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Aelius Aristides, ein griechischer Rhetor, geboren zur Zeit Kaiser Hadrians, versuchte seine Krankheit dadurch zu heilen, dass er auf Äskulap, dem Gott der Heilkunst, geweihtem Boden schlief und den Einsagungen seiner Träume folgte. Aristides, der mit 26 Jahren erkrankte, lebte jahrelang unter den Tempelschläfer:innen im Äskulaptempel in Pergamon. Die Kranken warteten dort auf göttliche Weisungen, die sich ihnen im Schlaf offenbarten, und folgten ihnen, wenn sie erwachten. Heute schlafen wir in heiligen Stätten, deren Götter wir vergessen haben, mit Statistik als unserer heimlichen Mystik.

Unser Jahrhundert glänzt mit der Erzeugung von Alpträumen und versagt bei der Deutung von Träumen. Im Schlaf breche ich zusammen mit einem Onkologen, der meinen Kleidungsstil lobte, bei Whole Foods am Lake Merritt in Oakland ein. Oder Madonna besucht zwei meiner Seminare mit nackten Brüsten. Ich habe in einem Dorf zu tun und schleppe zu viel Ausrüstung mit, Prominente sind da, aber ich erinnere mich nicht, wer. Ich gerate in eine Diskussion über Gott und die Welt und ein Mann, mit dem ich diskutiere, schickt mir eine Nachricht: »Ich rätsele noch, aus welchem Zentrum du kommst.«

Jemand mit frischer Diagnose und Internetzugang wird zum:zur Informationstempelschläfer:in. Prognosen suchen uns heim wie ein niederer Gott. Wir verbringen den Tag in den Abgrund des Bildschirms starrend, die schiere Menge beklemmt, versuchen durch die Stäbe aus Diagrammen zu atmen, den Kopf voll mit Stichprobenumfang und Überlebenskurven, die Augen schwer, der Körper ehrfürchtig vor der Mathematik.

Der frisch gelegte Chemoport schmerzt. Die Schwestern erzählen mir, wenn man jung ist, schmerzen Chemoports mehr. Sie erzählen mir, dass alles an Krebs, wenn man jung ist, scheinbar mehr schmerzt. Ich widerstehe Baden und Körperpflege, höre auf, mich frei zu bewegen. An die anderen Körperteile denke ich nicht, daran, zu was sie weiterhin fähig sind, denn der eine, der schmerzt, blendet die anderen aus dem Bewusstsein aus. Jemand schickt mir einen Link zu einem Krebsheilmittel aus Backsoda. Eine ehemalige Studentin fragt mich per E-Mail, ob ich Saftfasten kenne.

Aelius Aristides schreibt sein Buch über die ihm von Äskulap gesandten Träume, Hieroi Logoi, in den frühen 170er-Jahren, viele Jahre nach seiner Erkrankung und während der bangen späten Regierungszeit Marc Aurels.2 Äskulap war, heißt es, der Sohn einer Sterblichen und Appollons, der von einem Zentaur aufgezogen und in der Heilkunst unterrichtet wurde. In einer Version der Geschichte ist Äskulap ein so erfolgreicher Arzt, dass Hades ihn aus Angst vor einer leeren Unterwelt töten lässt. Hieroi Logoi ist aber nicht nur ein Protokoll seiner Orakelträume, sondern auch ein autobiografischer Bericht darüber, was es heißt, einen Körper zu haben, an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit. Heilige Träumer:innen trugen Papyrus in den Inkubationsraum: Römer:innen, scheint es, hatten Träume, um sie aufschreiben zu können. Aristides gibt an, in seinem Traumtagebuch, das ihm als Rohmaterial für sein Buch dient, über 300.000 Zeilen aufgezeichnet zu haben. Gelehrte nennen das Tagebuch, das wir nie werden lesen können, später »die verworfene Art«, eine Geschichte zu erzählen.3

