Читать книгу Abendrot (3) Die Reise zu mir: Glaube - Liebe - Hoffnung - Anne-Marie Loundt - Страница 7
Weihnachtszeit
ОглавлениеDas Fest der Lichter rückt näher, eine Zeit, die Helmut und ich immer sehr genießen. All die Jahre unseres gemeinsamen Lebens waren wir fast nie ohne Tannenbaum. Nur einmal bei der Überwinterung im Hafen von Korfu auf unserem Segelschiff, das wir nach einem Mix unserer beider Vornamen (Anne und Helmut) Annmut tauften, haben wir einen voll erblühten Mimosenzweig bunt geschmückt. Mimosenduft statt Tannenduft zog zart in den Salon, in dem abends eine Lichterkette glitzerte, die mein Mann mit viel Mühe auf zwölf Volt umgebastelt hatte. Ja, und trotz Sonnenschein und ohne Schnee empfanden wir selige Weihnachtszeit.
Gern denke ich an das erste Weihnachten in Schweden zurück, als Helmut aus Holz einen stabilen Fuß für das kleine Bäumchen gezimmert hat, das wir aus dem nahen Wald holen durften.
Dort bekam ich auch die ersten Anhänger. Aus Streichhölzern entstand ein Schlitten, den ich voller Begeisterung an einen Zweig gehängt habe. Den von Helmut geschnitzten und bemalten Engel und auch den Nikolaus habe ich heute noch, der Schlitten ist leider entzwei gegangen. Seitdem ist kein Jahr vergangen, in dem ich nicht ein bis zwei Anhänger gekauft, manchmal auch geschenkt bekommen habe.
Eine Kiste ist prall gefüllt mit Mini-Kugeln, Glöckchen aus Glas, knallroten Äpfelchen und buntgewürfelten Holzanhängern.
Liebevoll verteilt hängen dann rund um den Baum meine Kostbarkeiten wie Schornsteinfeger, Schiffchen, eine Mühle, eine Krippe, ein Schlittschuhläufer, das Christkind auf einem Schlitten, ein Zinnsoldat, allerlei Engelchen aus verschiedenen Materialien und vieles mehr.
Es ist jedes Mal aufs Neue eine große Freude, den Baum mit Hingabe zu schmücken, ob es wie einst eine Tanne, Fichte, einmal sogar eine Edeltanne war oder wie jetzt ein schön gestalteter, unechter Baum, den wir wieder und wieder aufstellen können. Statt natürlicher Kerzen leuchten nun viele elektrische Lämpchen, die wir gedimmt, mal mehr, mal weniger, stundenlang glitzern lassen. Bei verspielten Kätzchen im Haus ist das eine sichere Sache.
Natürliche Kerzen entzünde ich in der dunklen Jahreszeit immer dort, wo wir uns gerade aufhalten, auch Teelichter, in bunten Gläsern sicher verwahrt, leuchten auf den Fensterbänken hinaus in die Nacht.
Prickelnd ist nun die Vorfreude auf das erste Weihnachtsfest im Achteckhaus. In der Diele haben wir gemeinsam den genauen Platz für den Christbaum ausgesucht, der möglichst fast bis an die Decke reichen soll.
Vor Fertigstellung der Holzdecke hatte Helmut extra ein Stromkabel verlegt. Das ist nun völlig versteckt und nur ein kleines Verbindungsteil ist an der Decke sichtbar. Es ist einfach toll, wenn man einen so geschickten Handwerker im Haus hat.
Ungeduldig wartet mein Mann auf Weihnachtsdekoration in den Geschäften.
Mitte November ist es dann endlich soweit. Glückstrahlend schleppen wir den großen Karton in die Diele, öffnen ihn aufgeregt und wie könnte es anders sein, stellen den Baum sofort auf. Gleichmäßig gewachsen steht er nun da mit seinen kurzen dicht gedrängten Nadeln und vielen Nebenzweigen und hofft auf das Festkleid.
