Читать книгу Unser Kosmos. Andere Welten. - Ann Druyan - Страница 6
| PROLOG |
ОглавлениеIch war ein Kind in hoffnungsvoller Zeit gewesen.
Schon von meiner frühesten Schulzeit an wollte ich Wissenschaftler
werden. Dieser Wunsch nahm feste Formen an, als ich zum
erstenmal kapierte, daß die Sterne mächtige Sonnen sind, als es mir
zum erstenmal dämmerte, wie unglaublich weit entfernt sie sein
müssen, um als bloße Lichtpunkte am Himmel zu erscheinen.
Ich weiß nicht, ob ich damals überhaupt das Wort »Wissenschaft«
kannte, aber irgendwie wollte ich mich selbst in all diese Großartigkeit
versenken. Ich war fasziniert von der Pracht des Universums,
gebannt von der Aussicht zu verstehen, wie die Dinge wirklich
funktionieren, dabei behilflich zu sein, tiefe Geheimnisse aufzudecken,
neue Welten zu erkunden – vielleicht sogar im wahrsten
Sinne des Wortes. Zum Glück hat sich dieser Traum zum Teil erfüllt.
Für mich bleibt die romantische Liebe zur Wissenschaft so reizvoll
und neu wie an jenem Tag vor über einem halben Jahrhundert, als
mir die Wunder der Weltausstellung von 1939 gezeigt wurden.
CARL SAGAN,
DER DRACHE IN MEINER GARAGE
ODER DIE KUNST DER WISSENSCHAFT,
UNSINN ZU ENTLARVEN, 1997
Ein zeitgenössisches Plakat mit den beiden Gebäuden Trylon und Perisphere, den Wahrzeichen der Weltausstellung von 1939 in New York.
Futurama, die auf der Weltausstellung von 1939 entworfene Stadt von 1960, prophezeite vielspurige Autobahnen und Wolkenkratzer mit Dachgärten.
Am Abend des 30. April 1939 wurde im New Yorker Stadtteil Queens die Zukunft zu einem Ort, den man besuchen konnte. Selbst ein Platzregen hielt 200 000 Menschen nicht davon ab, zur Eröffnungszeremonie der Weltausstellung nach Flushing Meadows zu kommen. Bis zur Schließung im Herbst 1940 besichtigten 45 Millionen Besucher dieses Land der Verheißungen im Art-déco-Stil mit dem Thema »Die Welt von morgen«.
Einer davon war ein fünfjähriger Junge, dessen Eltern so arm waren, dass sie ihre Brotzeit selbst mitbringen mussten. 20 Cent für ein Schokoladeneis mit Sahne waren unerschwinglich, und das galt auch für die blauen und orangefarbenen Taschenlampen und Schlüsselanhänger aus Bakelit, die der Junge so gern gehabt hätte. Auch kindliche Trotzreaktionen halfen da nichts.
Aber der Junge nahm etwas viel Wertvolleres mit: die Koordinaten für seinen weiteren Lebenslauf. Auf dem Spielplatz in der Halle »Elektrisches Leben« durfte der Junge gebannt einen durch Musik gesteuerten Lichtstrahler bedienen. Er hatte sich in die Zukunft verliebt und begriffen, dass die Wissenschaft der einzige Weg war, um dorthin zu kommen. Träume ähneln Landkarten.
Diese zukünftige Welt hatte gleichermaßen egalitäre wie wissenschaftliche Ambitionen. Eine der Modellgemeinden hieß tatsächlich »Democracity«. Es gab keine Slums – dafür einen Fernseher, ein Gerät zur Textverarbeitung und einen Roboter. Die Besucher bekamen dort zum ersten Mal Dinge zu sehen, die ihr Leben verändern sollten. Doch an diesem letzten Aprilabend wollten sie dem größten Wissenschaftler seit Isaac Newton lauschen. Albert Einstein moderierte eine Vorführung, die die Kräfte der Natur in eine Art Choreografie einband, wie sie auch die Synchronschwimmer des Wasserballetts in der »Aquacade« der Ausstellung vorführten. Nach einigen einleitenden Worten legte Einstein den Schalter zu einem Spektakel um, das den größten künstlichen, im Umkreis von 65 Kilometern zu sehenden Lichtstrahl der Technikgeschichte versprach. Ein Aha-Effekt – aber nicht so überwältigend wie die Quelle dieser plötzlichen unerhörten Helligkeit.
