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Der Spaziergang

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Ein strahlender Novembertag lockt uns ins Freie.

Mein Mann Helmut und ich nehmen uns mal wieder Zeit, ans ach so heiß geliebte Meer zu fahren.

Nur wenige Kilometer legen wir zurück und schon sind wir am schönsten Strand der Welt.

Das weite, unendliche Meer ist immer wieder aufs Neue ein atemberaubender Anblick. Es ist fast windstill und vom Sonnenlicht bestrahlt glitzert das Wasser. Kleine Wellen tanzen auf und ab, um dann leise plätschernd zu meinen Füßen an den Strand zu laufen. Die Schuhe habe ich längst ausgezogen und meine Füße versinken bei jeder Bewegung des Wassers ein Stückchen tiefer in den Sand.

Fische umkreisen meine Beine, lassen sich nicht stören und ziehen ungerührt in Schwärmen weiter ihre Runden.

Für einen himmlischen Moment, strecke ich mein Gesicht der Sonne entgegen und sauge die wohltuende Wärme in mich hinein.

Ich schließe die Augen und atme diesen würzigen, unverwechselbaren Duft ganz tief in meine Lunge. Was kann es Schöneres geben?

Als ich die Augen wieder öffne, entdecke ich weit draußen ein Segelschiff. Deutlich kann man den Mast und die Segel erkennen. Ja, hier ist es möglich im November noch Touren zu unternehmen, denn das Ionische Meer ist freundlich.

Wir sind in Griechenland am Mittelmeer.

Ein Sekundentraum hält mich gefangen: Ich sitze auf unserem Segelschiff, einem 9,5 Meter langen klassischen Segler der Marke Maxi 95 und durchlebe viele Stationen hautnah. Bilder ziehen an meinem inneren Auge vorbei, so als geschehen sie genau in diesem Augenblick. Wie wunderbar waren all die Erlebnisse auf der Ostsee, wie spannend die Fahrt durch die Kanäle Europas und prickelnd und voller Vorfreude die Reise über das Mittelmeer in eine neue Heimat.

Die Bilder verschwinden – ich bin wieder da und genieße den Nachhall meiner Träumereien.

In der Zwischenzeit hat der Segler das Weite gesucht.

Helmut kennt das schon von mir, wenn ich am Meer bin, brauche ich einen Moment der Stille. Er lässt mich stets gewähren, wartet auch geduldig, bis ich meine Füße abgetrocknet habe und die Schuhe verschnürt sind.

Die Wanderung kann losgehen.

Der Strand ist zu dieser Jahreszeit menschenleer, der Sand knirscht unter jedem unserer Schritte. Die Sommerhäuschen sind verwaist, in der Ferne bellt ein Hund.

Ich halte Ausschau nach einer schönen Muschel oder einem besonderen Stein, die ich für meine Sammlung in eine mitgebrachte Stofftasche legen will.

Helmut hebt ein Stöckchen auf und wirft es weit weg.

Wie ein Pfeil rast unser Hündchen, die kleine Sari, hinterher. Unbändige Lebensfreude macht sich breit, sie rennt im Kreis, buddelt ganz wichtig ein tiefes Loch und schmeißt sich außer Atem platt auf den warmen Sand. Doch die Ruhepause hält nicht lange an, erwartungsvoll blickt sie auf, vielleicht kommt ja wieder etwas geflogen.

Sari steht in den Startlöchern, um erneut loszurasen, denn schon fegt ein neues Teil durch die Luft. Ohne Mühe findet sie den Stock, läuft mit schnüffelnder Nase und schwanzwedelnd die Strecke ab. Da riecht es doch nach Herrchens Hand.

Wir rufen, damit sie das Teil zurückbringt, doch vor lauter Begeisterung rast Sari an uns vorbei und wieder in Schräglage im Kreis. Dabei streift sie mit ihren Pfoten ganz aus Versehen durchs Wasser, stoppt etwas erschrocken, schaut sich um, läuft durch den Sand und wieder zurück zum Meer, denn schnell hat sie erkannt, hier droht keine Gefahr.

Wir warten gespannt, ob unser Hundekind wohl richtig baden geht. Das Vollbad hebt Sari sich für den nächsten Ausflug auf, viel lieber folgt sie uns am Strand entlang, weiter immer weiter. Meist läuft sie ein Stück voraus, guckt sich aber häufig um, ob Frauchen und Herrchen noch da sind. Wenn sie uns entdeckt, strebt sie fröhlich voran.

