Читать книгу 7 Monate Herbstgefühle - Anke-Larissa Ahlgrimm - Страница 11

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[5. Oktober, 2016]

Grinsend lehnte sich Haven an den Türrahmen zu Lilacs Zimmer und verschränkte seine Arme vor der Brust. Seine Grübchen waren mal wieder besonders sichtbar und wenn ich nicht auf dem Boden mit Lilac und ihren vielen Kuscheltieren gesessen hätte, hätte ich sie vermutlich geküsst.

„Lilac, es ist spät, Schlafenszeit“, sagte Haven ruhig. Lilac mir gegenüber verzog ihr Gesicht und gab ein leises Murren von sich. Geistesabwesend streichelte sie über Siennas rotes Fell und spielte munter mit ihrem Stoffesel weiter. Haven stieß ein leises Seufzen aus. „Na komm, aufräumen, Schlafanzug an und Zähne putzen.“ Mittlerweile war er in ihr kleines Zimmer getreten und ging nun neben seiner Tochter in die Hocke.

Nun verschränkte Lilac ebenfalls ihre kleinen Arme vor der Brust. „Ich will aber nicht, ich bin nicht müde.“

„Ly, wenn du jetzt nicht schlafen gehst, wirst du morgen in der Schule ganz müde sein“, mischte ich mich lächelnd ein, während ich schon mal begann ein paar Stofftiere in meinen Armen zu stapeln. „Und dann wird Miss Davis ganz enttäuscht sein und du kannst gar nicht mit deinen Freunden spielen.“

Lilac legte ihre kleinen Hände an ihre Wangen. „Aber ich will doch morgen mit Zoe und Luke Fußball spielen“, murmelte sie aufgewühlt und runzelte dann nachdenklich ihre Stirn. Ich warf Haven ein heimliches Grinsen zu. Ich war mir ziemlich sicher, dass Lilac nun ins Bett gehen würde. Dafür kannte ich sie mittlerweile fast schon zu gut. „Kann ich dann bei euch schlafen?“ Mit vorgeschobener Unterlippe sah sie abwechselnd zu Haven und mir. Ich wechselte ebenfalls einen Blick mit Haven aus, der darin endete, dass mein Freund mit den Achseln zuckte und seiner Tochter zunickte.

„Na gut, aber dafür musst du dich jetzt ganz schnell bettfertig machen, ja?“ Er bekam einen begeisterten Ton von Lilac als Antwort, welche sofort aufsprang und alles, was noch auf dem Boden herumlag, in eine Kiste warf. Währenddessen stand ich ebenfalls auf und half Haven nach oben. Eigentlich hatten wir vorgehabt noch einen Film gemeinsam zu schauen, aber dieser Plan würde nun wohl etwas nach hinten verschoben werden. Denn wenn Lilac bei uns im Bett schlief, hieß das erst mal, dass wir ebenfalls in unsere Schlafsachen schlüpften und die Zähne putzten. Das war eine Regel, die ich nicht aufgestellt hatte und die es schon gab als Lilac noch ganz klein war. Das hat etwas mit Gerechtigkeit zu tun, hatte mir Haven lediglich erklärt, als seine Tochter zum ersten Mal bei uns unter die Bettdecke geschlüpft war.

„Fertig!“, rief Lilac aus, als ich in einem alten Shirt und einer Schlafanzughose wieder in ihr Zimmer trat. Ich musste zugeben, dass der Boden nun einiges aufgeräumter war und ich keine Angst mehr haben musste auf irgendwelche kleinen Spielfiguren zu treten. Im Dunkeln waren diese nämlich noch gefährlicher als unsere Katzen.

„Ich hab deinen Schlafanzug aufs Bett gelegt“, erwiderte Haven, der in diesem Moment das Zimmer betrat. Lilac warf dem rosa Pyjama einen unzufriedenen Blick zu.

„Ich will aber den mit den blauen Katzen drauf haben“, jammerte sie. Haven warf ihr einen strengen Blick zu und entlockte ihr ein leises Seufzen. „Ich möchte aber gerne den mit den blaue Katzen drauf haben.“

Haven ging auf ihre blaue Kommode zu. „Und jetzt noch das Zauberwort.“

Nachdenklich tippte sich Lilac an die Lippe, bevor sich ein breites Lächeln auf ihren Lippen ausbreitete. „Sillte plä?“ Haven hielt in jeder Bewegung inne, um seiner Tochter einen verwirrten Blick zu zuwerfen. Ich dagegen musste mir ein Lachen verkneifen.

