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Wie versprochen hatte Tom sich direkt nach seiner Ankunft in Hamburg mit einer Mail gemeldet. Da wir vergessen hatten, unsere Telefonnummern auszutauschen, holten wir das nach und zu unseren regelmäßig versandten Nachrichten, kamen nun auch lange Telefonate. Ich liebte es, seine Stimme zu hören. Manchmal telefonierten wir bis tief in die Nacht hinein, was zur Folge hatte, dass ich tagsüber hundemüde, aber mit einen seligen Lächeln auf meinem Bürostuhl saß. Mein neuer Vorgesetzter, Herr Sieme, musste vermutlich schon denken, dass ich unter Drogen stand.

Unser Wiedersehen hatten wir für das übernächste Wochenende nach unserem ersten Treffen geplant. Wie gerne ich Tom bereits sofort am nächsten Wochenende wiedergesehen hätte, muss ich sicher nicht erwähnen, aber leider war es nicht möglich. Tom war auf der Hochzeit eines Freundes eingeladen und würde bereits am Freitag nach Heidelberg reisen, wo die Hochzeit stattfinden sollte. Ich bildete mir ein, echtes Bedauern in seiner Stimme zu hören, als er mir von seinen Reiseplänen berichtete ... schließlich hatte es zur Folge, dass wir uns ein wenig gedulden mussten, bevor wir uns wieder gegenüberstehen konnten.

Dennoch vergingen die folgenden zwei Wochen wie im Flug und eh ich mich versah, war bereits wieder Freitag. Wir hatten uns jeden Tag mindestens einmal gesprochen und zusätzlich noch unzählige Nachrichten hin und her geschickt. Verabredet war, dass ich am Morgen zu Tom nach Hamburg fahren, die Nacht bei ihm in der Wohnung übernachten und am Sonntagabend wieder zurückfahren würde. Die Zugtickets hatte ich bereits gekauft und war gerade dabei, meine Tasche für eine Übernachtung zusammenzupacken. Leicht nervös wühlte ich in meiner bescheidenen Auswahl an Nachtwäsche und zog stirnrunzelnd einen geblümten Pyjama hervor. In diesem Moment klingelte es an der Tür, so dass ich ihn schnell auf mein Bett schmiss, um zu öffnen.

Vor der Tür stand eine wie immer gut gelaunte Anne, der ich schon direkt an dem Sonntagabend nach unserem ersten Treffen ausführlich von meinem schönen Wochenende berichtet hatte. Anne fühlte sich natürlich bestätigt und hielt mir wieder und wieder vor, wie gut doch nun ihre Idee gewesen war, ein Friendscout24-Profil für mich zu eröffnen. Ja, ich war ihr wirklich unglaublich dankbar dafür und sagte es ihr daher auch gerne immer wieder.

Anne stolzierte ohne Umwege direkt in mein Schlafzimmer und begutachtete die auf Bett und Boden verteilte Auswahl an Kleidungsstücken. Entsetzt sah sie auf und deutete auf den geblümten Pyjama: "Das ist aber nicht dein Ernst, oder? Du willst doch nicht, dass Tom sofort die Flucht ergreift, wenn er Dich darin sieht ..."

"Mensch, Anne, ich habe gerade erst angefangen nachzusehen, was ich mitnehmen kann, als Du geklingelt hast. Ich hatte mich noch längst nicht entschieden", verteidigte ich mich beleidigt.

Schnell stopfte ich den Pyjama wieder zurück in meinen Schrank und sah mich nach einem geeigneteren Exemplar um. Anne, die mir neugierig über die Schulter schaute, rümpfte die Nase. Sie schüttelte so heftig mit dem Kopf, dass ihr perfekt frisierter blonder Pferdeschwanz hin und her wippte. "Du ziehst am besten keinen von diesen Dingern an, würde ich sagen."

Ich musste zugeben, dass ich leider nur unförmige Pyjamas im Angebot hatte, die zwar bequem, aber wirklich nicht für fremde Augen bestimmt waren. Schmunzelnd musste ich daran denken, wie oft ich in den letzten zwei Wochen genau in diesen Kleidungsstücken am Telefon gesessen und stundenlange Telefonate mit Tom geführt hatte. Wie gut, dass es noch kein Bildtelefon gab ...