Auf der anderen Seite des East River, in Manhattan, kalibrierte Professor W. H. Burton Jr. vom Hayden Planetarium des American Museum of Natural History Instrumente, die geheimnisvolle Blitze aus unbekannten Teilen des Universums einfingen und in Licht verwandelten. Er entriss dem Kosmos Energie, so wie Prometheus den Göttern das Feuer stahl.
Einige Jahrzehnte zuvor hatte der Wissenschaftler Victor Hess Strahlenblitze aus geladenen Teilchen entdeckt, die viele Male am Tag auf die Erde treffen. Ein einzelnes Proton kann dabei die Energie eines fast 100 Stundenkilometer schnellen Baseballs erreichen. Die Teilchen nannte man Kosmische Strahlung. Am Hayden Planetarium waren drei überdimensionale Geigerzähler installiert, die zehn kosmische Strahlen für die Eröffnung der Weltausstellung einfangen sollten. Ihre Energie wurde durch Vakuumröhren verstärkt und über Kabel in den Stadtteil Queens übertragen, wo Einstein und die Zuschauer warteten. Die kosmischen Strahlen sollten jene Energie liefern, die die Nacht zum Tag machte und dank der Wissenschaft eine neue Welt mit blendendem Licht überflutete.
Aber zuerst erklärte Einstein dem Publikum, was Kosmische Strahlung ist. Man wollte ihm höchstens 700 Worte zugestehen, was er aber zunächst als unmöglich ablehnte. Die kosmischen Strahlen waren zu Einsteins Zeit ein Mysterium, und sie blieben es noch lange. Als die Arbeiten an diesem Buch begannen, enthüllte die Wissenschaft, dass die kosmischen Strahlen aus fernen Galaxien stammen und bei einigen der gewaltigsten Prozesse des Universums entstehen.
Einstein hielt es ungeachtet der lästigen Redezeitbeschränkung für seine wissenschaftliche Pflicht, die Öffentlichkeit zu informieren. Deshalb willigte er ein, die Ansprache zu halten.
Man stelle sich diesen spannungsgeladenen Frühlingsabend 1939 vor. Wenige Monate später marschierten deutsche Truppen in Polen ein und entfesselten den Zweiten Weltkrieg, den furchtbarsten Aderlass der Menschheitsgeschichte. Der fünfjährige Carl Sagan bekam weder Eis noch Souvenirs, weil seine Eltern wie so viele andere noch immer mit den Folgen der schlimmsten Wirtschaftskrise der Geschichte kämpften. In Deutschland, wo man während der Hyperinflation 1923 eine Schubkarre benötigt hatte, um das Papiergeld für einen Laib Brot zu transportieren, wandte sich die Bevölkerung einem chauvinistischen Demagogen zu. Dennoch strömten trotz der düsteren Vorzeichen die Menschen in New York in Massen herbei, um die Zukunft zu feiern, vielleicht sogar, um ihr zu huldigen.
Bei Sonnenuntergang trat Einstein ans Mikrofon. Im Monat zuvor war er 60 Jahre alt geworden. Der berühmte Forscher genoss seit Jahrzehnten Verehrung wegen seiner fundamental neuen physikalischen Entdeckungen.
