Читать книгу 7 Monate Herbstgefühle - Anke-Larissa Ahlgrimm - Страница 8

VII

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[17. September, 2016]

Ich war die Letzte, die Marie in eine feste Umarmung zog, was nicht hieß, dass sie nicht minder herzlich war. Sofort fiel mir eine Last von den Schultern, die ich nicht einmal bemerkt hatte, und ich drückte mich an Havens Mutter. Ihr lieblicher Geruch, der so sehr dem von Haven ähnelte, stieg mir in die Nase und ich fühlte mich automatisch wohl. Diesen Effekt hatte Marie schon immer auf mich gehabt.

„Du bist so groß geworden“, stellte Marie lachend fest und strich mir liebevoll über die Wange. „Und so hübsch. Ich hab dich ja jetzt seit Jahren nicht mehr richtig gesehen.“

„Es ist schön wieder hier zu sein“, lächelte ich. Marie sah noch genauso aus wie früher. Es waren zwar ein paar Lachfältchen mehr dazu gekommen, aber Haven sah ihr immer noch so ähnlich, wie er es als Kind getan hatte.

„Ich bin müde“, jammerte Lilac in Havens Armen und vergrub weiterhin ihr Gesicht in seinem Shirt. Leise seufzte Haven und nickte zur Treppe.

„Mum, ich glaube, wir hauen uns nochmal für ein paar Stunden aufs Ohr“, sagte er zu seiner Mutter und drückte ihr einen kurzen Kuss auf die Wange.

Marie nickte schmunzelnd. „Ist schon in Ordnung. Ich muss dann auch demnächst zur Arbeit. Geht ihr dann bitte noch einkaufen, damit wir etwas zum Abendessen haben?“

„Natürlich, Mum.“ Mit diesen Worten bestieg Haven die Treppen, immer noch mit Lilac in den Armen. Sie hatte während des siebenstündigen Flugs keine einzige Minute geschlafen, da sie viel zu aufgeregt war und sie sich einfach nicht wohl genug gefühlt hatte. Deswegen hatten auch Haven und ich nicht viel schlafen können und waren dementsprechend ausgelaugt. Wahrscheinlich war das auch der Grund dafür, dass wir uns nun alle gemeinsam in Havens altem Bett kuschelten und Lilac nicht in ihr eigenes Zimmer verschwand.

Es war schon Mittag, als ich wieder erwachte. Haven lag noch neben mir im Bett, allerdings schien er schon länger wach zu sein.

„Hey“, flüsterte er leise, um Lilac auf seiner anderen Seite nicht zu wecken. Das kleine Mädchen schien noch im Tiefschlaf zu sein, da sie leise vor sich hin schnarchte. „Ausgeschlafen?“

Ich hob meine Hand vor den Mund, um hinein zu gähnen, bevor ich antwortete. „Denke schon. Du auch?“

Haven grinste leicht, sodass seine Grübchen sichtbar wurden. „Das kleine Schnarch-Monster hat mich geweckt.“

„Ly kann ja weiterschlafen, wenn wir einkaufen gehen, oder?“ Ich blickte auf die Uhr, die neben dem Bett hing. „Jetzt wird ja wohl nicht so viel los sein.“

„Hier ist nie etwas los.“ Haven setzte sich langsam auf, löste sich aus Lilacs Umarmung und kletterte über mich vom Bett. Ich tat es ihm nach, damit ich in meine Kleidung schlüpfen konnte. Nach einem Blick in den Spiegel stellte ich fest, dass meine Schminke nur dezent verwischt war und ich durchaus so noch aus dem Haus gehen konnte.

„Weißt du noch, als die Affäre von Mr. Hastings ans Licht kam? Da war was los“, kicherte ich und küsste Havens Wange. Mein Freund rollte amüsiert mit den Augen.

