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2. Regulierungskriterien

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Als Regulierungskriterien kommen die Sicherung der Meinungsvielfalt, die Einhaltung des Diskriminierungsverbots, die Beachtung der Vorgaben der Wettbewerbsfreiheit und die Netz- und Technologieneutralität in Betracht. Zudem sollte Regulierung konsistent und widerspruchsfrei erfolgen. Im Rahmen der Vielfaltssicherung kann es darum gehen, Strukturen einer vertikalen Integration (Technik und Inhalt in einer Hand) zu verhindern und durch must-carry-Regeln bestimmte Sender zu privilegieren, die einen besonders hohen Beitrag zur Sicherung der Meinungsvielfalt und Grundversorgung leisten, um diesen Refinanzierungsmöglichkeiten für die Produktion kulturell hochwertiger Programme zu eröffnen. Vor dem Hintergrund der vertikalen Integration müssen unter Berücksichtigung des Diskriminierungsverbots zudem Lösungen für den chancengleichen Zugang von Veranstaltern zu Plattformen gefunden werden. Zur Wahrung der Wettbewerbsfreiheit muss es zu den Regulierungskriterien zählen, Medienunternehmen Freiheiten bei der wirtschaftlichen Betätigung etwa – in den wohlauszutarierenden Grenzen des Kartell- und Medienkonzentrationsrechts – durch Expansion zu sichern und ihnen die Freiheit zur Auswahl ihrer Rezipienten zu überlassen. Ferner sind der Infrastrukturwettbewerb und die Technologie-[134] und Netzneutralität[135] zu beachten. Unter Berücksichtigung der Technologieneutralität ist es problematisch, die Zulassungspflicht zum Rundfunk an einen Verbreitungsweg zu binden. Sie gebietet eine neutrale Regulierung der Empfangstechnik, gerade in den Bereichen Application Programming Interface und Conditional Access. Die Netzneutralität ist bedeutsam, weil das Datenvolumen in den Mobilfunknetzen stetig ansteigt.[136] Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob ein Zugangsanbieter, also ein Telekommunikationsunternehmen, Datenpakete zwischen den Kunden tatsächlich unverändert und gleichberechtigt übertragen muss und Herkunft und Art des Inhalts keine Rolle spielen dürfen. Werden aber alle Inhalte im Netz gleich behandelt, also Datenpakete in der Reihenfolge transportiert, in der sie ankommen, entsteht ein „Stau“ und das Netz wird am Ende funktionsunfähig. Man wird also mit technischen Mitteln differenzieren müssen. Rechtlich ist immer dann eine Differenzierung geboten, wenn ein sachlicher Grund besteht. Ein Notruf muss schneller ankommen dürfen als die „Bin gleich da“-Nachricht. Eine störungsfreie Videokonferenz ist ein Privileg, für das man zahlen muss. All das wird also über kurz oder lang aufgrund der Kapazitätsgrenzen des Netzes bewirtschaftet werden müssen. Dabei müssen die Preise und Chancen für Endnutzer fair und deren Wege ins Netz offen bleiben. Auf europäischer Ebene findet sich seit November 2015 durch die VO (EU) 2015/2120 eine Regelung zur Netzneutralität.[137] Hiernach soll die „gleichberechtigte und nichtdiskriminierende Behandlung des Datenverkehrs“ sichergestellt werden. Um der Befürchtung entgegenzuwirken, dass der teilweise nicht eindeutige Wortlaut dazu genutzt werden könnte, die Regelungen zu umgehen, brachte die BEREC[138] im Jahr 2016 Leitlinien heraus, wie die Verordnung auszulegen ist.[139] Besonders kontrovers geführt wurde die Diskussion um Spezialdienste.[140] Diese müssen sich nach den BEREC-Leitlinien klar von vollwertigen Internetzugängen unterscheiden und für spezifische Inhalte, Anwendungen oder Dienste optimiert sein.[141] Sie dürfen nicht zu Lasten anderer Nutzer gehen, so dass es letztlich Aufgabe des Netzbetreibers ist, sicherzustellen, dass ausreichend Kapazitäten vorhanden sind, bevor er einen solchen Dienst anbietet.

Um dem Bedürfnis der Nutzer nach Übermittlung großer Datenpakete mit hoher Geschwindigkeit[142] nachkommen zu können, hat die Deutsche Telekom im Jahr 2013 kurzzeitig bei Neuverträgen über eine Festnetz-Online-Nutzung mit Erreichen eines bestimmten Datenvolumens die Übertragungsgeschwindigkeit reduziert, wobei bestimmte Angebote und Dienste, mit deren Betreibern die Telekom besondere Vereinbarungen geschlossen hatte, oder auch die telekomeigene Fernsehplattform „Entertain“, auf dieses integrierte Datenvolumen nicht angerechnet wurden. Wenige Monate nach der Einführung wurde die Praxis der Drosselung jedoch Ende 2013 wieder verworfen.[143] [144]