Wir sind rundum zufrieden, denn ein wenig Sorge hatten wir schon, ob uns ein unechter Baum gefallen würde.
Zunächst verteilt Helmut die elektrischen Lichterketten künstlerisch um den Baum herum. Es sind dünne Kabel mit kleinen weißen und auch bunten Glühlämpchen und außerdem rote Elektrokerzen, die mit ihren Überlauftropfen fast wie echte aussehen – damit können wir gut leben.
Voller Spannung warte ich, bis der Deckenanschluss verkabelt ist und schalte dann den Strom an. Alles leuchtet im zarten Licht, auch der Dimmer funktioniert mittel oder ganz hell – welch eine Freude.
„So, nun bist du dran“, meint mein Dekorateur, „ich hole dir gleich die Weihnachtskartons vom Boden.“
Ich mach uns derweil einen Kaffee, denn das muss gefeiert werden. Mit der gleichen Hingabe, wie ich all unsere Heime zur Weihnachtszeit stets geschmückt habe, gehe ich auch hier ans Werk, laufe von Raum zu Raum und lasse mir viel Zeit, damit das Spielen länger anhält.
Statt Frühlings- und Sommerschmuck hängen nun Sterne und Engel aus Stroh an den Haken, an denen sonst Blumenkränze und Gestecke die Wohnung zieren.
Anstelle meines geliebten Elefantenteppichs, schmückt nun ein von uns vor vielen Jahren gebasteltes Krippenbild die Wand.
Zwischendurch frage ich Helmut ein wenig zaghaft: „Ist das Ganze vielleicht zu überladen?“
„Keine Sorge, hänge und stelle nur alles auf, was du möchtest, ich fühle mich sehr wohl mit dir in unserem Puppenhaus.“
Das lass ich mir nicht zweimal sagen und ungebremst verteile ich die teils schon sehr alten liebgewordenen Dinge an Fensterscheiben und Wänden, vergesse dabei auch nicht die Tierküche und unsere geliebte Hütte, das kuschelige Nest der ersten acht Jahre.
Der Drahtring vom Blumenkranz des 1. Mai hängt nackt in der Werkstatt am Haken. Den halte ich Helmut mit bittendem Blick vor die Nase: „Bastelst du mir einen Adventskranz?“
„Wenn du mir hilfst Äste zu schneiden, mache ich das gerne.“
Weit laufen müssen wir nicht, denn Kiefern und Zypressen stehen auf unserem Grundstück, die geben uns ein paar ihrer Zweige ab – das weiß ich.
Mit viel Liebe wickelt mein Liebling Zweig über Zweig. Immer wieder betrachtet er das Gebilde von allen Seiten und so entsteht ein machtvoller Kranz, der bald von mir bunt geschmückt und herrlich duftend in der Diele von der Decke hängt.
Die Weihnachtszeit beginnt mit lieblicher Musik und Kerzenschein. Uns stört es nicht, wenn‘s draußen auch mal düster ausschaut, wenn’s ab und an mal stürmt und regnet, denn wenn drinnen die Lichter leuchten, kehrt Freude in unsere Herzen ein: Oh du fröhliche, selige Weihnachtszeit.
Beim Niederschreiben vom letzten Satz fliegen meine Gedanken in die Weihnacht meiner Kinderzeit :
Obwohl die Küchentür verschlossen und für uns der Zutritt verboten war, zogen mir wohlbekannte Düfte in die Nase, die Plätzchenbäckerei hatte begonnen. Ging ich an den wohlvertrauten Bildern, wie die Akelei und die betenden Hände von Albrecht Dürer vorbei (das hatte Mutti mir erzählt), roch es immer im Dezember wie in meinem geliebten Wald, weil hinter diesen und allen anderen Bildern, Tannenzweige steckten.
Die Zithern meiner Mutter und meiner ältesten Schwester standen bereit und wenn es draußen schummrig wurde, erklangen die Lieder in der Dobützer Straße 44 in Dresden.
