Читать книгу Liebe, Eis und Schnee - Annabelle Costa - Страница 9

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 Kapitel 4

Chase ist seit zwanzig Minuten weg.

Es ist so gut wie unmöglich, dass er zeitnah zurückkommt, aber ich mache mir Sorgen, wie es ihm dort draußen ergeht. Es muss durch den Wind um die -20 °C sein, und er ist nicht mal annähernd passend angezogen. Die Vorstellung, dass er tatsächlich Hilfe finden könnte, kommt mir immer unwahrscheinlicher vor.

Ich hätte ihn nicht gehen lassen sollen. Nicht, dass ich ihn davon hätte abhalten können …

Mein Magen knurrt. Chase hatte dieses romantische Dinner in der Hütte geplant – das ich nun wahrscheinlich nie erleben werde. Durst habe ich auch. Ich schätze, ich könnte geschmolzenen Schnee trinken, aber ich habe nichts, um das Wasser aufzufangen, keine Wasserflasche, nicht einmal einen Becher. Wir sind so lächerlich unvorbereitet hergekommen. Das einzig Positive ist, dass ich gerade nicht aufs Klo muss – keine Ahnung, was ich tun soll, wenn es so weit ist.

Warum habe ich beim Einsetzen des Schnees nicht darauf bestanden, dass wir umkehren? Warum habe ich mich von ihm hierherschleppen lassen? Der Unerschütterliche Chase hat über meinen gesunden Menschenverstand gesiegt.

Ich kann meine Zehen inzwischen gar nicht mehr spüren. Das ist kein gutes Zeichen. Wie lange dauert es, bis man Frostbeulen bekommt? Passiert mir das vielleicht gerade? Ich greife in meine Tasche, um mein Handy herauszuholen und danach zu googeln, aber als ich es herausziehe, fällt mir ein, dass ich kein Netz habe und daher auch nicht googeln kann.

Allerdings erfühle ich beim Durchkramen der Tasche etwas, das in Papier gewickelt ist.

Meine KFC-Biscuits! Die hatte ich total vergessen! Oh mein Gott, ich habe Essen. Ich habe etwas Essbares im Auto! Zwei Biscuits! Es ist ein Wunder!

Noch bevor ich auch nur darüber nachdenken kann, mir das Essen einzuteilen, habe ich mir den ersten Biscuit in den Mund gestopft und schlinge ihn praktisch im Ganzen runter. Das ist das Beste, was ich je gegessen habe! Ich lecke mir gierig die Lippen. Der zweite Biscuit liegt unten in der Tüte und lockt mich. Ich will ihn so sehr, aber ich weiß, dass ich ihn mir aufheben sollte. Wenn ich am Morgen immer noch in diesem gottverdammten Auto sitze, werde ich über etwas zu essen froh sein.

Es sei denn, ich bin bis dahin so unterkühlt, dass ich dann ohnehin nicht mehr klar denken kann.

Ich lege die Tüte auf den Fahrersitz und stelle meine Birkin Bag darauf, damit ich nicht in Versuchung gerate und den Biscuit letztendlich doch noch esse. Es gab mal eine Zeit, als mein größtes Problem darin bestand, dass die Colorblock-Sonderedition der Hufeisen-Tasche bei Hermès »nicht verfügbar« war. Ich wollte diese Tasche unbedingt haben.

Das kommt mir jetzt alles so dumm vor.

Es ist stockfinster im Auto. Durch die nächtliche Dunkelheit und den Schnee, der die Fenster inzwischen komplett bedeckt, kann ich nicht einmal meine Handtasche da drüben sehen. Ich kann überhaupt nichts sehen. Als ich mich aufrichte, stoße ich mit dem Ellbogen ans Lenkrad und drückte damit unabsichtlich auf die Hupe.

Die Hupe!