Klar ist jedoch unabhängig davon, dass nicht jeder Verbraucher einen gänzlich uneingeschränkten Zugang zu sämtlichen Services, Diensten und Inhalten haben kann.[145] Problematisch wird das dann, wenn die Priorisierung von Diensten gegen Aufpreis Innovationspotentiale im offenen Internet gefährdet.[146] Eine derartige Gefährdungslage sehen die Landesmedienanstalten als gegeben an, wenn ein Netzbetreiber gegen entsprechendes Entgelt Ausnahmen von der Volumenbegrenzung vorsieht.[147] In diesem Falle sei bei den Endkunden von einer bevorzugten Nutzung der Inhalte ohne Anrechnung auszugehen, zumal mit verhältnismäßigem Aufwand keine Transparenz im Hinblick auf eine Überschreitung der vertraglich vereinbarten Volumengrenzen herzustellen sei. Insoweit sei mit der Entstehung eines faktischen Verhandlungszwangs für die Anbieter zu rechnen, deren Inhalte nur dann bevorzugt werden, wenn ein zusätzliches Entgelt an den jeweiligen Netzbetreiber entrichtet wird. Andere sehen in der Vorhaltung von Ausnahmen bei der Volumenbegrenzung dagegen keinen Verstoß gegen die Netzneutralität, weil es sich dabei um privilegierte Inhalte handele, die von den deutschen Landesmedienanstalten besonders durchreguliert seien.[148] Einigkeit besteht bislang also nur insoweit, als dass das Internet für die Verbreitung von Meinungen und Inhalten bedeutsam und für eine neutrale Datenübertragung daher besonders wichtig ist. Aufgrund dessen werden seit 2012 im TKG gesetzliche Regelungen zur Netzneutralität gefordert. Gem. § 41a TKG a.F.[149] wurde die Bundesregierung ermächtigt, in einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates gegenüber Unternehmen, die Telekommunikationsnetze betreiben, die grundsätzlichen Anforderungen an eine diskriminierungsfreie Datenübermittlung und den diskriminierungsfreien Zugang zu Inhalten und Anwendungen festzulegen, um eine willkürliche Verschlechterung von Diensten und eine ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs in den Netzen zu verhindern. Nachdem bereits von verschiedener Seite ein rechtlicher Rahmen zur Gewährleistung der Netzneutralität gefordert worden war,[150] hatte das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) von dieser Ermächtigung im Jahr 2013 Gebrauch gemacht und den Entwurf einer Rechtsverordnung zur Gewährleistung der Netzneutralität (NNVO) vorgelegt.[151] Vor dem Hintergrund neuer Geschäfts- und Tarifmodelle und der rasanten technischen Entwicklung war nach Auffassung der damaligen Bundesregierung neben den Bestimmungen des Wettbewerbsrechts eine rechtliche Handhabe erforderlich, die es ermöglicht, Geschäfts- und Tarifmodelle der Netzbetreiber zu überprüfen und gegebenenfalls regulierend einzuschreiten. Lange Zeit hat der Gesetzgeber aus gutem Grund nicht in das freie und kreative Spiel der Kräfte eingegriffen. Der damalige Verordnungsentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums – auch in seiner überarbeiteten Version v. 31.7.2013 – ist vielfach auf Kritik gestoßen. Danach sollten den Endkunden bestimmte Dienste innerhalb des Gesamtnetzes in logisch getrennten Teilnetzen als separates Angebot zum Internetzugang gegen gesondertes Entgelt angeboten werden (sog. managed services). Die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten bemängelte insoweit die unzureichende Definition zentraler Begriffe wie „logisch getrennte Netze“ oder „managed services“ und befürchtete die Entstehung eines Zwei-Klassen-Internets.[152] Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. sah in der vorgesehenen Differenzierung zwischen dem „offenen Internet“ und „managed services“ ein erhebliches Diskriminierungspotential.[153] Ferner stand auch der Branchenverband für IT, Telekommunikation und Neue Medien BITKOM dem Zweitentwurf der NNVO kritisch gegenüber und hielt eine europaweite Regelung der Materie für sachgerechter.[154] Nach alledem hatte sich die derzeitige Bundesregierung dazu entschlossen, auf die nunmehr im November 2015 in Form der VO (EU) 2015/2120 erlassene europäische Regelung zur Netzneutralität zu warten. Nach deren Erlass im Jahr 2013 lag der Fokus nunmehr auf einer Änderung bzw. Anpassung des TKG. So wurde § 41a TKG aufgehoben. Eine gesetzliche Regelung, die den Anforderungen an die Netzneutralität angemessen Rechnung trägt, bedarf einer sorgfältigen Abwägung zwischen der Erhaltung eines funktions- und leistungsfähigen Netzes, welches den stetigen Anstieg des Datenverkehrs zu bewältigen hat, auf der einen Seite und dem Interesse der Nutzer an einem bezahlbaren, transparenten und möglichst unbeschränkten Internetzugang auf der anderen Seite. In der Sache geht es also darum, das Verlangsamen, Benachteiligen oder Blockieren von Inhalten, Diensten und Diensteanbietern ohne hinreichenden sachlichen Grund zu verhindern.[155] Mit Gesetz auf Initiative der Bundesregierung aus dem Jahr vom 3.8.2016 wurde eine Anpassung des TKG an die VO (EU) 2015/2120 vorgenommen.[156] Die EU-Verordnung gibt vor, dass ein Netzwerkmanagement nur ausnahmsweise möglich ist, wenn dies technisch geboten oder im Falle streng umrissener und klar festgelegter Ausnahmen im öffentlichen Interesse ist. Zudem gilt für die Übertragung von datenintensiven Diensten, dass diese nur bei ausreichenden Netzkapazitäten angeboten werden dürfen. Die VO verpflichtet die Mitgliedstaaten zum Erlass wirksamer Sanktionen. Die Änderungen im TKG setzen diese Verpflichtung um. Danach werden Verstöße etwa gegen Anordnungen der Bundesnetzagentur zur Gewährleistung der Netzneutralität oder die Transparenzpflichten der Verordnung zukünftig bußgeldbewehrt sein.[157]

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