"Hier, zieh das morgen Nacht an, das geht", meinte Anne und hielt mein kurzärmeliges Mickey-Mouse-Shirt hoch. Es war weit und gemütlich und ich zog es ab und zu an, wenn ich im Hochsommer keinen Pyjama tragen wollte. Es reichte allerdings nur bis kurz über meinen Po und ich bezweifelte, dass ich mich damit angezogen genug fühlen würde.

"Hm, dann müsste ich noch irgendwas für untenrum mitnehmen", überlegte ich noch, was Anne allerdings nur wieder zum Kopfschütteln brachte.

"Blödsinn, Du hast tolle Beine, die darfst Du ihm ruhig zeigen. Außerdem habt Ihr Euch doch schon geküsst, also darf er diesmal ruhig ein wenig mehr von Dir sehen."

Errötend wandte ich mich ab, was Anne mit einem missbilligenden Schnalzen kommentierte. "Merle, ich bitte Dich. Man könnte meinen, dass Tom der allererste Mann ist, der Dich geküsst hat und Dich eventuell nackt sehen könnte."

"Nein ... natürlich nicht, aber ich habe da trotzdem eine Hemmschwelle, die ich nicht einfach so beseitigen kann," verteidigte ich mich gekränkt. Anne wusste ganz genau, wie schwer ich mich tat, und es musste nicht sein, dass sie mir das ständig aufs Brot schmierte.

Ich dachte kurz an Frank und Matthias, meine beiden Ex-Freunde.

Frank hatte ich mit 19 Jahren in einer Diskothek kennengelernt. Eigentlich hatte er zuerst sein Glück bei Anne und dann bei meiner Freundin Kerstin versucht. Als er jedoch sowohl von der einen als auch von der anderen einen Korb kassiert hatte, hatte er sich letztendlich mir zugewandt. Ja, klar, ich war mir bewusst darüber, dass ich nur die 3. Wahl war, aber wir verstanden uns auf Anhieb gut und ich war einfach froh, dass sich überhaupt einmal jemand für mich interessierte. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag zum Eis essen und wurden noch am selben Tag ein Paar. Leider war Frank genauso unerfahren wie ich und so kam es, dass mein erstes Mal alles andere als erinnerungswürdig blieb. Aber ich hatte einen Freund und war schon irgendwie glücklich ... und auch im Bett lief es irgendwann besser.

Die Beziehung zu Frank hielt ganze zwei Jahre, bis er schließlich auf der Arbeit eine Kollegin kennen und lieben lernte, mit der er heute verheiratet ist und drei bezaubernde Kinder hat. Ich war ihm damals nicht einmal böse, weil mir von Anfang an klar war, dass Frank nicht der Mann meines Lebens sein würde und es lediglich eine Frage der Zeit war, bis einer von uns die Reißleine ziehen würde. Vielleicht war ich sogar insgeheim froh darüber, dass er es war, denn ich hätte mich sehr schwer damit getan, ihm wehzutun.

Auch das war wohl typisch für mich: lieber ließ ich mir das Herz rausreißen und darauf rumtrampeln als umgekehrt. Anne hatte schon damals nicht verstanden, warum ich Frank zum Abschied nicht wenigstens eine schallende Ohrfeige verpasst hatte. Sie, so hatte sie damals leidenschaftlich bekräftigt, hätte ihm definitiv in die Eier getreten.

Eine Weile später lernte ich auf einer Firmenfeier Matthias kennen, der vor kurzem als Kfz-Mechaniker bei uns angefangen war. Nachdem wir zu späterer Stunde beide leicht angetrunken auf dem gleichen Stuhl Platz nehmen wollten, war es um uns geschehen. Noch in der gleichen Nacht kam er mit zu mir. Als ich am nächsten Morgen völlig verkatert die Augen öffnete und ihn schnarchend neben mir vorfand, wäre ich vor Scham am liebsten im Erdboden versunken. Zumal ich mich an die Nacht nur noch sehr dunkel, wenn überhaupt, erinnern konnte. Aber wir blieben knappe neun Monate zusammen, bis ich scheinbar auch Matthias zu langweilen begann. Er kümmerte sich lieber um seine zu tunenden Autos, als weiterhin Zeit mit mir zu verbringen. Und so verlief meine zweite Beziehung ebenfalls irgendwann im Sande und auch diesmal war ich nicht wirklich traurig darüber gewesen.

