Читать книгу 7 Monate Herbstgefühle - Anke-Larissa Ahlgrimm - Страница 5

IV

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[5. September, 2016]

Mit einem leisen Klirren ließ ich meine Schlüssel in die grüne Keramikschale auf der Kommode im Flur fallen. Es war still in der Wohnung, was mich nicht sonderlich überraschte. Haven war noch auf Arbeit und Lilac verbrachte die Zeit nach der Schule bei ihrer Freundin, bis Haven sie abholte, weswegen ich noch ein bisschen Zeit für mich hatte. Es war gerade einmal später Nachmittag – ich hatte etwas früher gehen können –, deshalb entschied ich mich für eine Dusche. Manchmal duschte ich schon im Krankenhaus, allerdings waren die Duschen dort so klein und eng, dass selbst ich Klaustrophobie bekam.

Ich stellte also meine Tasche ab und begab mich ins Badezimmer. Ich schlüpfte aus meiner Kleidung, welche ich gleich in den Wäschekorb warf, legte mir ein Handtuch hin, schaltete die Dusche ein und stieg unter das prasselnde Wasser. Es dauerte einen Moment, bevor es die gewünschte Temperatur erreicht hatte, allerdings machte es mir nichts aus, auch mal unter dem kalten Wasser zu stehen. Während mir der Duft von meinem Aprikosen-Shampoo in die Nase stieg, summte ich leise ‚Jingle Bells‘ vor mich hin. Heute war kein zu stressiger Tag gewesen und doch fühlte ich mich trotzdem viel entspannter, als ich einige Minuten später aus der Dusche stieg. Ich trocknete meine Haare spärlich mit dem Handtuch, bevor ich es um meinen Körper wickelte und das Bad verließ.

„Hey, Rubie.“ Ich erschreckte mich so sehr vor Lilac, die plötzlich vor mir stand, dass ich beinahe mein Handtuch fallen ließ. Keuchend krallte ich meine Finger in den Stoff und starrte das kleine Mädchen.

„Mon Dieu, Ly, hast du mich erschreckt“, sagte ich, nachdem ich einen tiefen Atemzug genommen hatte. Mittlerweile umfasste ich mein Handtuch nicht mehr so fest, nur noch so, dass es nicht runterrutschen konnte.

„‘Tschuldigung, Rubie.“ Lächelnd fuhr ich durch Lilacs Haar und tätschelte ihre Wange. „Daddy hat mich früher abgeholt.“

„Habe ich mir schon gedacht“, lachte ich, drückte der Blondine einen Kuss auf den Haarschopf und machte mich wieder auf den Weg ins Schlafzimmer. Dass Haven dort bereits vor seinem Kleiderschrank stand, erschreckte mich nun nicht mehr.

„Hey, Bee“, lächelte er mich sanft an, während er versuchte eine Krawatte zu binden. Er trug selten eine Krawatte zu seinem Anzug, wenn dann hatte er Fliegen lieber. Ich drückte ihm einen Kuss auf die Lippen.

„Deine Tochter hat mich gerade so sehr erschreckt, dass mir fast mein Handtuch runtergerutscht ist.“ Lachend drehte ich mich zu meinem eigenen Kleiderschrank und suchte mir neue Unterwäsche raus. Haven stieß hinter mir ein leises Schnauben aus.

„Das hätte ihr weniger ausgemacht als dir, vermute ich“, sprach er meine Gedanken aus. Ich nickte schmunzelnd. Lilac war schließlich ein Kind. „Mir hätte es im Übrigen auch nichts ausgemacht.“ Ich sah über meine Schulter zu ihm, nur um ein Zwinkern von ihm zu erhaschen. Ein Kichern verließ meine Lippen. Mittlerweile hatte ich die Unterwäsche angezogen und wühlte nach einem bequemen Shirt zum Tragen. Ich erschreckte mich nicht, als Haven plötzlich hinter mir stand und meine nackte Schulter küsste. Auf meinen Armen breitete sich eine Gänsehaut aus und ich drehte mich zu ihm, um meine Arme an seinem Nacken zu verschränken.

„Ich muss gleich nochmal los zu einem Kunden“, seufzte er und ich konnte in seinem traurigen Blick erkennen, wie gerne er bei mir und Lilac bleiben würde. Ich lächelte ihn aufmunternd an und fuhr durch die strubbeligen Haare an seinem Hinterkopf. „Kannst du Lilac etwas zum Abendessen machen?“

„Klar“, antwortete ich sofort, damit sich Haven keine weiteren Sorgen machte. „Ich bringe sie dann auch ins Bett, wenn du noch nicht da bist.“

„Okay.“ Haven nickte langsam, löste sich von mir und griff nach seinem Sakko, der auf dem Bett lag. Überraschenderweise war der Sakko schlicht weiß und hatte kein riskantes Muster. Haven war der Meister der Muster. Neben seinen schlichten weißen und schwarzen Shirts lagen im Schrank auch Grüne, Gelbe, Pinke mit Mustern, die man vorher noch nie gesehen hatte. Mein Liebling war ein Shirt mit demselben Muster eines Hawaii-Hemdes. Es war so grässlich, dass es an Haven einfach fantastisch aussah. Ich wusste nicht, wie er das schaffte.