Auch das Tibetische Totenbuch enthält Weisungen, wie man Träume als prognostische Botschaften deuten kann. Seine Autor:innen prophezeien den Tod, wenn man träumt, von Krähen oder gepeinigten Geistern umgeben zu sein, von einer Horde Toter mitgeschleift zu werden, nackt zu sein mit abgeschnittenem Haar. Durch die Krebsbehandlung bin ich oft halb nackt und ohne Haar. Auf PubMed suche ich unterdessen nach Indizien für meine verbleibende Lebenszeit, und je mehr ich lese, desto mehr überkommt mich die Angst, irgendwo unterwegs zu sterben, während einer dieser teuren und teuflischen Therapien, dann wechseln sich über Stunden Statistiken mit Online-Shopping und Perückenrezensionen ab – alles unbefriedigend. Ich stelle mir Unmengen künstliches Zeug an mir vor, dann Unmengen anderes künstliches Zeug in mir, dann Unmengen mir noch bevorstehendes künstliches Zeug, dann weitere Unmengen künstliches Zeug, das sich bildet, dann wieder andere Unmengen künstliches Zeug, das sich zurückbildet.

Der griechische Arzt Galen schrieb, Aristides habe zu jenem seltenen Typ Mensch gehört, der eine starke Seele, aber einen schwachen Körper hat. Aristides schrieb, lehrte und redete weiter, noch als »sein ganzer Körper dahinsiechte«4. Ich google meine Krankheit und fühle mich allein in der Surrealität ihrer ungeheuren Erzeugungskraft. Obwohl es zur Stärke meiner Seele keine Meinungen gibt, bin ich ein normaler Typ Mensch, was heißt, dass ich meinen Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen muss. Also schreibe, lehre und rede auch ich weiter, als ich krank bin. In den kurzen Pausen, die meine To-do-Liste mir lässt, forsche ich verzweifelt dem Tod nach, der einen Studie, die mir sagt, dass ich leben werde. Ich habe einen hyperrealistischen Todestraum, weiß aber, dass ich seinen Weisungen nicht folgen darf. Ich wache auf und suche nach der Ausnahme für meinen sterblichen Körper. Ich lese die Ergebnisse eines Prognoserechners, LifeMath5, schlafe wieder ein, träume vom Tod in seinen Kurven.

An dem Tag, als ich ihn bemerkte, schrieb ich an der Geschichte, an der ich immer schrieb, darüber, wie wir wieder zusammen waren und es nicht sein sollten und ich hoffte, wir könnten bald damit aufhören. Wir waren nicht glücklich. Wir konnten nie zusammen sein, ohne ins Bett zu gehen. Wir konnten nie miteinander ins Bett gehen und glücklich sein. Wir konnten nie glücklich sein, wenn wir nicht zusammen waren, und darum waren wir immer zusammen, traurig und im Bett. Wir kannten uns seit Jahren und unser Kennen hatte die Form eines strapazierfähigen Netzes aus Wir sollten nicht angenommen, in dem sich beiderseits extravagante Ausprägungen selbst zugefügten Leids verfingen.

Zuerst kam der Sex, dann der Befund, dann fuhren wir Rolltreppe zum Ticketschalter im Kino, dann telefonierte ich mit meiner Ärztin wegen eines Termins, dann schrieb ich in mein Tagebuch, dass ich hoffte, wir kämen endlich dem Punkt näher, an dem unser beider Gegenwart auf dieser Erde uns nicht mehr unglücklich macht. Ich schrieb nicht, dass wir ein Ding in meiner Brust gefunden hatten oder wie der Actionfilm hieß, den wir ansahen, nachdem wir das Bett verlassen hatten.

Meine Angst kam nicht vom Krebs, über den ich damals fast nichts wusste. Meine Angst kam aus einer Suchmaschine. Ich fürchtete mich vor dem, was Google ausspuckte, als ich »Knoten in der Brust« eingab, fürchtete mich vor der Krankheitskultur, die in Blogs und Foren florierte, fürchtete mich davor, wie Menschen zu Patient:innen gemacht wurden, mit Karteinummern und Unterschriften, mit Leiden, Neologismen und Zusprüchen. Mets. Foobs. NED.6 Ich fürchtete, am ersten Tag, um meinen Wortschatz.

