihm keine Arme und Beine wuchsen, können auch Ärzte nicht erklären. Wie man sich leicht vorstellen kann, war die Geburt für seine Eltern ein großer Schock. Seine Mutter wollte ihn zuerst nicht einmal sehen und in ihrer Nähe haben. Sie dachte daran, ihn zur Adoption freizugeben, weil sie Angst hatte, sich nicht richtig um ihn kümmern zu können. Doch dann beschlossen seine Eltern, dass Gott sich schon etwas dabei gedacht haben musste, und begannen, Nick so normal wie möglich zu erziehen.
Der entpuppte sich als sportliches Kerlchen, das sich flink aufrichten und mithilfe seines linken Fußes mit zwei Zehen ganz schön viel anstellen konnte. Er ärgerte seine beiden jüngeren Geschwister wie jeder andere große Bruder und lernte, Gegenstände geschickt mit dem Fuß, dem Kinn oder den Zähnen aufzuheben. Sogar schwimmen konnte er bald. Seine Eltern setzten sich dafür ein, dass er als eins der ersten behinderten Kinder in Australien eine ganz normale Schule besuchen durfte. Oft war Nick fröhlich, optimistisch und schlagfertig. Aber es gab auch andere Zeiten, etwa wenn andere Kinder ihn als Monster oder Außerirdischen beschimpften.
Als Nick zehn Jahre alt war, überwältigten ihn diese negativen Gedanken. Er konnte kaum schlafen, war aufgewühlt und verzweifelt. Es war einfach zu frustrierend, sich nicht einmal eine Limo aus dem Kühlschrank holen zu können und zu wissen, dass er sein ganzes Leben lang für alles auf Hilfe angewiesen sein würde. ›Warum muss ich so anders sein?‹, fragte er sich.
Nicks Eltern waren engagierte Christen, sein Vater predigte sogar manchmal in der Kirche. Einmal ging es darum, dass Gott sagt: »Mein Plan mit euch gilt: Ich will euer Glück und nicht euer Unglück. Ich gebe euch Zukunft und Hoffnung« (nach Jeremia 29,11). Nick dachte: ›Na, dieser Vers gilt mir ja wohl nicht. Welche Zukunft und Hoffnung habe ich schon?‹ Er hatte Gott oft um Arme und Beine gebeten, aber Gott hatte ihn offenbar nicht gehört. An diesen Gott konnte er nicht glauben.
Mehrmals überlegte er ernsthaft, ob er irgendwo runterspringen oder in der Badewanne zu lange unter Wasser bleiben sollte. Als sein Vater von diesen Gedanken erfuhr, setzte er sich eines Abends im Bett zu ihm und strich durch seine Haare. »Es wird alles gut, Nick«, beruhigte er ihn und zählte mit warmer Stimme auf, was im Leben noch alles Gutes auf ihn wartete. »Wir sind immer für dich da«, versprach der Vater. Und Nick konnte in den Worten, der liebevollen Berührung und dem Versprechen seines Vaters Vertrauen schöpfen, dass es einen Weg für ihn geben würde. In dieser Nacht schlief er endlich wieder tief und fest. Es gab noch schwierige Tage und Momente der Angst, aber der Tunnel lag hinter ihm.
Mit fünfzehn hörte er die Geschichte aus der Bibel, in der es um einen Mann geht, der von Geburt an blind war. Die Jünger fragten Jesus: »Wer ist schuld an seiner Blindheit? Er selbst oder seine Eltern?« Genau das fragte Nick sich auch. Seinen Jüngern antwortete Jesus: »Niemand ist schuld. Nicht der Mann und nicht die Eltern. Er ist blind, weil sich an ihm Gottes Macht zeigen soll« (nach Johannes 9,3). In diesem Moment klickte etwas in ihm: Niemand außer Gott wusste die Antwort, warum er so geboren worden war. Aber vielleicht gab es eine Aufgabe für ihn und Gott hatte ihn nicht vergessen.
Auf der Highschool musste Nick nach dem Unterricht immer noch eine Stunde lang in der Schule warten, bis ihn der Bringdienst nach Hause fuhr. Oft verbrachte er diese Zeit mit Mr Arnold, dem Hausmeister, der ihn durch seine Persönlichkeit beeindruckte. Manchmal leitete Mr Arnold mittags ein christliches Schülertreffen und lud ihn dazu ein. Nick erklärte, dass er für Religion nicht so viel übrig habe, aber weil er Mr Arnold mochte, ging er trotzdem hin. Mr Arnold ermutigte alle, etwas von sich zu erzählen. Nick weigerte sich mehrere Monate lang, bevor er schließlich doch bereit war. Er machte sich vorher Notizen und erzählte in der Runde von schwierigen und schönen Erlebnissen und gestand ehrlich, dass er manchmal denke, Gott habe ihn vergessen, aber manchmal auch das Gefühl habe, dass sein Leben doch nicht so sinnlos sei. Die anderen Kinder hatten Tränen in den Augen.