"Merle?", riss Anne mich aus meinen Gedanken, "was ist? Alles ok?"

"Ja ... klar ... ich war nur gerade in Gedanken ... alles ok," versicherte ich ihr schnell.

Anne nahm neben mir auf dem Bett Platz und legte ihre Hand auf mein Bein. "Das kann ich Dir gerade irgendwie nicht glauben. Willst Du drüber reden?"

Ich ließ die Augen durch mein kleines Schlafzimmer schweifen. Ich hatte inzwischen fast den kompletten Inhalt meines Kleiderschranks im Zimmer verteilt und das nur, um einige wenige Kleidungsstücke für lediglich eine Übernachtung herauszusuchen. Fündig war ich dennoch nicht geworden und bezweifelte auch, dass ich je zufrieden mit der später getroffenen Auswahl sein würde.

Ich seufzte: "Ach, Anne, ich fühl mich einfach so ... so ... unsicher. Ja, unsicher ist glaube ich das passende Wort. Tom ist so toll und ich bin so ..."

"Merle! Du fängst jetzt nicht ernsthaft wieder mit dieser Nummer an, oder? Du bist auch toll und Tom scheint das erkannt zu haben", schimpfte Anne und drückte wie um ihren Worten Ausdruck zu verleihen fast schmerzhaft mein Bein.

"Aua, kein Grund mich zu kneifen", jammerte ich.

"Eigentlich sollte man Dich kräftig durchschütteln, damit Du endlich begreifst, dass Du kein minderwertiger Mensch, sondern eine schöne intelligente Frau, die gerade einen ebenso schönen Typen kennengelernt hat," sagte sie und fügte schmunzelnd hinzu, "... zu seiner Intelligenz kann ich noch nichts sagen, aber wer Grafiker ist, hat auf jeden Fall schon mal eine Sache richtig gemacht."

Ich musste lachen. "Danke, Anne, Du bist lieb." Ernster werdend blickte ich sie an: "Aber genau das ist mein Problem. Tom ist wirklich unglaublich attraktiv, er ist so selbstbewusst und scheint so genau zu wissen, was er will und was nicht. Allein mit seinen Augen könnte er jede Frau um den Verstand bringen. Aber er will mich wiedersehen ... ich kann das irgendwie nicht fassen ... und es macht mir Angst."

"Ich kann das ja auch ein bisschen verstehen. Aber bitte versuche doch einfach, Dich fallenzulassen. Nimm es hin, dass Tom das letzte Wochenende mit Dir genauso schön fand wie Du auch. Schließlich hat er sich sofort wieder gemeldet und Ihr habt bisher jeden Tag Kontakt zueinander gehabt. Merle, was willst Du denn noch mehr!" Sie drückte wieder mein Knie, diesmal aber eher aufmunternd. "Weißt Du, wie lange ich anfangs auf einen Rückruf von Jan warten musste ... mit dem ich übrigens nicht mehr zusammen bin ..." fügte sie fast beiläufig hinzu.

"Was! Warum denn? Anne, das tut mir leid ...,"

"Ach was", winkte sie sofort ab, "das ist schon ok. Ich hatte eh nicht vor, für immer mit ihm zusammen zu bleiben. Lass uns einfach nicht weiter drüber reden." Sie sprang auf, um sich wieder meinen verstreut herumliegenden Kleidungsstücken zu widmen. "Außerdem habe ich ja auch noch ein Friendscout24-Profil, vielleicht gibt es ja noch andere Toms da."

Ich musste lachen und erhob mich ebenfalls. Ja, ich bewunderte Anne. Bei ihr musste schon mehr passieren, als dass ein Mann sie sitzen ließ, um sie aus der Bahn zu werfen. Hätte ich doch nur einen Fünkchen von ihrem Selbstbewusstsein.

"Gut, Du meinst also, ich sollte Mickey Mouse einpacken ... ohne weitere Hose?," fragte ich, immer noch leicht zweifelnd.

"Unbedingt", bekräftigte Anne nickend.

Nachdem Anne gegangen war und ich endlich meine kleine Reisetasche fertig gepackt hatte, griff ich zum Telefon, um Tom anzurufen. Ich wollte ihm noch mitteilen, wann mein Zug ankommen würde.