Wenn ich sie oft genug benutze, könnte mich vielleicht jemand hören und uns retten? Es ist zwar … Na ja, wenn man bedenkt, dass ich mich auf einer Schotterstraße mitten im Nirgendwo befinde, erscheint mir das ziemlich unwahrscheinlich. Aber schaden wird es sicher auch nicht.

Ich drücke mit der Faust gegen das Lenkrad, und die Hupe erklingt im Auto. Hier drinnen kommt sie mir sehr laut vor, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Klang im heulenden Wind draußen weit zu hören ist. Wie war das doch gleich: Verursacht ein im Wald umfallender Baum ein Geräusch, wenn niemand da ist, der es hören kann? (Oder auch: Welches Geräusch macht eine einzelne klatschende Hand? Dieser Spruch ergibt für mich keinen Sinn.)

Ich hupe etwa zwei Dutzend Mal. Irgendwann nach dem zwanzigsten Hupen lehne ich mich zurück in meinen Sitz. Sehen kann ich nichts, und es ist nur der Wind zu hören.

Tja, das war sinnlos.

Chase hat die Autoschlüssel in der Zündung gelassen. Eigentlich wollte ich Benzin sparen, aber die Kälte wird unerträglich. Zuvor hatte ich noch meine Mütze und meinen Schal, aber nun, wo ich sie Chase für seine Rettungsmission überlassen habe, fühlen sich meine Ohren schon taub an. Die Hände habe ich wieder unter meine Achseln gesteckt. Das hilft ein bisschen, aber ich zittere trotzdem weiter. Ich brauche etwas Wärme, selbst wenn es nur für fünf Minuten ist.

Ich greife nach den Schlüsseln und starte den Motor.

Natürlich ist die Luft, die aus den Lüftungsschlitzen der Heizung gewirbelt wird, eiskalt. Es dauert wahrscheinlich ein oder zwei Minuten, bis sie warm wird. Ich warte darauf, dass sich die Luft anwärmt, doch als die Minuten verstreichen, fällt mir etwas Beunruhigendes auf: Es riecht nach Benzin.

Der Auspuff. Er muss im Schnee vergraben sein. Was bedeutet, dass – selbst wenn ich einen Tank voller Benzin hätte – ich mit laufendem Motor ersticken werde.

Ich muss versuchen, den Auspuff freizuräumen. Aber da draußen ist es noch kälter und ich werde vom Schnee durchnässt. Und wozu? Für vierzig Minuten Benzin, wenn überhaupt? Vielleicht lohnt es sich nicht, den Auspuff freizuschaufeln.

Ich schalte die Scheibenwischer ein, um herauszufinden, wie schlimm es außerhalb des Autos aussieht. Die Wischer gleiten am Glas entlang und schieben die Schneeschicht weg. Ich blinzle ein paarmal und starre angestrengt in die Dunkelheit. Allerdings …

Ist das ein Licht in der Ferne?

Mein Herz hüpft in meiner Brust. Ich sehe etwas! Es ist ein Licht. Nein, zwei Lichter! Scheinwerfer! Jemand ist hier! Ich bin gerettet!

Ich lasse das Seitenfenster auf der Beifahrerseite herunter, um es vom Schnee zu befreien. Allerdings muss ich es schnell wieder schließen, weil der schneidende Wind unerträglich ist. Die Scheinwerfer gehören tatsächlich zu einem grünen Pick-up, der sich noch etwa sechs Meter von mir entfernt befindet.

Ich lasse die Scheinwerfer aufleuchten, und der Pick-up hält an. Man kann kaum etwas sehen, aber die Tür des Wagens öffnet sich, jemand steigt aus.

Der Fahrer trägt einen dicken Parka, aber ich kann dennoch erkennen, dass er eine sehr imposante Erscheinung ist. Hochgewachsen und … einfach … groß. Der Schnee behindert ihn etwas, aber für die gegebenen Verhältnisse bewegt er sich schnell. Irgendetwas an der Art, wie er läuft, macht mir Angst. Wenn mir jemand sagen würde, dass sich Big Foot unter dem Parka befindet, würde ich es glauben.

