Читать книгу Jeden Tag aufs Neue glücklich - Anna von Rüden - Страница 8
Mein Herz brennt …
ОглавлениеMode habe ich schon als Kind geliebt. Von den Hüten meiner Großmutter konnte ich gar nicht genug bekommen, probierte sie immer wieder gern vor dem Spiegel auf und erfand dazu die abenteuerlichsten Geschichten. Meine improvisierten Modenschauen zu Hause sollen, laut meinen Eltern und Großeltern, legendär gewesen sein. Dass ich damit irgendwann mal Geld verdienen werde, wusste ich damals natürlich noch nicht.
Obwohl ich mich als junges Mädchen immer zu groß und dünn fand, entsprach ich damit genau einem bestimmten Schönheitsideal. Mit 18 sprach mich an einem Ostseestrand ein freundlicher junger Mann an. Er suchte Hausmodelle für das renommierte Modehaus Horn am Ku’damm, und ich passte wohl wunderbar ins Konzept. Eine Zeit lang lief ich auf Modenschauen dieses Geschäfts, das 2003 seine Pforten für immer schloss. Meine Eltern fanden das eher anrüchig und suspekt. Da sie mein Studium zum Teil mitfinanzierten, drohten sie die Zahlungen einzustellen, sollte ich mit dem Modeln nicht aufhören. So war es erst mal vorbei mit meiner Model-Karriere.
37 Jahre später, ich war 55, entdeckte mich erneut ein Model-Scout, mitten auf dem Ku’damm. Ich suchte gerade nach einem Geburtstagsgeschenk für meine jüngste Enkelin, als er mich ansprach. Bereits zwei Tage später stellte ich mich bei einer großen Agentur in Hamburg vor. Eine Sedcard von mir, eine Art Kurzbewerbungskarte mit Fotos, wurde erstellt – und es konnte losgehen. Mittlerweile modele ich seit fast elf Jahren und freue mich wahnsinnig über jeden neuen Model-Job. Von jedem einzelnen Auftrag nehme ich etwas mit nach Hause: Kontakte zu neuen Menschen, Eindrücke einer neuen Stadt, die tolle Stimmung am Set und natürlich schöne Bilder, die immer wieder eine ganz neue Seite von mir zeigen.
Gerade war ich auf einem besonders interessanten Job: Für die VOGUE Portugal fand ein Shooting in der Slowakei, in Bratislava, statt. Ich hatte mich vorab im Internet ein wenig über die Stadt informiert. Meist schaue ich, ob gerade spannende Ausstellungen laufen, ansonsten lasse ich mich einfach treiben und entdecke so durch Zufall oft die schönsten Cafés, Restaurants und Geschäfte. Vor zehn Jahren war ich schon mal in Bratislava gewesen. Nach dieser langen Zeit war ich bei meiner Ankunft überrascht, wie modern die Stadt geworden war. Am Flughafen erwartete mich der Fotograf der Produktion höchstpersönlich. Er brachte mich ins Hotel, so hatte ich gleich Kontakt zu meiner wichtigsten Bezugsperson für die nächsten Tage. Die Unterkunft war geschmackvoll und sehr zentral gelegen. Bei meinen Jobs bin ich immer in Häusern mit gutem Standard untergebracht, da kann ich mich nicht beschweren. Der Fotograf gab mir noch ein paar Tipps zu Restaurants in der näheren Umgebung des Hotels, dann war ich für den Abend allein. Wie häufig habe ich auch in Bratislava erst mal einen Spaziergang durch die Straßen gemacht. So bekomme ich rasch ein Gefühl dafür, wie eine Stadt sich anfühlt und tickt.
Das Alleinsein in einer fremden Stadt macht mir nichts aus. Ich bin da immer völlig entspannt, auch wenn ich die Sprache nicht spreche. Mit Englisch komme ich fast überall durch, und in Bratislava sprachen auch einige Menschen Deutsch – zur Not klappt die Verständigung auch mit Händen und Füßen.
