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Toaster gesucht – Liebe gefunden

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Er sah buchstäblich magisch aus, mit seinem dunkelblauen langen Samtmantel, dem schwarzen Halstuch und den langen schwarzen Haaren. Es war ein Sonntag im März, er stand lächelnd oben auf der Treppe am S-Bahnhof Tiergarten – und hatte auf mich gewartet. Ganze anderthalb Stunden!

Auf der Suche nach einem alten Metall-Toaster bin ich an diesem sonnigen Frühlingstag 2011 gemütlich über den Flohmarkt auf der Straße des 17. Juni geschlendert. Ich trug einen schlichten, in der Taille gebundenen Ledermantel und einen schönen Rock, hatte das Haar offen und gefiel mir selbst richtig gut. Und ihm offenbar auch. Er sprach mich an, sagte, dass ich ihm schon vorhin zwischen den Ständen aufgefallen sei und er deshalb hier auf mich gewartet habe. Wir setzten uns auf eine Parkbank unter Bäumen im Tiergarten gegenüber dem S-Bahnhof und hatten sofort einen Draht zueinander. Optisch gefiel er mir sehr, weil er nicht so geschniegelt wirkte. Offen gestanden, sah er bei unserer ersten Begegnung sogar eher zerknittert aus. So, als ob er in der Nacht davor viel zu wenig geschlafen hätte. Dennoch war nicht zu übersehen, dass er jünger war als ich. Deutlich jünger. Ganze 25 Jahre, wie ich kurz darauf erfuhr.

Er fragte mich nach meiner Telefonnummer und speicherte sie in sein Handy ein. Als ich sein seltsames Mobiltelefon sah, musste ich erst mal lachen. Es war ein Senioren-Handy mit riesengroßen Tasten. Er gestand mir, dass er sich nur sehr schwer Zahlen merken könne und es ihm mit dieser Tastatur leichter fiele, Nummern zu wählen. Auf Kriegsfuß mit Zahlen – das kenne ich auch. Das allein machte ihn mir schon sehr, sehr sympathisch. Wir verabredeten uns für den folgenden Mittwoch. Zum Abschied fragte er, ob er mir einen Kuss geben dürfe. Das ging mir eindeutig zu schnell.

Danach bin ich aber buchstäblich nach Hause geschwebt. Ich saß in der S-Bahn, hatte Herzklopfen, weiche Knie und knallrote Wangen – das volle Programm eben … Zu Hause meldete sich dann mein Verstand. „Der Typ ist viel zu jung für dich. Was willst du denn mit dem anfangen?“, fragte das kleine Teufelchen auf meiner Schulter. Doch der Engel auf der anderen Seite sagte nur: „Wart’s einfach mal ab.“ Je näher der Mittwoch rückte, umso nervöser wurde ich. Hoffentlich würden wir ein Gesprächsthema finden. Bloß keine peinliche Stille oder angestrengter Smalltalk.

Für unser erstes Treffen hatte er sich etwas ganz Besonderes ausgedacht. Kein schickes Berliner Restaurant mit Dreigängemenü und einer Flasche Barolo, um mich zu beeindrucken. Nein, sondern eine echte Berliner Kneipe, mitten in Grunewald. Ich hatte mich für alle Eventualitäten wetterfest angezogen, da ich ja nicht wusste, auf welche Nacht-und-Nebel-Aktion ich mich da eingelassen hatte. Michael erschien mit einem phosphorgrünen Regenschirm am S-Bahnhof und geleitete mich zu der außergewöhnlichen Location. Es war nicht mal eine besonders gemütliche Kneipe oder gar eine elegante Bar, sondern eine Eckkneipe, wo sich das weniger gut betuchte Publikum des Nobel-Stadtteils auf ein preiswertes Bier trifft.

Schon auf dem Weg zur Kneipe unterhielten wir uns angeregt, wir warfen uns die Bälle nur so zu. In der Kneipe erzählte Michael mir dann von seiner Arbeit. Genau wie ich ist er Sozialpädagoge. Er leitet eine Wohngemeinschaft für Jugendliche von 18 bis 28 Jahren. Diese jungen Erwachsenen sind irgendwann mal aus unterschiedlichen Gründen durch das soziale Netz gerutscht und schaffen es nicht, ihren Tagesablauf zu strukturieren. Michael und seine Kollegin helfen ihnen dabei, wieder selbstständig im Leben klarzukommen. Mich faszinierten die Schilderungen von seinem Job und seine Einstellung dazu.