„Was möchtest du essen, minette?“, fragte ich eine viertel Stunde später, kurz nachdem Haven die Wohnung verlassen hatte. Lilac, die mit ihrem Kopf auf den Handflächen gestützt am Esstisch saß und mich beobachtete, zuckte mit den Achseln. „Nudeln?“

„Makkaroni mit Käse?“, fragte das Mädchen zurück und ich verzog nachdenklich mein Gesicht. Da ich mich eher im Backbereich auskannte, war ich mir nicht sicher, ob ich wusste, wie man das Gericht machte. „Ich weiß, wie’s geht.“

„Gut.“ Lachend winkte ich Havens Tochter zu mir und ließ sie auf die Küchenanrichte klettern. Ich holte alle nötigen Zutaten heraus, wobei ich dabei noch keine Hilfe brauchte. Erst danach diktierte mir Lilac das Rezept und sah mir penibel auf die Finger. Innerhalb einer halben Stunde hatte ich uns ein Abendessen gezaubert und es musste nur noch von Lilac abgeschmeckt werden.

„Pusten“, befahl sie kichernd und ich beugte mich vor, um auf den Löffel zu pusten. Sobald es Lilac lange genug war, nahm sie mir das Besteck aus der Hand und steckte es sich in den Mund. Gespielt ängstlich betrachtete ich Lilac, während sie kaute, und stieß bei ihrem bösen Blick ein leises Wimmern aus.

„Und?“ Die Hoffnung konnte ich nicht aus meiner Stimme verbannen. Auf Lilacs Gesicht breitete sich ein breites Lächeln aus und sie beugte sich vor, um mir einen Kuss auf die Wange zu drücken. „Besser als Havens?“

Lachend schüttelte sie ihren Kopf. „Daddy kocht am besten, aber du bist ganz knapp auf dem zweiten Platz mit Granny.“

Schmunzelnd küsste ich Lilacs Schläfe und tat uns jeweils eine Portion in zwei Schalen. „Das genügt mir.“

[6. September, 2016]

Viele Patienten beschwerten sich über das Essen im Krankenhaus. Und wenn ich viele sagte, meinte ich fast alle. Das Amüsante war, dass dies nur für das Essen galt, das an die Betten gebracht wurde. In der Cafeteria schmeckte es wundervoll. Deswegen holte ich mir in meinen Pausen auch immer dort etwas– oder am Automaten, wenn es schnell gehen musste.

Ich hatte mir gerade ein Schinken-Käse-Sandwich gekauft und war dabei es im Gehen zu verzehren, als sich ein Idiot im Arztkittel in meinen Weg stellte.

„Rubie.“ Sein Tonfall war harsch und wenn ich heute nicht so tiefenentspannt wäre, hätte ich mich bestimmt gewundert. Stattdessen biss ich herzhaft in mein Mittagessen.

„Leo?“, fragte ich schließlich, nachdem ich auch die letzten Reste heruntergeschluckt hatte. Der Braunhaarige verschränkte seine Arme vor der Brust und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an.

„Ist Marina Summer deine Patientin?“

Ich runzelte verwirrt meine Stirn. „Das ist sie, ja.“

„Falsch“, erwiderte Leo wie aus der Pistole geschossen. „Sie ist meine Patientin.“

„Du bist Anfänger. Darfst du die Patienten überhaupt schon anfassen?“ Spottend zog ich eine Augenbraue hoch und verschränkte ebenfalls meine Arme vor meiner Brust, wobei ich immer noch auf mein Sandwich achten musste.

„Natürlich, du -“, setzte Leo wütend an, riss sich dann aber zusammen und fing von neuem an. „Dr. Williamson hat mich für sie verantwortlich gemacht und was sehe ich, als ich gerade ihre Werte gecheckt habe?“

„Dass sie putzmunter ist und bestimmt bald operiert werden kann?“, schlug ich vor, doch Leos Blick war eigentlich Antwort genug. Er hatte seine Augen wieder zusammengekniffen, auf seiner Stirn bildeten sich winzige Falten und im Großen und Ganzen sah er aus, wie ein wütender Chihuahua – also nicht sehr angsteinflößend.