Nervös, wie immer wenn ich ihn anrief, tippte ich seine Hamburger Telefonnummer in die Tasten. Ich konnte sie längst auswendig und vermutlich hatte sie sich unauslöschbar für alle Ewigkeiten in mein Gehirn eingebrannt.

"Riedel", meldete er sich nach dem dritten Klingeln.

"Merle ... hier ist Merle", stotterte ich in den Hörer. "Ich wollte Dir noch Bescheid geben, wann ich morgen auf dem Bahnhof ankomme..."

"Merle, hey, schön, dass Du anrufst," freute Tom sich aufrichtig, "also, wann wirst Du hier sein? Ich freu mich schon sehr auf Dich."

"Ja, ich freu mich auch schon ... der Zug soll um 10.38 Uhr ankommen ... laut Plan ... aber man weiß ja nie ... aber vielleicht ist er ja doch pünktlich ...." Meine Güte, Merle, reiß Dich zusammen, schalt ich mich. Warum war ich bloß schon wieder so nervös? Wir hatten in den letzten Wochen jeden Tag miteinander gesprochen und da musste ich doch auch nicht so rumstottern. Lag es daran, dass wir uns morgen wiedersehen würden? Ich musste wieder an unseren Abschiedskuss zurückdenken. Er war so wundervoll gewesen und ich hatte ihn in Gedanken immer und immer wieder durchgespielt. Tom's weiche Lippen, seine starken Arme, die mich in einer zärtlichen Umarmung hielten. Es war einfach der perfekte erste Kuss gewesen.

"Mach' Dir keine Sorgen. Egal, wann Dein Zug einrollt, ich werde da sein," lachte Tom.

Ja, das wusste ich mit Bestimmtheit, er würde da sein.

Als ich am Samstag aus dem ausnahmsweise pünktlich eingefahrenen Zug stieg und nach Tom Ausschau hielt, hatte ich ihn rasch entdeckt. Er lehnte lässig an einem Getränkeautomaten und stieß sich nun mit einem breiten Grinsen ab, um auf mich zuzukommen. Schüchtern ging auch ich auf ihn zu. Obwohl es auf dem Bahnsteig vor Menschen nur so wimmelte, hatte ich das Gefühl, nur Tom zu sehen. Ich bahnte mir langsam den Weg und fragte mich gerade, wie nun wohl unsere Begrüßung ausfallen würde. Vor meinem inneren Auge sah ich uns schon in einer innigen Umarmung versinken, während sich unsere Lippen wieder zu einem Kuss ... leider konnte ich diesen schönen Gedanken nicht zu Ende denken, denn in diesem Moment rempelte mich ein Mann von hinten so kräftig an, dass ich nach vorne taumelte. Ich versuchte mich noch zu fangen, ließ meine Tasche fallen und ruderte verzweifelt mit den Armen, um irgendwie das Gleichgewicht zu halten, aber es war zu spät ... ich fiel lang ausgestreckt auf den Bahnsteig.

Mit dem Gesicht nach unten wünschte ich mir, der Boden möge sich auftun und mich augenblicklich verschlucken ... sowas konnte wirklich nur mir passieren.

Tom war inzwischen bei mir und rief entsetzt: "Merle! Hast Du Dir wehgetan? ... Manche Leute haben aber auch echt keine Augen im Kopf, verdammt noch mal," schimpfte er dem davoneilenden Mann hinterher, der es scheinbar nicht für nötig hielt, sich zu entschuldigen. Ich rappelte mich langsam hoch und Tom reichte mir die Hand, um mir aufzuhelfen. Nachdem ich wieder einigermaßen sicher auf den Beinen stand, sah ich kurz an mir herunter und auch Tom tat es mir gleich. Mein rechter Ellenbogen war aufgeschrammt und blutete. Na toll, dachte ich, da malte ich mir gerade eine filmreife Begrüßung mit meinem Traummann aus und landete stattdessen unsanft vor seinen Füßen und noch dazu mit blutigem Ellenbogen. Mir schossen die Tränen in die Augen ... nicht vor Schmerz - davon merkte ich eigentlich gar nichts - sondern vor Scham.

"Merle?" fragte Tom nochmal und bemerkte meine Tränen, "tut es sehr weh? Sollen wir uns kurz hinsetzen?"