Von all dem, was passiert war, notierte ich mit akribischer Vermeidung nur die Nebensächlichkeiten, die eine unternimmt, die sich aus einem Grund fürchtet, den sie unterschlägt: wie ich Wäsche wusch, den Boden wischte, Betten machte, mir schwor, über eine verfahrene Liebe wegzukommen; ich erzählte mir eine Geschichte, um eine andere nicht erzählen zu müssen.

Man sagt uns, Krebs sei ein Eindringling, der bekämpft werden muss, oder ein falscher Charakterzug oder ein überambitionierter Zelltyp oder eine Analogie auf den Kapitalismus oder ein Naturphänomen, mit dem man leben muss, oder ein Sachwalter des Todes. Man sagt uns, er sei in unserer DNA, oder man sagt uns, er sei in der Welt, oder man sagt uns, er siedle in einer verstrickten Mixtur aus Genen und Umwelt, die niemand dingfest machen kann oder will. Man gibt uns von allen Wahrscheinlichkeiten nur die lärmende Hälfte, die seine Ursachen in uns selbst sehen will, und nie die stille Seite, dass seine Quellen die von uns geteilte Welt durchdringen. Unsere Gene werden geprüft, unser Trinkwasser nicht. Unser Körper wird untersucht, aber nicht unsere Luft. Man sagt uns, er niste in den Verwirrungen unserer Gefühle, oder man sagt uns, er niste in den Zwangsläufigkeiten unseres Fleischs. Man sagt uns, es gebe einen Unterschied zwischen krank und gesund, zwischen akut und chronisch, zwischen leben und sterben. Die Krebsnachrichten erreichen uns über dieselben Bildschirme wie die Wahlnachrichten, in E-Mails, zeitgleich mit Einladungen zu LinkedIn. Die rigorosen Markierungen der Radiolog:innen sind dieselben wie die von Drohnenpilot:innen. Das Bildschirmleben von Krebs entspricht dem Bildschirmleben von jeglichem medial vermittelten globalen Terror und auch seiner Unwirklichkeit.

Krebs fühlt sich nicht wirklich an. Krebs fühlt sich an wie ein Alien, das unsere industriell-kapitalistische Gegenwart zum Kontakt treibt: mittel-astral, semi-sinnlich, ganz Entsetzen. Die Krebsbehandlung ist wie ein Traum, aus dem wir nur halb erwachen, um festzustellen, dass Halbschlaf ein weiteres Kapitel im Buch dieses Traums ist, eines Traums, der Zeugnis und Gefäß für Wachen und Schlafen ist, jegliche Freude und allen Schmerz, den unerträglichen Widersinn und mit ihm allen eruptierenden Sinn, jeder Moment des Traums zu unermesslich, ihn zu vergessen, und jede Erinnerung Amnesie.

Die Brustchirurgin sagte, der größte Risikofaktor für Brustkrebs sei es, Brüste zu haben. Sie wollte mir den Erstbefund der Biopsie nicht mitteilen, wenn ich allein käme. Meine Freundin Cara arbeitete für zehn Dollar die Stunde und konnte nicht freinehmen, ohne Geld zu verlieren, das sie zum Leben brauchte, also fuhr sie in ihrer Mittagspause raus zu der Vorortpraxis, damit ich meine Diagnose bekam. Wenn du nicht Kind oder Elternteil des- oder derjenigen oder mit ihm oder ihr verheiratet bist, gewährt das Gesetz in den USA niemandem, frei zu nehmen, um sich um dich zu kümmern.7 Wenn du außerhalb der Einfriedung namens Familie geliebt wirst, kümmert es das Gesetz nicht, wie sehr – selbst mit der gesamten nicht beurkundeten Liebe der Welt um dich musst du noch leben, als sei deine Pflege gestohlene Zeit. Als Cara und ich im oberlichthellen Beige des Sprechzimmers saßen und auf die Ärztin warteten, gab Cara mir das Springmesser, das sie in ihrem Portemonnaie trug, damit ich mich unter dem Tisch daran festhalten konnte. Was die Ärztin nach diesem bühnenhaften Vorspiel sagte, war, was wir schon wussten: Ich hatte mindestens einen Tumor, 3,8 Zentimeter groß, in meiner linken Brust. Ich gab Cara ein schweißklammes Messer zurück. Dann fuhr sie wieder zur Arbeit.

