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Einer für alles – Vorwort
ОглавлениеMarkus Söder ist ein faszinierender Mensch. Niemand kann ihn besonders gut leiden. Trotzdem folgen ihm alle. Auch ich. Seit knapp einem Jahrzehnt bin ich Spiegel-Reporterin in München, habe seinen Aufstieg vom Minister zum Ministerpräsidenten verfolgt, kenne jede seiner Superheldentassen und besuche mindestens die Hälfte seiner gefühlt hundert Pressetermine pro Woche.
Markus Thomas Theodor Söder wurde am 5. Januar 1967 in Nürnberg geboren. Er studierte Jura und arbeitete als Journalist beim Bayerischen Rundfunk, bevor er 1994 in den Bayerischen Landtag einzog. In der Rolle des angriffslustigen CSU-Generalsekretärs erlangte er 2003 nationale Bekanntheit, ab 2007 übernahm er verschiedene Ministerämter.
Als Europaminister fühlte er sich zum bayerischen Außenminister berufen. Nach dem Wechsel ins Umwelt- und Gesundheitsministerium gab er sich den Namen »Lebensminister«, das Finanzministerium – er nannte es ernsthaft »das bayerische Steuer-FBI« – trieb er zu Rekordeinnahmen, und in der Funktion des Heimatministers schließlich spielte er den Retter des ländlichen Raums. Nachdem er 2018 zum Ministerpräsidenten ernannt worden war, wollte er mit Kreuzen in Amtsstuben das Abendland verteidigen, bevor er zum friedlichen Baumumarmer mutierte und 2019 auch noch den Parteivorsitz von Horst Seehofer übernahm. Einer für alles. Und alle gegen ihn.
Spannender als die Gespräche mit Markus Söder selbst sind die mit seinen innerparteilichen Widersachern. Früher gab es viele von ihnen. Heute nicht mehr. Was macht den Mann nur so unvermeidlich? Diese Frage habe ich mir immer wieder gestellt. Lange Jahre fremdelten die Bürger mit Söder. Sie trauten ihm alles zu, vertrauten ihm aber nicht. Die Coronakrise hat das verändert. Und zwar – nach Art des Virus – radikal. Sogar einen Bayern im Kanzleramt können sich viele Menschen plötzlich vorstellen, manche wünschen es sich sogar.
Als Beobachterin des politischen Personals in Bayern komme ich mir manchmal vor wie die Besucherin von Marvel-Comicverfilmungen. Da sind die Helden auch immer zu einer randständigen Existenz verdammt, bis der drohende Weltuntergang ihr Superhelden-Ich hervortriggert und die dankbare Bevölkerung selbst einem grünen Ungeheuer wie dem Hulk zujubelt. Wobei ich nicht sagen will, dass Markus Söder ein grünes Ungeheuer ist. Auch kein schwarzes.
Es ist leicht, in ihm einen Superschurken zu sehen. Das liegt an seiner Lust am rhetorischen Zuspitzen, seinem breitbeinigen Gang, seinen zusammengekniffenen Augen, die besonders nach durchwachten Nächten an Schießscharten erinnern. Sein Erfolg beruht aber nicht auf fiesen Angriffen oder Schienbeintritten in Richtung seiner Gegner, sondern auf konsequentem Strippenziehen, Fleiß und brennendem Ehrgeiz.
Söder ist ein Klassenstreber, der sich besonders dann über die Eins im Zeugnis freut, wenn die anderen nur Dreien haben. Bayern geht voran, Bayern handelt schneller, Bayern ist Erster. Der jüngste Ministerpräsident in der Geschichte des Freistaats macht Politik wie ein Leistungssportler. Demokratie ist für ihn ein Kräftemessen, bei dem Gewinnern und Verlierern am Ziel der Puls rast. Es ist schwer, dem Mann wirklich nahe zu kommen. Kaum hat man ihn eingeholt, hat man sich an seine neueste Verwandlung samt neuer Ideen gewöhnt, ist er schon wieder einen Schritt weiter.
Es ist kein Zufall, dass das einzige Interview mit Markus Söder, bei dem ich etwas Echtes über ihn als Person erfahren habe, nicht bei einem Hintergrundgespräch in der Staatskanzlei stattfand, sondern beim Sportmachen in Äthiopien. In einem Hotelswimmingpool.