So erleichtert ich gerade noch war, Lebenszeichen von anderen Menschen zu sehen, so sehr hämmert nun mein Herz, als sich die Gestalt dem Auto nähert.

Vielleicht gibt es hier draußen schlimmere Dinge als Kälte und Hunger. Ein Mann kann mich viel schneller umbringen als beides zusammen.

Behandschuhte Finger klopfen kräftig gegen das Beifahrerfenster, und ich erschrecke mich fast zu Tode. In meinem Sitz zusammengekauert äuge ich ängstlich durch das Fenster. Der Mann trägt eine Mütze, die auch den unteren Teil seines Gesichts bedeckt, und er hat die Kapuze seiner dicken Jacke aufgesetzt. Das Einzige, was ich sehen kann, sind seine blauen Augen, die mich fixieren.

Nun ja, sein Auge, Einzahl. Denn sein rechtes Auge ist von einer schwarzen Augenklappe verdeckt.

Oh Gott. Dieser Kerl sieht wirklich zum Fürchten aus. Und ich bin hier, ganz allein in einem Auto im Nirgendwo. Warum bin ich nur auf die Idee mit der verdammten Hupe gekommen?

Er pocht wieder gegen das Fenster, diesmal nachdrücklicher. Ich kann kaum hören, wie er ruft: »Ist alles in Ordnung mit Ihnen da drinnen?«

Dieses Wesen – tja, es scheint sich um einen Mann zu handeln, nicht um Big Foot, aber so ganz sicher bin ich mir da immer noch nicht – ist hier, um mich zu retten. Aber ich habe das schreckliche Gefühl, dass ich danach womöglich vor ihm gerettet werden muss.

»Hey!«, ruft er wieder. »Können Sie mich hören?«

Was soll ich tun? Ich kann nicht in diesem Auto bleiben und erfrieren. Ich brauche mir nichts vorzumachen – Chase wird niemals Hilfe finden. Doch ich habe kein gutes Gefühl bei diesem Mann. Die Augenklappe macht mich leicht panisch. Ich habe früher mal so eine Gruselgeschichte gehört, und sie ging für das Mädchen im Auto nicht gut aus.

Der Mann richtet sich auf und bedeutet mir mit Handbewegungen, dass ich das Fenster öffnen soll. Ich bin hin- und hergerissen. Falls er mir etwas antun will, bin ich hier drin wenigstens halbwegs sicher. Aber ich werde sterben, wenn ich hierbleibe. Außerdem ist er möglicherweise die einzige Hoffnung, die Chase noch bleibt, wenn der sich dort draußen irgendwo im Schnee verlaufen hat.

Ich lasse das Fenster ein paar Zentimeter runter, und der Wind fegt mir sofort ins Gesicht. Der Mann mustert mich.

»Stecken Sie fest?«, fragt er.

Ich nicke. »Können Sie mein Auto abschleppen?«

Das ist ein absolut genialer Plan. Wenn er das Auto abschleppt, kann ich hier drin bleiben, ohne von einem Yeti vergewaltigt zu werden.

Der Mann schüttelt schnell den Kopf. »Nein, das wird nicht gehen. Aber mein Haus befindet sich gleich die Straße runter. Sie können dortbleiben, bis der Sturm vorbei ist.«

Ich kaue nervös auf meiner Unterlippe herum. Trotz seiner massigen Gestalt und der unheimlichen Augenklappe ist seine Stimme nicht beängstigend. Weder knurrt noch zischt er. Er klingt wie ein ganz normaler Kerl. Nicht wie ein Mann, der mich in Stücke hacken und an seinen Hund verfüttern will. Allerdings …

»Mein Freund«, krächze ich. Na ja, jetzt ist er mein Ex-Freund, aber ich muss mein Liebesleben ja nicht vor diesem Fremden ausbreiten. »Er … er ist losgegangen, um Hilfe zu holen. Wir müssen ihn finden.«