„S’il te plaît“, verbesserte ich sie schmunzelnd und strich ihr übers Haar. Immer noch mit gerunzelter Stirn reichte Haven seiner Tochter den gewünschten Pyjama und half ihr sich auszuziehen.

„Seit wann sprichst du denn Französisch?“, fragte er sie schmunzelnd, nachdem er mich fragend angesehen hatte und ich auch nur mit den Achseln zucken konnte.

Lilac summte leise. „Emile hat gesagt, dass sein Vater das immer mit ihm spricht und dann versteht seine Mutter es nicht“, erklärte sie sachlich und schlüpfte aus ihrer Hose. Als sie bemerkte, dass wir aus ihrer Erklärung auch nicht schlauer wurden, seufzte sie leise. „Also will ich auch mit Emile französisch sprechen, damit die anderen uns nicht verstehen.“

„Und warum sollen die anderen euch nicht verstehen?“, hakte Haven skeptisch nach. Lilac sah ihn an, als hätte er gerade etwas sehr Dummes gesagt, und schüttelte ihren Kopf. Dann beugte sie sich zu ihm nach vorne.

„Wir haben Geheimnisse“, flüsterte sie laut und ehe wir auch nur fragen konnten, um welche Geheimnisse es sich handelte, rannte sie bereits ins Badezimmer, um ihre Zähne zu putzen.

„Seit wann gibt es hier in Amerika so viele Franzosen?“, raunte mir Haven zu, als wir seiner Tochter folgten. Ich zuckte nur mit den Achseln. Ich konnte nicht beurteilen, wie viele ‚Franzosen‘ es hier gab und wie viele ‚normal‘ wären. Ich war immer mit genügend Personen um mich aufgewachsen, die Französisch sprachen. Auf dem Internat war es sogar eher eine Besonderheit gewesen, wenn jemand nicht mindestens einen französischstämmigen Elternteil hatte.

„Seit wann gibt es so viele Briten in Amerika?“, konterte ich deswegen keck und griff nach meiner gelben Zahnbürste. Haven lachte leise. Genauso wie ich, vergaß er manchmal, dass er gar nicht von hier kam. Auch wir waren keine Amerikaner. Wir hatten nur den Vorteil, dass man uns hier meist auch mit unserem Akzent verstand.

Zehn Minuten später lagen wir bereits in unserem Bett und Lilac kuschelte sich zwischen Haven und mich. Ihr Gesicht kuschelte sie an Havens Brust, während sie ihre Füße gegen meine Oberschenkel drückte. Wenn wir so die ganze Nacht liegen würden, würde ich bestimmt blaue Flecken haben.

„Hab dich lieb, Daddy“, murmelte Lilac leise. Haven, der genauso wie ich auf der Seite lag, küsste den Kopf seiner Tochter und erwiderte ihre Worte sanft. „Hab dich lieb, Rubie.“

„Ich dich auch, minette“, lächelte ich und streichelte Lilacs Hüfte, unter der Bettdecke. Seufzend kuschelte Lilac ihren Stoffdelfin an ihre Brust und schloss die Augen. Die nächste viertel Stunde bestand aus Haven, der mir ab und zu ein Grinsen zuwarf, seiner Tochter übers Haar strich und leise vor sich hin summte. Wäre ich nicht voller Energie gewesen, weil ich geplant hatte, ihm heute Abend von meiner Schwangerschaft zu erzählen, wäre ich bestimmt ebenfalls in den Schlaf gelullt worden.

„Alles okay?“, fragte Haven irgendwann leise und hob seine Augenbrauen. Ich hatte unbewusst angefangen auf meiner Lippe zu kauen, als ich überlegt hatte, wie ich es Haven wohl am besten sagen sollte.