Meist gehe ich frühzeitig schlafen, um für das Shooting fit zu sein. Disziplin ist in diesem Job unglaublich wichtig, auch und gerade wenn man nicht mehr 17 ist. Ausreichend Schlaf vor einem Job und ein gesundes Frühstück, das lang vorhält, sind ein Muss. Denn oftmals bekommt man erst nachmittags wieder etwas zu essen. Selbstverständlich ist für mich auch ein gepflegter Körper. Füße, Hände und Nägel sollten glatt und makellos sein, Achseln und Beine ohne Blessuren rasiert und die Haare natürlich frisch gewaschen. Auch ein „Notfall-Set“ mit nudefarbener Unterwäsche habe ich immer dabei, falls die Modelle unerwartet doch mal eher durchsichtig sind.
An den Tagen vor einer Produktion achte ich darauf, nicht zu viel zu essen, damit mein Bauch schön flach ist. Das sieht besser aus, ich fühle mich wohler am Set und kann mich besser bewegen, als wenn ich permanent meinen Bauch einziehen müsste. Vor allem sollten die auf der Sedcard angegebenen Maße auch wirklich stimmen. Die Kleidung wird dem Model oft genau nach diesen Angaben auf den Leib geschneidert. Bei einer Produktion habe ich mal erlebt, dass ein sehr junges Model in den Wochen vor dem Job wohl zu viel gefuttert hatte. Sie hat nicht in das für sie vorgesehene Kleid gepasst – und wurde fünf Minuten später an die Luft gesetzt. Ich kann das gut nachvollziehen, da das Ganze ja eine kostspielige Angelegenheit ist …
Bei dem VOGUE-Shooting in Bratislava ging es übrigens nicht ausschließlich um Mode, es wurden Bilder für ein Editorial gemacht, das Fashion und Alter zum Thema hatte.
Mein Gegenpart war ein etwa 20-jähriges Model aus Prag, eine schmale, blonde, große Frau. Ich stellte ihr älteres Spiegelbild dar. Ich durfte, ja sollte sogar in der Produktion müde und faltig aussehen, ein bisschen gebrochen wirken und war mal nicht das Seht-her-wie-toll-man-auch-mit-60+-aussehen-kann-Model. Dennoch haben mich die Fotos, als ich sie später sah, fasziniert. Es war eine wirklich außergewöhnliche Produktion.
Wir haben in einem großen sozialistischen Gebäude aus den 1970er-Jahren produziert, das einen ganz eigenen Charme hatte. Dunkle Holzvertäfelungen an den Wänden, dazu Tapeten mit psychodelischen Mustern und Originalmobiliar aus dieser Zeit. Schräg, aber schön. In dem Gebäude gab es auch einen alten Ballettsaal, in dem ein Teil der Aufnahmen stattfand.
Der Anfang war ein wenig holprig. Gleich am ersten Set musste ich ein kurzes, ziemlich transparentes Negligé tragen, das stark auf Figur geschnitten war. Dazu auch noch High Heels. „Das kann ja heiter werden“, war mein erster Gedanke. Privat trug ich schon seit Jahrzehnten nicht mal mehr Miniröcke – und nun das … Anfangs fühlte ich mich in diesem Look extrem unwohl, zumal es in dem kahlen Ballettsaal relativ kühl war, was der guten Laune nicht gerade zuträglich war. Doch ein Profi jammert nicht, sondern beißt die Zähne zusammen. Ich versuchte also, mich irgendwie in dieses hauchzarte Outfit hineinzufinden und mich mit meiner Rolle zu identifizieren. Nach rund 15 Aufnahmen ging es dann. Dabei helfen einem meist auch der Fotograf und die Crew. Diese hier war besonders nett, sehr locker und fröhlich. So etwas spornt unglaublich an. Nachdem ich das Negligé überstanden hatte, waren meine nächsten Outfits glücklicherweise richtige Anna-Lieblingsteile: wunderschöne lange Kleider von Versace und Prada mit Blumenmuster und weite, farbenfrohe Hosen von Gucci. Alles Haute Couture, direkt vom Laufsteg. Ein Traum in Farbe und Schnitt.
