Читать книгу Die großen Romane der Schwestern Brontë - Anne Bronte, Anne Brontë, The Bronte Sisters - Страница 21
Kapitel 14
ОглавлениеDer Gemeindepfarrer
Der folgende Tag war genauso schön wie der vorherige. Miss Matilda hatte sich kurz nach dem Frühstück zu ihren Lieblingsplätzen, den Höfen, Ställen und Hundezwingern, aufgemacht, nachdem sie völlig sinnlos ein paar Lektionen heruntergehaspelt und hingehudelt und eine Stunde lang aus Rache auf dem Klavier herumgehämmert hatte, voller Wut auf mich und das arme Klavier, weil ihre Mama ihr keinen freien Tag genehmigt hatte; und Miss Murray hatte sich in Begleitung eines neumodischen Romans auf einen stillen Spaziergang nach draußen begeben und mich im Schulzimmer zurückgelassen, wo ich emsig an einem Aquarell arbeitete, das zu malen ich ihr versprochen hatte und das auf ihren Wunsch hin unbedingt noch heute fertig werden sollte.
Zu meinen Füßen lag ein kleiner, struppiger Terrier. Er gehörte Miss Matilda, aber sie mochte das Tier nicht und hatte vor, es zu verkaufen, weil es angeblich verzogen war. Dabei war er ein äußerst gelungenes Exemplar seiner Gattung, aber sie behauptete, dass er zu nichts tauge und noch nicht einmal klug genug sei, die eigene Herrin zu kennen.
In Wirklichkeit hatte sie ihn als kleinen Welpen gekauft und anfangs darauf bestanden, dass niemand außer ihr in seine Nähe kam; aber bald schon war ihr das hilflose, störende Hundekind lästig geworden, und sie hatte nur zu gern meinen Bitten nachgegeben, es meiner Obhut zu überlassen, und da ich das kleine Geschöpf vom Welpenalter bis zu dem Zeitpunkt, als es ausgewachsen war, fürsorglich aufgezogen hatte, hatte ich auch seine Zuneigung gewonnen: ein Lohn, den ich sehr geschätzt und der all meine Mühe reichlich aufgewogen hätte, wenn die dankbaren Gefühle des armen Schnapp ihm nicht gar manches barsche Wort, gar manche gehässigen Tritte und Püffe von Seiten seiner Besitzerin eingetragen hätten und er nun deswegen nicht in Gefahr gewesen wäre, beseitigt oder an einen groben, hartherzigen Herrn weitergegeben zu werden. Aber wie konnte ich es verhindern? Ich konnte den Hund nicht durch eine grausame Behandlung dazu bringen, mich zu hassen, und sie wollte ihn nicht durch Freundlichkeit versöhnen.
Als ich jedoch so bei meiner Arbeit saß und den Pinsel eifrig auf- und abführte, kam Mrs. Murray in den Raum gestürmt.
»Miss Grey«, begann sie, »du liebe Güte! Wie können Sie nur an einem so schönen Tag an Ihrer Malerei sitzen?« (Sie dachte natürlich, ich würde das zu meinem eigenen Vergnügen tun.) »Ich frage mich wirklich, warum Sie nicht Ihre Haube aufsetzen und mit den jungen Damen ins Freie gehen.«
»Ich glaube, Miss Murray liest, Madam, und Miss Matilda spielt mit den Hunden.«
»Ich denke, wenn Sie sich ein wenig mehr bemühten, Miss Matilda zu unterhalten, hätte sie keinen Anlass, sich so häufig mit Hunden, Pferden und Stallknechten die Zeit zu vertreiben, und wenn Sie Miss Murray gegenüber etwas freundlicher und umgänglicher wären, würde sie nicht so oft mit einem Buch in der Hand durch die Felder wandern. Aber ich will Sie nicht verstimmen«, fügte sie hinzu, vermutlich weil sie sah, dass meine Wangen brannten und meine Hand vor zorniger Erregung zitterte. »Nun seien Sie doch nicht so empfindlich, man kann ja sonst überhaupt nicht mit Ihnen reden. Und sagen Sie mir, falls Sie es wissen, wohin Rosalie gegangen ist und warum sie so oft allein sein will.«
»Sie sagt, dass sie gern allein ist, wenn sie ein neues Buch hat.«
»Aber warum kann sie es nicht im Park oder im Garten lesen? Warum braucht sie dazu Felder und Feldwege? Und wie kommt es, dass dieser Mr. Hatfield sie so oft dabei ausfindig macht? Sie hat mir erzählt, er wäre letzte Woche die ganze Moss Lane im Schritt neben ihr hergeritten, und jetzt glaube ich auch, dass er es war, den ich vom Fenster meines Ankleideraums aus gesehen habe, wie er so rasch an den Parktoren vorbei und auf das Feld zugeschritten ist, wohin sie so oft geht. Ich wünschte, Sie würden nachsehen, ob sie dort ist, und sie sanft daran erinnern, dass es sich für eine junge Dame ihres Ranges und mit ihren Aussichten nicht schickt, so alleine umherzustreifen und sich den gefälligen Reden von jedem x-Beliebigen auszusetzen, der es sich herausnimmt, sie anzusprechen; wie ein armes, vernachlässigtes Mädchen, das keinen Park hat, um darin spazieren zu gehen, und keine Familie, die sich um sie kümmert. Und sagen Sie ihr, ihr Papa wäre wütend, wenn er wüsste, in welch vertraulichem Ton sie mit Mr. Hatfield umgeht, denn ich fürchte, das tut sie! Ach, wenn Sie – wenn eine Gouvernante nur halb so viel Wachsamkeit besäße wie eine Mutter – nur halb so viel bange Sorge, dann blieben mir diese Unannehmlichkeiten erspart, und Sie würden sofort die Notwendigkeit erkennen, ein Auge auf sie zu haben und ihr Ihre Gesellschaft angenehm – ja, gehen Sie, gehen Sie, es ist keine Zeit zu verlieren«, rief sie, als sie sah, dass ich meine Malutensilien zusammengepackt hatte und in der Tür auf das Ende ihrer Ansprache wartete.
