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Schreiben über den Krieg

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Im Dezember 1914 schreibt ein Soldat einen Brief an eine Gruppe von Freunden:

»Es freut mich jedesmal, wenn ich von meinen ehemaligen Quartierleuten etwas höre u. immer wird mirs weh ums Herz wenn ich an die schöne Zeit denke, die ich bei Euch erlebt habe. Aber auch die guten Vesperle habe ich noch nicht vergessen, ohne die wäre ich schwerlich ins Feld gekommen, denn von der Kaserne weg, war ich nicht gar so stark. Lassen wir aber nun die Vergangenheit ruhen u. denken wir an die Gegenwart u. Zukunft. Die Gegenwart ist schrecklich u. die Zukunft male ich mir auch nicht so rosig aus, wie lange wirds noch dauern, dann stehe ich schon wieder in diesem mörderischen Feuer, das keine Barmherzigkeit kennt, aber man kanns halt nicht ändern, das beste ist, man nimmt alles hin, wies kommt.«46

Feldpost spielt eine zentrale Rolle für die Aufrechterhaltung von zwischenmenschlichen Beziehungen sowie das Erschaffen von gedanklichen Gegenwelten zum Chaos im Krieg. Wehmütig schwelgt der Briefschreiber in Erinnerungen und beschwört vergangene Zeiten, die der Krieg unwiederbringlich zerstört hat. Seine resignierte Analyse von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zeigt, dass bereits 1914 Kriegsmüdigkeit und Zukunftspessimismus weit verbreitet waren. Fast immer ist die Verbitterung über die gegenwärtige Lage mit fatalistischen Floskeln verbunden, die zum Aushalten und Hinnehmen auffordern. Die Gleichsetzung des Krieges mit einem erbarmungslosen Höllenfeuer ist dem religiösen Wortfeld entlehnt und verdeutlicht, dass viele Briefschreiber auf kulturell überlieferte Metaphern zurückgreifen, um ihren Mitmenschen die Situation, in der sie sich gegenwärtig befinden, zu verdeutlichen. Der folgende Auszug verzichtet jedoch auf anschauliche Sprachbilder und spielt stattdessen auf die Nichtdarstellbarkeit des Krieges an: »Wie der Krieg so vor sich geht könnt ihr euch garnicht denken es ist schrecklich, darum auf ein gesundes Wiedersehen.«47 Der bewusste Verzicht auf eine Beschreibung der gegenwärtigen Lage geschieht unter der im Ersten Weltkrieg weit verbreiteten Prämisse, dass das Kriegsgeschehen mit Sprache nicht angemessen ausgedrückt werden kann und daher die Angehörigen, die sich in einer anderen Erfahrungswelt befinden als der Schreiber, das Dargestellte nicht verstehen können. So beschränkt sich der Briefschreiber auf das Adjektiv ›schrecklich‹, das zwar vage bleibt, zugleich jedoch eine Vielzahl von Assoziationen hervorruft. Hierbei ist zu betonen, dass die Menschen, abhängig davon, ob sie sich an der Front oder in der Heimat befinden, zwar unterschiedliche Erfahrungen machen, aufgrund der stetigen Briefkommunikation jedoch eng aufeinander bezogen bleiben. Von einem Entfremdungsprozess zwischen Front und Heimat kann deshalb zu Beginn des Krieges nur bedingt die Rede sein.48

Häufig suchen Soldaten in alltäglichen Themen einen gemeinsamen Referenzpunkt. So spielt die Beschreibung der Wetterverhältnisse in den Feldpostbriefen eine große Rolle, ist dies doch eine Kommunikationsebene, auf der sich beide Seiten treffen können. »Hier regnet es schon 14 Tage lang und man kennt sich kaum selbst noch«49 schreibt ein Soldat an Silvester 1914 an seine Verlobte und reiht die große Entfremdung, die im Feld um sich greift, in bekannte Sinnzusammenhänge ein. Zwar bleibt die Beschreibung sehr ungenau, doch der Verweis auf zwei ununterbrochene Regenwochen im Freien genügt, um eine Vorstellung von den grauenhaften Verhältnissen an der Front zu vermitteln. Diese Fokussierung auf Alltagsschilderungen, die den Daheimgebliebenen ein hohes Identifikationspotenzial bietet, klingt auch in folgendem Brief an, den ein in Frankreich stationierter Soldat im November 1914 an die bereits erwähnte Ella Mirring schreibt:

»[An der] grossen Offensive wurde das Korps auch vollständig aufgerieben. Hier wird es so nach und nach wieder aufgefrischt. Die Gegend ist hier Landwirtschaft. Eine richtige Obstgegend. Äpfel giebt es hier zentnerweise liegen sie hier rum. Es ist hier jetzt richtiges Sauwetter. Alle Tage Regen und Sturm. Frost hatten wir hier überhaupt noch nicht. Ende Oktober hatten wir hier das schönste Wetter wie im Frühling. Haufen Ratten giebt es hier das ist unheimlich des Nachts gehts los. Allerhand tanzen uns über die Köpfe mit dem schönsten Konzert führen die Bister hier auf. Und frech sind sie wie Oskar, die laufen noch nicht mal vondannen wenn man nach sie schmeißt. So hat man immer seinen […] Ärger. In Russland die Läuse und Wanzen und die ist man hier los jetzt hier die Ratten alles solche langen Bister wie eine kleine Katze.«50