Seit 2400 Jahren, seit dem griechischen Genie Demokrit, formulierte die Wissenschaft Theorien über unsichtbare Materieeinheiten, die sogenannten »Atome«. Nie war es jemandem gelungen, ihre Existenz zu belegen. Mit 25 lieferte Einstein den ersten sicheren Beweis für Atome und ihre Verbindungen, die Moleküle, und maß sogar ihre Größe. Er lehnte die vorherrschende Lichttheorie ab und propagierte, das Licht bewege sich in Teilchen fort, den Photonen. Ferner lieferte er die Grundlage für die Quantenmechanik und erweiterte die Grenzen der klassischen Physik, als er die Energie der ruhenden Partikel entdeckte.
Seine Erkenntnis, dass die Gravitation Licht beugt, fasste Einstein in eine Formel, die die berühmteste aller wissenschaftlich-mathematischen Gleichungen ist. Er hob das universelle Gravitationsgesetz Newtons auf eine neue Ebene, indem er es als Eigenschaft der Raumzeit verstand. Das war das Tor zur modernen Astrophysik und zur Erforschung der dunkelsten Orte des Universums, in denen das Licht durch die Gravitation gefangen ist.
Einstein begann zu sprechen. Seine Ansprache verfolgten neben den Besuchern der Ausstellung viele weitere Zuhörer in den Vereinigten Staaten und der Welt am Radio. Er erzählte von Victor Hess, dem österreichischen Physiker, der die Kosmische Strahlung entdeckte, als er zwischen 1911 und 1913 Ballonfahrten in großen Höhen unternahm. Einstein nutzte einige der 700 zugestandenen Worte, um an Hess’ Herkunft als Einwanderer zu erinnern, »der, nebenbei bemerkt, wie so viele andere vor Kurzem in diesem gastfreundlichen Land Zuflucht suchen musste«. Er erklärte, was die Wissenschaft über die Kosmische Strahlung wusste, und schloss mit der Vermutung, dass sie den Schlüssel zur »innersten Struktur der Materie« liefern könnte.
Die Stimme eines Ansagers schallte durch die Nacht: »Wir werden nun diese interplanetaren Botschafter rufen, um die Welt von morgen zu erhellen. Der erste Strahl, den wir einfangen werden, ist noch fünf Millionen Meilen entfernt und reist mit einer Geschwindigkeit von 186 000 Meilen pro Sekunde zu uns.« Das Auftreffen jedes kosmischen Strahls an den Geigerzählern wurde mitgezählt. Nach dem zehnten Mal legte Einstein den Schalter um – und einige Leuchten brannten durch. Es war trotzdem ein großartiges Erlebnis. Der Weg in die Zukunft stand offen.
Am nächsten Tag berichtete die New York Times, dass aufgrund von Einsteins starkem Akzent und der unzureichenden Verstärkeranlage die Anwesenden kaum mehr als die Eröffnungsworte seiner Rede verstanden hatten: »Wenn die Wissenschaft, wie die Kunst, ihre Mission wahrhaftig und vollständig erfüllt, müssen ihre Errungenschaften nicht nur oberflächlich, sondern in ihrer vollen Bedeutung in das Bewusstsein der Menschen eindringen.«
Die wohl angesehenste Geistesgröße des Planeten eröffnet die Weltausstellung 1939 in New York mit einer Aufforderung an die Wissenschaft.
Dies könnte auch als Motto über Unser Kosmos stehen. Als ich auf YouTube auf diese kaum bekannten Worte Einsteins in dieser Eröffnungsnacht stieß, wirkten sie wie das Credo für die Arbeit von 40 Jahren. Einstein drängte uns, die Barrieren zur Wissenschaft niederzureißen, die viele ausschlossen und abschreckten, und die wissenschaftlichen Erkenntnisse vom technischen Jargon ihrer Hohepriester zu befreien und allgemein verständlich zu fassen, damit wir sie verinnerlichen und uns durch die Begegnung mit den Wundern verändern können, die sie enthüllen.