Wie sie es vorausgesagt hatte, traf ich Miss Murray in ihrem Lieblingsfeld außerhalb des Parks – und leider nicht allein, denn neben ihr schlenderte gemächlich die große, stattliche Gestalt von Mr. Hatfield.
Das brachte mich in eine schwierige Situation. Es war meine Pflicht, das Tête-à-tête zu unterbrechen: Aber wie sollte ich das anfangen? Mr. Hatfield würde sich nicht von einer so unbedeutenden Person wie mir vertreiben lassen, und mich auf der anderen Seite von Miss Murray zu postieren und meine unwillkommene Gegenwart aufzudrängen, ohne ihren Begleiter zu registrieren, war eine Unhöflichkeit, die ich nicht übers Herz brachte; auch hatte ich nicht den Mut, ihr über das Feld hinweg laut zuzurufen, dass man woanders nach ihr verlangte. Also wählte ich den Mittelweg und ging langsam, doch ohne Zögern auf sie zu, mit der Absicht, falls mein Näherkommen den Galan nicht in die Flucht schlagen würde, vorbeizugehen und Miss Murray zu sagen, dass ihre Mutter sie sehen wolle.
Sie sah wirklich bezaubernd aus, als sie so unter den knospenden Rosskastanienbäumen dahinschlenderte, deren lange Äste über die Parkumzäunung reichten, in einer Hand ihr geschlossenes Buch, in der anderen einen Myrtenzweig, der ihr als hübsches Spielzeug diente. Ihre glänzenden Locken drangen üppig unter der kleinen Haube hervor und, belebt von dem leichten Wind, glühten ihre Wangen vor befriedigter Eitelkeit, und ihre lächelnden blauen Augen blickten bald scheu auf ihren Anbeter, bald senkten sie sich auf ihren Myrtenzweig. Doch Schnapp, der vor mir herlief, unterbrach sie mitten in einer halb schnippischen, halb ausgelassenen Antwort, indem er ihr Kleid zu fassen bekam und heftig daran zerrte, bis Mr. Hatfield ihm mit seinem Spazierstock einen derben Schlag über den Schädel gab und er aufjaulend mit jämmerlichem Geheul zu mir zurücklief, was dem ehrwürdigen Gentleman großes Vergnügen bereitete. Aber da ich nun schon einmal in der Nähe war, glaubte er wohl, sich ebenso gut verabschieden zu können; denn als ich niederkniete und den Hund mit demonstrativem Mitleid streichelte, um mein Missfallen ob seiner Grobheit zu bekunden, hörte ich ihn sagen:
»Wann sehe ich Sie wieder, Miss Murray?«
»In der Kirche, denke ich«, antwortete sie, »es sei denn, Ihre Pflichten bringen es zufällig mit sich, dass Sie wieder in genau dem Augenblick hier vorbeikommen, wenn ich gerade spazieren gehe.«
»Ich könnte es immer so einrichten, dass ich hier etwas erledigen muss, wenn ich genau weiß, wann und wo ich Sie finde.«
»Aber auch wenn ich wollte, könnte ich Ihnen das nicht sagen; denn ich bin immer so inkonsequent, dass ich nicht schon heute sagen kann, was ich morgen tue.«
»Dann schenken Sie mir inzwischen dies zum Trost«, sagte er halb scherzend, halb im Ernst und streckte seine Hand nach dem Myrtenzweig aus.