Während die militärischen Ereignisse zu Beginn des Briefes nur knapp umrissen werden, nimmt die Beschreibung der schlechten Wetterverhältnisse und der Rattenplage weit mehr Raum ein und wird plastisch geschildert. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen verdeutlicht die anschauliche Schilderung von katzengroßen Ratten die Außerkraftsetzung von zivilisatorischen Standards weit anschaulicher als eine politisch fundierte Analyse der militärischen Ereignisse, die den Begriffshorizont aller Beteiligten übersteigen würde. Zum anderen bewegt sich der Briefschreiber auf bekanntem Terrain und gewinnt so ein gewisses Maß an Kontrolle in einer existenzbedrohenden Situation. Auch folgender Brief, den Paul Luck an seine Frau Auguste richtet, bewegt sich in einem Referenzrahmen aus bekannten Sinnzusammenhängen der Vorkriegszeit:

»Wie ich Dir wohl schon schrieb, haben wir 10 Tage in diesen Schützengräben gelegen, du kannst dir denken, daß jeder Gott dankte, als los ging von Chaulnes, denn besonders das Wetter war so miserabel, habe mir auch da einen tüchtigen Schnupfen geholt, wird aber schon wieder besser. Von Chaulnes hatten wir an einem Tage, erstens morgens 3-7 und abends 6 – nachts 2 Uhr 2 Nachtmärsche von ca. 50 km in stockfinstrer Nacht mit vollem Gepäck, aber du kannst mir wirklich glauben, daß wir uns in dieser Nacht nach dem Schützengräben zurücksehnten, denn ich habe nicht als aktiver Soldat jemals solchen Marsch gemacht.«51

Die unmenschlichen Strapazen eines nächtlichen Gewaltmarsches werden der Ehefrau anhand von quantitativen Angaben wie Uhrzeiten, Kilometeranzahlen und geographischen Daten vermittelt. Dies kann als Versuch der Selbstvergewisserung gedeutet werden, ist doch der Schreibende dadurch in einem System verankert, das mit althergebrachten Begriffen geordnet werden kann. Im Folgenden beschreibt er die Ankunft in der französischen Stadt Cambrai – »die Straßen sind alle sehr sauber u. reinlich«52 – sowie seine Einquartierung bei einer einheimischen Familie: »Wir haben es hier sehr gut getroffen, sind bei sehr feinen Leuten, eine davon mit 8 Kindern, die beiden jüngsten wie unser kleiner Mops so niedlich.«53 Die anerkennenden Worte über die Stadt Cambrai und die französische Familie, bei der Luck einquartiert ist, zeigen, dass zu Beginn des Krieges kulturchauvinistische oder ideologische Ressentiments in den Feldpostbriefen kaum vertreten waren. Der Vergleich der französischen Kinder mit den eigenen bietet zudem eine Identifikationsfläche und wirkt einer Entmenschlichung des gegnerischen Kriegsteilnehmers entgegen. All dies basiert auf der unausgesprochenen Grundüberzeugung, dass der Feind den Krieg ebenso wenig wollte wie man selbst und sich daher in einer vergleichbaren Lage befindet.

Im Anschluss an seine – teilweise an eine Urlaubsbeschreibung erinnernden – Ausführungen über Land und Leute führt Luck seine Rolle als Familienoberhaupt auf brieflicher Ebene fort, indem er seiner Frau hauswirtschaftliche Anweisungen erteilt:

»[…] schreibe mir doch auch Bescheid, und ob du das Geld bekommen hast oder nicht und ob die Arbeit geklappt hat. Das mit den Osramlampen freut mich, sieh nur zu, daß du recht viel verkaufen kannst, damit Geld in die Kasse kommt, du kannst es gebrauchen! Bist du auch noch auf dem Posten? Esse nur tüchtig, damit du gesund bleibst und unsere Liesel gut aufziehen kannst, du weißt ja die braucht eine kräftige Hand, ist sie denn noch manchmal so zwatschlich oder hat es sich gegeben ein bisschen? Glaubs zwar nicht, ich kenne doch unsere kl. Wudkel!«54

Die Abwesenheit des Mannes bedeutet nicht, dass die daheimgebliebene Frau plötzlich ein höheres Maß an Autonomie erhält. Zwar übernimmt sie nun Tätigkeiten, die zuvor im Aufgabenbereich des Mannes lagen, doch wird ihr Handlungsspielraum noch immer von ihrem Mann kontrolliert, der das Medium des Feldpostbriefs nicht nur zur Distanzverringerung zwischen Front und Heimat einsetzt, sondern auch, um regulierend in die Geschehnisse zu Hause eingreifen zu können. Die Aufforderung an seine Frau, auf ihre Ernährung zu achten, damit sie ihre Aufgabe erfüllen und das gemeinsame Kind zufriedenstellend erziehen kann, verdeutlicht zudem, dass der Körper der Frau vor allem in Krisenzeiten Gegenstand einer Vielzahl von disziplinierenden Diskursen ist:55 Die Gesundheit der Frau ist nicht Selbstzweck, sondern dient dem Erhalt der Familie und wird somit als kriegsrelevant gesehen. Sich diesen gesellschaftlichen Regeln durch nonkonformes Verhalten zu entziehen, würde bedeuten, dem Kriegsziel aktiv entgegenzuwirken.

Briefe aus dem Krieg

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