Die Zeit verging wie im Flug. Erst irgendwann weit nach Mitternacht sind wir aus der Kneipe raus. Und dieses Mal durfte er mich zum Abschied küssen. Auf die Wange allerdings. Am nächsten Morgen habe ich als Erstes meine Tochter angerufen, um ihr aufgeregt mitzuteilen: „Elisabeth, ich habe mich verliebt.“

Nur ein paar Tage später habe ich Michael auf meinem Geburtstagsfest meiner Familie vorgestellt. Er war ziemlich schnell integriert und ich hatte den Eindruck, dass er sich in unserem lauten und lustigen Haufen wohlfühlte.

Durch Michael habe ich ganz andere Seiten des Lebens entdeckt und auch eine neue Art von Musik: Black Metal. Diese Unterart von Metal kommt aus Skandinavien, ist sehr speziell und nicht ganz unumstritten. Gutturale Gesänge mit Schreien, Kreischen und Knurren, Satanskult und brennende Kirchen sind es, was viele der Szene vorwerfen. Dazu weiß geschminkte Gesichter, Kunstblut und martialische Outfits. Böse Buben, Gewaltexzesse und Kriminalität hat es in den 1990er-Jahren in dieser Musikrichtung tatsächlich gegeben. Das waren allerdings oft verwirrte Einzeltäter und lässt sich nicht auf die gesamte Musikrichtung übertragen.

Inzwischen gibt es eine neue Black-Metal-Szene, manche nennen sie auch Neo Black Metal. Hier präsentieren sich die Bands ohne die typischen bleichen Gesichter, manchmal sogar in ganz normalen Outfits wie Jeans und T-Shirt. Die Musik hat für mich etwas Mythisches, etwas Mystisches, aber auch etwas Spirituelles, Psychodelisches und Rockiges. Sie ist nichts, was gefällig ins Ohr geht, sondern schrill und kreischend, manchmal aber auch sehr symphonisch. Kurz: Sie lässt sich nur schwer in eine Schublade packen. Genau das gefällt mir daran. Und bei den Konzerten dieser Bands geht echt die Post ab. Das Publikum dort ist meist bunt gemischt, allerdings eher männerlastig. Einer grauhaarigen Frau in meinem Alter bin ich dort noch nie begegnet. Dennoch wurde ich nie schief angeguckt, und ich habe mich dort auch nie fehl am Platze gefühlt.

Was mich aber immer wieder bei der doch sehr roh wirkenden Musik verwundert: Das Publikum ist in keinster Weise krawallig, ganz im Gegenteil geht es im Zuschauerraum sogar sehr ruhig und gesittet zu.

Als Michael mir die ersten Black-Metal-Stücke bei sich vorspielte, war ich zuerst sprachlos. Anfänglich machte mir die Musik Angst, und es war für mich nur Krach. Inzwischen habe ich ein ziemlich gutes Gefühl für die Strukturen dieser Musik entwickelt und kann sie auch gut erkennen.

In Skandinavien gehört Metal zum Kulturgut. Die Künstler dort sind hoch angesehen, ähnlich wie bei uns Popmusiker. Unter anderem wegen der Musik reisen wir auch gern in diese Länder. Wir waren bereits zusammen auf dem Metal-Festival in Oslo, und ich freue mich schon jetzt wieder auf das nächste Oration-Festival in Reykjavík.

Allerdings muss bei uns nicht alles laut und martialisch sein, wir mögen auch die leiseren Töne. Gleich zweimal waren wir in einem Konzert von Leonard Cohen. Als wir ihn im Juli 2013 in Berlin sahen, wussten wir beide intuitiv, dass wir wohl zum letzten Mal „Suzanne“, „I’m your Man“ und sein wunderbares „Hallelujah“ live von ihm gesungen gehört hatten.