Immer wieder geht mein Blick hinaus aufs Meer, oh wie ich diese Erde liebe mit ihrer wunderbaren Natur. Die schönsten Orte der Welt sind für mich der Wald und das Meer. Beides haben wir in unserer neuen Heimat ganz in der Nähe und können nach Herzenslust darin schwelgen.

Meine Gedanken wandern zurück und tief empfundene Freude aus Kindertagen wird lebendig.

Ich denke an die vielen Sonntagsausflüge, die wir mit den Eltern unternommen haben, wenn Vater auf Fronturlaub war.

Während wir zu Hause keinen Schritt aus dem Gartentor machen durften, waren diese Wanderungen Freiheit pur.

Morgens mussten wir allerdings artig antreten zum Zöpfe flechten, Nägel putzen und die schrecklichen weißen Strümpfe anziehen, die vor dem Abmarsch auf keinen Fall schmutzig werden durften. Dann bekamen wir alle vier die gleichen Blusen und Faltenröcke an, die Mutter vorher oft bis spät in die Nacht selbst genäht hatte. Sie wollte doch stolz auf uns sein und Vater sollte Freude an seinen Mädels haben, wo er sich doch eigentlich nur Jungs gewünscht hatte.


Wie die Orgelpfeifen standen wir artig da, die Faltenrockfamilie nannten uns die Nachbarn, für die Abfahrt bereit.

Manchmal sind wir mit einem Dampfer die Elbe entlanggefahren, ein anderes Mal durften wir im Wald umhertollen. Oft spielten wir dann von Baum an Baum, wer hat kein Baum.

Wie beglückend war es, wenn ich es schaffte einen Stamm zu umarmen und die Rinde an der Wange zu spüren, denn einer von uns blieb stets ohne Baum und musste erneut das Spiel aufsagen.


Während wir sonst mit unseren Schuhen nicht schlurfen durften, war es im Herbstwald erlaubt. Welch ein herrliches Gefühl war das, wenn unsere Schritte durch den dicken, bunten Blätterteppich zogen. Das Rascheln vom Laub war meine glückliche Kinderwelt.

Versunken ging ich weiter, ohne mich umzudrehen, bis ich irgendwann gerufen wurde, wir mussten heim.

Gern erinnere ich mich an Spaziergänge, bei denen sich zu beiden Seiten des Weges Kornfelder erstreckten. Die Ähren wiegten sich leise im Wind und von der Sonne erwärmt, roch alles gut, so richtig gut.

Auf den Wegen konnte immer nur einer links und der andere rechts gehen, denn die Mitte war aus Grasbüscheln und ganz buckelig. Dort konnte man leicht stolpern und hinfallen. So liefen wir im Gänsemarsch hintereinander her, das Kornfeld zu betreten, war strengstens verboten. Kein Halm durfte beschädigt werden, denn aus dem Korn sollte Mehl gewonnen und später mit dem Mehl Brot gebacken werden. Das haben wir verstanden und niemals einen Halm geknickt.

Zum Glück blühten auch am Feldrand die schönen blauen Kornblumen, die ich so gern gepflückt habe. Mittendrin im Feld waren die Blumen meiner Meinung nach viel größer, doch auf keinen Fall hätte ich es gewagt nur einen einzigen Schritt zwischen die Ähren zu gehen. Dafür habe ich mich lieber in meine bunte Märchenwelt zurückgezogen, wollte am liebsten ein Zwerglein sein und mitten im Feld zwischen Mohn- und Kornblumen und den wilden Stiefmütterchen mit anderen Zwergen in einem kleinen Häuschen wohnen und spielen.

Es ist schon eigenartig, die Erinnerung hat mich eingeholt.

Immer noch mag ich kuschelige Räume lieber als große, finde kleine Fenster viel schöner als riesige Glasfronten. Wenn ich Natur brauche, gehe ich hinaus, drinnen möchte ich viel Behaglichkeit, das hat sich seit meiner Kindheit nie geändert.

*****

Mich fröstelt leicht, Sari kommt angerannt und springt an mir hoch. Ich glaube, sie ist langsam müde. Mit froher Gewissheit fahren wir nach Hause, denn so einen Spaziergang können wir jederzeit wiederholen.

Abendrot (3) Die Reise zu mir: Glaube - Liebe - Hoffnung

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