„Bethanys Schwangerschaft war auch ein ziemlicher Skandal, aber das hast du damals nicht wirklich mitbekommen.“

Ich zuckte mit den Achseln. „Ich weiß immer noch nicht, wie ich das nicht bemerken konnte. Andererseits hat mich Bethany ja wirklich nie interessiert.“

„Daddy, wo geht ihr hin?“, ertönte plötzlich Lilacs Stimme vom Bett und unterbrach unser Gespräch. Schläfrig rieb sie sich die Augen und starrte uns verwirrt an.

„Wir gehen nur kurz einkaufen. Schlaf weiter, minette“, erklärte ich und trat an das Bett, um ihr über den Kopf zu streicheln. Für einen Moment bleib Havens Tochter ruhig liegen, bevor sie sich abrupt aufsetzte, aus dem Bett sprang und verkündete, sie würde uns begleiten.

Den Grund erklärte sie mir erst, als wir bereits im kleinen Supermarkt um die Ecke standen und Lilacs liebste Marmelade suchten. „Jetzt wird mir Daddy bestimmt etwas Süßes kaufen, wenn ich ihn lieb darum bitte.“ Ich musste zugeben, dass ich das als Kind auch mit meinem Vater gemacht hatte. Immer schön überall mitkommen, vielleicht sprang ja etwas für einen heraus. Allerdings wusste ich auch, dass Haven so oft beim Einkaufen innehielt und nach etwas griff, von dem er wusste, dass Lilac es lieben würde.

Mit einem erleichterten Seufzen griff ich nach dem Glas mit der Orangenmarmelade, die Lilac so liebte. Wahrscheinlich hatte sie die ganze Zeit vor meiner Nase gestanden, während ich schon fast verzweifelt war. Außerdem wusste ich auch nicht, warum Lilac genau diese Marmelade so vergötterte. Es war schließlich keine Sorte, die es nicht auch in Amerika gab.

„Können wir mehr als ein Glas nehmen? Bitte Rubie.“ Mit ihrem besten Hundeblick sah Havens Tochter mich an und streckte schon ihre Arme nach den Gläsern aus. Nachdenklich runzelte ich meine Stirn. „Mir schmeckt nur die englische Marke.“ Das würde so einiges erklären.

„Hast du denn schon mal die Variante aus Amerika probiert?“, hakte ich belustigt nach und beobachtete, wie Lilac erst ertappt wegschaute und dann zwei Gläser in ihre Arme lud. Ich öffnete gerade den Mund, um das kleine Mädchen etwas aufzuziehen, als ich eine mir sehr bekannte Stimme hörte.

„Rubie? Bist du das?“ Überrascht drehte ich mich um. Der Blondschopf stieß ein erstauntes Lachen aus und schüttelte dann seinen Kopf. „Das ist ja eine Überraschung.“ Er breitete langsam seine Arme aus und ich ging sofort ein paar Schritte auf ihn zu, damit ich ihn umarmen konnte.

„Max“, grinste ich und sog den Duft meines Bruders ein. Ich hatte irgendwie verdrängt, dass ich ihn dieses Wochenende sehen würde. Ich hatte ihm auch nicht von unserem Trip erzählt, an den Grund konnte ich mich urplötzlich nicht mehr erinnern.

„Seit wann bist du hier?“ Ich löste mich aus seiner Umarmung und schlenderte langsam zu Lilac zurück, welche nun genauestens das Etikett der verschiedenen Marmeladengläser studierte.

„Oh, wir sind heute Morgen angekommen und –“

„Bee, schau mal, was ich gefunden habe.“ Grinsend kam Haven um die Ecke mit meinen Lieblingsgummibärchen in der Hand und wedelte mit der Tüte. Ich stieß ein leises Lachen aus, welches nur verstummte, da Haven seine Lippen kurz auf meine drückte.

„Ich hab auch etwas gefunden“, lachte ich und nickte in Richtung meines ältesten Bruders. Dieser hatte nun seine Augenbrauen hochgezogen und betrachtete Haven und mich etwas skeptisch, bevor sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete.