Unendlich viele Lieder mit vielen Strophen, hatte ich in unserer Familie gesungen. Dabei hatte ich tiefe Freude, die manchmal so groß war, dass meine Stimme bebte und ich fast geweint hätte vor Glückseligkeit.
Die Kekse wurden sicher in Dosen versteckt und erst zum Nikolaustag bekamen wir vier Mädchen die ersten Kostproben.
Für jede von uns stand ein Glasteller bereit, unter dem eine aus farbigem Papier geschnittene Faltdecke lag. Das schöne Muster leuchtete durch den Teller hindurch, die Kekse schmeckten köstlich, aber auch nach mehr.
Ich kleine Naschkatze hätte statt der Decke unterm Teller lieber einen Berg Kekse auf dem Teller gehabt, das weiß ich noch heute. Ich weiß aber auch damals wie heute, dass die mit viel Mühe ausgestochenen und gebackenen Kekse für viele reichen sollten. Für uns Kinder, für Vati, wenn er auf Urlaub kam und auch die vielen Päckchen, die Mutti immer als Weihnachtsgruß an die Nachbarsöhne, die fern an der Front ihren Dienst taten, verschenkt hatte.
Schon damals habe ich gelernt gerne mit anderen zu teilen, etwas Kostbares abzugeben.
In froher Erwartung vergingen die Tage bis zum Fest und erst am Heiligen Abend durften wir den mit gezuckerten Kringeln, Schnitzereien aus dem Erzgebirge und Bienenwachskerzen geschmückten Baum bestaunen.
Was wird wohl in den Päckchen sein? An eine Puppe von meiner Patentante kann ich mich noch sehr gut erinnern, die hat mich bis nach Schweden begleitet, wo ich sie entsorgt und das sehr lange bereut habe.
Heute überlege ich sehr genau, ob ich etwas wegwerfe oder doch lieber behalte.
Zu allen Festtagen haben wir immer am großen runden Tisch im Wohnzimmer gegessen, auf dessen schneeweißer Decke das Enziangeschirr stand. Über jedem Teller lag ein Tannenzweig.
Wenn alle versammelt waren, das Essen aufgetragen war, haben wir uns im Kreis die Hände gereicht und Gesegnete Mahlzeit gesagt.
Das selige Weihnachtsgefühl meiner Kindheit habe ich mir all die Jahre bewahrt und es in Helmuts Leben getragen.
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Ja, wir freuen uns wie die Kinder über unser geschmücktes Haus. Rechtzeitig darf Helmut seinen Essenswunsch äußern, bis jetzt war es immer unbedingt Rotkohl, Kartoffeln und Braten.
Ganz wichtig: „Zu Sylvester möchte ich deinen tollen Kartoffelsalat und Würstchen.“ Das soll er gerne wieder bekommen.
Bunte Zuckerkringel hängen bei uns nicht am Baum, aber wie in meiner Kindheit gibt es auch bei uns jedes Jahr einen bunten Teller. Mal nach Herzenslust naschen, das ist doch herrlich, schließlich ist Weihnachten.
Beizeiten lege ich einen kleinen Vorrat an und da mein Racker die Nachfüllschieblade sehr genau kennt, fordert er lieb verschmitzt schon mal einen Vorschuss. Den gewähre ich ihm gerne, es macht Spaß ihn zu verwöhnen, es macht mir große Freude, weil er so strahlt und genießt.
Die Wochen fliegen dahin, ein neues Jahr hat seinen Einzug gehalten. Mit dem fünften Januar, an dem jedes Jahr der Pastor kommt, um unser und aller Leute Häuser im Dorf zu segnen, geht die schöne Weihnachtszeit zu Ende.
Der Baum und mit ihm der viele Schmuck, wird in Schachteln und Kartons liebevoll verpackt und auf dem Boden verstaut – bis zur nächsten Weihnachtszeit.