"Nein, nein, es geht schon," murmelte ich, schaffte es aber immer noch nicht, ihn anzusehen. "Ich gehe am besten kurz auf die Toilette und verarzte das irgendwie ..." Verzweifelt sah ich mich um ... konnte nicht bitte augenblicklich eine Toilette aus dem Boden wachsen?

"Ok, komm", Tom griff nach meiner Hand und zog mich mit sich. Er hatte inzwischen meine Tasche genommen und hielt meine Hand fest umschlossen. Nachdem wir die Rolltreppe hochgefahren waren und die WC-Schilder auftauchten, verschwand ich ohne ein weiteres Wort. Ein Blick in den Spiegel bestätigte, was ich schon vermutet hatte ... meine Augen sahen aus wie die eines Waschbären, der Mascara war durch die Tränen verlaufen und ein dunkelbraunes Rinnsal zierte meine Wange. Sofort schossen mir erneut Tränen in die Augen. Ich griff zum Papierspender, zog einige Tücher heraus und begann sie unter dem Wasserhahn zu befeuchten. Zuerst kümmerte ich mich um mein Gesicht und entfernte die Mascara-Spuren. Nachdem ich wieder einigermaßen annehmbar aussah, säuberte ich die Wunde an meinem Ellenbogen, die schon nicht mehr blutete und eigentlich nicht viel mehr als eine Schramme war.

Ok, tief durchatmen, befahl ich mir, so schlimm war es nun auch wieder nicht. Nach einigen weiteren Minuten fand ich dann endlich den Mut, wieder in die Bahnhofshalle zu treten. Tom stand fast direkt vor mir und schien die Tür die ganze Zeit nicht aus dem Auge gelassen zu haben. Ich lächelte ihn schüchtern an: "Da bin ich also ..."

Er lächelte sanft und sah besorgt auf meinen Ellenbogen: "Geht's wieder?"

"Ja, alles in Ordnung, es ist nur eine kleine Schramme", versicherte ich schnell und schaute, als müsse ich es nochmal nachprüfen, auf meinen Ellenbogen.

Tom trat näher und fast berührten sich unsere Körper. Mit der Hand umfasste er mein Kinn und hob meinen Kopf, so dass ich ihm in die Augen sehen musste. "Ich hatte mir unsere Begrüßung auch anders vorgestellt, Merle, ... in etwa so", flüsterte er und zog mich langsam in seine Arme. Meine Knie wurden sofort weich und ich schmolz regelrecht in seiner festen Umarmung dahin. Seine Lippen senkten sich auf meine und ich hatte das Gefühl den Boden unter mir zu verlieren. Langsam und zärtlich öffnete seine Zunge meine Lippen und fand die meine. So standen wir eng umschlungen mitten in der Bahnhofshalle und versanken in einem nicht enden wollenden Kuss.

Als wir uns schließlich doch voneinander lösten, blickten wir uns tief in die Augen.

"Ich freu mich, dass Du da bist ... obwohl Du Dich mir nicht unbedingt sofort zu Füßen hättest werfen müssen," feixte er grinsend.

"Blödmann", kicherte ich und nahm seine Hand, die er mir nun entgegenstreckte. Mit der anderen hob er wieder meine Tasche auf und zog mich mit sich.

Tom hatte seinen Wagen in der Nähe geparkt, verstaute meine Tasche im Kofferraum und hielt mir die Tür auf. Als er selbst auf dem Fahrersitz Platz genommen hatte, fragte er, ob es in Ordnung sei, wenn wir nicht sofort zu ihm fahren, sondern den Tag über ein wenig Sightseeing machen würden. "Oder kennst Du Hamburg schon wie Deine Westentasche und ich kann Dir eh nichts Neues mehr zeigen?", wandte er sich mir augenzwinkernd zu.

"Nein, sehr gerne ... eigentlich kenne ich Hamburg gar nicht. Ich war zwar mal mit meinen Eltern hier, aber das ist schon lange her. Also, zeig mir gern Deine Heimatstadt", sagte ich fröhlich.

