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3.1 Schutzbereich

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Vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit sind sowohl die Bildung als auch die Äußerung einer bestimmten Auffassung gedeckt. Auf den Wert einer Meinung kommt es nicht an.[130] In diesem Zusammenhang stellen sich in der Praxis Probleme bei der Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen.[131] Die Meinungsfreiheit erfasst das Äußern und Verbreiten von Werturteilen. Dies sind stellungnehmende, dafürhaltende, meinende Äußerungen ohne Berücksichtigung von Wert, Richtigkeit oder Vernünftigkeit,[132] die auch scharf und überspitzt sein können.[133] Tatsachenbehauptungen – mit Ausnahme bewusst unwahrer Behauptungen – werden von der Meinungsäußerungsfreiheit dann geschützt, wenn sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind.[134]

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Das BVerfG räumt der Meinungsfreiheit, „als Grundlage jeder Freiheit überhaupt“[135] einen äußerst hohen Stellenwert ein. Im Verhältnis zu den Persönlichkeitsrechten, die über die Schrankenbestimmung des Art. 5 Abs. 2 GG geschützt sind, spricht im geistigen Meinungskampf „die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede.“[136]

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Der Satz, wonach Karlsruhe der Meinungsfreiheit im Zweifel den Vorrang vor den Persönlichkeitsrechten einräumt, ist an der Entscheidung des EuGH zu Google/Spain[137] zu messen, die den durch das BVerfG für das Verhältnis von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechtsverletzung stets vertretenen Grundsatz „Im Zweifel für die Meinungsfreiheit“ für die Informationsfreiheit im Internet umgekehrt hat. Wegen der Ubiquität des Internets räumt der EuGH den Persönlichkeitsrechten nach der EU-Grundrechtecharta allgemein den Vorrang vor der Informationsfreiheit ein.[138] Da die Informationsfreiheit die Kehrseite des Rechts auf Meinungsfreiheit darstellt, spricht alles dafür, dass der EuGH jedenfalls im Internet den Persönlichkeitsrechten auch einen allgemeinen Vorrang vor der Meinungsfreiheit einräumt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit das besonderes weitreichende Meinungsfreiheitsverständnis des BVerfG durch den Europäischen Gerichtshof eine einschränkende Korrektur erfahren hat.

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Exemplarisch für eine neue Dimension im Spannungsverhältnis zwischen Meinungs- und Kunstfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht ist der Fall Böhmermann/Erdogan, in dem es um Schmähkritik geht. Hinzuweisen ist hier auf die Beschlüsse des BVerfG aus den Jahren 2016 und 2017, wonach der Begriff der Schmähkritik wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng zu verstehen ist. Die Hürden sind hier besonders hoch anzusetzen, weil bei Annahme einer Schmähung keine Abwägung mehr zwischen dem Persönlichkeitsrecht und der Meinungsfreiheit stattfindet, so dass bereits die Einordnung als Schmähkritik besonders sorgfältig und grundrechtssensibel vorzunehmen ist.[139] Im Kern geht es im Fall Böhmermann um einen Beitrag des Moderators in der Sendung Neo Magazin Royal und pointiert formuliert um das Verhältnis zwischen Satirefreiheit und Würde eines Staatspräsidenten, dem despotische Züge zugeschrieben werden. Der türkische Staatspräsident hatte vor einer Böhmermann-Sendung im Anschluss an einen satirischen Beitrag des TV-Magazins Extra 3 den deutschen Botschafter einbestellt und ein Ausstrahlungsverbot der Sendung gefordert. Böhmermann nahm hierauf Bezug und kündigte an ein „Schmähgedicht“ vorzutragen, anhand dessen er die Grenze zwischen zulässiger Satire und unzulässiger Schmähkritik veranschaulichen wolle. In diesem Gedicht beleidigte der Moderator den türkischen Staatspräsidenten drastisch und offen, unter anderem mit Witzen über Sodomieverhalten. Strafrechtlich sah die Staatsanwaltschaft hierin keine Beleidigung, weder gegenüber Erdoǧan als Privatperson (§ 185 StGB) noch als Staatsoberhaupt (§ 103 StGB) und stellte das Verfahren ein, im Wesentlichen weil es an einer ernst gemeinten Herabwürdigung fehle; jedenfalls seien die Aussagen durch die Meinungs- und Kunstfreiheit gerechtfertigt.[140] Die zivilrechtliche Unterlassungsklage führte demgegenüber in erster Instanz zu einem Verbot zur Äußerung des Gedichts in wesentlichen Teilen. Auch wenn die Beschreibungen des Sexuallebens von Erdogan keinen realen Bezug hätten und nicht ernst gemeint seien, müsse der Betroffene sie nicht hinnehmen.[141] Die Entscheidung ist zutreffend, weil es dem Moderator im Rahmen einer Gesamtabwägung auch im Ergebnis erkennbar um eine tiefgreifende Ehrverletzung ohne Sachbezug zum Verhalten des Politikers geht. Demgegenüber hat das LG Hamburg im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens die „politisch unkorrekte“ Bezeichnung einer AfD-Politikerin als „Nazi-Schlampe“ unbeanstandet gelassen, nachdem diese auf einem Parteitag gefordert hatte, „die Political Correctness gehöre auf den Müllhaufen der Geschichte“. Diese Entscheidung über einen Witz zu Political Correctness ist wegen des Sachbezuges zur Äußerung der Politikerin, der im Falle Erdogan gerade nicht erkennbar ist, ebenfalls richtig.[142]

