Читать книгу Das Geheimnis von Möwenpelz - Anne Daurer - Страница 7
5. Ich krieg das Ding nicht auf
ОглавлениеPatte fuhr sich durch die Haare. Die Friseurin hatte sie mal wieder verschnitten. Er sah aus wie eine Fransenkartoffel. Er schnitt seinem Spiegelbild eine Grimasse und ging in sein Zimmer.
Gleich würde Flip kommen. Dann würden sie nachsehen, was in der alten Kiste war und ob es etwas war, das ein Schlüssel zu einem Schatz sein könnte und wenn ja, wo dieser Schatz sein könnte. Patte bereute schon längst, dass er Flips Vorschlag zugestimmt hatte. Ausgerechnet ihm, den er sichtbar ignorieren wollte. Den er spüren lassen wollte, dass seine Gesellschaft nicht von Interesse war.
Doch Pattes Neugier war inzwischen gewachsen. Er hatte versucht, die Kiste zu öffnen. Hatte den Deckel gedrückt und ein verstecktes Schloss gesucht. Ohne Erfolg, denn die Kanten waren glatt und das Holz ziemlich hart. Nur auf der Unterseite war eine Öffnung eingelassen, kreisrund und kaum größer als ein Centstück. Sie war etwa zwei Zentimeter tief und verkrustet von Staub und Schmutz. Patte hatte sie mit einem Wattestäbchen gereinigt und daran herumgespielt, aber nicht gewusst, was er eigentlich machen sollte. Vielleicht hatte Flip eine Idee? Notfalls könnte man die Schachtel einfach zerhacken oder aufsägen.
Unten klingelte es. Patte hörte, wie seine Mutter die Tür öffnete und erfreut feststellte, dass Flip davor stand. Dann hörte er Schritte auf der Treppe, dann auf dem Flur und gleich darauf klopfte es an der Tür. Patte öffnete. Das Zwergkaninchen hatte rote Flecken auf den Wangen und grinste schüchtern.
„Hi, Patte.“
„Komm rein.“ Er würde das alles schnell beenden, denn die Kiste war garantiert leer und die ganze Geschichte sowieso Käse. In spätestens zwei Stunden würde er auf seiner Eiche sitzen. Oder am Pfefferminzsee.
Patte hielt die Kiste in die Höhe.
„Also, nochmal: woher willst du wissen, dass dieses Ding“, er warf die Kiste aufs Bett, „so wichtig ist? Da ist ja nicht mal ein Schloss dran.“
Er sah Flip an, der noch immer neben der Tür stand und das Spiderman-Poster anstarrte. Sein Blick wanderte im Zimmer umher und kehrte langsam zu Patte zurück.
„Was?“
„Wieso ist dieses Ding so wichtig?“
„Das hat die Frau Schüller erzählt.“
„Und was genau hat die erzählt?“
Flip kam näher und setzte sich auf den Boden.
„Sie hat was von einer kleinen Holzkiste gesagt und dass die ein Beweis sein könnte.“
„Ein Beweis? Für was?“
„Dass ihrer Freundin in dem alten Haus was passiert ist. Und dass die deswegen tot ist. Weil … weil … die Freundin hat die Kiste mitgenommen, ist in das Haus gegangen und dann verschwunden.“
„Wow! Vielleicht ist das eine magische Schachtel, in die man reinschlüpfen kann? So wie in den Schrank in den Chroniken von Narnja? Und wenn wir sie öffnen, dann kommt diese … diese Dingsbel heraus?“
„Isabelle!“
„Na, meinetwegen.“
Flip zog die Mundwinkel nach unten. „Die Tante hat nun mal gesagt, dass in der Kiste der Schlüssel zu einem Schatz drin ist. Und dass auf der Kiste das Familienwappen drauf ist.“
Patte und Flip sahen die Kiste an. Das Wappen zeigte einen Vogel, zwei Münzen und verschlungene Zweige, die an einem Baum mit breitem Stamm wuchsen. Flip zog die kleine Karte aus der Hosentasche und legte sie daneben. Beide Wappen waren identisch.
Gänsehaut zog über Pattes Rücken und kitzelte an seinem Nacken. Er hatte etwas gefunden. Es konnte sogar sein, dass er etwas Wichtiges gefunden hatte. Etwas, das der Beginn eines Abenteuers sein könnte. Immerhin, die Möglichkeit gab es. Auch wenn er noch keine Lösung hatte.
Er sah Flip an. „Tja. Dann öffnen wir mal den Sesam. Bitte sehr. Probier du. Ich hab schon.“
Flips Finger betasteten ehrfürchtig das Wappen, glitten über die Kanten, streichelten das dunkel gemaserte Holz. Er drehte die Kiste vorsichtig um.
Da fiel Patte etwas ein. Er legte sich auf den Bauch. „Warte mal – du hast doch gestern gesagt, dass du weißt, wo der Schatz ist, oder?“
Flip antwortete nicht.
„Wenn du das weißt, warum fummeln wir dann an dem Ding herum? Sag doch einfach, wo er ist!“
Flip fingerte an der Öffnung auf der Unterseite der Kiste herum und schwieg.
„Hallo? Erde an Flip?“
Flip bohrte einen Finger in die Öffnung und sah furchtbar konzentriert aus.