Über Anna

„Ich hatte an diesem Tag einen kleinen Spaziergang durch den Tiergarten gemacht und mir auf dem Flohmarkt nicht nur die Antiquitäten angeschaut, sondern vor allem auch die Menschen. Das liebe ich.

Anna fiel mir sofort auf. Sie stach aus der Menschenmasse, die über den Flohmarkt spazierte: lange weiße Haare, dazu ein farbenfrohes Outfit mit coolem Rock und Mantel. Mir fiel natürlich auch ihre schöne, schlanke Figur auf, die von ihrer Kleidung perfekt betont wurde.

Als ich Anna so von Weitem sah, wollte ich sie unbedingt kennenlernen. Das Ganze zog sich allerdings ziemlich in die Länge. Da Anna einen ganz speziellen Toaster suchte, blieb sie gefühlt an jedem Stand stehen und unterhielt sich ausgiebig mit den Verkäufern. Da ich nicht wusste, in welche Richtung sie eigentlich wollte, hatte ich Angst, sie aus den Augen zu verlieren.

Intuitiv habe ich mich in der Nähe des Bahnhofs vor einem Hotel platziert und versucht, sie im Blick zu behalten. Sie lief tatsächlich in meine Richtung, und ich sprach sie dann einfach an. Ihre Art war so, wie ich es erwartet hatte. Sie wirkte sehr zart und sprach mit leiser, ruhiger Stimme. Das mochte ich. Wir haben dann unsere Telefonnummern ausgetauscht und uns für einen Abend drei Tage später verabredet. Zu Hause wurde mir bewusst, dass diese Begegnung mit Anna etwas Magisches hatte. Ich wollte Anna unbedingt wiedersehen und wusste, dass daraus etwas Besonderes entstehen könnte. Es war im positiven Sinne verhängnisvoll.

Diese Frau war alterslos und bewegte sich außerhalb aller messbaren Spektren. Da ich meine Seele als deutlich älter betrachte als mein Lebensalter, bilden Anna und ich so etwas wie eine seelische Peergroup.

Wir hatten uns am S-Bahnhof Grunewald verabredet. Vor lauter Aufregung war ich fast eine Stunde zu früh da. Obwohl es klirrend kalt war, habe ich relativ regungslos auf einer Bank auf Anna gewartet. Ich war vor Anspannung wie gelähmt. Mir war klar, dass ich sie auch bei dieser zweiten Begegnung toll finden würde. Unsicher war ich allerdings, ob es ihr genauso gehen würde …

Sie kam pünktlich – und ich war augenblicklich von ihrer Ausstrahlung in den Bann gezogen. Wir unterhielten uns vom ersten Moment an ganz ungezwungen – meine Unsicherheit war schnell verflogen. Auf der Suche nach einem schönen Café landeten wir schließlich in einer ziemlich schrägen, aber sehr urigen Kneipe. Kein romantisches Abendessen bei Kerzenschein, stattdessen volle Pulle Leben mit äußerst trinkfesten Stammgästen aus dem Kiez. Dort, zwischen all diesen etwas speziellen Menschen, spürte ich, dass ich mich mit Anna eigentlich überall wohlfühlen könnte. Der Ort war nicht entscheidend.

Und ihr ging es wohl ganz genauso. Ich erinnere mich noch gut, dass wir während des ganzen Abends sehr neugierig von der Kellnerin und ihrem Dackel beäugt wurden. Vermutlich, weil sie unser Verhältnis nicht einschätzen konnte und nur allzu gern gewusst hätte, in welcher Beziehung wir denn zueinander standen.

Gesprochen haben wir vor allem über mich. Ich leite als Sozialpädagoge eine therapeutische Wohngemeinschaft für junge Erwachsene. Darüber hinaus bin ich Komponist, Gitarrist, Sänger und Lyriker. Anna dagegen war eher zurückhaltend, hat wenig von sich erzählt und schon gar nicht von ihrer Model-Karriere gesprochen. Das gefiel mir, und es war natürlich auch ein bisschen geheimnisvoll. Sie sagte nur, dass sie etwas mit Mode zu tun hätte. Ich stellte sie mir eher als Modedesignerin denn als Model vor. An diesem Abend durfte ich sie übrigens auch das erste Mal küssen und ihr über den Rücken streichen – das war für mich wie eine Bekräftigung für den Beginn unserer Beziehung.