Während der gemeinsamen Arbeit an der interstellaren Botschaft für die beiden Voyager-Sonden der NASA 1977 verliebten Carl Sagan und ich uns. Carl war damals schon ein gefeierter Astrophysiker und einer der Hauptexperten für die Erkundungsmissionen der Voyager-Sonden. Wir hatten bereits bei einem Fernsehprojekt zusammengearbeitet. Deshalb engagierte Carl mich als Kreativdirektorin für jene Botschaft, die als Golden Record bekannt werden sollte.
Die Raumsonden Voyager 1 und Voyager 2 der NASA tragen eine vielschichtige interstellare Botschaft in die Milchstraße und fünf Milliarden Jahre in die Zukunft hinein. Die Darstellungen auf der Hülle sind wissenschaftliche Hieroglyphen, die unsere kosmische »Adresse« und Anleitungen zum Abspielen der Platte zeigen.
Carl hatte die Idee, dass Voyager 1 ein Bild von unserer Welt vermitteln sollte, nachdem die Sonde ihre Erkundungsmission beendet und ein letztes Bild von Neptun gesendet hatte. Jahrelang kämpfte er bei der NASA gegen Zweifel am wissenschaftlichen Wert dieser Aktion, während er von ihrer durchschlagenden Wirkung überzeugt war. Als sich Voyager 1 hoch über der Bahnebene unseres Sonnensystems befand, gab die NASA nach. Auf den Fotos, die dabei für das Familienalbum der Welten unseres Sonnensystems entstanden, ist unsere Erde so klein, dass man sich anstrengen muss, um sie zu finden.
Das Bild »Pale Blue Dot« und Carls prosaische Betrachtungen darüber sind seither Allgemeingut. Für mich erfüllte es die Hoffnungen, die Einstein in die Wissenschaft gesetzt hatte. Wir vermochten ein Raumfahrzeug vier Milliarden Kilometer weit zu entsenden, das uns ein Bild von der Erde schickte. Unsere Welt als einzelnen Punkt in der unermesslichen Dunkelheit zu sehen, sagt alles über unsere wahre Lage im Kosmos aus, und das begreift jeder einzelne Mensch sofort. Ein akademischer Grad ist dafür nicht nötig. Dieses Foto erhellt schlagartig die verborgene Bedeutung von vier Jahrhunderten astronomischer Forschung. Es ist wissenschaftliches Faktum und Kunst zugleich, es spricht unsere Seele an und verändert unser Bewusstsein. Das Foto ist wie ein bedeutendes Buch, Film oder Kunstwerk. Es lässt uns etwas von der Realität erahnen – eine Realität, von der manche unter uns lange nichts wissen wollten.
Eine so winzige Welt kann unmöglich das Zentrum des Kosmos sein, geschweige denn im Fokus ihres Schöpfers stehen. Der hellblaue Punkt ist eine stille Mahnung an die Fundamentalisten, die Nationalisten, die Militaristen, die Umweltverschmutzer – an jeden, der den Schutz unseres Planeten und des Lebens darauf in dieser weiten kalten Dunkelheit nicht über alles andere stellt. Der Botschaft dieser wissenschaftlichen Leistung kann man sich nicht entziehen.
Als ich mit Carl und dem Astronomen Steven Soter 1980 anfing, das Drehbuch der ersten Serie zu schreiben, kannten wir das Einstein-Zitat von 1939 nicht. Wir fühlten uns nur dazu berufen, die ungeheure Macht der Wissenschaft zu teilen, den geistigen Reiz zu vermitteln, den das Universum offenbart, und so die Warnungen von Carl, Steven und anderen vor den Folgen unserer Lebensweise für den Planeten zu verstärken. Unser Kosmos gab diesen Prophezeiungen eine Stimme, durchdrungen von Hoffnung und Selbstachtung, die auf dem Erfolg beruhten, unseren Weg im Universum zu finden, und auf dem Mut der Wissenschaftler, unpopuläre Wahrheiten auszusprechen.