„Ja.“ Ich nickte eilig und spielte mit einer blonden Strähne von Lilac, die auf mein Kissen gefallen war. „Sag mal, wir haben doch letztens über unsere hypothetischen Kinder geredet, nicht?“

Nachdenklich verzog Haven seinen Mund und nickte. „War das nicht Sonntag?“ Ich gab ein zustimmendes Summen von mir und begann Lilacs Strähne zu flechten.

„Genau ... glaubst du, dass Lilac irgendein Problem damit hätte?“

„Womit? Mit unseren hypothetischen Kindern?“, hakte Haven verwirrt nach und erntete von mir ein knappes Nicken. Schmunzelnd sah er abwechselnd von mir zu seiner Tochter. „Ich denke nicht. Ich glaube, sie wünscht sich sogar Geschwister. Und sie liebt dich. Also glaube ich nicht, dass sie irgendein Problem haben wird, wenn wir irgendwann mal die Familie erweitern wollen.“ Das kleine Wort ‚irgendwann‘ rammte sich in mein Herz wie ein Dolch, doch ich ließ es mir nicht ansehen und lächelte Haven stattdessen an.

„Sicher?“

„Sicher“, grinste mein Freund und setzte sich langsam auf, darauf bedacht, dass seine Tochter nicht aufwachte. „Ich trag Lilac schnell ins Bett, dann können wir weiterreden.“ Haven zwinkerte mir noch zu, bevor er Lilac in seine Arme nahm und mit ihr das Zimmer verließ.

Ich atmete schwer aus. Jetzt oder nie. Ich setzte mich auf, sodass mein Rücken an das Kopfende des Bettes lehnte und ich meine Beine zu einem Schneidersitz verknoten konnte. Ich war bereit – für was wusste ich nicht genau.

„So.“ Euphorisch ließ sich Haven gegenüber von mir nieder und faltete seine langen Beine. Seine Locken fielen ihm wild ins Gesicht und er musste sie einige Male hinters Ohr klemmen, bevor sie auch hielten. „Lass uns weiter über unsere hypothetischen Kinder reden. Das macht Spaß.“

„Wie meinst du das?“ Mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen sah ich ihn an.

„Es ist einfach mit dir. Über die Zukunft sprechen, meine ich. Wir haben dieselben Vorstellungen, Pläne und Träume.“ Sogar im fast dunklen Raum, in dem eine Nachttischlampe, die einzige Lichtquelle war, konnte ich sehen, wie Haven das Blut in die Wangen schoss. „Und ich kann mir sicher sein, dass wir zusammenbleiben.“ Schweigend sah ich Haven an. Ich wusste nicht, wie er so optimistisch in die Zukunft sehen konnte. Klar, erhoffte ich mir eine Zukunft mit Haven, ich wünschte es mir sogar sehr. Aber ich konnte nicht die Stimme in meinem Hinterkopf ignorieren, die mir sagte, dass sich immer alles ändern konnte. Sowas wie Gewissheit gab es nicht – zumindest nicht in meinem Leben. Woher wollte ich wissen, dass Haven nicht eines Tages aufwachte und mich nicht mehr genug liebte? Dass er mich nicht irgendwann verließ, weil ich mich doch zu sehr verändert hatte?

„Ich liebe dich“, seufzte ich schließlich und nahm Havens Hand, die in seinem Schoß lag, in meine. Seine Finger verschränkten sich mit meinen.

„Ich liebe dich auch“, erwiderte er leise, bevor er mich frech angrinste. „Und unsere hypothetischen Kinder.“

„Was, wenn sie nicht mehr hypothetisch sind?“ Havens Grinsen gefror auf seinen Lippen und wurde durch Falten auf seiner Stirn ersetzt.

„Was meinst du damit?“ Ich antwortete ihm nicht, sondern schenkte ihm lediglich ein unsicheres Lächeln. Haven schien es jedoch trotzdem zu verstehen, da er plötzlich tief Luft holte. „Du … wow.“

„Wow?“ Das war nicht wirklich die Antwort, die ich erwartet hatte.

„Ja, wow … das ist …“ Haven schien verzweifelt nach Worten zu suchen, während er sich durch seine Locken fuhr. „Das kommt jetzt unerwartet, aber … das ist doch gut, richtig?“

„Ja.“ Ich nickte kaum merklich und beobachtete, wie sich wieder ein Lächeln auf Havens Lippen formte. Seine grünen Augen schienen gerade zu strahlen.