„Ha, Yves schuldet mir 20 Pfund!“, rief er aus und machte einen kleinen Freudentanz. Amüsiert hob ich eine Augenbraue an. Meine Brüder hatten also auf mich und Haven gewettet? Das sah ihnen schon sehr ähnlich.

„Maxime“, sagte Haven lächelnd und zog den Blondschopf in eine brüderliche Umarmung. „Du bist ja ganz schön gewachsen, Kleiner.“ Er wuschelte meinem Bruder durch die Haare, welcher lediglich grummelnd seinen Kopf wegzog und scherzend nach Havens Hand schlug. Ich konnte die beiden nur kopfschüttelnd beobachten.

„Wer hat eigentlich diesen bescheuerten Zaun dahin gebaut?“, fragte Yves genervt, während er seinen Brüdern half den Terrassentisch über eben diesen Zaun zu heben. Im Supermarkt noch hatten Maxime, Haven und ich uns entschieden, dass wir am heutigen Abend alle gemeinsam grillen würden und da in unserem Garten der größere Tisch stand, musste der nun Platz wechseln.

„Das war natürlich Maman“, erwiderte Maxime keuchend und ließ dann den Tisch auf den Rasen nieder. Während Haven und ich den Tisch an die richtige Stelle zogen, traten meine Brüder erneut an den Holzzaun. „Ich hab da mal eine einfache Lösung.“ Mit Schwung trat mein kleiner Bruder gegen die dünnen Holzlatten. Es ertönte ein Krachen und das Holz brach entzwei.

„Max“, rief ich entsetzt aus, doch ehe ich mich versah fanden alle meine fünf Brüder Gefallen an dem Zerstören des instabilen Zauns. Als auch noch Lilac dazu rennen wollte, hielt ich sie an ihrem Arm fest. „Nicht, Lilac. Sowas tut man nicht.“

„Aber Ylvie macht’s auch“, jammerte die Blondine und versuchte sich aus meinem Griff zu reißen. Ich hielt ihrem Zerren stand. Havens Tochter hatte sich geradezu einen Narren an Yves gefressen, obwohl sie ihn Ylvie nannte – oder gerade deswegen. Vielleicht lag es auch daran, dass der 14-Jährige sofort bereit war, ihr etwas von seiner Schokolade abzugeben, als Haven und ich nicht hingesehen hatten. „Nein heißt nein, Lilac. Dein Vater braucht bestimmt deine Hilfe in der Küche.“ Mit diesen Worten brachte ich sie zur Terrassentür und schob sie weiter in Richtung Küche.

Als Marie eine halbe Stunde später nach Hause kam, saßen wir bereits alle gemeinsam an dem Tisch - abgesehen von Haven, welcher am Grill stand. Lächelnd begrüßte sie meine Brüder und drückte Haven, Lilac und mir einen Kuss auf den Kopf.

„Das habt ihr ja schön zubereitet“, sagte sie erstaunt und deutete auf die Schüsseln, die kaum noch auf dem Tisch Platz hatten. Darin waren Salate, Brote und jede Menge Soßen. „Wer soll denn das alles aufessen?“

„Ich“, grinste Lilac breit, während sie sich ein weiteres Stück Baguette von Yves‘ Teller klaute. Mein kleiner Bruder rollte bloß mit den Augen und schob seinen Teller weiter zur Seite. Ich fand es richtig putzig, den beiden zuzusehen, wie sie interagierten. Fast schon als wäre Lilac die kleine Schwester von Yves.

„Kommt eure Mutter auch noch dazu?“, fragte Marie schließlich neugierig, nachdem sie sich Butter auf eine Scheibe Brot geschmiert hatte. Ich sah fragend zu meinen Brüdern, welche fast schon synchron mit den Achseln zuckten.

„Wenn sie sich nicht selbst etwas kochen will“, sagte Paul schmunzelnd.