„Du hast die Dosis ihrer Schmerzmittel erhöht, Cooper!“

„Das ist zwar nicht mein Nachname, aber du hast Recht.“

Leo hielt für einen Moment inne, bevor er langsam weitersprach. „Und warum zum Teufel?“

„Vielleicht weil sie Schmerzen hatte?“, antwortete ich sachlich und warf Leo einen Blick zu, als ob er ein Irrer war. Warum machte er so einen Aufstand? Dann hatte ich eben Marina ein bisschen mehr Schmerzmittel als sonst gegeben. Ihre Operation war noch nicht geplant, also war das kein Problem. „Was machen diese paar Milligramm denn aus?“

Leo knirschte leise mit den Zähnen. Er wusste, ich hatte Recht – zumindest hoffte ich dies.

„Hör zu, ich verstehe, es hat deinen Stolz angeknackst. Das nächste Mal, wenn du jemanden in der Pädiatrie behandelst, sage ich dir Bescheid“, sagte ich, nachdem Leo für eine weitere Minute geschwiegen und mich böse angestarrt hatte. Ich hatte mich damit irgendwie ergeben, allerdings war mir das ziemlich egal. Leo wirkte nicht so, als würde ihn die Pädiatrie sehr interessieren, weswegen wir uns hoffentlich nicht so oft über den Weg laufen würden.

„Gut“, murmelte Leo und für einen Moment sah er aus wie ein kleiner Schuljunge, so wie er auf seine Schuhe starrte. Dann blickte er allerdings wieder auf mit einem triumphalen Lächeln auf den Lippen. „Ich bin sowieso viel besser als du.“

„In was?“, hakte ich belustigt nach. Wollte er mich jetzt etwa in seine Spiele einbinden? „Im Arztspielen? Da hast du Recht, mir fehlt das Medizinstudium. Aber zumindest weiß ich, wo sich die Radiologie befindet.“ Mit diesen Worten und einem breiten Grinsen im Gesicht ging ich an Leo vorbei und schmiss die Verpackung meines Sandwiches weg. Leo folgte mir fassungslos.

„Das war einmal und ich wollte ganz sicher nicht in der Pädiatrie enden“, beschwerte er sich. Ich sah ihn mit gehobener Augenbraue an. Vielleicht hasste ich diesen Anfänger doch nicht so sehr? Er amüsierte mich. Und mein Vater hatte mal gesagt, dass man die Personen, die einen bespaßten, bei sich behalten sollte – oder so ähnlich.

„Bist du dir da sicher, Dr. …“ Mein Blick huschte wie bei unserem ersten Treffen zu seinem Namensschild. Dieses Mal trug er es, weswegen ich nicht warten musste, bis er mir bei seinem Nachnamen auf die Sprünge half. „Leondre? Ich dachte, du heißt Leo?“

„Ist eine Abkürzung“, sagte der Blauäugige geistesabwesend und sah auf seinen Pieper, der an seinem Hosenbund befestigt war. Seine Lippen waren zu seiner Linie zusammengepresst und auf einmal war er weder wütend noch triumphiert, sondern fast schon traurig oder zumindest bedrückt. „Ich muss los, die Arbeit ruft.“ Und schon war er verschwunden.

Verwirrt runzelte ich meine Stirn. Hatte ich irgendetwas Falsches gesagt? Schließlich hatte ich ihn nur nach seinem Namen gefragt. Klar konnte ich nicht sagen, dass ich den Namen Leondre je zuvor gehört hatte, aber das war ja nicht sonderlich schlimm, richtig?

Als Rae plötzlich vor mir stand und mich fragend ansah, befand ich mich immer noch mitten im Gang und kaute auf meiner Unterlippe.

„Alles okay?“ Rae musterte mich besorgt und legte eine Hand auf meine Schulter. Ich nickte vorsichtig. „Ist irgendetwas passiert?“

„Nein“, seufzte ich und fuhr mir einmal übers Gesicht. Dann straffte ich meine Schultern, stellte mich gerade hin und setzte ein Lächeln auf. „Nur Leo.“

„Ich habe ihn schon wieder verpasst?“, fragte die Brünette schmollend und folgte mir zu dem Empfang der Pädiatrie. Sie und Debbie fragten mich auf Arbeit dauernd über den Assistenzarzt aus. Schließlich hatten sie keinen Möchtegern-Arzt, der ihnen auf die Nerven ging.

„Ja, aber dieses Mal war er irgendwie komisch“, murmelte ich nachdenklich und sah durch die Akten, die sich auf dem Tresen stapelten. „Ich kann’s nicht beschreiben, aber eventuell habe ich irgendeine Linie überschritten.“

Rae verzog kurz ihr Gesicht, bevor sie ihren Kopf schüttelte. „So bist du nicht. Es war bestimmt nur ein Missverständnis und bald flirtet er dich wieder an.“ Grinsend zwinkerte sie mir zu und ließ ihre blauen Augen funkeln. Ich stieß ein übertriebenes Seufzen aus und tat so, als würde ich sie mit einer Akte schlagen.

Ich war froh sie und Debbie zu haben, egal wie nervig sie auch manchmal waren.

7 Monate Herbstgefühle

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