„Ich find das wirklich wundervoll. Ich meine … wie geht’s dir damit? Ich weiß, wir sind noch nicht so lang ein Paar und du bist auch noch so jung. Willst du das überhaupt? Ich würde verstehen, wenn nicht. Wir können uns ja informieren und …“ Haven stockte, um auf seiner Unterlippe zu kauen und mir einen besorgten Blick zu zuwerfen.

„Alles prima“, log ich und griff wieder nach Havens Hand, die er mir entzogen hatte. „Wir schaffen das gemeinsam, oder?“

„Klar.“ Sanft zog er mich in seine Arme. „Aus meinem Büro können wir ein Kinderzimmer gestalten und ich kann Überstunden machen, dann passt das auch mit dem Geld. Mum gibt uns bestimmt auch Geld. Und Lilac hilft im Haushalt und –“

Ich unterbrach Haven mit einem kurzen Kuss auf die Lippen. „Okay“, flüsterte ich und kuschelte mich an seine Brust. Von dem hilflosen und verzweifelten Blick, den ich der Wand zuwarf, würde er nie etwas erfahren.

[10. Oktober, 2016]

Leo stieß ein übertriebenes, lautes Gähnen aus und legte seinen Kopf auf meiner Schulter ab. Ich wich ihm jedoch geschickt aus, sodass er seinen Kopf von alleine oben behalten musste. Der Braunhaarige murrte leise vor sich hin und folgte mir erneut.

„Ach komm schon, die Pädiatrie ist voll langweilig.“

„Päds ist cool“, verbesserte ich ihn augenrollend und lud einen Stapel Akten auf dem Pädiatrie-Empfang ab. Debbie saß dort gerade vor einem Computer und führte ein anscheinend sehr nervenauftreibendes Telefonat.

„Nein, Sir, verstehen Sie doch -“, sagte sie verzweifelt, doch sie wurde sofort von einer lauten Stimme am anderen Ende der Leitung übertönt. Ich schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, bevor meine Aufmerksamkeit wieder von Leo beansprucht wurde.

„Päds ist langweilig.“ Der junge Mann stieß ein theatralisches Seufzen aus und legte seinen Kopf auf dem Empfangstresen ab. „Ich meine, hier ist doch nie was los.“

„Da irrst du dich“, sagte ich kopfschüttelnd. „Außerdem habe ich gehört, wie dich Dr. Williamson aus der OP geworfen hat, weil du dich nicht zusammenreißen konntest.“ Oh ja, das hatte ich wirklich. Dr. Williamson, der Oberarzt der Pädiatrie, war, seit ich ihn kannte, die Ruhe in Person gewesen, was auch die Kinder sehr beeinflusste. Er war der Typ Mensch, der einen jeden Tag mit einem Lächeln begrüßte und nachhakte, wenn man ihm von seinem Tag erzählte. Er war einfach interessiert an einem. Aber heute Mittag hatte ich ihn zum ersten Mal richtig laut erlebt. Und zwar nicht, um jemanden zu befehlen, wie er die Patienten behandeln musste. Sondern nur um Leo die Leviten zu lesen. Aber ganz ehrlich? Das hatte er verdient.

„Pff“, machte Leo genervt, jedoch konnte ich erkennen, dass es ihm peinlich war. Seine Wangen waren deutlich gerötet und er wich meinem Blick aus.

„Weißt du, was ich noch gehört habe? Dass du auf einen Patienten aufpassen sollst.“

„Ach komm schon, Rubie. Dieser Jonathan ist 5 Jahre alt. Was soll er machen? Weglaufen? Seine Mutter ist mit im Zimmer.“, murmelte Leo und stellte sich wieder aufrecht hin. „Und die scheint irgendwie einen Narren an mir gefressen zu haben. Dabei ist die bestimmt 50!“ Mitfühlend verzog ich mein Gesicht. Ich hatte selber schon Erfahrungen mit aufdringlichen Eltern gemacht, wobei es bei mir ja eher die Väter waren, die plötzlich sehr dankbar waren – dabei war ich nicht mal die Ärztin.

