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4. Am Pfefferminzsee

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Der Angelhaken platschte leise ins Wasser. Patte sah zu, wie der Köder unter die Oberfläche trudelte und im grünlichen Schimmer versank.

Es raschelte im Schilf.

Ein Vogel? Eine Schlange?

Unsinn, hier gab es keine Schlangen.

Noch ein Rascheln.

Dann Schritte.

Wer konnte das sein? Patte erspähte einen blonden Schopf zwischen den Stängeln. Jule? Hatte Mama sie hierher geschickt? Pattes Hand krampfte sich um die Angel. Sein Herz raste. Doch was zum Vorschein kam, war schlimmer als Jule. Es war Flip, der mit glühenden Wangen durchs Gestrüpp stapfte.

„Was willst du denn hier?“, fragte Patte fassungslos.

Flip reckte den Kopf. „Deine Mutter hat gesagt, dass du hier bist.“

„Meine Mutter. Na, toll.“

„Ja, ich hab sie gefragt, wo du bist, und da …“

„Dauernd läufst du mir nach! Was willst du von mir?“

Patte war stinksauer. Nicht nur auf seine Mutter, weil sie diesen Blödmann hierher geschickt hatte. Nein, auch auf Flip. Er klebte seit Wochen an Pattes Bein. Fand alles toll, was Patte sagte. Und machte seltsame Vorschläge, wie er seine Freizeit mit Patte gestalten wollte. Brettspiele zum Beispiel. Gemeinsam ein Buch lesen. Oder um die Wette essen. Ganz offensichtlich plante er, Pattes Freund zu werden. Ganz offensichtlich übersah er, dass Patte darauf keine Lust hatte.

Flip balancierte unbeirrt am Ufer weiter. Wahrscheinlich wollte er auch gleich wissen, was Patte den ganzen Tag so machte.

„Du warst in der Holzmann-Villa!“

„Woher willst du das wissen?“

„Ich … ich hab dich gesehen. Ähm … zufällig.“

„Zufällig. Aha.“

„Ja … ich hab gesehen, dass du in dem alten Haus warst.“

„Das hast du schon gesagt. Und es geht dich nichts an.“

„Und wenn ich es deiner Mutter sage? Dass du dort warst?“

„Bist ne Petze, was? Passt zu dir.“

„Ich weiß, was du gemacht hast. Du warst ziemlich lang drin und hast was mitgenommen. Das gehört dir nicht.“

„Na, so was.“

Flip drückte die kugeligen Köpfe der Wasserminze zur Seite, betrat den Bootssteg und schlich bis ans Ende. Patte spürte seinen Blick im Rücken.

Flip holte Luft. „Ich hab geseh-“

„Schhh! Du verjagst die Fische! Hau ab! Geh zu Papa!“

„Der weiß nicht, dass ich hier bin.“

„Und warum bist du hier?“

„Ich weiß, was das für ne Kiste ist.“

„Keine Ahnung, was du meinst.“

„Na, die Kiste!“

„Welche Kiste?“

„Die du mitgenommen hast!“

„Ich hab nichts mitgenommen.“

„Doch, hast du!“

„Hab ich nicht.“

„Ich hab’s genau gesehen!“

„Hast du nicht!“

„Also … diese Kiste hat mal einer Adeligen gehört. Mit Familienwappen und so.“ Flip sah Patte erwartungsvoll an und setzte seinen Redeschwall fort. „Also … das ist so … ich war neulich bei meinem Vater im Büro.“

„Interessiert mich nicht.“

„Also, ich hab auf ihn gewartet. Nach der Schule. Und dann ist …“

„Halt die Klappe!“

Flip schien nichts zu hören. Er knetete seine Finger und schwatzte unverdrossen weiter. „Da kam eine alte Frau rein und wollte ihn sprechen. Schiller heißt die, oder Schöller. Die war total aufgeregt, weil die Holzmann-Villa abgerissen werden soll. Und weil da was drin ist, das ihrer Freundin gehört. Gehört hat. Also, dieser Adeligen. Die ist aber schon tot.“

Patte sah im Augenwinkel, wie Flip ihn unentwegt anstarrte. Glaubte der wirklich, sein Gefasel könne Patte ein schlechtes Gewissen machen? Oder ihn zu Freudentänzen verführen?

