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Schattenspäher

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Endlich stapfte der Großvater zufrieden die Treppe wieder hinauf. „Ich hab alles zusammen!“ rief er, noch bevor er oben angekommen war. Niemand antwortete ihm. Als er in den Raum trat, war er verlassen. Die Kinder und der Knonk waren weg.

„Die werden doch wohl nicht, ja so was…“ murmelte er und starrte auf das Bild. Sie mussten durch das Tor gegangen sein! Doch bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, spürte er, wie ihm ein dunkler Umhang ins Gesicht schlug.

Schattenspäher!

Er hörte ein lautes Pfeifen. Dann sah er zwei gelbe Augenpaare boshaft in der Dunkelheit blitzen. Er riss instinktiv die Arme über den Kopf, um eine drohende Attacke abzuwehren. Tatsächlich fing er damit den Schlag eines Angreifers ab.

Der Großvater machte einen Satz in Richtung Treppe, wurde aber von dem zweiten Schattenspäher am Arm gepackt und niedergerissen. Neben der Tür stand ein alter Wanderstock. Auf dem Boden liegend griff der alte Mann danach. Mit Mühe bekam er ihn zu fassen. Er packte kräftig zu und schlug mit dem Stock auf den Angreifer ein. Mit dem dritten Schlag erwischte er ihn in Kniehöhe. Offensichtlich verursachte dies der Kreatur starke Schmerzen, denn sie zog sich laut winselnd in die hintere Ecke des dunklen Raumes zurück.

Der zweite Schattenspäher war geschickter. Er wich mit wehendem Umhang den Angriffen des alten Mannes aus. Der Großvater versuchte wieder auf die Füße zu kommen. Doch die zweite Kreatur drückte ihn nieder. Nach längerem Ringen bekam er aber auch sie mit dem Stock zu packen. Sie krümmte sich vor Schmerz und ließ von ihm ab. Der Großvater sprang auf und lief zur Treppe. Er rannte so hastig herunter, dass er beinahe stürzte. Im letzten Moment konnte er sich noch am Treppengeländer festhalten. Er eilte ins Wohnzimmer und griff nach dem Spiegel. Dann drehte er sich um. Mit angstverzerrtem Gesicht und völlig außer Atem starrte er auf die Treppe. Doch nichts geschah. Die alte Wanduhr tickte leise.

Plötzlich hörte der Großvater ein Rumpeln. Sein Herz schlug immer noch laut und heftig und sein Atem ging schwer. Er lauschte wieder. Nichts rumpelte mehr. Die alte Wanduhr tickte gemächlich weiter.

Lange Zeit stand er so da. Irgendwann fasste er sich dann aber doch ein Herz und stieg die Treppe wieder hinauf, ganz langsam, Stufe für Stufe. Immer wieder blieb er stehen und lauschte. Endlich war er oben angekommen. Nichts passierte. Seine Beine zitterten von der Anstrengung. Den Spiegel umklammerte er fest. Schließlich schaute er vorsichtig um die Ecke.

„Ich hätte hier wirklich mal eine Lampe einbauen sollen“, fluchte er leise. Es war stockfinster. Der Wanderstock lag noch auf dem Boden an der Treppe, wo er ihn vorher hatte fallen lassen. Vorsichtig zog er ihn mit dem Fuß zu sich her. Er schaute nochmals in den Raum. Ja, tatsächlich, er war dunkel. Ganz dunkel. Das Leuchten des Bildes war verschwunden. Die Staffelei war leer.

Unvermittelt hörte er ein Sirren. Die beiden Schattenspäher schossen aus der Dunkelheit an ihm vorbei, das Bild unter dem wehenden Mantel. Der Großvater machte einen Schritt zurück und wäre fast gestrauchelt. Die Schattenspäher sprangen die Dielen herunter, dass es nur so krachte. Dann rissen sie die Haustür auf und flohen in den Wald. Der Großvater hörte, wie die Haustür laut scheppernd wieder ins Schloss fiel. Dann war es wieder ganz still. Nur die Wanduhr tickte.

Langsam ging der Großvater die Treppe wieder herunter. Er spürte, wie erschöpft er war. Die Knie zitterten. Das Atmen fiel ihm schwer. Er musste sich am Treppengeländer festhalten. Die Schattenspäher hatten bei ihrer hastigen Flucht einiges zertrümmert. Die fliederfarbene Vase neben dem Eingang lag in Scherben. Der Großvater hatte sie vor langer Zeit aus China mitgebracht. Zwei Gemälde seines Schwiegersohnes, die im Treppenhaus gehangen hatten, waren herunter gefallen. Die Scheiben waren zerbrochen und die Rahmen gesprungen.

Unten angekommen setzte sich der alte Mann auf eine der abgetretenen Stufen. Nur langsam konnte er wieder einen klaren Gedanken fassen. Erst war seine Enkelin weg und jetzt das Tor. Hoffentlich war sie sicher auf der anderen Seite angekommen. Er schüttelte traurig den Kopf und strich sich über das Kinn. Er konnte nur hoffen, dass der Knonk den Kindern schnell den Heimweg zeigen würde.

Langsam stand der Großvater auf und fasste sich an den schmerzenden Rücken. Er verzog das Gesicht. Dann ging er zur Haustür, öffnete sie und starrte in den Winterwald. Kalter Wind blies ihm ins Gesicht. Eiskristalle wurden von den schneebeladenen Nadelbäumen hereingeweht. Sein Blick fiel auf die kleine Tanne, die er vor nicht allzu langer Zeit neben dem Eingang gepflanzt hatte. Ihre Blätter waren aschfahl.

„Es hat also begonnen“, murmelte er. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis sein ganzer Wald großflächig betroffen sein würde. Wie betäubt drehte er sich um und ging zurück ins Haus. Weil er die Stille nicht ertrug, stellte er das Radio an. Musik dudelte vor sich hin. Dann kamen die Neuigkeiten des Tages.

„…Ein neuer Virus hat mittlerweile weltweit unterschiedliche Pflanzenarten befallen. Die Blätter der betroffenen Pflanzen färben sich über Nacht aschfahl mit einem leichten Lilastich und die Pflanzen sterben ab…“

Der Großvater schaltete das Radio wieder aus. Entsetzt schüttelte er den Kopf. „Hoffentlich geht es Lara und Peter gut“, murmelte er hilflos. „Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.“

Alle Tore waren verschwunden. Er würde nichts tun können, als warten und hoffen…

Sieben Farben

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