„Was müsste passieren, damit die Pädiatrie für dich attraktiver wird?“, fragte ich desinteressiert und räumte die Akten, die ich gerade noch abgelegt hatte, in ihren rechtmäßigen Schrank. Wenn Eltern verzweifelt waren, kam es schon mal vor, dass sie Akten entwendeten. Oder zumindest erzählte man mir das. Mitbekommen hatte ich es noch nie. „Muss ein Kind sterben?“

„Nein, ich mag keine Kinder“, sagte Leo seufzend und schob seine Hände in seine Kitteltaschen. Seine Augen suchten den Gang ab, als würde er darauf warten, dass ein krankes Kind jede Minute vorbeikommen könnte. Um ehrlich zu sein, war es wirklich erstaunlich ruhig heute. Keine großen Notfälle bis jetzt und noch niemand war in meiner Station gestorben. Aber man sollte ja nicht den Tag vor dem Abend loben. „Die schreien und weinen immer zu. Behandelt ihr nicht auch schwangere Frauen? Sowas würde noch gehen. Kann nicht mal kurz jemand schwanger werden?“

„Dr. Stevens ist dafür zuständig, ja. Aber sie ist gerade im Urlaub“, antwortete ich nickend.

„Und sie hat alle schwangeren Frauen mitgenommen?“ Grinsend sah Leo mich an und entlockte mir ein genervtes Augenrollen. „Ich frag ja nur. Wusstest du, dass ich noch nie eine Ultraschalluntersuchung machen durfte? Ich weiß, wie es geht, aber hier hat mich noch keiner gelassen.“

Für einen kurzen Moment wollte ich mit „Warum auch?“ antworten, ließ es dann jedoch sein. Ich konnte nicht beurteilen, wie gut er als Arzt und angehender Chirurg war. Ich wusste nur, dass er ein nerviger Kollege war. Aber wie er mit den Patienten umging? Das wusste ich nicht wirklich.

Vielleicht war auch mein Zögern der Auslöser für meine Idee. Ich wollte sie erst komplett aus meinem Gedächtnis streichen. Allerdings würde es ja bestimmt auch Leo helfen, oder nicht?

Seufzend blickte ich auf meine Armbanduhr, die mir sagte, dass ich in fünf Minuten Pause hätte. „Debs, ich geh ein bisschen früher in die Pause, wenn du mich brauchst, dann schrei einfach“, sagte ich zu meiner Freundin. Als ich an Leo vorbeiging, krallte ich meine Finger in seinen Kittel und zog ihn mit mir.

„Wo gehen wir hin?“, fragte er plötzlich aufgeregt und folgte mir wie ein neugieriger Welpe. Ein paar Gänge weiter leitete ich ihn in ein leeres Untersuchungszimmer. Kaum hatte ich die Tür hinter uns, drückte mich bereits dagegen. „Ich hab mir schon gedacht, dass du deinen Hass auf mich nur spielst.“ Breit grinste er mich an und umgriff meine Hüfte.

Ich schubste ihn mit viel Schwung von mir. „Finger weg. Ich bereue es jetzt schon dir diese Chance zu geben“, knurrte ich. Warum konnte er sich nicht einmal zusammenreißen? Und vor allem, warum kam es mir in den Sinn, dass er es verdient hatte, dass ich ihm half.

„Helfen? Wobei?“ Ich deutete stumm auf das Ultraschallgerät, das mitten im Raum und neben einer Liege stand. Leo stieß ein leises Schnauben aus. „Und woran soll ich das üben? Soll ich raten, was du vorhin gegessen hast?“

Immer noch schweigend ging ich auf die Liege zu und legte mich darauf. Ich fürchtete, wenn ich etwas sagte, würde ich es später bereuen – wenn ich es jetzt noch nicht genug tat. Aber Dr. Stevens war im Urlaub und das würde sie noch für eine weitere Woche sein. Leo dagegen brauchte Übung und ich kannte mich genug damit aus, um zu wissen, ab wann er mich irgendwie in Gefahr bringen könnte.