Erzählt hat sie von ihren vier Kindern, ihren damals erst drei Enkeln – und von ihrer Liebe zur Musik. Auch da schienen wir Gemeinsamkeiten zu haben. Ich bin musikalisch breit aufgestellt, mag die dunklen Klänge von Chopins und Leonard Cohens Kompositionen bis hin zu norwegischem Black Metal. Damit habe ich Anna zu Anfang wohl etwas verschreckt, was ich auch gut verstehe. Es gibt inzwischen neue französische und isländische Bands, die sehr künstlerische und atmosphärische Musik machen. Für mich ist Black Metal eine sehr edle, feinsinnige und tief greifende Kunstform, die viele Menschen nicht verstehen. 2015 reiste ich mit Anna ins Geburtsland des Black Metal, nach Norwegen. Wir trafen dort auf dem sogenannten Inferno-Festival gleichgesinnte Menschen aus allen Ländern, die unglaublich nett, höflich und zuvorkommend waren. Es gab kaum Alkohol, wir trafen auf eher stille, introvertierte Genießer mit einem enormen Maß an geistiger Reife. Anna hat sich dann buchstäblich an diese Musik herangetastet. Die norwegische Band Taake war unser persönliches Highlight. Anfangs stand sie ganz hinten im Publikum, dann ist sie immer näher an die Bühne herangerückt. Sie mochte auch die Outfits der Protagonisten und der Fans, und ich mochte es, wie unglaublich neugierig und vorurteilsfrei sie auf alles zuging.

Annas Familie lernte ich bereits bei unserem dritten Treffen kennen. Es war Annas Geburtstag, ich klingelte – und hatte gleich eine Begegnung der besonderen Art mit Annas süßer Enkelin Rosa, die damals drei Jahre alt war. Sie guckte mich von oben bis unten an und fragte dann, ob ich denn nun ein Mann oder eine Frau sei. Ich hatte auch damals schon lange Haare, was sie wohl verwirrte. Und dann saß ich plötzlich am Tisch, neben mir Annas mich musternde Kinder, die Schwiegertöchter, Enkel und ihr Ex-Mann – und ich fühlte mich sofort als Teil des Ganzen. Alle nahmen mich sehr herzlich auf und interessierten sich für mein Leben.

Ich selbst komme aus einer Kleinfamilie, habe eine sehr nette Schwester und selbst keine Kinder. Die Stufe des leiblichen Vaters habe ich durch die Beziehung mit Anna quasi übersprungen und befinde mich in einer Art Großvaterrolle, in der ich mich wohlfühle. In ihrer Rolle als Großmutter bewundere ich Anna sehr. Sie ist so wahnsinnig multitasking, hält äußerst geschickt die Fäden in der Hand und ist dabei absolut entspannt.

Mit Anna verbindet mich auch die Liebe zum Genuss auf ganz vielen Ebenen. Wir beide können stundenlang in Cafés sitzen, guten Cappuccino oder Latte macchiato trinken, Leute beobachten oder auch in Ruhe gemeinsam Zeitung lesen. Sie liebt genau wie ich Pumpernickel, ein spezielles westfälisches Roggenbrot. Ich kenne sonst niemanden in meinem Umfeld, der das isst. Anna kauft immer einen wunderbaren Käse in einem kleinen Laden in Charlottenburg – für mich der beste Käse der Welt. Wir haben denselben Sinn für Ästhetik, der weit weg ist vom Konventionellen. Wir mögen dieselben Filme und Kunstwerke. Vergleichen würde ich uns mit zwei etwas eigenwilligen Puzzleteilen, die gar nicht anders konnten, als sich zu finden.

Was ich an Anna liebe, sind ihre Zartheit und ihre Mystik. Und sie hält mich aus, mit all meinen kleinen und großen Macken. Manches, was ich an ihr mag, lässt sich auch gar nicht in Worte fassen. Es ist ein Gefühl von angenehmer Sprachlosigkeit, das mit einem intensiven Gefühl von Liebe einhergeht.“

Freund Michael

Jeden Tag aufs Neue glücklich

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