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KAPITEL 1 ZU VOLL UND ZU VIEL ÜBERFORDERT VON ALL MEINEM KRAM
ОглавлениеHeulend sitze ich auf dem Stuhl und bin einfach nur überfordert. Wo soll ich nur anfangen? Berge von Aufgaben und To-dos schreien nach mir. Die Unordnung belastet mich. Wann habe ich eigentlich das letzte Mal Fenster geputzt? Ich kann mich schon nicht mal mehr daran erinnern. Den Patschehändchenabdrücken nach zu urteilen, haben sie es auf jeden Fall dringend mal wieder nötig. Aber wann soll ich das denn auch noch schaffen?
Die Wäsche stapelt sich vor der Waschmaschine wie die dreckigen Kochtöpfe in der Spüle. Kurz überlege ich, ob ich sie noch abwaschen soll und dann darin schnell eine Packung Spaghetti für das Mittagessen koche oder den Spülberg lieber ignoriere und einfach einen neuen Topf aus dem Schrank hole. Der Blick auf die Uhr ist die Antwort. Schnell stehe ich auf und greife zum sauberen Topf. So wächst der Stapel von dreckigem Geschirr zwar noch weiter, aber darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. Außerdem müsste der Große gleich aus der Schule kommen.
Während ich das Wasser in den Topf laufen lasse (was in der vollgestellten Spüle gar nicht so leicht ist), kommen meine zwei Mittleren wütend und kreischend in die Küche gerannt. Schon wieder ein Streit um diesen Stoffhund? Im Ernst? „Habt ihr nicht genug Spielsachen? Wieso könnt ihr nicht einfach mal friedlich damit spielen, ohne euch ständig um die Sachen zu streiten?“, fauche ich meine Kinder an.
Als ich ihre ängstlich aufgerissenen Augen sehe, fühle ich mich plötzlich noch schlechter. Sofort tut mir mein harscher Ton leid. Warum bin ich gleich auf hundertachtzig? Eigentlich will ich meine Kinder doch überhaupt nicht anschreien. Ein angenehmer Umgangston ist mir doch immer so wichtig gewesen.
Aber gerade platzt mein ganzer Frust einfach so aus mir heraus. Irgendwie fühlt sich alles zu viel an. Ich merke, wie die Tränen erneut hochkommen wollen. Ein Gebet blitzt durch meinen Kopf: Gott, es tut mir so leid. Ich möchte so gerne liebevoll sein, aber gerade bin ich zu erschöpft dafür.
Aus dem Kinderzimmer höre ich Babyweinen und werde so aus meinen deprimierenden Gedanken gerissen. Schnell wische ich mir mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht, bitte Jesus um Kraft für die nächste Runde, entschuldige mich bei meinen Kleinen für meinen harten Ton („Tut mir leid, dass ich gerade so laut geworden bin. Mami ist einfach müde. Bitte entschuldigt euch auch beieinander und streitet euch nicht länger um diesen Hund“) und mache mich auf in Richtung Kinderzimmer, um nach meinem Babysohn zu schauen.
Seufzend öffne ich die Tür und kann nicht anders, als mich zu fragen, ob es jemals einen Ausweg aus dieser Mühle geben kann. Wird es immer so weitergehen müssen, dass ich ständig das Gefühl habe hinterherzuhinken? Wird es mir niemals gelingen, Ordnung in unser Chaos zu bringen? Irgendwie habe ich nie das Gefühl, fertig zu sein. Es gibt immer noch mehr zu tun.
Ich sehne mich so sehr danach, Zeit zu haben. Zeit für das, was mir wichtig ist: etwas Schönes mit meinen Kindern zu unternehmen, einen Kaffee und ein tiefes Gespräch mit meiner Freundin zu genießen oder mal wieder meinem alten Hobby nachzugehen. Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal einen Freiraum dafür? Es scheint mir, als ob all meine Zeit nur noch für den Haushalt draufgeht. Glücklich bin ich damit nicht.
Vorsichtig hebe ich meinen Süßen aus seinem kleinen Bett. Seine schnuckeligen Ärmchen zappeln wild auf und ab, den Mund hat er schon weit aufgerissen und er sucht ungeduldig nach seiner Milchquelle. „Ist ja gut, mein Kleiner. Gleich gibt’s endlich etwas zu trinken.“ Gemütlich kuschle ich mich mit ihm zusammen aufs Sofa und lasse ihn trinken. Die beiden Mittleren haben sich inzwischen wieder versöhnt und spielen halbwegs friedlich mit den Bausteinen.
Diese plötzliche Ruhe auf einmal – himmlisch. Wird es sich in mir auch irgendwann wieder so ruhig anfühlen? Meistens sind meine Gedanken alles andere als ruhig. Sie wirbeln herum wie aufgescheuchte Hühner. Gleich muss ich noch Essen kochen. Heute Nachmittag steht noch der Musikunterricht an (für den wir die ganze Woche nicht ein Mal geübt haben … Oh Mann, wird das wieder peinlich). Die Wäscheberge sind immer noch da und die Waschmaschine piepst seit Stunden, dass die Wäsche fertig ist.
DIE LISTE AN AUFGABEN SCHIEN EINFACH KEIN ENDE ZU NEHMEN. ICH KONNTE ABER NICHT NOCH MEHR SCHAFFEN UND WAR TOTAL ERLEDIGT.