»Nein, das tu ich nicht.«
»Bitte! Ich werde der unglücklichste Mensch auf Erden sein, wenn Sie es nicht tun. Sie können nicht so grausam sein und mir einen Wunsch abschlagen, der so leicht zu gewähren ist und dennoch so hoch geschätzt wird«, flehte er so eindringlich, als hinge sein Leben davon ab.
Mittlerweile war ich ein paar Meter entfernt stehengeblieben und wartete ungeduldig darauf, dass er sich entfernte.
»Also gut. Nehmen Sie ihn und gehen Sie«, sagte Rosalie.
Freudig nahm er die Gabe entgegen, murmelte etwas, worauf sie errötete und den Kopf schüttelte, aber mit einem kleinen Lachen, das verriet, dass ihr Unwille nur gespielt war; dann zog er sich mit einem höflichen Gruß zurück.
»Haben Sie jemals solch einen Mann gesehen, Miss Grey?«, fragte sie und wandte sich an mich; »ich bin ja so froh, dass Sie gekommen sind! Ich habe schon gedacht, ich würde ihn nie mehr los, und hatte schreckliche Angst, Papa könnte ihn sehen.«
»War er lange mit Ihnen zusammen?«
»Nein, nicht lange, aber er ist so furchtbar aufdringlich, und immer lungert er hier herum und behauptet, dass irgendwelche Erledigungen oder seine geistlichen Pflichten seine Anwesenheit in dieser Gegend erfordern; dabei hält er nur nach mir Ausschau und stürzt sich auf mich, wenn er mich irgendwo sieht.«
»Nun, Ihre Mama meint, Sie sollten den Park oder Garten nicht verlassen, ohne dass eine besonnene, gesetzte Person wie ich Sie begleitet und alle zudringlichen Leute fernhält. Sie hat Mr. Hatfield an den Parktoren vorbeieilen sehen und mich sofort mit dem Auftrag losgeschickt, nach Ihnen zu suchen und auf Sie aufzupassen und Sie anzuweisen –«
»Ach, Mama ist so schrecklich spießig! Als ob ich nicht auf mich selbst aufpassen könnte. Sie hat mich schon vorher mit Mr. Hatfield geplagt, und ich habe ihr gesagt, sie könne sich auf mich verlassen: Auch wegen des schönsten Mannes unter der Sonne würde ich nie meinen Rang und meine Stellung vergessen. Ich wünschte, er würde morgen vor mir niederknien und mich anflehen, seine Frau zu werden, damit ich ihr beweisen könnte, wie sehr sie sich täuscht, wenn sie glaubt, dass ich je – ach, es regt mich wirklich auf! Anzunehmen, ich könnte so närrisch sein, mich zu verlieben! So etwas ist doch unter der Würde einer Frau. Liebe! Ich verabscheue das Wort! Auf jemanden unseres Geschlechts angewendet, halte ich es geradezu für eine Beleidigung. Eine Vorliebe würde ich vielleicht zugeben, aber niemals für jemanden wie den armen Mr. Hatfield, der noch nicht einmal auf siebenhundert im Jahr kommt. Ich unterhalte mich gern mit ihm, weil er so klug und amüsant ist – ich wollte, Sir Thomas wäre nur halb so nett; außerdem brauche ich einfach irgendjemanden, mit dem ich flirten kann, und keinem außer ihm fällt es ein hierherzukommen. Und wenn wir ausgehen, will mich Mama nur mit Sir Thomas flirten lassen – wenn er da ist; und wenn er nicht da ist, werden mir praktisch Hände und Füße gebunden, aus Angst, jemand könnte hingehen und eine übertriebene Geschichte erfinden und ihm erzählen, dass ich mit einem anderen verlobt wäre oder mich verloben würde; oder, was wahrscheinlicher ist, aus Angst, seine ekelhafte alte Mutter könnte etwas von meinem Tun sehen oder hören und daraus schließen, ich wäre nicht die geeignete Frau für ihren phantastischen Sohn; als ob dieser Sohn nicht der größte Halunke der Christenheit und nicht jede Frau mit natürlichem Anstand viel zu gut für ihn wäre.«
»Ist das wirklich so, Miss Murray? Und weiß Ihre Mama das und möchte trotzdem, dass Sie ihn heiraten?«
»Selbstverständlich weiß sie das. Ich glaube, sie weiß noch mehr Schlechtes über ihn als ich, aber sie verbirgt es vor mir, um mich nicht abzuschrecken; sie weiß gar nicht, wie wenig mir so etwas ausmacht. Denn es ist ja wirklich nicht von Bedeutung: Wenn er erst verheiratet ist, wird er sich schon benehmen, sagt Mama, und bekehrte Wüstlinge geben die besten Ehemänner ab, das weiß schließlich jeder. Wenn er nur nicht so hässlich wäre – das ist das Einzige, woran ich immer denken muss, aber hier auf dem Land gibt es eben keine Auswahl, und Papa erlaubt nicht, dass wir nach London gehen –«