Die erste preisgekrönte Staffel und das Buch Unser Kosmos von 1980 fanden ein weltweites Millionenpublikum. Der Washingtoner Library of Congress zufolge ist es eines von »88 Büchern, die Amerika prägten« und steht damit auf demselben Rang wie Common Sense von Thomas Paine, die Federalist Papers von Alexander Hamilton, James Madison und John Jay, Moby-Dick von Herman Melville, Grashalme von Walt Whitman, Der unsichtbare Mann von Ralph Ellison und Der stumme Frühling von Rachel Carson.
Ann Druyan und Carl Sagan 1980, während der Produktion von Unser Kosmos in Los Angeles.
Ein Dutzend Jahre nach Carls Tod übernahm ich mit einem gewissen Unbehagen die Aufgabe, zusammen mit Steven weitere 13 Stunden der Serie zu erstellen. Während der sechs Jahre, in denen wir Unser Kosmos: Die Reise geht weiter schrieben und produzierten, plagten mich Albträume, dass mein begrenztes Wissen Carl, den ich liebe und bewundere, kaum Ehre machen würde.
Mit dieser jetzigen, der dritten Staffel über die Reisen mit dem »imaginären Raumschiff«, arbeite ich nun 40 Jahre an Unser Kosmos. Das Raumschiff und der Kosmische Kalender sind keine Relikte vergangener »Reisen«. Einige bildliche Ausdrücke, Anekdoten und Lehrmittel verfügen aus meiner Sicht über eine unwiderstehliche Erklärungskraft, weswegen ich sie auch hier verwende. Es wird zwangsläufig Wiederholungen und Überschneidungen mit Gedanken geben, die Carl und ich zuvor schon erläutert haben. Doch heute sind sie dringlicher denn je. Einmal mehr unterstützten mich brillante Mitarbeiter und ich hegte die Befürchtung, den Ansprüchen nicht zu genügen. Aber mich treibt an, was wir heute erleben.
Wir alle sehen den Schatten, den unsere Gegenwart auf die Zukunft wirft. Wir müssen etwas tun, sonst verdammen wir unsere Kinder zu Gefahren und Sorgen, denen wir uns niemals gegenübersahen. Wie rütteln wir uns selbst wach, damit wir nicht schlafwandlerisch in eine unumkehrbare klimatische oder nukleare Katastrophe stolpern, die unsere Zivilisation und zahllose Arten zerstört? Wie lernen wir, lebensnotwendige Dinge wie Luft, Wasser und unser gesamtes Lebenserhaltungssystem auf der Erde mehr zu schätzen als Geld und kurzlebige Annehmlichkeiten? Nur ein globales Erwachen kann uns alle verändern.
Wie die Liebe ermöglicht es die Wissenschaft, zur Fülle des Lebens zu finden. Die wissenschaftliche Annäherung an die Natur und mein Verständnis von Liebe decken sich: Liebe überwindet kindliche Projektionen persönlicher Hoffnungen und Ängste, um die Wirklichkeit des Anderen zu erfassen. Diese Art der Liebe hört nie auf, tiefer zu schürfen oder nach Höherem zu streben.
Genau so liebt die Wissenschaft die Natur. Das Fehlen eines endgültigen Ziels, einer absoluten Wahrheit, macht die Wissenschaft zur geeigneten Methode für die wahrhafte Suche, eine endlose Lektion in Demut. Die Weite des Universums und die Liebe, die diese Weite erträglich macht, bleiben den Überheblichen verschlossen. Der Kosmos ist nur jenen zugänglich, die auf ihre innere Stimme hören, die uns sagt, dass wir uns auch irren können. Was real ist, muss schwerer wiegen als das, was wir glauben wollen. Doch wie erkennen wir den Unterschied?