Oft bin ich eher wie mein hungriges Baby. Aufgescheucht und mit den Armen zappelnd renne ich von einer Aufgabe zur nächsten durch das Haus in der Hoffnung, irgendwie Herr über das Chaos zu werden. Wie mein Sohn sich nach seiner Milch sehnt, um satt zu werden und Zufriedenheit zu erleben, bin ich immer wieder auf der Suche nach Organisationstipps und Lifehacks. Verzweifelt wünsche ich mir, dass es stimmt, was sie versprechen: dass endlich alles übersichtlicher und ruhiger wird, wenn ich sie nur richtig umsetze.
Aber entweder ich mache irgendetwas falsch oder diese Orga-Inspirationen funktionieren nicht so, wie ich es mir erhofft habe. Obwohl ich so motiviert bin und endlos viele Stunden in all diese Sortierungs- und Aufbewahrungssysteme gesteckt habe, sitze ich immer noch hier in meiner Überforderung und kämpfe mit den Tränen. Die Liste an Aufgaben scheint einfach nie ein Ende zu nehmen. Ich kann aber nicht noch mehr schaffen und bin ja jetzt schon total erledigt.
Irgendwie ahne ich langsam, dass das Chaos und die Überforderung und die vielen To-dos vielleicht daher rühren, dass unser Zuhause einfach viel zu voll ist. Ja, mir ist klar, dass eine Mama viel zu tun hat (ganz besonders, wenn man wie wir vier Kinder hat), aber trotzdem: Wenn ich genau darüber nachdenke, dreht sich ein Großteil meiner Arbeit, die mich so auf Trab hält, eigentlich mehr um Dinge als um meine Kinder. Klar, ich versorge sie, indem ich für Essen auf dem Tisch und saubere Kleidung im Schrank sorge, aber eigentlich dürfte das ja nicht so zeitfressend sein. Ich bin ständig in Bewegung, räume dies nach hier und jenes nach da, suche etwas dort und finde es nachher doch wo ganz anders (falls ich es überhaupt finde …).
Ich habe so viel. Und trotzdem bin ich nicht glücklich – mit meiner randvollen Spüle mit dem dreckigen Geschirr und tausend anderen To-dos im Kopf, die ich eigentlich lieber gestern als heute hätte erledigen sollen. Glücklich bin ich nicht, dass ich anfange, meine Kinder anzuschreien, weil ich gerade das Gefühl habe, in Aufgaben und Arbeit zu versinken, und mir alles zu viel wird. Und glücklich bin ich auch nicht, wenn ich daran denke, dass morgen Besuch kommt und ich es bis dahin doch wenigstens noch schaffen wollte, das Bad zu putzen und den Boden von den unzähligen Krümeln und kleinen Spielsachen zu befreien.
Wieso kann ich mich nicht so richtig über unsere Fülle freuen? Ich bin doch umgeben von Reichtum und sollte die glücklichste Frau auf dieser Erde sein! Durch einen Auslandseinsatz, den ich mit zwanzig Jahren machen durfte, weiß ich aus erster Hand, wie arm andere Menschen leben müssen. Dass sie über die Maßen jubeln würden, wenn sie meine Vorratsschränke mit Lebensmitteln oder meinen vollgepackten Kleiderschrank zur Verfügung hätten.
Wenn ich mir vorstelle, was die Kinder, die ich an diesem verarmten Ort kennenlernen durfte, für freudige Augen bekommen würden, wenn sie die Spielsachen nutzen dürften, die meine Kinder haben – ich glaube, sie könnten ihr Glück kaum fassen! Meine Kinder dagegen gehen in ihren Spielbergen unter und scheinen – genau wie ich – nicht so glücklich, wie sie es doch eigentlich sein müssten.
Manchmal kommt es mir so vor, als ob gerade die Menge ihrer Spielsachen sie oftmals überfordert. Dabei dachten wir, wir würden ihnen eine Freude machen, als wir ihnen diese Sachen geschenkt haben. Ist nicht eigentlich die große Auswahl an Dingen gut? Besonders dann müssten doch eigentlich weniger Streitigkeiten unter den Geschwistern da sein. Warum bekommen sie sich trotzdem immer wieder in die Haare und zerren zeternd zu zweit an genau diesem einen Stoffhund, wo sie doch eine ganze Kiste mit anderen Kuscheltieren haben?
EIGENTLICH MÜSSTE AUCH ICH SATT UND ZUFRIEDEN SEIN BEI ALL DEM, WAS ICH BESITZEN DARF. WARUM SEHNE ICH MICH TROTZDEM NACH NOCH MEHR UND BIN EHER HUNGRIG ALS SATT?
Was ist bloß los mit uns?
Mein Blick fällt auf meinen kleinen Sohn in meinen Armen. Seine Augen sind geschlossen, die Gesichtsmuskeln entspannt. Ein kleiner Tropfen Milch kullert langsam von seinen Lippen die Wange hinunter. Er ist satt und zufrieden. Eigentlich müsste doch auch ich satt und zufrieden sein bei all dem, was ich besitzen darf. Warum sehne ich mich trotzdem nach noch mehr und bin eher hungrig als satt? Das „noch mehr“ kann doch nicht die Lösung sein, oder?