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8. Dienende und ausgestaltungsbedürftige Rundfunkfreiheit

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Nach der Rspr. des BVerfG ist die Rundfunkfreiheit durch strukturelle Besonderheiten gekennzeichnet. Sie dient der freien, individuellen und öffentlichen Meinungsbildung und stellt daher in erster Linie ein drittnütziges Freiheitsrecht dar. Zugleich ist sie ausgestaltungsbedürftige Grundvoraussetzung für eine funktionsfähige Demokratie.[238] Insoweit unterscheidet sich die Rundfunkfreiheit von anderen Grundrechten. Diese gewähren regelmäßig Freiheiten zur Selbstverwirklichung des Einzelnen und schützen subjektiv-rechtliche, individuelle Interessen.

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Die Rundfunkfreiheit wird insofern auch als sog. dienende Freiheit[239] verstanden.[240] Als solche ist sie dadurch gekennzeichnet, dass sie grundrechtlich verbürgte Befugnisse im Interesse Dritter vor dem Zwang und der Intervention des Staates schützt.[241] Sie dient, wenn man so will, der freien, individuellen und öffentlichen Meinungsbildung und zwar in einem umfassenden Sinne, der nicht bloß auf Berichterstattung oder Vermittlung politischer Meinungen reduziert ist. Die Funktion des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG beschränkt sich aufgrund dieser besonderen Eigenschaft nicht auf die Abwehr staatlicher Einflussnahme, sondern erfordert es, eine positive Ordnung zu schaffen, in der die Meinungsvielfalt gewährleistet wird. Zudem muss sichergestellt werden, dass der Rundfunk nicht dem Staat oder gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert wird. Mit dieser Rspr, vertritt das BVerfG einen vermittelnden Ansatz zwischen den widerstreitenden Positionen, die die Rundfunkfreiheit teils als rein subjektiv[242] und teils als rein objektiv begreifen.[243] Die subjektive Betrachtung stellt im Wesentlichen auf den abwehrrechtlichen Charakter[244] der Gewährleistung zugunsten des Rundfunkveranstalters gegen Eingriffe in die Programmautonomie ab, während die objektivrechtliche Sichtweise insbesondere den staatlichen Schutzauftrag mit den Stichworten institutionelle Garantien des Rundfunks und Finanzgewährleistungsanspruch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Vordergrund stellt.

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Für das BVerfG ist die Rundfunkfreiheit in ihren subjektiven und objektiven Komponenten ausgestaltungsbedürftig und darf nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden. Vielmehr muss die Informationsfreiheit des Bürgers durch Ausgewogenheit und Vielfältigkeit des Gesamtangebotes des Rundfunks gewährleistet und positiv geregelt werden. Neben der Ausgewogenheit kommt es insbesondere auf Neutralität und Tendenzfreiheit[245] an. Die inländischen Programme müssen in ihrer Gesamtheit der bestehenden Meinungsvielfalt Rechnung tragen und ihr im Wesentlichen entsprechen. Zudem sind Vorkehrungen dagegen zu treffen, dass der Rundfunk einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert wird. Alle in Betracht kommenden Kräfte müssen im Gesamtprogramm zu Wort kommen können.[246] Diese Ausgestaltungspflicht ist „nicht durch den Wegfall der durch die Knappheit von Sendefrequenzen bedingten Sondersituation entbehrlich geworden. Dies hat sich im Grundsatz durch die technologischen Neuerungen der letzten Jahre und die dadurch ermöglichte Vermehrung der Übertragungskapazitäten sowie die Entwicklung der Medienmärkte nicht geändert.“[247]

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Am Konzept der Ausgestaltungsbedürftigkeit durch den Gesetzgeber wird indes Kritik geübt, weil sie die abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte aushöhle. Im Rahmen der Ausgestaltung des Rundfunkrechts könnten auf diese Weise die Anforderungen der Verfassung an Grundrechtseingriffe umgangen werden.[248] Wegen der unklaren verfassungsrechtlichen Anforderungen an Ausgestaltungsgesetze ist diese Kritik nicht von der Hand zu weisen.[249]

Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht

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