»Aber ich glaube, da wäre Mr. Hatfield weitaus besser.«
»Das wäre er auch, wenn er der Lord von Ashby Park wäre, daran gibt es keinen Zweifel. Aber ich muss Ashby Park einfach haben, egal, wer es mit mir teilt.«
»Aber Mr. Hatfield denkt nun die ganze Zeit, dass Sie ihn mögen. Sie haben nicht bedacht, wie bitter enttäuscht er sein wird, wenn er merkt, dass er sich getäuscht hat.«
»Nein, allerdings! Das ist die gerechte Strafe für seine Anmaßung, dafür, dass er überhaupt gewagt hat anzunehmen, ich könnte ihn mögen. Nichts wird mir lieber sein, als ihm den Schleier von den Augen zu reißen.«
»Dann tun Sie es so schnell wie möglich.«
»O nein. Ich sage Ihnen ja, dass ich gern mit ihm zu tun habe. Außerdem glaubt er nicht wirklich, dass ich ihn mag. Da passe ich gut auf, Sie wissen gar nicht, wie schlau ich vorgehe. Er maßt sich vielleicht an zu glauben, er könne mich dazu bewegen, ihn zu mögen; und dafür werde ich ihn bestrafen, wie er es verdient.«
»Dann denken Sie daran, ihm nicht zu viel Grund für diese Annahme zu geben – das ist alles«, antwortete ich.
Aber alle meine Vorhaltungen waren umsonst: Sie bewirkten nur, dass sie noch mehr darauf bedacht war, ihre Wünsche und Gedanken vor mir zu verheimlichen. Sie sprach nie mehr mit mir über den Pfarrer, aber ich merkte, dass sie in Gedanken, wenn nicht mit dem Herzen, noch immer an ihm hing und erpicht darauf war, ihn ein weiteres Mal zu treffen. Denn obwohl ich nun gemäß dem Wunsch ihrer Mutter eine Zeitlang als Begleiterin auf ihren Spaziergängen fungierte, fuhr sie fort, die Felder und Wege zu benutzen, die der Straße am nächsten lagen, und ob sie sich mit mir unterhielt oder in dem Buch las, das sie in der Hand hatte – ständig blieb sie stehen, um sich umzusehen oder die Straße entlangzublicken, ob nicht jemand käme; kam dann wirklich ein Reiter vorbeigetrabt, erkannte ich schon an der Art, wie sie diesen, egal wer es war, zu Unrecht abkanzelte, dass sie etwas gegen ihn hatte, bloß weil er nicht Mr. Hatfield war.
»Bestimmt ist er ihr nicht so gleichgültig, wie sie selbst glaubt oder andere glauben machen möchte, und die Besorgnis ihrer Mutter ist nicht so unbegründet, wie sie behauptet«, dachte ich.
Es vergingen drei Tage, ohne dass er erschien. Am Nachmittag des vierten, als wir am Zaun des Parks entlang durch das bereits erwähnte Feld gingen, beide mit einem Buch ausgestattet – denn ich achtete immer darauf, etwas bei mir zu haben, womit ich mich beschäftigen konnte, falls sie keinen Wert auf meine Unterhaltung legte –, unterbrach sie mich plötzlich in meiner Lektüre und rief:
»Ach, Miss Grey! Seien Sie doch so nett und besuchen Sie Mark Wood. Geben Sie seiner Frau eine halbe Krone von mir – ich wollte sie schon vor einer Woche vorbeibringen oder schicken, habe es aber ganz vergessen. Hier!«, sagte sie hastig und warf mir ihre Geldbörse zu. »Halten Sie sich nicht damit auf, das Geld herauszunehmen, nehmen Sie einfach die Börse und geben Sie ihnen so viel, wie Sie für richtig halten. Ich würde ja mit Ihnen gehen, aber ich möchte gern diesen Band zu Ende lesen. Ich treffe Sie dann, wenn ich damit fertig bin. Beeilen Sie sich, ja? Ach, warten Sie, sollten Sie ihm nicht etwas vorlesen? Laufen Sie ins Haus und holen Sie ein gutes Buch. Irgendeines.«
Ich tat, wie mir befohlen; da ich aber aufgrund ihres hastigen Verhaltens und der Plötzlichkeit ihrer Bitte Verdacht geschöpft hatte, blickte ich noch einmal zurück, ehe ich das Feld verließ, und sah, dass soeben Mr. Hatfield unten am Tor ankam. Sie hatte mich ins Haus geschickt, um ein Buch zu holen, damit ich ihm nicht auf der Straße begegnete.