Der dunkle Schleier, der uns daran hindert, die Natur vollständig zu erfassen, kann nur durch die Regeln der Wissenschaft gelüftet werden: Ideen durch Versuche und Beobachtungen zu überprüfen, auf denjenigen aufzubauen, die den Test bestehen, und zu verwerfen, was durchfällt. Den Beweisen zu folgen, wo immer sie auch hinführen. Alles zu hinterfragen, auch Autoritäten. Dann gehört der Kosmos dir.
Was sonst wäre der lange Weg zum Verständnis unserer tatsächlichen Rolle im Universum, des Ursprungs von Leben und Naturgesetzen, anderes als eine spirituelle Suche?
Ich bin keine Wissenschaftlerin, sondern sammle nur Geschichten. Am liebsten solche über Forscher, die uns den großen dunklen Ozean durch Inseln des Lichts erschließen halfen und die sich in die bodenlosen Weiten des Kosmos vorwagten. Reisen wir gemeinsam zu den Welten, die sie entdeckten – zu den vergessenen, den noch blühenden und denjenigen, die noch kommen werden.
Auf den folgenden Seiten erzähle ich Ihnen die Geschichte eines unbekannten Genies, das einen Brief 50 Jahre in die Zukunft sandte, mit dessen Hilfe die Apollo-Mission zum Mond erfolgreich durchgeführt werden konnte. Und eine über jenen Wissenschaftler, der den Kontakt zu einer alten Lebensform fand, die wie wir eine symbolische Sprache besaß. Diese in Physik und Astronomie gebildeten Wesen führten mathematische Berechnungen durch und lebten eine Konsensdemokratie vor, die unsere übertraf.
Ich möchte Sie in Welten führen, die wir uns nur dank der Wissenschaft vorstellen, wieder zum Leben erwecken und besuchen können; in eine Welt, in der es Diamanten regnet; zu einer uralten Stadt auf dem Meeresgrund, in der womöglich das Leben auf der Erde anfing; zur innigsten stellaren Beziehung im Kosmos, zu zwei in ewiger Umarmung vereinigten Sternen, die über eine 13 Millionen Kilometer lange Feuerbrücke miteinander verbunden sind.
Lauschen wir am verborgenen, weltweiten irdischen Netzwerk, das für die uralte Kooperation der Reiche des Lebens steht. Lernen wir einen kaum bekannten Wissenschaftler kennen, der uns eine längst verlorene Welt erschloss. Er deckte vor über 200 Jahren auch eine logische Lücke in der Realität auf, die noch immer unerklärbar ist, trotz Einsteins großartiger Bemühungen.
Am bewegendsten ist für mich die Leidenschaft jenes Mannes, der einen entsetzlichen Tod durch die Hand eines schrecklichen Mörders wählte. Durch einen wissenschaftlichen Betrug hätte er sich retten können, aber das wollte er nicht. Seine Schüler folgten ihm bereitwillig in ein Martyrium, um etwas zu schützen, was für sie lediglich eine abstrakte Vorstellung war – die Generationen nach ihnen. Wir.
Das bringt uns zu jener anderen Welt, die mich am meisten reizt – zur Zukunft, die unsere Welt immer noch haben kann. Der Missbrauch der Wissenschaft gefährdet unsere Zivilisation, doch sie besitzt auch erlösende Kräfte. Sie kann die mit Kohlendioxid vergiftete Atmosphäre durch Lebewesen reinigen, die das von uns freigesetzte Gift neutralisieren. In einer Gesellschaft, die nach Demokratie strebt, kann der Wille einer informierten und motivierten Öffentlichkeit diese Zukunft Realität werden lassen.
Dies sind Geschichten, die mich für unsere Zukunft hoffen lassen. Durch sie spüre ich den Zauber der Wissenschaft noch intensiver, genauso wie das Wunder, jetzt zu leben, in diesen speziellen Koordinaten der Raumzeit, weniger alleine, mehr zu Hause, hier im Kosmos.
ANN DRUYAN