Der Mann reißt sein Auge auf. »Wie lange ist er schon weg?«

»Seit … etwa vierzig Minuten?«

»Scheiße«, flucht er. Er richtet sich auf und starrt in die Dunkelheit hinter mir. »Ja, okay. Wir können nach ihm suchen.«

Ich stoße einen Seufzer der Erleichterung aus. Wir werden Chase finden. Und wenn wir das getan haben, werde ich vor diesem Wilden sicher sein. Chase mag nicht mehr mein Freund sein, aber er wird nicht zulassen, dass mir dieser Kerl was antut. Alles wird gut.

Ich entriegele die Tür, und der Mann zieht sie für mich auf. Die Kälte sticht mir in die unbedeckten Ohren, und ich kann einen schmerzerfüllten Laut nicht unterdrücken. Gott, ist das kalt!

»Wo ist Ihre Mütze?«, fragt mich der Mann. Jetzt, wo ich neben ihm stehe, merke ich, dass er nicht ganz so groß ist, wie ich erst dachte. Vielleicht ein Meter neunzig, aber nicht zweieinhalb Meter, wie ich anfangs geschätzt hatte.

»Ich hab keine Mütze.«

Er schaut mich an, als ob ich zwei Köpfe hätte. »Sie kommen hier mitten im Februar ohne Mütze her?«

»Ich hatte eine, aber die hab ich meinem Freund gegeben.«

»Und wo ist dann seine Mütze?«

»Er hatte keine dabei.«

Der Kerl verdreht die Augen. Na ja, das Auge. Er fummelt an seinem Kragen herum und zieht schließlich einen dicken, schwarzen Schal unter seiner Jacke hervor. Er ist gigantisch – ich könnte sicher problemlos meinen gesamten Körper damit umwickeln. »Nein, ist schon in Ordnung …«, protestiere ich.

»Nimm ihn einfach, Prinzessin«, knurrt er mich an. »Anziehen. Ich hab keine Zeit zu streiten.«

Ich atme scharf ein. Prinzessin? Was soll das denn bitte? Nur weil ich ohne Mütze und Schal in einem Blizzard unterwegs bin? Und per Du sind wir jetzt auch?

Aber ich gehorche und wickele mir den Schal erst um den Kopf und die Ohren, und lege ihn mir dann um den Hals. Er ist dick und warm und riecht nach Kiefernzapfen.

»Mach den Kofferraum auf, wir nehmen dein Gepäck mit«, sagt er. »Dann müssen wir nachher nicht noch mal herkommen.«

Diesmal befolge ich seine Anweisung umgehend. Er stapft zum Kofferraum, während ich mich damit abmühe, die Autotür zu schließen. Mit gerunzelter Stirn starrt er auf meine Louis-Vuitton-Neverfull-Schultertasche in Braun mit rotem Futter und unsere Louis-Vuitton-Reisetasche aus der limitierten Edition. »Wie lange wolltet ihr hierbleiben?«

»Übers Wochenende.«

»Übers Wochenende?«

»Ich weiß, ist ganz schön viel«, murmele ich. »Ich kann meine Tasche nehmen, und wenn du die andere …«

Doch der Mann hört mir gar nicht zu. Er schultert beide Taschen und knallt die Kofferraumklappe zu. Chase konnte kaum eine der Taschen hochheben, aber dieser Kerl schafft das scheinbar mühelos. Er schnauft nicht mal. Nur der hohe Schnee behindert seinen Rückweg zum Pick-up etwas. Dort angekommen, wirft er beide Taschen auf die Ladefläche. Ich folge ihm und versuche, so gut wie möglich zu ignorieren, wie der schneidende Wind die Teile meines Gesichts einfriert, die nicht vom Schal bedeckt sind.