»Macht nichts!«, dachte ich, »das wird keinen großen Schaden anrichten. Der arme Mark freut sich über die halbe Krone und vielleicht auch über das gute Buch; und wenn der Pfarrer Miss Rosalies Herz stiehlt, wird das ihren Stolz ein wenig mildern, und sollten sie schließlich heiraten, bewahrt sie das nur vor einem schlimmeren Schicksal, und sie wäre eine ganz gute Partnerin für ihn, genau wie er für sie.«
Mark Wood war der schwindsüchtige Arbeiter, von dem ich bereits erzählt habe. Mit ihm ging es nun rasch zu Ende. Durch ihre Großzügigkeit empfing Miss Murray buchstäblich den Segen von ihm, der zum Sterben bereit war; denn wenn die halbe Krone ihm auch nicht mehr viel nützte, freute er sich doch um seiner Frau und der Kinder willen, die schon so bald Witwe und Waisen sein würden. Nachdem ich ein paar Minuten bei ihm gesessen und ihm und seiner bedrückten Frau etwas zum Trost und zur Erbauung vorgelesen hatte, verließ ich sie, aber ich war noch keine fünfzig Meter gegangen, als ich Mr. Weston traf, der offensichtlich auf dem Weg ins gleiche Haus war. Er grüßte mich in seiner gewohnt ruhigen, ungekünstelten Art, blieb stehen, um sich nach dem Zustand des Kranken und seiner Familie zu erkundigen, nahm mit einem unbewussten, brüderlichen Verzicht auf Förmlichkeit das Buch, aus dem ich vorgelesen hatte, aus meiner Hand, blätterte darin, machte ein paar kurze, aber treffende Anmerkungen und gab es mir zurück; dann erzählte er mir von einem armen Kranken, den er gerade besucht hatte, sprach ein wenig über Nancy Brown, machte einige Bemerkungen über meinen kleinen, struppigen Freund, den Terrier, der um seine Füße herumsprang, und schließlich über das schöne Wetter und ging.
Ich habe es vermieden, seine Worte im Einzelnen wiederzugeben, weil ich meine, dass sie den Leser nicht so interessieren wie mich damals, nicht etwa, weil ich sie vergessen hätte. Nein, ich kann mich noch genau an sie erinnern, denn im Lauf des Tages und an vielen darauffolgenden, ich weiß gar nicht, wie oft, habe ich immer wieder über sie nachgedacht und mir den Tonfall seiner tiefen, klaren Stimme, das Aufblitzen seiner lebhaften, braunen Augen, das Strahlen seines liebenswürdigen, jedoch allzu flüchtigen Lächelns ins Gedächtnis zurückgerufen. Ich fürchte, solch ein Geständnis mutet lächerlich an, aber was macht das? Ich habe es geschrieben, und diejenigen, die es lesen, kennen die Schreiberin nicht.
Während ich so dahinschritt, glücklich im Innern und zufrieden mit allem um mich herum, kam mir Miss Murray eilig entgegengelaufen; ihr leichter Schritt, die geröteten Wangen und ihr strahlendes Lächeln verrieten, dass auch sie auf ihre Art glücklich war. Sie rannte auf mich zu, schob ihren Arm unter den meinen und begann, ohne Atem zu schöpfen:
»Also, Miss Grey, Sie können sich sehr geehrt fühlen, denn ich erzähle Ihnen jetzt eine Neuigkeit, bevor ich bei irgendjemand anderem etwas verlauten lasse.«
»Und was ist das?«
»Ach, und was für eine Neuigkeit! Als Erstes müssen Sie wissen, dass Mr. Hatfield zufällig vorbeikam, gerade als Sie gegangen waren. Ich hatte furchtbare Angst, Papa oder Mama könnten ihn sehen, aber ich konnte Sie ja nicht zurückrufen, also – ach je, ach je! Ich kann Ihnen jetzt nicht alles erzählen, denn ich sehe, dass Matilda im Park ist, und ich muss ihr unbedingt meine ganzen Neuigkeiten eröffnen. Aber auf jeden Fall war Hatfield ungewöhnlich kühn, unsagbar höflich und empfindsam wie nie zuvor – wenigstens versuchte er, es zu sein; es glückte ihm aber nicht besonders gut, denn dafür hat er keine Ader. Ein andermal erzähle ich Ihnen, was er alles gesagt hat.«
»Aber was haben Sie gesagt – das interessiert mich viel mehr.«
»Das erzähle ich Ihnen auch demnächst. Ich war zufällig gerade in bester Laune, aber obwohl ich entgegenkommend und freundlich war, achtete ich doch sehr darauf, mich nicht zu kompromittieren. Doch der eingebildete Kerl zog es vor, meine Liebenswürdigkeit auf seine Weise auszulegen, und nutzte mein Entgegenkommen schließlich so weit aus, dass er – was glauben Sie, er hat mir tatsächlich einen Antrag gemacht!«
»Und Sie –«
»Ich richtete mich voller Stolz auf und drückte mit äußerster Kühle mein Befremden über das Vorgefallene aus und sagte, dass es hoffentlich nichts in meinem Verhalten gegeben hätte, um seine Erwartungen zu rechtfertigen. Sie hätten sehen sollen, wie er die Fassung verlor! Er wurde kreidebleich. Ich versicherte ihm, dass ich ihn sehr schätzte usw., aber auf keinen Fall auf sein Angebot eingehen könnte und dass, selbst wenn ich es täte, Papa und Mama nie ihre Einwilligung geben würden.