Den Rest des Befunds erhielt ich, nachdem ich von der Chirurgin zum Onkologen überwiesen worden war. In Siddhartha Mukherjees Der König aller Krankheiten. Krebs – eine Biografie ist es die Königin von Persien – Atossa –, die zur exemplarischen Brustkrebspatientin wird und aus dem Jahr 500 v. Chr. durch die Zeit reist auf der Suche nach Behandlungsmöglichkeiten. Bei diesem ersten Besuch beim Onkologen – auch mein erstes Mal in einem Wartezimmer voller Chemotherapiepatient:innen, keine:r davon königlich – erschien mir Mukherjees Gedankenexperiment einer fixen, zeitlosen, aristokratischen Leidenden, die austauschbare Medizinhistorien besucht, als anschauliches Sinnbild für die Unterlassungen unserer gegenwärtigen Krebskultur. Krebs ist keine in einem ahistorischen, sich in einer Kurve technologischen Fortschritts vorwärts bewegenden Körper verewigte Gleichförmigkeit.8 Kein:e Patient:in ist souverän, und alle Leidenden, die von der Krebstherapie wie die von den erschöpfenden Pflegeroutinen gezeichneten, sind auch von unseren historischen Umständen gezeichnet, die sich in einem spezifischen Geflecht sozialer und wirtschaftlicher Beziehungen zeigen.

Die Geschichte der Krankheiten ist nicht die Geschichte der Medizin – es ist die Geschichte der Welt –; und die Geschichte davon, einen Körper zu haben, könnte gut auch die Geschichte davon sein, was den meisten von uns im Interesse weniger zugemutet wird.

Auf einen gelben Zettel schrieb der Onkologe – der, den meine Freund:innen und ich später »Doktor Baby« nannten, weil er solche Ähnlichkeit mit einer Putte hatte – in kindlicher Schrift »hormonrezeptor-positiver Brustkrebs« und erklärte, dass es dafür zielgerichtete Therapien gibt, dann strich er es durch. Dann schrieb er »HER2-positiver Brustkrebs« und erklärte, dass es dafür zielgerichtete Therapien gibt, dann strich er es durch. Dann schrieb er »triple-negativ« und erklärte, dass es dafür keine zielgerichteten Therapien gibt. Er sagte, das sei der Krebs, den ich habe. Er sagte, der Tumor sei nekrotisch, was bedeute, er wachse so schnell, dass er es nicht schaffe, eine Infrastruktur für sich auszubilden. Er schrieb 85 % als Wachstumsrate des Tumors auf, und ich fragte ihn, was das bedeute. Er antwortete, »alles über 20 %« auf dem Ki-67-Index sei hochaggressiv.9 Dann sagte er »neoadjuvante Chemotherapie«, was bedeutete: »sofort«.10 Einer Lymphknotenpräparation oder Biopsie weiterer Bereiche, von denen die Ärzt:innen fürchteten, sie könnten befallen sein, stimmte ich nicht zu: Dieser eine sichere Tumor war Hiobsbotschaft genug und seine Behandlung würde so aggressiv sein, dass es keinen Sinn zu machen schien, durch einen schmerzhaften Eingriff zu erfahren, was noch da war.