„Also, die war so nervös, dass sie ein Glas Wasser gebraucht hat. Lustig, gell?“ Flip kicherte.

„Irre witzig. Ich mach gleich in die Hose.“

„Dann hat sie erzählt, dass in dem Haus eine Kiste versteckt ist.“ Flip machte eine bedeutungsvolle Pause. Als Patte nicht reagierte, reckte Flip den Kopf und legte noch mehr Gewicht in seine Stimme. „Und da ist ein Schlüssel zu einem Schatz drin!“

Patte presste die Lippen zusammen.

„Ein richtiger Schatz! Schmuck und Gold und so!“

Patte schüttelte den Kopf. „So ein Quatsch.“ Er hatte sich so sehr auf einen verträumten Tag am See gefreut. Und jetzt stand Flip hier und verzapfte Schwachsinn. Warum konnte man Patte nicht in Ruhe lassen? Warum konnte er nicht einfach tun, worauf er Lust hatte und dabei von niemandem gestört werden? Vor allem nicht von Flip?

„Stell d-dir m-mal v-vor.“ Flip zitterte vor Aufregung. „Die-die Kiste! Die du gefunden hast! Ein Schatz! Ein richtiger Scha-schatz!“

Patte überlegte, seine Sachen einzupacken und Flip stehen zu lassen. Einfach abhauen und den Blödmann ignorieren. Einen anderen See suchen. Unsichtbar werden. Und niemandem etwas davon erzählen.

Doch gleichzeitig geschah etwas Seltsames, ohne dass Patte etwas dagegen tun konnte. Eine Truhe voll Gold stahl sich auf leisen Sohlen in seine Gedanken. Einfach so. Ihr folgten lautlos Diamanten. Pergamentrollen. Der heilige Gral. Patte schlug mit der freien Hand nach einer Mücke, als wollte er all diese Dinge verscheuchen, die es nur in Filmen gab.

„Wär das nicht toll?“

Patte schwieg.

„Also … ich find’s total toll.“

„Ich nicht.“

„Wieso?“

„Weil du Müll redest! Und weil du nervst!“

Patte zerrte ungeduldig an der Angel. So sehr er auch versuchte, Flip zu ignorieren, er konnte nicht. Erstens quasselte der ohne Ende. Und zweitens – ja zweitens war die Information, etwas Wichtiges gefunden zu haben, nicht unangenehm. Er sah Flip von der Seite an. „Und ich hab zufällig diese eine Kiste gefunden?“

Pattes plötzliche Aufmerksamkeit wirkte wie ein Stromschlag auf Flip. Er zitterte am ganzen Körper.

„Ja-ja! Ganz bestimmt!“

„Glaub ich nicht.“

„Do-doch! Das ist sie!“

„Woher willst du das wissen? Gibt bestimmt mehr davon.“

Ein Fleckenfeuerwerk funkelte auf Flips Wangen. „Mensch, ganz einfach! Diese Alte hat meinem Vater eine Visitenkarte von ihrer toten Freundin gegeben! Und da ist ein Wappen drauf! Genau wie auf der Kiste!“

Er holte Luft, um seine nächste Informationsladung hinauszuschleudern.

„Ich weiß es genau! Ich hab diese Karte dabei! Ich hab sie mitgenommen! Mein Vater hat nichts gemerkt!“ Flip hustete vor Aufregung. „Ich ha-hab’s genau gesehen! Ich hab in einem Busch auf dich gewartet und dann bist du vorbei gegangen und dann hab ich die Kiste gesehen, die du – …“

Patte ließ die Angel sinken. „Im Busch?“

„Ja, ich … ähm … “

„Du warst in einem Busch gesessen?“ Patte konnte nicht anders. Er warf die Angel hin und lachte aus vollem Hals. Flip grinste. Es schien ihm nichts auszumachen, dass Patte ihn auslachte.

„Und jetzt?“, fragte Patte, als er wieder reden konnte. „Soll ich die Kiste der alten Tante geben? Oder werde ich verhaftet?“

„Hast sie? Aufgemacht? Ja?“ Flip hüpfte von einem Bein aufs andere.