›Aber wenn sie einwilligen würden‹, sagte er, ›würden Sie es auch?‹
›Gewiss nicht, Mr. Hatfield‹, antwortete ich mit einer kühlen Entschiedenheit, die jegliche Hoffnung seinerseits auf der Stelle zunichtemachte. Ach, wenn Sie gesehen hätten, wie schrecklich gekränkt er war, am Boden zerstört vor Enttäuschung! Wirklich, ich hatte beinahe Mitleid mit ihm.
Aber er unternahm noch einen verzweifelten Versuch. Nach einem Schweigen von beachtlicher Dauer – er strengte sich an, wieder ruhig zu werden, ich gab mir Mühe, ernst zu bleiben, denn ich verspürte den starken Drang zu lachen, was natürlich alles verpfuscht hätte – sagte er mit der Spur eines Lächelns:
›Aber sagen Sie mir doch frei heraus, Miss Murray, würden Sie mich auch ablehnen, wenn ich den Reichtum von Sir Hugh Meltham oder die Aussichten seines ältesten Sohnes hätte? Antworten Sie mir aufrichtig, auf Ehr und Gewissen.‹
›Natürlich‹, sagte ich. ›Das würde absolut keinen Unterschied machen.‹
Das war eine Riesenlüge, aber er wirkte immer noch so überzeugt von seiner Anziehungskraft, dass ich beschloss, ihn in seinen Grundfesten zu erschüttern. Er sah mir voll ins Gesicht, aber ich bewahrte so gut die Fassung, dass er einfach glauben musste, dass ich die reine Wahrheit sprach.
›Dann ist wohl alles vorbei‹, sagte er und sah dabei aus, als würde er auf der Stelle vor Kummer und tiefer Verzweiflung sterben. Aber sein Ärger war genauso groß wie seine Enttäuschung. Auf der einen Seite er, der so unsäglich litt, auf der anderen ich, die mitleidlose Ursache von allem, die so ganz und gar unempfindlich gegen das Geschütz seiner Blicke und Worte war, so unerschütterlich kalt und stolz, dass er einfach Groll empfinden musste. Und ausgesprochen bitter begann er:
›Das habe ich allerdings nicht erwartet, Miss Murray. Ich könnte einiges über Ihr Benehmen in letzter Zeit sagen und die Hoffnungen, die ich infolgedessen genährt habe, aber ich will alles für mich behalten unter der Bedingung –‹
›Keine Bedingungen, Mr. Hatfield!‹, sagte ich, jetzt wirklich empört über seine Frechheit.
›Dann bitte ich Sie um diesen Gefallen‹, antwortete er, wobei er sofort die Stimme senkte und einen bescheideneren Ton anschlug, ›ich möchte Sie dringend bitten, diese Angelegenheit vor keinem Menschen zu erwähnen. Wenn Sie Stillschweigen bewahren, braucht es für keine Seite Unannehmlichkeiten zu geben, nicht mehr, meine ich, als unvermeidlich ist: Was meine Gefühle angeht, so will ich mich bemühen, sie für mich zu behalten, falls ich sie nicht ersticken kann; ich will versuchen zu vergeben, falls ich die Ursache meiner Leiden nicht vergessen kann. Ich will nicht annehmen, Miss Murray, dass Sie wissen, wie tief Sie mich verletzt haben. Ich will nicht glauben, dass Sie es wissen; wenn Sie aber zusätzlich zu der Kränkung, die Sie mir bereits zugefügt haben – verzeihen Sie, aber ob unwillentlich oder nicht, das haben Sie –, wenn Sie also über diese unglückselige Affäre auch noch etwas verlauten lassen, ja, sie nur erwähnen, dann werden Sie merken, dass auch ich reden kann, und wenn Sie auch meine Liebe verschmäht haben, so werden Sie es kaum wagen –‹
Er hielt inne, aber er biss sich auf seine blutleeren Lippen und sah so wütend aus, dass ich es richtig mit der Angst bekam. Aber noch hielt mich mein Stolz aufrecht, und ich antwortete voller Verachtung:
›Ich weiß nicht, welches Motiv mich Ihrer Meinung nach veranlassen sollte, alles irgendjemandem gegenüber zu erwähnen, Mr. Hartfield. Wenn ich aber Lust dazu hätte, würden Sie mich nicht durch Drohungen abschrecken, und es steht einem Gentleman wohl kaum zu, dies zu versuchen.‹