»War ich so schlecht?«, fragte Nick besorgt.
»Nein, du warst so gut«, erwiderte Mr Arnold. Kurz darauf bat ihn ein Junge aus der Gruppe, auch in seiner Jugendgruppe etwas zu erzählen. Etliche weitere Einladungen folgten.
Mit der Zeit wuchs Nicks Gewissheit, dass sein Leben nicht zwecklos war. Seine Eltern ermutigten ihn jeden Tag. Durch ihre Liebe zu ihm lebten sie ihm Gottes Liebe zu uns Menschen vor und Nick konnte mehr und mehr glauben, dass Gott ihn gerade in seiner besonderen Situation gebrauchen wollte.
Er wurde in Jugendgruppen und zu Schülertreffen eingeladen, um von sich und seinen alltäglichen Schwierigkeiten zu erzählen. Einmal saßen dreihundert Schülerinnen und Schüler vor ihm. Plötzlich fing ein Mädchen im Publikum laut an zu weinen. Sie hob die Hand und bat, nach vorne kommen zu dürfen, um ihn zu umarmen. Auf der Bühne flüsterte sie ihm schluchzend ins Ohr: »Noch nie hat mir jemand gesagt, dass ich schön bin, so wie du es uns gerade gesagt hast. Du hast mein Leben verändert!«
Für Nick war das ein Augenöffner: Er begriff, dass diese öffentlichen Auftritte nicht nur ihm dabei halfen, sich nicht so einsam zu fühlen, sondern dass es auch seinen Zuhörer etwas bringen konnte. Ihm wurde klar: Alle Menschen erleben Schwierigkeiten – nur seine waren etwas sichtbarer! »Als ich das verstanden habe«, sagt er heute, »ging in meinem Hirn eine Glühbirne auf! Ich fing an, das Leben als Chance zu sehen, und dachte: Meine Umstände müssen für etwas gut sein!« Gerade sein Anderssein war die Chance, etwas Besonderes beizutragen: Ihm sahen die Zuhörer sofort an, dass er es nicht leicht hatte. Deshalb waren sie gespannt zu hören, wie er sein Leben meisterte.
Nicks Selbstbewusstsein wuchs und mit siebzehn wurde er sogar zum Schülersprecher gewählt. Über seine fehlenden Arme und Beine konnte er nun Witze machen. Einmal besuchte er mit Freunden ein großes Einkaufszentrum. In einem Schaufenster entdeckten sie eine männliche Schaufensterpuppe, die wie Nick nur aus Kopf und Torso bestand und Unterhosen präsentieren sollte. Nick trug zufälligerweise dieselbe Marke und beschloss, einen Streich zu wagen: Seine Freunde hoben ihn ins Schaufenster, wo er regungslos verharrte. Aber wenn Leute stehen blieben und ihn ansahen, blinzelte er plötzlich oder verbeugte sich – zum großen Schrecken der Kundinnen und Kunden!
Statt einer Karriere als Schaufensterpuppe schlug er dann aber doch lieber eine Laufbahn als Motivationsredner und Prediger ein. Weltweit will man seine Geschichte hören. Mittlerweile hat Nick schon in Dutzenden Ländern Vorträge gehalten, in Indien einmal vor über hunderttausend Leuten gleichzeitig gepredigt und in zweitausend Gefängnissen gesprochen. Er zog in die USA und seine Gemeinde dort sandte ihn als ihren ersten Missionspastor aus. Mit Filmemachern aus Los Angeles drehte er den Kurzfilm »The Butterfly Circus«. Mit der preisgekrönten Surferin Bethany Hamilton, die selbst bei einem Haiangriff einen Arm verlor, hat er surfen gelernt. Und noch etwas, das er fast nicht geglaubt hätte, wurde wahr: 2012 heiratete er seine Frau Kanae und mittlerweile haben sie vier Kinder, mit denen er voll sprühender Energie herumtobt.
Gerade auch seine dunklen Zeiten will er heute nicht mehr missen, weil sie ihn stärker gemacht haben, wie er sagt. Nick will Mut machen, das Leben beherzt in die Hand zu nehmen, die eigenen Herausforderungen zu meistern und an Gottes Seite die eigene Bestimmung zu finden. Aus seinem Leben ist vor allem eins geworden: eine einzige Ermutigung, dass sich Hoffnung in jedem Leben lohnt.