Eine Sache, bei der Mukherjees Buch richtig liegt, ist: Falls die Brustkrebsdiagnose der persischen Königin Atossa triplenegativ und damit chemotherapieresistent lautete, »stehen ihre Chancen [heute] kaum besser«11 als vor 2500 Jahren. Keine Chemotherapie zu machen, hieße zu sterben, so Dr. Baby. Eine zu machen, dachte ich, hieße, sich zu fühlen, als würde man sterben, aber vielleicht zu leben, beziehungsweise eher an den Nebenwirkungen zu sterben als an der eigentlichen Krankheit, beziehungsweise am Ende knapp wiederhergestellt zu sein, aber nicht ganz. Auf dem Nachhauseweg stellte das Autoradio eine Frage, die zu beantworten mir die Kraft fehlte: Should I stay or should I go? Die Sender wechselnd, konnte ich auch kein Lied mit der Antwort finden. Das Bleiben oder Gehen kam nicht aus ohne das Bleiben in oder Gehen aus diesem Leben. Should I live or should I die? – Sollte ich leben oder sollte ich sterben? Aber nichts stellte sich so direkt. Sobald eine Patientin auf dem Untersuchungstisch liegt, hat sie ihr Leben auf eine Decke verkürzter Antworten gebettet, nur die Fragen sind nie hinreichend klar.

»Wohin wird mich diese Krankheit bringen?« ähnelt den Fragen von Detektiv:innen, Kunstsammler:innen, Grafolog:innen und all jenen, die irgendein nebensächliches, zufälliges Detail ins Zentrum einer Geschichte rücken.12 Verzauberung gibt es nur, wo die Dinge bei sich sind und keinem Zweck unterworfen. Darum verliert sich Verzauberung ab dem Moment, wo wir glauben, eine Sammlung von Zellen könne die Qualen vom nächsten Juni vorhersagen. Unter einer argwöhnischen Auslegung wird nichts je wieder so vollkommen, wie die Verzauberung es war, damals, als ausfallende Haare Zeugnisse der Schönheit der Köpfe waren, denen sie ausfielen, und nicht bald in wiederverschließbaren Beuteln verschwindende Beweise für ein Verbrechen.

Nach einer Krebsdiagnose wird nur sehr weniges je wieder es selbst sein. Die Schwestern geben mir einen Hochglanzordner mit dem Foto einer lächelnden grauhaarigen Frau auf dem Cover, Titel: Meine Onko-Reise, aber ich bin mir sicher, diese Reise kann nicht meine sein. Jeder Schritt führt nach Delphi und der Weg ist übersät mit Wahrsagereien, jede Wendung des Schicksals begleitet vom Es-könnte-noch-schlimmer-sein-Fluch, wobei das Schlimmste immer noch schlimmer ist. Und während der ganzen Zeit hören die Wahrsager:innen nicht auf, Prophezeiungen feilzubieten, und hören nicht auf, zu ihren Prophezeiungen exotische Garantien für oder gegen etwas oder falsche Gründe für ein Warum feilzubieten, die sich allesamt als Schichten von noch mehr Lügen auf Lügen schieben, die man in eine zunehmend abstoßendere und katastrophischere Wahrheit des Ich-kann-gar-nichts-wissen-also-warum-es-überhaupt-Versuchen stopft.

Und zugleich ist mit jedem Schritt jede Empfindung so spektakulär wie ein Tatort. Kein Detail ist zu klein, um nicht zu dem einen Beweisstück aufgebauscht zu werden, dass alles an der Welt falsch ist. Und jeder Tatort der Empfindung ist ein künftiger oder gleichzeitiger Tatort unzähliger weiterer Verbrechen, einige im Namen der Heilung, andere im Namen der Welt, wie sie ist, verübt, alle während der Ermittlung verübt, alle mehr Empfindungen auslösend und damit ein Spektakel, ein Massaker, eine Möglichkeit zur Interpretation, Schmerz auf Schmerz schichtend, Schicksal auf Schicksal, Lüge auf Lüge.

Heute eine Krebsdiagnose zu bekommen, ist kein Leben nach Ordnerfahrplan: Meine Onko-Reise ist eine Lüge. »Ein Gemälde«, schrieb John Cage, »ist nicht die Aufzeichnung dessen, was gesagt wurde, und der Antworten, sondern die dichte, auf den Moment konzentrierte Gegenwart eines nackten, sich selbst verdunkelnden Geschichtskörpers.«13 Heute Krebspatient:in zu sein heißt, auf den Moment konzentriert zu leben als dichte Gegenwart der Geschichte der Körper, nackt und sich selbst verdunkelnd zugleich.

Die Unsterblichen

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