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Weimar

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Als sie in Weimar ankamen, stand der Wagen mit den Möbeln vor dem Haus und war bereits zur Hälfte abgeladen. Sophie und Gisela sahen von der Straße – einer ruhigen Seitenstraße nicht weit vom Theater – zu den Fenstern im ersten Stock hinauf. Wie schwarze Augen starrten die Fenster zu ihnen auf die Straße herunter. »Wir müssen Vorhänge anbringen«, sagte Sophie zu Gisela. Sie stiegen die Treppe hinauf. Die Wohnung hatte zwei Zimmer, ein großes zur Straße und ein kleineres nach hinten zum Garten. Der Schreibtisch stand bereits im großen Zimmer zwischen den beiden Fenstern, das grüne Sofa an der Wand, der Tür gegenüber, und der Schrank aus Kirschbaumholz links daneben. Die Lindenholzkommode wurde aufgestellt. Im Schlafzimmer stand ein Bett für Sophie und ein kleineres für Gisela. Möbel, die noch fehlten, wollte Sophie von Bekannten leihen oder beim Schreiner bestellen.

Die Wohnung war nicht groß, darum kostete sie nicht viel, fünf Taler im Monat. Sophie zahlte für ein Jahr im Voraus. Hier wollte sie bleiben, hier würde sie sich wohlfühlen, in der Stadt, wo sie viele Freunde und Bekannte hatte, wo sie ins Theater gehen und Konzerte besuchen konnte. Für die Hausarbeiten und die Arbeiten in der Küche gab es eine junge Frau, die Sophie von einer Bekannten vermittelt worden war. Sie galt als geschickt und tüchtig. Sie empfing Sophie und ihre Tochter mit heißer Schokolade und schenkte Gisela zur Begrüßung einen Apfel und einen Lebkuchen. Ihr Name war Grete.

Nach drei Tagen war die Wohnung fertig eingerichtet, alles befand sich an seinem Platz. Sophie hängte Vorhänge auf, grün wie das Sofa und der Kachelofen in der Ecke. Grete stand neben der Leiter und half ihr dabei. Immer wieder sagte sie, dass dies doch keine Arbeit für eine Dichterin sei. »Ach, das ist schnell erledigt«, meinte Sophie, »in Zukunft werde ich mich aus allen Arbeiten heraushalten, nur zum Markt gehen wir vielleicht lieber zusammen.«

Schon bald fühlte sich Sophie in Weimar so heimisch, als hätte sie nie an einem anderen Ort gewohnt. Sie bekam viel Besuch und ging fast jeden Nachmittag irgendwo zum Tee. Schiller hatte ein großes Haus gekauft, direkt an der Flaniermeile, an deren Ende das Theater und das Palais lagen, in dem die Herzoginmutter wohnte. Sophie staunte, dass Schiller sich so ein Haus leisten konnte. Er hatte es einem englischen Diplomaten abgekauft.

Morgens arbeitete Sophie wie gewohnt am Schreibtisch und erledigte die Post. Aus Frankfurt kam ein Brief, nicht von Clemens, auch nicht von seiner Schwester Gundi, sondern von seinem jüngeren Bruder, dem er offenbar sein Herz ausgeschüttet hatte.

Der Brief war freundlich und schmeichelnd. Chris nannte Sophie die Dichterin des Frühlings und der Liebe. Er schreibe für seinen Bruder, der es nicht wage, sich selbst an sie zu wenden, obwohl er keine andere Frau lieben könne als Sophie. Es ging um ein Bild von Clemens’ Mutter, das Sophie noch immer besitze und das Clemens zurückerbat. Er habe in Düsseldorf eine Schauspielerin kennengelernt, die Sophie sehr ähnlich sei, die sich sogar ein wenig wie sie bewege, doch Sophies Grazie sei unvergleichlich. Die Ähnlichkeit dieser Frau mit Sophie habe Clemens’ Erinnerung so sehr belebt, dass er alle Versuche, sie völlig zu vergessen, aufgeben müsse. Das Bild fordere er von ihr zurück, weil es ihm wertvoll sei, nicht nur wegen der Ähnlichkeit zwischen seiner Mutter und Sophie.