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Problematisch wird zunehmend auch das Verhältnis der Meinungs- und Kunstfreiheit (Art. 5 GG) zur Religionsfreiheit (Art. 4 GG). Im Zusammenhang mit der Affäre um einen Geheimnisverrat im Vatikan („Vatileaks“) im Jahr 2012 veröffentlichte das Satiremagazin Titanic auf der Titelseite ein bearbeitetes Foto des damaligen Papstes Benedikt XVI, das ihn mit einer Soutane, die auf Schritthöhe mit Urin eingenässt ist, zeigt. Die Titelüberschrift dazu lautete “Die undichte Stelle ist gefunden“. Das LG Hamburg untersagte im Eilrechtsschutz die weitere Veröffentlichung des Titelbildes,[143] im späteren Verlauf wurde der Antrag zurückgenommen. Letztlich wird auch in diesem Zusammenhang auf das Kriterium der Schmähkritik abzustellen sein. Verboten ist eine Äußerung oder Abbildung dann, wenn es nicht mehr in erster Linie um den Meinungsaustausch oder die künstlerische Auseinandersetzung geht, sondern darum, den Betroffenen verächtlich zu machen und in seiner Würde herabzusetzen.[144]

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Ob eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil vorliegt, richtet sich im konkreten Fall danach, ob die Aussage einem Wahrheitsbeweis zugeführt werden kann.[145] Da beide Äußerungsformen oft miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen, ist die beschriebene Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen in der Praxis schwierig. Für die Zuordnung hilft es, dass der Begriff der Meinung weit verstanden wird.[146] In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie die insbesondere in den sozialen Medien zunehmenden Phänomene „Hatespeech“ als beleidigende, schmähende Meinungsbekundungen und das Verbreiten von „Fakenews“, also bewusst lancierte Falschmeldungen, einzuordnen sind. Während Hatespeech oftmals einen der Beleidigungstatbestände der §§ 185 ff. StGB erfüllt, sind Fakenews nicht zwingend strafbar, zumindest soweit nicht im Sinne einer Verleumdung (§ 187 StGB) bewusst unwahre Tatsachen über einen anderen verbreitet werden. Insbesondere Fakenews sind aber durchaus geeignet, die Meinungsfreiheit zu verletzen.[147] Die Dienste auf denen teils von privaten Nutzern, teils von professionellen Verlegern Inhalte verbreitet werden, sind häufig Medium und Faktor der Meinungsbildung[148] und somit wegen der Vergleichbarkeit zum Rundfunk als Medien einzuordnen.[149] Wenn unter dem Vorwand, von der Äußerungsfreiheit Gebrauch machen zu wollen, Falschnachrichten verbreitet werden, die im Ergebnis womöglich Einfluss auf die Meinungsbildung bei demokratischen Wahlen nehmen, wird das Grundrecht letztlich ausgehöhlt.[150] Eine Regulierung wie bei den herkömmlichen Medien findet aber bisher nicht statt.[151] Einen dahingehenden Ansatz könnte ein dreistufiger Regelungsmechanismus bieten. In einem ersten Schritt sind Plattformbetreiber wie Facebook in der Pflicht, Falschnachrichten zu identifizieren und zeitnah auf deren Meldung durch Nutzer zu reagieren. Auf einer zweiten Stufe müsste ein Gremium aller betroffenen Diensteanbieter einen Verhaltenskodex beschließen, zu dessen Einhaltung sich alle beteiligten Unternehmen verpflichten. Auf einer dritten Stufe stünde schließlich eine regulierte Selbstregulierung nach Vorbild des Jugendschutzes.[152] Hier würde, legitimiert durch einen Staatsvertrag der Länder, eine vom Staat (begrenzt) beaufsichtigte Selbstkontrolleinrichtung die Aufgabe übernehmen, die Plattformen zu beaufsichtigen und in Anspruch zu nehmen.[153]

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Von der Meinungs- und Informationsfreiheit ist nicht nur das Recht umfasst, eine Meinung zu äußern und zu verbreiten und sich zu informieren (positive Meinungsfreiheit), sondern im Rahmen der sog. negativen Meinungsfreiheit auch das Recht, eine Meinung nicht äußern zu müssen.[154] Geschützt ist schließlich das Kommunikationsgeheimnis, welches grundrechtlich durch das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gem. Art. 10 GG gewährleistet ist.[155]

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