„Was?“

„Na … die Kiste! Du? Sie? Schon? Auf?“ Flip federte hin und her. Die Holzplanken wackelten. „Und was - ?“ Er kicherte. „Ist?“, fragte er kurzatmig, „drin?“

„Hä?“

„Was drin? Ja? Hm? Und?“

„Sag mal, spinnst du?“

„Sag schon! Was drin? Sag schon!“

„Kannst du mal aufhören mit dem blöden Gehüpfe? Ich hab keine Ahnung, was du willst!“

Flip blieb stehen. Er atmete schwer. „Also, ich …“, keuchte er. „Also … was ist drin? In der Kiste?“

„Was drin ist? Keine Ahnung. Hab noch nicht reingeschaut.“

„Noch nicht?“

„Nö.“

„Warum?“

„Keine Zeit.“

„Echt?“ Flip sah enttäuscht drein. „Warum?“

„So halt!“

Flip zögerte einen Augenblick und sah Patte in die Augen. Seine Stimme zitterte.

„Wi-wir können doch auch zusammen schauen, was in der Kiste ist. Und was das für ein Scha-Schatz ist. O-oder? Wär doch toll!“

Patte hob die Augenbrauen. „Eine Schatzsuche? Geht’s noch blöder? Das gibt’s nur in deinen Büchern. Deswegen kommst auch nur du auf so eine Idee.“ Er sah Flip verächtlich an. „Was sagt denn dein Papa dazu?“

Darauf fiel dem Quassler nichts mehr ein. Typisch. Kaum sagte man „Papa“, sah er aus wie ein Zwergkaninchen. Das Kaninchen starrte auf seine Füße und schwieg.

„Und überhaupt: wenn es genau diese eine Kiste ist. Mit dem Schlüssel zu irgendeinem Scheißschatz. Warum soll ich ihn ausgerechnet zusammen mit dir suchen?“

Patte verschränkte die Arme. Er wollte gelangweilt wirken. Überlegen. Meilenweit entfernt von Flips Kinderwelt. Doch Neugier und Abenteuerlust jagten sein Herz. Vielleicht hatte das Kaninchen recht? Mal wieder?

Flip zögerte. Seine Hand glitt in die Hosentasche und zog etwas heraus. Ein gelbliches Papier, so klein wie die EC-Karte von Pattes Mutter. Ein Wappen war darauf zu sehen. Darunter stand ein Name. Isabelle von Raake. Sonst nichts. Als Patte danach greifen wollte, zog Flip seine Hand zurück. Er richtete sich auf. Und als er sich auf die Zehenspitzen stellte, war er fast so groß wie Patte.

„Die gehört meinem Vater.“

Patte verdrehte die Augen.

„Ich weiß, dass es den Schatz gibt“, sagte Flip mit fester Stimme. „Und ich weiß auch, wo er ist.“

„Angeber.“

Flip reagierte nicht.

Patte blickte in den Sommerhimmel, der sich im Westen unter einer Decke aus Gewitterwolken senkte. Mit Flip nach einem Schatz zu suchen, diese Idee war ihm so peinlich, dass es ihn fröstelte. Etwas Schlimmeres hätte er sich nicht ausmalen können. Doch leider hatten Diamantringe, Schriftrollen und goldene Kelche schon Platz in Pattes Kopf genommen. Sie winkten ihm fröhlich zu. „Such uns“, riefen sie und übertönten das Gefühl der Peinlichkeit. Patte spürte, wie seine Abwehr gegen Flips Vorschlag in sich zusammenfiel. Was wäre schon dabei, wenn er einfach mal schauen würde? Er könnte immer noch nein sagen, wenn es ihm zu blöd wurde.

„Also, weißt du, die Idee ist eigentlich okay“, sagte er und mochte kaum glauben, dass er das wirklich zu Flip sagte. „Lass uns mal schauen, ob da wirklich ein Scha-Schatz ist.“

Flip sah überrascht aus. Und sehr zufrieden. „Ja, lass uns sehen, wo er ist“, flüsterte er.

Das Geheimnis von Möwenpelz

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