Der Pick-up ist keiner dieser glänzenden neuen, die man in der Stadt sieht. Er ist alt, und die Teile, die unter dem Schnee sichtbar sind, sind ziemlich rostig. Ein verbeulter, gelber Schneeschieber ist vorn am Fahrzeug befestigt – so ist er also zu mir durchgekommen. Als ich mich der Beifahrertür nähere, bemerke ich auch Schneeketten auf den Reifen. Der Mann ist definitiv auf diesen Sturm vorbereitet – viel besser als wir.

Der Motor läuft, und die Heizung ist eingeschaltet. Ich halte die Hände vor die Lüftungsschlitze der Heizung, und meine Finger kribbeln. Der Mann schiebt sich die Kapuze nach hinten vom Kopf, den unteren Teil seiner Skimütze lässt er aber an Ort und Stelle, sodass er aussieht, als ob er gleich eine Tankstelle ausrauben wird.

»Auch keine Handschuhe, was?«, bemerkt er.

»Ich wusste nicht, dass es einen Blizzard geben wird.«

Er schnaubt daraufhin nur. »Irgendeine Idee, in welche Richtung dein Freund gegangen ist?«

Ich zeige in die Ferne. »Da, wo wir hergekommen sind.«

Der Mann stößt einen langen Seufzer aus. »Okay. Dann schauen wir mal, ob wir ihn finden.«

Seiner Stimme kann man deutlich anhören, dass er nicht daran glaubt. Aber daran will ich nicht mal denken. Chase ist seit einer knappen Stunde zu Fuß unterwegs. Wie weit kann er da schon gekommen sein?

Selbst mit dem Schneeschieber vor der Haube quält sich der Pick-up nur mühsam durch den Schnee, der inzwischen sicher sechzig Zentimeter hoch ist. Der Mann fährt langsam und hat die linke Hand mit festem Griff um das Lenkrad gelegt.

»Ich heiße Natalie«, sage ich schließlich, um das unangenehme Schweigen zu brechen. Wahrscheinlich sollte ich nicht reden – da bin ich mir absolut sicher –, aber, wie Drew mich immer aufzieht, ich kann »verdammt noch mal einfach nicht die Klappe halten«, wenn Schweigen herrscht. Gesprächspausen zu füllen ist für mich fast schon ein Zwang.

»Jake«, brummt er.

»Wohnst du schon lange hier draußen?«, frage ich.

»Ja.«

»Nur du allein?« Ich hoffe, dass es eine Ehefrau gibt. Dass er nicht irgendein gruseliger Einsiedler ist, der in einer heruntergekommenen Hütte im Wald lebt, wo mich niemand je finden wird.

»Nur ich.«

Wundervoll.

»Stammst du aus Vermont oder …?«

Jake macht sich diesmal nicht die Mühe, mir zu antworten. Er fährt einfach weiter durch den Schneesturm, sein gesundes Auge konzentriert auf die Straße gerichtet. Ich sollte wahrscheinlich den Mund halten und ihn machen lassen.

Wir fahren an Dutzenden kahler Bäume vorbei, deren Äste dick mit Schnee bedeckt sind. Keine Fußspuren oder sonst irgendwas, das darauf hinweisen würde, dass Chase hier war. Jake hat sein Fernlicht an, aber die Sicht ist immer noch sehr schlecht. Wir fahren jetzt zehn Minuten – mittlerweile hätten wir doch bestimmt was von ihm entdecken müssen? Ist es möglich, dass wir an ihm vorbeigefahren sind? Könnte er irgendwo im Schnee liegen und langsam erfrieren?

»Ich sehe ihn nicht«, flüstere ich, und mein Hals fühlt sich wie zugeschnürt an.

Jake ist immer noch still. Er zieht den Teil seiner Mütze nach unten, der sein Gesicht verdeckt, und nun sehe ich, dass er einen dichten, struppigen Bart hat. Ich frage mich, seit wann er hier draußen lebt. Wie oft trifft er wohl andere Leute? Wahrscheinlich nicht oft.

»Wir suchen weiter«, sagt er schließlich.