Bei den meisten Produktionen begegnen mir die Beteiligten sehr zuvorkommend und freundlich. Allerdings kann der Ton auch schon mal rauer sein, wenn alle Stress haben. Das darf man allerdings nie persönlich nehmen. In Bratislava hatten wir viel Zeit, mittags gab es sogar eine längere Pause mit einem warmen Buffet. Während eines Shootings esse ich allerdings zwischendurch meist nur ein paar Snacks wie eine Handvoll Nüsse, einen Keks oder ein Stück Obst, da ich sonst müde werde.
Das Shooting an diesem Tag dauerte zehn Stunden, das ist nicht ungewöhnlich. Danach war ich so aufgedreht, dass ich erst noch mal eine Stunde durch die Stadt laufen musste, um runterzukommen. Wenn ich allerdings abends im Hotelbett liege und alles von mir abfällt, merke ich, was ich den ganzen Tag über getan habe. Meist fallen mir sofort die Augen zu. Am nächsten Morgen konnte ich glücklicherweise ausschlafen und habe mir noch mal in Ruhe Bratislava angeschaut mit seiner ungewöhnlichen Mischung aus Sozialismus und einer Portion Wiener Charme.
Manchmal sieht mein Job allerdings ganz anders aus und ist deutlich weniger glamourös. Vor einigen Jahren war ich für ein Video der Band Rammstein gebucht. Ich kannte die Gruppe nur vom Namen her und wusste nicht, wie ich sie einordnen sollte. Die Texte fand ich eher brachial, und dass das martialisch wirkende Auftreten, die Videos und Till Lindemanns rollendes R nicht jedermanns Sache sind, war mir klar. Aber ich war viel zu neugierig, um abzusagen.
Der Dreh fand in der morbiden Atmosphäre der Beelitz-Heilstätten statt, einer alten Lungenklinik in der Nähe von Berlin, die inzwischen fast völlig verfallen ist. Ich spielte für den Song „Mein Herz brennt“ die sadistische Leiterin eines Kinderheims, die ihre Schützlinge früher gequält hatte. Jahre später nimmt dann eines ihrer Heimkinder, das inzwischen ein erwachsener Mann ist, blutige Rache für die Qualen und bringt sie um. So gruselig das auch klingen mag, mir hat diese ganz besondere Arbeit für ein Video vom ersten Moment an Spaß gemacht. Das war genau meins. Auch zu der Musik habe ich im Lauf des Drehs Zugang bekommen. Sie ist sehr speziell und tiefgründig. Die Rammstein-Songs sind brachial, doch ich mag es, wenn keine großen Umschweife gemacht und Dinge direkt beim Namen genannt werden. Gleichzeitig sind die Texte sehr feinfühlig, lyrisch und zeigen eine besondere Form der Romantik. Und: Ich liebe Till Lindemann. Den Sänger von Rammstein, der sich manchmal in seiner Musik so grell, blutrünstig, martialisch und provokant gibt, habe ich damals als sehr feinsinnigen, äußerst zuvorkommenden und höflichen Menschen kennengelernt. Ich weiß, dass er auch Gedichte schreibt, und für mich sind seine Lieder eigentlich Liebeslieder, wenn auch recht schrille.
Unglaublich stolz war ich, als er sich dafür einsetzte, dass mein Name im Abspann des Videos erscheint, was sonst nicht üblich ist. Ich bin schon heute gespannt, was meine Enkel sagen, wenn ich ihnen das Video irgendwann vorführe. Noch sind sie viel zu klein und würden sich bei den gruseligen Szenen sicher ängstigen.
Wenn ich nach so einem Dreh oder Shooting nach Hause komme, möchte ich erst mal allein in meiner Wohnung sein. Ich brauche immer eine Zeit, um von der einen in die andere Welt zu kommen. Aber am nächsten Morgen darf es dann gern wieder losgehen mit meinem anderen Leben.