›Verzeihen Sie, Miss Murray‹, sagte er, ›ich habe Sie so sehr geliebt – ich verehre Sie noch immer so tief, dass ich Sie nicht absichtlich beleidigen würde; aber obwohl ich niemals so geliebt habe und niemals wieder eine Frau so lieben kann, wie ich Sie geliebt habe, ist es ebenso gewiss, dass ich noch von keiner so schlecht behandelt worden bin. Im Gegenteil, bis jetzt habe ich das weibliche Geschlecht immer für das freundlichste, sanfteste und willfährigste unter Gottes Geschöpfen gehalten.‹ (Stellen Sie sich den eingebildeten Menschen vor, wie er das sagt!) ›Und die Neuheit und Härte der Lektion, die Sie mir heute erteilt haben, die Bitterkeit, gerade in dem einzigen Punkt enttäuscht zu werden, von dem mein Lebensglück abhing, muss als Entschuldigung für jeden Hauch von Schroffheit gelten. Wenn Ihnen meine Gegenwart lästig ist, Miss Murray‹, sagte er (denn ich schaute in die Gegend, um zu zeigen, wie wenig ich auf ihn achtete, und er dachte wohl, ich wäre seiner überdrüssig) – ›wenn Ihnen meine Gegenwart lästig ist, Miss Murray, brauchen Sie mir nur zu versprechen, meine Bitte zu erfüllen, und ich werde Sie erlösen. Es gibt viele Damen – einige sogar in dieser Gemeinde –, die mit Entzücken annehmen würden, was Sie so schmählich mit Füßen getreten haben. Sie wären selbstverständlich geneigt, ein Mädchen, dessen überströmender Liebreiz ihnen mein Herz entfremdet und mich für ihre Reize blind gemacht hat, zu hassen; und ein einziger Hinweis auf die Wahrheit gegenüber einer von ihnen würde genügen, ein derartiges Gerede über Sie in Gang zu setzen, dass Ihre Aussichten erheblich beeinträchtigt und Ihre Erfolgschancen bei jedem Gentleman verringert würden, den Sie oder Ihre Mama einzuwickeln gedenken.‹
›Was meinen Sie damit, Sir?‹, fragte ich, im Begriff, vor Wut mit den Füßen aufzustampfen.
›Damit meine ich, dass mir die ganze Angelegenheit von Anfang bis Ende wie ein Fall von durchtriebener Koketterie vorkommt, um das Mindeste zu sagen – und dass Sie es wohl recht ungern sähen, wenn alles in die Welt posaunt würde, vor allem mit den Zusätzen und Übertreibungen Ihrer Rivalinnen, die die Sache nur zu gern an die Öffentlichkeit bringen würden, wenn ich ihnen die Gelegenheit dazu gäbe. Aber ich verspreche Ihnen bei der Ehre eines Gentleman, dass kein Wort, keine Silbe über meine Lippen kommen wird, das zu Ihrem Nachteil wäre, vorausgesetzt Sie –‹
›Gut, gut, ich werde nichts sagen‹, sagte ich. ›Sie können sich auf mein Stillschweigen verlassen, wenn Ihnen das ein Trost ist.‹
›Versprechen Sie es?‹
›Ja‹, antwortete ich, denn ich wollte ihn endlich loswerden.
›Dann leben Sie wohl!‹, sagte er in einem schmerzlichen, tieftraurigen Ton; und mit einem Blick, in dem sein Stolz vergeblich die Oberhand über seine Verzweiflung zu gewinnen suchte, wandte er sich ab und ging: Zweifellos brannte er darauf, nach Hause zu kommen, um sich in seinem Arbeitszimmer einzuschließen und zu weinen – wenn er nicht schon in Tränen ausbricht, bevor er dort ist.«
»Aber Sie haben Ihr Versprechen ja jetzt schon gebrochen«, sagte ich, wahrlich entsetzt über ihren Verrat.
»Ach, doch nur Ihnen gegenüber. Ich weiß, dass Sie nichts davon wiederholen.«
»Natürlich nicht. Aber Sie haben gerade gesagt, dass Sie es Ihrer Schwester erzählen wollten, und sie wird es Ihren Brüdern erzählen, wenn sie nach Hause kommen, und auf jeden Fall sofort Brown, wenn Sie das nicht selbst tun. Und Brown wird alles in die Gegend posaunen.«
»Nein, das wird sie nicht. Wir erzählen ihr überhaupt nur etwas, wenn sie strengste Geheimhaltung gelobt.«
»Aber wie können Sie erwarten, dass sie ihre Versprechen eher hält als ihre weitaus gebildetere Herrin?«
»Schon gut, dann erfährt sie eben nichts von allem«, sagte Miss Murray leicht unwirsch.