»Aber …« Tränen steigen mir in die Augen. Chase hatte nie eine Chance, es zurück in die Zivilisation zu schaffen – ich habe im Auto gesessen und ihn einfach in sein Verderben rennen lassen. Wenn wir ihn jetzt nicht finden, wird er garantiert sterben, und daran bin ich schuld. Er mag nicht der beste Partner gewesen sein, aber den Tod hat er sicher nicht verdient. »Er könnte überall sein.«

»Wir suchen, bis wir ihn finden«, antwortet Jake ruppig.

Nur … wie lange wird das dauern? Jakes Tank ist zumindest mehr als halb voll, doch auch der wird nicht ewig reichen. Wir können nicht die ganze Nacht herumfahren und suchen. Und es ist so dunkel – selbst mit den Lichtkegeln, die seine Scheinwerfer auf die Straße werfen. Ich kann nicht einmal …

Moment …

Ich sehe etwas Rotes.

»Stopp!«, rufe ich.

Der Pick-up kommt schlitternd zum Halten. Jake lehnt sich über das Armaturenbrett und späht in die Richtung, in die meine ausgestreckte Hand zeigt. Da ist ein bisschen Rot im Schnee, rot wie der Schal, den ich Chase geliehen habe. Das ist er! Chase hat sich an einem Baum zusammengekauert, den Kopf auf die angezogenen Knie gelegt.

»Das ist er!«, keuche ich.

Jake nickt. »Bleib hier.«

Ich umklammere mit den Fingern meine Knie, während Jake seine Kapuze wieder hochzieht und die Fahrerkabine verlässt. Seine Füße sinken bei jedem Schritt tief in den Schnee ein. Für die kurze Strecke bis zu Chase braucht er sicher doppelt so lang, wie normalerweise nötig wäre. Jake geht neben ihm in die Hocke und legt meinem Freund eine Hand auf die Schulter. Ich sehe nicht, ob er versucht, mit Chase zu reden, denn der rührt sich nicht.

Einen Augenblick später hebt Jake ihn einfach hoch und trägt ihn zurück zum Auto.

Wie zum … Chase ist sicher nicht dick, aber er ist auch kein Leichtgewicht. Jake muss unglaublich stark sein. So viel zu meiner Idee, dass mich Chase vor diesem Kerl beschützen könnte.

Jake reißt die hintere Tür des Pick-ups auf und legt Chase auf den Rücksitz. Jetzt, wo er im Auto ist, kann ich meinen Freund von Nahem betrachten, und er sieht nicht gut aus. Er zittert heftig, seine Haut ist aschfahl. Seine Augen sind nur einen winzigen Schlitz geöffnet.

»Chase?«, flüstere ich.

Er murmelt irgendetwas Unverständliches.

»Unterkühlung«, meint Jake, als er zurück auf den Fahrersitz gleitet. »Wir müssen ihn ins Warme bringen.«

Chase schlottert und stöhnt leise.

»Wir müssen ihn ins Krankenhaus bringen!«

Jake schüttelt den Kopf. »Das nächste Krankenhaus ist mehr als fünfzehn Kilometer entfernt.«

»Und?«

Er wirft mir einen finsteren Blick zu. »Wir könnten schon froh sein, wenn wir es überhaupt bis zur Hauptstraße schaffen.«

»Aber …« Meine Kehle ist schmerzhaft zugeschnürt. »Was, wenn er stirbt?«

»Hör mir zu.« Jake blickt mir fest in die Augen. »Wenn wir versuchen, ihn ins Krankenhaus zu bringen, sterben wir alle. Ich wohne direkt die Straße runter. Wir wärmen ihn dort wieder auf.«

Erst will ich erneut protestieren, aber Jake scheint – anders als Chase – zu wissen, wovon er spricht. Wir fahren zu Jake nach Hause, ob mir das nun passt oder nicht. Jetzt sind wir ihm beide ausgeliefert.

Liebe, Eis und Schnee

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