Sophie wollte Clemens das Bild der Mutter nicht vorenthalten. Sie brauchte nicht lange zu suchen, es lag bei seinen Briefen in der Schublade des Schrankes aus Kirschbaumholz neben dem Bündel von Briefen aus Lübeck. Sophie setzte sich an ihren Schreibtisch und legte einen Bogen Briefpapier vor sich hin. Sie nahm eine der Schreibfedern, tauchte sie ins Tintenfass und ... wie ungeschickt, das passierte ihr fast nie, ein Tropfen Tinte landete mitten auf dem Papier. Sophie nahm ein neues Blatt und begann den ersten Brief seit mehr als zwei Jahren an Clemens zu schreiben. Er wohnte jetzt in Marburg, zusammen mit einem Freund, der noch etwas jünger als Clemens war, aber viel besonnener. Sophie hatte ihn kennengelernt, als er vor einigen Jahren in Jena war. Savigny hieß er und war bereits Privatdozent an der Universität in Marburg. Ein sanftmütiger, vernünftiger Mensch wie er würde Clemens wohl den Halt geben, um endlich etwas aus sich zu machen. Sie legte dem Schreiben das Bild seiner Mutter bei und brachte den Brief zur Post. Danach ging sie zu Schiller und verbrachte den Abend mit interessanten Gesprächen in fröhlicher Runde. Nach Mitternacht begann er aus seiner neuesten Arbeit vorzulesen, so dass sie bis drei Uhr morgens blieb.

Inzwischen war das Honorar für Sophies Roman eingetroffen. Sie bekam pro Druckbogen zweiundzwanzig Reichstaler, was ihr wesentlich mehr einbrachte als der Unterhalt, den Karl zahlte. Damit konnte sie nun sorglos leben.

Weihnachten rückte näher. Sophie suchte nach Geschenken für Gisela, für Jette, die Familie in Camburg, den Bruder und seine Familie in Altenburg, für Freunde in Weimar und Jena oder in weit entfernten Städten. Sie musste nicht sparen und konnte sich ohne großes Nachdenken in den Geschäften umsehen. Sie betrat den Buchladen, der in der Straße lag, wo Schiller mit seiner Frau und den Kindern wohnte. Zwischen all den Büchern mit Lederrücken stand auch ihr Roman, zwei Oktavbände in lindgrünem Einband mit in Gold geprägtem Titel. Den Leserinnen würden die beiden schmucken Büchlein sicher gut gefallen.

Nach Weihnachten kam ein sehr dicker Brief von Clemens, über zehn Seiten, zu einem Bündel zusammengefaltet und mit einer Schnur umwickelt, weil das Siegel allein das Papier nicht gehalten hätte. Er musste mehrere Tage daran geschrieben haben. Sophie setzte sich auf das Sofa und begann zu lesen. Sie erfuhr von seiner Zeit in Göttingen und manches über seinen Physiker-Freund Achim, der auf seinen Rat hin angefangen habe zu dichten und inzwischen sogar einen Roman geschrieben hatte, der viel Lob bekam. Clemens schrieb auch von dem schändlichen Stefan, dem er gründlich die Meinung gesagt habe, und zwar mit gutem Grund. Anders als dieser Verräter sei Achim ein wahrer Freund, seines Vertrauens vollkommen würdig, aber leider zur Zeit auf dem Weg nach Paris. In der Schweiz sei er gewesen, in Mailand und in Genua, habe Clemens aber trotz all der neuen Eindrücke nicht vergessen. Er sei genauso verlässlich wie Savigny. Während Achim für ihn mitten ins Feuer springen würde, um ihn aus einem brennenden Haus zu retten, würde Savigny rechtzeitig eine äußerst wirkungsvolle Wasserspritze erfunden haben, um die Flammen zu löschen. Gegen Clemens’ flammendes Herz aber hätten beide kein Mittel. Nur Sophie habe es in der Hand, ihm Linderung zu verschaffen. Auf mehreren Seiten beklagte er sich, nicht mehr dichten zu können. Nur wenn Sophie seine Muse sein wolle, werde er wieder Gedichte schreiben. Er müsse sie sehen, sie dürfe ihn nicht länger zurückweisen. Er beschrieb Sophie wie eine Gestalt am Himmel mit einem Glorienschein. Doch dieses Bild werde fade, wenn er an ihren Roman denke. Er habe ein paar Seiten darin gelesen und sei entsetzt. So etwas passe nicht zu einer Frau und zu einer Lichtgestalt noch viel weniger, denn Schreiben sei gefährlich, nur etwas für Männer, die es verstünden, in die Welt hinauszugehen und sich zu behaupten. Schreiben schade der weiblichen Natur, der madonnenhaften Reinheit, was doch das Einzige sei, wodurch sich die Frauen auszeichneten.

Sophie lachte verärgert. Was bildete sich dieser Spross aus reicher Kaufmannsfamilie, der sich aus Langeweile im Dichten übte und ein Studium nach dem anderen begann, ohne ein Ziel zu verfolgen, eigentlich ein? Frech war er wie Fritz und noch nicht einmal erwachsen. Ansprüche stellte er an Sophie und ans Leben, als wäre alles nur für ihn auf der Welt. Sophie faltete die Papierbögen energisch zusammen und beschwerte den Packen mit einem Stein, den sie am Flussbett in Camburg gefunden hatte und der nun als Briefbeschwerer auf ihrem Schreibtisch lag. Er war vom Wasser ganz rund geschliffen und von weißen Streifen durchzogen.

Herbst in Heidelberg

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