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Brückenangebote brauchen Gestaltungsspielräume

Dagmar Voith

Wie Simon Zysset in seinem Beitrag aufzeigt, hat sich die Landschaft am Übergang von der Volksschule in die Arbeitswelt in den letzten Jahren stark gewandelt, sodass die berufliche Integration für viele Jugendliche schwieriger geworden ist. Dieser Trend scheint sich fortzusetzen, obgleich schon verschiedene Maßnahmen dagegen eingeleitet wurden. Besonders in urbanen Kantonen ist die Vielfalt der Angebote groß und wird auch von vielen Jugendlichen genutzt. In letzter Zeit wurden in den meisten Kantonen Anstrengungen unternommen, die Angebote besser zu koordinieren und zu steuern.

Die pragmatische Angebotsentwicklung und -vielfalt an der Nahtstelle I hat dazu geführt, dass sich Partikularinteressen gegenwärtig gut Gehör verschaffen können. Wenn verschiedene Angebote bei unterschiedlichen Trägern angesiedelt sind und keine Koordination besteht, kann dabei der Gesamtblick verloren gehen. Erforderlich ist daher eine klare Strategie der Kantone, die sich über Partikularinteressen hinwegsetzt, um Angebote bedarfsgerecht aufeinander abzustimmen.

Dabei gilt es, die spezifischen Bedingungen von Brückenangeboten zu berücksichtigen. Auch wenn die Zielgruppen dieser Angebote auf den ersten Blick sehr klar scheinen, ergeben sich in der Praxis häufig Verschiebungen von Zielgruppen, weil sich der Unterstützungsbedarf der Jugendlichen während einer Maßnahme ändern kann (zum Beispiel wenn sich klare Berufswünsche letztlich doch als unrealistisch erweisen). Von trennscharfen Angebotstypen ist daher nicht auszugehen. Dazu kommt, dass es nicht nur an den schulischen Leistungen oder zu engen Berufswünschen liegt, wenn Jugendliche keine Anschlusslösung finden. Ebenso kann es an der fehlenden Passung mit zur Verfügung stehenden Lehrstellen liegen oder an nicht gefestigten sogenannten überfachlichen Kompetenzen wie Selbstverantwortung, Durchhaltevermögen, Frustrationstoleranz usw. Da Brückenangebote im Kern meist darauf ausgerichtet sind, solche Kompetenzen zu erweitern, verstehen sie sich in der Regel auch nicht als allgemeine, sondern als spezifische Angebote, die Jugendliche möglichst individuell begleiten, stärken und fördern sowie Defizite individuell ausgleichen wollen. Weil Brückenangebote sich nicht an allgemeinen Lehrplänen orientieren müssen (wie zum Beispiel die Volksschule), haben sie viel Freiraum, ihr Angebot bedarfsgerecht zu gestalten. Dies hat dazu geführt, dass in Brückenangeboten neue und individualisierende Unterrichtsformen erfolgreich angewandt werden, die den hohen Ansprüchen einer individuellen Begleitung gerecht werden können. Dies muss auch weiterhin gewährleistet werden.

Der Kernauftrag der Brückenangebote besteht darin, Jugendliche, die bereits viele schwierige Schul- und/oder Berufsfindungsprozesse durchgemacht haben, an eine für sie geeignete Anschlusslösung heranzuführen. Ein hohes Engagement der Fachpersonen ist für den Erfolg von Zwischenlösungen unabdingbar, denn die Arbeit an der Schnittstelle wird von Politik, Wirtschaft und meist auch von den Beteiligten selbst als sehr anspruchsvoll beurteilt. Sie werden häufig konfrontiert mit schwierigen Situationen der Lernenden, zugleich scheinen die Anforderungen der Berufswelt weiter zu steigen. Lehrpersonen, die sich auf diese anspruchsvolle Aufgabe einlassen, empfinden diese in der Regel als motivierend. Der Ansporn kann sich jedoch schnell in ein Gefühl von »quälendem« Stress verwandeln, zum Beispiel wenn der bildungspolitische Druck so groß wird, dass die Qualität der Arbeit ausschließlich an der Vermittlungsquote gemessen wird. Da sich, abgesehen von dieser Quote, wenig anderes messen lässt, außerdem die bildungspolitischen Ziele – die Simon Zysset in seinem Artikel beschreibt – den Fokus stark auf die Nahtstelle I lenken, ist der Druck auf die Brückenangebote gegenwärtig enorm. Das kann für Lehrpersonen, die sich mit großem Engagement für die Anliegen von wenig privilegierten Jugendlichen einsetzen, eine sehr hohe Belastung sein. Hier gilt es, Sorge zu tragen, dass Lehrpersonen (und im weiteren Sinn auch die Schulen selbst) sich vom Anspruch abgrenzen, die Verantwortung für den Erfolg der einzelnen Jugendlichen allein zu tragen. Die oft spürbare Ambivalenz im Zusammenhang mit Brückenangeboten wirkt sich auch auf das Selbstverständnis von Lehr- und Beratungspersonen aus. Häufig reagieren sie defensiv, wenn »Außenstehende« ihre Arbeit in den Fokus nehmen.

Weil das Hilfssystem an dieser Nahtstelle in den letzten Jahren stetig ausgebaut wurde, stellt zudem die Koordination eine komplexe Aufgabe dar und verlangt von den Beteiligten ein hohes Maß an Souveränität und Flexibilität. Die große Herausforderung für Lehrpersonen der Brückenangebote liegt darin, sich ständig flexibel und bedarfsgerecht auszurichten und in jedem Schuljahr die Beziehung zu den Jugendlichen von Grund auf neu aufzubauen, sodass eine individuelle und zielführende Begleitung möglich ist.

Damit Brückenangebote sich kontinuierlich weiterentwickeln, agil bleiben und sich effektiv und bedarfsgerecht auf die Jugendlichen einlassen können, sind geeignete Rahmenbedingungen und das Vertrauen sowie der Rückhalt der zuständigen staatlichen Stellen erforderlich.

Wer hilft mir, was zu werden?

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