Söder hatte das afrikanische Land zum Ziel seiner ersten Auslandsreise als Freistaatsoberhaupt auserkoren. Ich war Mitglied der Pressedelegation, die ihn begleitete. Dass wir irgendwann gleichzeitig am Beckenrand des Schwimmbads aufkreuzen mussten, ließ sich nicht vermeiden. Wir haben keinen Röntgenblick, mit dem man durch Wände sehen kann wie Superman.
Markus Söder und ich sind keine Freunde. Klar, Politiker und Journalisten sollten im Sinne der Gewaltenteilung stets kritische Distanz wahren. Manchmal jedoch stellt sich zwischen Menschen, die sich in ihrem Berufsfeld häufig als Kontrahenten begegnen, dennoch so etwas wie gegenseitiges Verständnis oder Wertschätzung, vielleicht sogar heimliche Sympathie ein. Ich kenne allerdings kaum Journalisten, denen das mit Markus Söder so geht.
Auf den zehn Metern Bahnlänge eines Hotelpools in Addis Abeba kann man sich schlecht aus dem Weg schwimmen, also machten Söder und ich Brustzüge nebeneinander. Vielleicht lag es an den gleichmäßigen Bewegungen, dass seine innere Unruhe nachzulassen schien. Plötzlich hörte er zu, fragte sogar nach, sprach über seine Kinder, was er normalerweise nie tut. Und er erinnerte sich an die Jugend. Er erzählte von seinem Eintritt als 16-Jähriger in die CSU. Und zwar nicht die Geschichte, die er vermutlich in eine selbst verfasste Biographie drucken würde. Er habe, sagt er in offiziellen Interviews meistens, sich in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der deutschen Teilung politisiert.
Beim Schwimmen in Äthiopien war davon keine Rede. Söder erzählte, dass er sich in den achtziger Jahren über das rote Mainstream-Mindset der Klassenkameraden geärgert habe. Nürnberg war zu seiner Schulzeit fest in sozialdemokratischer Hand. Das offensive Bekenntnis zur anderen Seite der Macht – zur Schau gestellt mit einem Plakat von Franz Josef Strauß an der Kinderzimmerwand – hat ihn mit jugendlichem Revolutionsgeist beseelt. Zu seiner Abiturfeier 1987 kam er zu spät, weil er eine Diskussionsrunde der Jungen Union in einem autonomen Kulturzentrum gegen den Protest linker Parkaträger verteidigen musste.
In dem Moment machte Söder für mich Sinn. Als uncoolster Punk in der Geschichte der Bundesrepublik. Einer mit Bock, Systeme zu sprengen. Einer, der keine Angst davor hat, andere zu provozieren oder nicht in die gängige Norm zu passen. Der aber statt knallenger Röhrenjeans lieber bequeme Obelix-Hosen trägt, deren Bund über dem Bauchnabel endet. Punk feiert die Freiheit des Individuums. Das passt zu Söder, der trotz seiner Funktion als Parteivorsitzender ein Einzelgänger ist.
Ein CSU-Vorstandsmitglied antwortete mir einmal auf die Frage, wie sich der Mensch Markus Söder vom Politiker unterscheide, nach kurzer Denkpause: »Ich kenne den Menschen Markus Söder nicht.« Auch ich will mir nicht anmaßen zu behaupten, den Mann hinter Mundschutz und Maske zu kennen. Als Reporterin folge ich seinen Spuren aber schon so lange, dass ich viele Notizen, Gespräche und Beobachtungen zu einem Bild zusammenfügen kann, das dem Menschen und Politiker Markus Söder zumindest ähnelt.
Das vorliegende Buch ist meine Version seiner Geschichte. Markus Söder war so freundlich, mir seinen Platz in Bayern zu zeigen, mit mir über seine Lieblingsserie Game of Thrones, Gelbwurst und Horst Seehofer zu sprechen. Obwohl er wusste, dass ich nicht zu seinen Fans gehöre, dass ich in meinen politischen Kommentaren meist feministisches statt konservatives Gedankengut verbreite und dass er das Buch nicht vorab lesen durfte. Für einen wie ihn, der jedes Risiko meidet, ist das mutig.