„Du weißt gar nicht, was das für ein Schatz ist. Richtig? Du weißt auch nicht, wo er ist. Auch richtig?“
Eigentlich musste Flip nichts antworten. Es war klar wie Kloßbrühe, dass er genauso wenig wusste wie Patte. Er hatte gelogen. Er hatte einen Köder ausgeworfen, um Pattes Neugier anzustacheln. Was ihm gelungen war.
So sehr Patte es auch versuchte – er konnte Flip, der auf dem Boden saß und alle Gesichtsmuskeln anspannte, um konzentriert auszusehen, nicht wirklich böse sein.
Flip schielte über den Kistenrand. Seine Wangen glühten. „Weiß auch nicht … ich hab das irgendwie anders gemeint.“
„Irgendwie“, Patte sog die Unterlippe unter die Vorderzähne, zog die Oberlippe hoch und mimte Hasenzähne „anderfff gemeint“, lispelte er.
Flips Gesicht war jetzt feuerrot. „Mann, ist doch auch egal, oder?“ Sein Kinn zitterte.
„Ist eben nicht egal.“ Patte zeigte auf die Kiste. „Und das Ding da ist nur Schrott.“
„Ist es nicht.“ Flip schob die Unterlippe vor und bohrte den Finger wieder in die Öffnung. Als er die Kiste mit der anderen Hand drehte, knackte es.
Patte wollte wieder Hasenzähne machen, hielt aber inne.
„Hast du das gehört?“
Flip nickte stumm.
„Mach das nochmal.“
Flip gehorchte. Es knackte.
Patte rutschte vom Bett herunter und kniete sich neben Flip. „Was ist das?“
„Keine Ahnung.“ Flip legte die Kiste auf den Boden, mit der Unterseite nach oben. Sie beugten sich darüber.
In Pattes Augen war die kleine Öffnung ein sinnloses Etwas gewesen. Eine Zierde, die zu den verschlungenen Ornamenten und Linien auf der ganzen Kiste passte, welche die ganze Kiste überzogen. Wenn man aber sehr genau hinsah, konnte man verblichene römische Zahlen erkennen, die kreisförmig um die Öffnung angeordnet waren. Patte waren sie nicht aufgefallen. Kein Wunder, denn so genau hatte er nicht hingesehen.
Und Flip hatte es sofort herausgefunden. „Das sieht aus wie ein Tresor“, sagte er.
„Und man muss seinen Finger reinstecken, um ihn zu öffnen?“
„Ja … aber wo ist die Kombination dazu?“
„Hat das deine Schillertante nicht erzählt?“
„Soll ich sie fragen?“
„Bist du verrückt?“
„Aber vielleicht kennt sie die Schachtel?“
„Ich dachte, du willst selbst suchen?“
Flip schwieg. Patte sah abwechselnd ihn und die Kiste an. Gäbe es einen Preis fürs Rotwerden, Flip würde ihn bekommen.
Irgendwie mussten sie die Kiste öffnen. Aber wie? Er hatte mal gelesen, dass man genau hinhören musste und eine richtige Kombination durch richtiges Knacken herausfinden würde. Aber wie klang ein richtiges Knacken?
„Und jetzt?“ Flip sah ihn fragend an.
Patte überlegte. Zahlen kreisten vor seinen Augen. Sie formten einen Wald aus Kombinationen, Verbindungen und Möglichkeiten. Zwischen den Bäumen ein blaues Haarband. Patte merkte nicht einmal, dass er laut „Nina“ sagte.
„Was?“ Flip starrte ihn an.
Patte spürte, dass er rot wurde. „Nina – ähm – die ist doch so gut in Mathe. Vielleicht … ähm … vielleicht weiß die was über Zahlenkombinationen?“
„Hä?“ Flip sah aus, als könne er nicht mehr bis drei zählen.
„Wir können das Ding auch einfach zersägen.“
Flip schwieg.
„Oder darauf herumtrampeln.“
„Willst du die Kiste wirklich kaputt machen?“
„Wir können das Ganze auch einfach vergessen. Alles und den Schatz und so.“ Patte verschränkte die Arme.
Flip sah die Kiste an und sagte langsam: „Ich kann die Nina ja mal fragen.“
Patte unterdrückte ein Grinsen.
„Aber was soll ich fragen?“
„Frag einfach, ob sie Lust hat, eine alte Kiste zu öffnen.“
Flip sah verständnislos drein.
„Okay. Du fragst, ob sie was über Tresore weiß. Und wenn sie ja sagt, dann fragst du, was man dabei beachten muss. Und wenn sie …“
„Aber das ist doch doof. Ich kann doch nicht einfach so zu ihr rübergehen und nach einem Tresor fragen!“
„Mensch, Flip! Du sollst dir was einfallen lassen! Irgendwas Unauffälliges. Was Harmloses! Dass du gerade einen Krimi liest. Oder dass du was für die Schule machen musst.“
„In den Ferien?“
Patte seufzte. Das hatte keinen Sinn. War sowieso Blödsinn, das alles.
Flip hob die Hände. „Okay, ich versuch’s.“ Er stand auf. „Ich muss jetzt gehen.“
„Gibst du mir Bescheid, was du rausgefunden hast?“
„Okay. Bis dann.“
„Bis dann.“ Patte beugte sich wieder über die Kiste und spielte gedankenverloren an der Knacköffnung. Wenn er gewusst hätte, dass er mit diesem Ding gleichzeitig Flip an sein Bein binden würde, er hätte es im Haus liegen lassen. Oder doch nicht? Was für ein Durcheinander.