„Ich glaube, du musst dich auf diesen Hocker setzen“, sagte ich schließlich, als Leo keine Anstalten machte sich zu bewegen. Meine Hände wanderten zu dem Saum meines Shirts und schoben es langsam nach oben. „Und du brauchst -“

„Ich weiß, ich weiß.“ Leo war nun aus seiner Starre erwacht und wuselte im Raum herum, bis er alles beisammen hatte, dass er seiner Meinung nach brauchen würde. Dann setzte er sich endlich auf den kleinen Hocker neben der Liege und zog ein Paar blaue Gummihandschuhe über. „Okay, also das Gel wird ein bisschen kalt sein und … so, das war’s mit der Kälte. Gut, wie mach ich das jetzt mit dem Stab? Ach ja, okay, keine Sorge, ich hab alles im Griff.“ Leo stieß ein leises Lachen aus, während er abwechselnd von dem Schallkopf auf meinem noch flachen Bauch zu dem Bildschirm mit dem Ultraschallbild schaute. Faszinierenderweise schien er Spaß dabei zu haben das kalte Gel über meinen ganzen Bauch zu verbreiten.

„Leo, ich hab fast keinem davon erzählt, also könntest du bitte nichts verraten?“ Meine Stimme war leise. So leise, dass Leo sie beinahe nicht hören konnte. Doch er tat es und schenkte mir ein sanftes Lächeln, bevor er auf sein Namensschild tippte.

„Schweigepflicht“, sagte er immer noch lächelnd. „Und tut mir leid, dass ich das mit deinem Freund nicht so wahrgenommen habe und dich trotzdem angemacht habe. Ich wusste nicht, dass es mit euch schon so … ernst ist.“

„Ist es nicht“, seufzte ich. „Ich meine, doch. Doch, das ist es. Aber wir haben das hier nicht geplant. Ich zumindest nicht. Ich will das nicht, ich will nur –“ Ich stockte und sah an die Decke, in der Hoffnung Leo würde die Tränen in meinen Augen nicht bemerken. Ich durfte jetzt nicht emotional werden. Das ging Leo nichts an. Er war immer noch ein Mistkerl.

„Keine Sorge, ich werde keine Fragen stellen. Außer vielleicht, wo du dein Baby versteckt hast, weil ich echt zu doof bin, es zu finden.“ Mit diesen Worten entlockte Leo mir ein Lachen, bei dem mir leider eine einzelne Träne über die Wange rollte. Trotzig wischte ich sie mir weg.

„Du musst den Stab anders halten und weiter nach unten. So.“ Ich führte Leos Hand zu der richtigen Stelle und grinste ihn dann triumphierend an. „Hier musst du schauen.“

Leos Augen waren nun genau auf den Bildschirm gerichtet, während er im Schneckentempo den Schallkopf über meine Haut fuhr. „Gefunden!“, sagte er leise. Seine Stimme war leiser als ich es erwartet hätte und irgendwie glaubte ich, er wollte mit seinem Geschrei nicht die Atmosphäre zerstören. „Gott, es ist so klein. In der wievielten Woche bist du denn?“

„Sag du es mir, Dr. Turner.“ Schmunzelnd beugte sich Leo weiter zum Bildschirm, als könnte das Baby es ihm selbst sagen. Ich starrte nur wenige Sekunden lang auf die kleine Blase, bevor ich wieder die Decke anstarrte. Wie gesagt, ich würde nicht emotional werden.

„Ich würde jetzt so sagen, sieben Wochen, aber -“

„Es sind sechs“, verbesserte ich ihn eilig und zwang mir ein Lächeln auf. Leo nickte sofort und drückte dann auf ein paar Knöpfe am Ultraschallgerät rum. „Was machst du da?“

„Na, ich druck Bilder von deinem süßen Wurm aus.“ Grinsend stand er auf und zwinkerte mir dann noch zu, bevor er mir Papiertücher gab, mit denen ich meinen Bauch abwischen konnte.

Als ich ein paar Minuten später mit den Ultraschallbildern in den Händen auf der Liege saß, musste ich meine Tränen wegblinzeln. Dieses kleine Wesen verdiente es nicht, dass ich gemischte Gefühle wegen ihm hatte. Ich sollte es bedingungslos lieben, wie es Haven bereits tat. Ich sollte es beschützen und ich sollte keine Zweifel haben. Aber ich konnte es nicht, nicht gänzlich.

Und das war eine Schande.

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