»Aber Sie werden es doch sicher Ihrer Mama erzählen«, fuhr ich fort, »und diese Ihrem Papa.«
»Natürlich werde ich es Mama erzählen, genau das macht mir ja solchen Spaß. Jetzt kann ich sie doch überzeugen, wie falsch ihre Befürchtungen waren.«
»Ach, darum geht es Ihnen? Ich habe mich schon gefragt, worüber Sie sich so freuen?«
»Ja; und darüber, dass ich Mr. Hatfield so reizend gedemütigt habe; und darüber – nun, Sie müssen mir schon etwas weibliche Eitelkeit zubilligen: Ich will gar nicht so tun, als besäße ich diese typischste Eigenschaft unseres Geschlechts nicht. Und wenn Sie gesehen hätten, mit welch glühendem Eifer der arme Hatfield seine leidenschaftliche Liebeserklärung und seinen schmeichelhaften Antrag gemacht hat, und die seelischen Qualen, die sein Stolz auch mit der größten Mühe nicht verbergen konnte, als er sich zurückgewiesen sah – Sie hätten zugeben müssen, dass ich allen Grund hatte, zufrieden zu sein.«
»Ich denke doch, je größer sein Schmerz war, desto weniger Grund hatten Sie zur Zufriedenheit.«
»Ach, Unsinn!«, rief die junge Dame und schüttelte sich vor Ärger. »Entweder können Sie mich nicht verstehen oder Sie wollen nicht. Wenn ich nicht auf Ihre Großmut vertrauen würde, hielte ich Sie für neidisch. Aber vielleicht verstehen Sie diesen Grund meiner Freude – der so gut wie jeder andere ist –, nämlich, dass ich richtig begeistert von mir bin wegen meiner Klugheit, meiner Selbstbeherrschung und, wenn Sie so wollen, meiner Herzlosigkeit. Ich war nicht im Geringsten überrascht, verwirrt, unbeholfen oder töricht; ich habe gehandelt und geredet, wie ich sollte, und war die ganze Zeit Herrin meiner selbst. Und er ist immerhin ein äußerst gutaussehender Mann – Jane und Susan Green bezeichnen ihn als betörend hübsch –, vermutlich sind sie zwei der Damen, die ihn angeblich so gerne haben wollen; aber er war jedenfalls ein sehr kluger, geistreicher, angenehmer Begleiter – nicht das, was Sie klug nennen, aber genug, um unterhaltsam zu sein; und ein Mann, dessen man sich nirgends zu schämen braucht und den man nicht so schnell leid ist; um die Wahrheit zu sagen, ich mochte ihn ziemlich gern – in letzter Zeit sogar lieber als Harry Meltham –, und er betete mich offensichtlich an. Und dennoch besaß ich, als er mich so völlig allein und unvorbereitet traf, die Klugheit und den Stolz und die Kraft, ihn abzuweisen – und auch noch auf solch verächtliche, kühle Art: Darauf kann ich zu Recht stolz sein!«
»Und sind Sie auch stolz darauf, ihm gesagt zu haben, selbst wenn er genauso reich wäre wie Sir Hugh Meltham, wäre es für Sie das Gleiche, wenn das auch nicht stimmte, und darauf, dass Sie ihm versprochen haben, mit niemandem über sein Missgeschick zu sprechen, anscheinend ohne die leiseste Absicht, Ihr Versprechen zu halten?«
»Natürlich, was sonst? Sie verlangen doch nicht, dass ich – aber ich merke, Miss Grey, Sie sind schlecht gelaunt. Da ist Matilda; ich bin gespannt, was sie und Mama dazu sagen.«
Sie verließ mich, beleidigt über meinen Mangel an Verständnis und zweifellos in dem Glauben, dass ich sie beneidete. Das tat ich nicht, zumindest glaubte ich fest daran. Sie tat mir leid; ihre herzlose Eitelkeit erstaunte mich und widerte mich an; ich fragte mich, warum denjenigen so viel Schönheit vergönnt war, die sie so schlecht zu nutzen wussten, während sie anderen, die daraus für sich und andere einen Vorteil machen würden, versagt wurde.
Aber Gott weiß es am besten, so schloss ich. Es gibt wahrscheinlich Männer, die ebenso eitel, selbstsüchtig und herzlos sind wie Miss Murray, und vielleicht sind solche Frauen dazu da, diese Männer zu bestrafen.