„Das würde ich ihr aber zutrauen“, murmelte ich und erhob mich von meinem Stuhl, um zu Haven am Grill zu schlendern. Kaum entdeckte er mich neben sich, drückte er mir einen Kuss auf die Wange.

„Was ist los, Baby?“

Ich stieß ein tiefes Seufzen aus und lehnte mich an seine Seite, während er das Fleisch auf dem Grill wendete. Ich wusste nicht, warum ich plötzlich so schlecht gelaunt war. Vielleicht weil mir bewusst geworden war, dass meine Mutter bald um die Ecke kommen würde. Und es eigentlich keine Chance gab, dass sie sich freuen würde Haven und mich gemeinsam zu sehen.

Ich wünschte, mein Vater wäre hier. Mein Vater hatte Haven geliebt. Zumindest war das immer so rüber gekommen. Vielleicht hatte er ihn auch gehasst und es vertuscht.

Aber das war auch egal, mein Dad war weg. Ich würde ihn nie wiedersehen und das war eventuell auch gut so.

„Hey Bee, zieh nicht so ein Gesicht“, sagte Haven leise. Er wischte seine dreckigen Hände an der Schürze ab und zog mich dann in eine sanfte Umarmung. Seine großen Hände lagen an meinem unteren Rücken, während ich meinen Kopf an seine Brust lehnte. Ich konnte seinen Herzschlag spüren und lauschte ihm so lange, bis meine schlechte Laune zu verschwinden schien. Vielleicht hatte der Herzschlag eines Menschen, den man liebte, nicht nur eine Wirkung auf Babys. „Alles gut?“

Ich nickte stumm und hob meinen Kopf, sodass ich Haven in die grünen Augen sehen konnte. Lächelnd stellte ich mich auf meine Zehenspitzen und drückte meine Lippen auf seine.

Leider war das genau der Moment, indem meine Mutter sich entschied in den Garten zu treten.

„Mon dieu“, stieß sie aus, wobei ich nicht ganz wusste, ob das dem zerstörten Gartenzaun oder Haven und mir galt. Es folgten noch weitere Schimpfwörter in ihrer Muttersprache und ich war sehr froh, dass weder Haven noch Lilac wirklich verstanden, was sie da sagte. In einer anderen Situation wäre ich vielleicht aus Havens Umarmung gesprungen und hätte so getan, als wäre nichts passiert. Doch das tat ich nicht. Ich blieb gelassen in Havens Armen und sah schweigend zu meiner Mutter. „Rubie Stephanie Carpenter!“

„Bonjour, Maman“, grinste ich und drückte mich ein Stückchen fester an Haven, welcher sich ein wenig unwohl fühlte. Das bemerkte ich an seinem Gesichtsausdruck und an der Art und Weise, wie er seine Hände unruhig über meinen Rücken fahren ließ. „Wie war dein Tag?“

„Bestens, bis ich durch die Tür gegangen bin.“ Die Stimme meiner Mutter war eiskalt und es breitete sich eine Gänsehaut auf meinen Armen aus. Für einen Moment holte ich tief Luft. Ich würde mich nicht von ihr runtermachen lassen. Nicht heute. „Seit wann bist du hier?“ Die Augen meiner Mutter schienen mich zu durchbohren, doch Haven würdigte sie keines Blickes.

„Seit heute Morgen. Ich habe doch gesagt, dass ich im Herbst Urlaub habe.“

„Du hast aber nicht gesagt, dass du ihn mitbringst.“

„Überrascht?“ Ich sah meine Mutter mit erhobener Augenbraue an. In Gedanken forderte ich sie auf, zuzugeben, dass sie Haven und mich nicht zusammen sehen wollte. Sag es. Na los, sag es.

Sie tat es nicht. Sie schwieg, warf meinen Brüdern strenge Blicke zu und marschierte in ihr eigenes Haus – mein altes Zuhause. Denn mein Neues stand gleich neben mir.

7 Monate Herbstgefühle

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