Der restliche Tag verlief entspannt. Tom zeigte mir den Freihafen und die Speicherstadt, wir liefen durch den alten Elbtunnel, aßen zwischendurch Fisch und genossen später einen Kaffee an der Alster, bevor wir abschließend einen Spaziergang am Elbstrand unternahmen. Die ganze Zeit hielten wir entweder Händchen oder Tom hatte seinen Arm um mich gelegt, während ich meinen Arm um seine Hüfte legte. Ich genoss seine Nähe und bewunderte seinen muskulösen Körper, den ich unter meinen Händen nun noch bewusster wahrnahm.

Unsere Gespräche verliefen ebenso entspannt. Tom erzählte mir von seiner Familie, dass er eine ältere Schwester hatte, Katja, die allerdings im Ausland lebte, da sie einen Engländer geheiratet hatte. Angesichts des wehmütigen Gesichtsausdrucks, den er auflegte, als er von ihr erzählte, hatte ich das Gefühl, dass er sie sehr vermisste. Als ich später erfuhr, dass seine Mutter vor 8 Jahren und sein Vater vor 2 Jahren verstorben waren, wurde mir auch klar, warum das so war. Schließlich war sie nun seine einzige Familie. Dennoch hätten sie trotz der Entfernung ein inniges Verhältnis und telefonierten oft miteinander.

Auch ich berichtete von meinen Eltern, Geschwister hatte ich ja keine. Siegfried und Elisabeth Timmer hatten mir eine glückliche und behütete Kindheit geschenkt und ich liebte sie über alles. Tom schien das zu merken, denn er lächelte die ganze Zeit und sah mir aufmerksam in die Augen, als ich ihm von ihnen erzählte.

"Was ist Deine schönste Kindheitserinnerung?" fragte er irgendwann und sah mich gespannt an.

"Hm ...", überlegte ich angestrengt, bevor ich weitersprach, "... eigentlich gibt es so viele, dass ich gar nicht spontan antworten kann ..."

"Das ist wunderbar," bemerkte Tom nachdenklich, "es wäre schade, wenn es nur eine einzige wäre, oder? Ich glaube, die Kindheit prägt einen Menschen für den Rest seines weiteren Lebens und es gibt wohl nichts Schöneres, als wenn man als erwachsener Mensch sagen kann, dass sie rundum glücklich und zufrieden war."

Gerade wollte ich fragen, ob es bei ihm denn anderes gewesen war, hielt aber angesichts seines nachdenklichen auf die Elbe gerichteten Blicks lieber den Mund. Vielleicht bekam ich ja Gelegenheit, ihn später noch einmal danach zu fragen.

Wir machten uns langsam auf den Weg zurück zu seinem Auto und ich merkte, dass ein leicht kribbeliges Bauchgefühl in mir hochstieg. Wir würden also nun zu ihm fahren ... in seine Wohnung. Wie er sich wohl die Nacht vorgestellt hatte? War seine Wohnung so groß, dass er vielleicht sogar ein Gästezimmer hatte? Oder würde er wie selbstverständlich voraussetzen, dass ich in seinem Bett schlief ... und vielleicht sogar mit ihm ... Ich schluckte schwer und griff unwillkürlich seine Hand fester.

"Hm?", fragend blickte Tom zu mir herunter.

"Nichts, gar nichts, ... alles gut. Ich bin schon sehr gespannt, wie Du so wohnst ...", lenkte ich schnell ab.

In Tom's Wohnung angekommen, stellte er meine Tasche im Flur ab, um dann direkt wieder nach meiner Hand zu greifen und mich durch die verschiedenen Zimmer zu führen. Küche, Bad, ein geräumiges Wohnzimmer mit kleinem Balkon, ein kleineres, aber gemütliches aussehendes Schlafzimmer, sowie ein Arbeitszimmer mit einer Schafcouch ... okay, da war also eine Schlafcouch ...

"Ich hatte gedacht, dass ich uns etwas Schnelles koche ... oder hast Du noch keinen Hunger?", unterbracht Tom meine Gedanken.

"Oh, doch, gerne. Kann ich Dir beim Kochen helfen?", fragte ich und folgte ihm in Richtung Küche.

"Nichts lieber als das ...", antwortete Tom und zwinkerte schelmisch, "ich hatte darauf gehofft."

Schweigend begannen wir mit der Zubereitung einer Quiche. Fast hätte ich mir beim Kleinschneiden der Tomaten in den Finger geschnitten, als ich dabei war, Tom verstohlen von der Seite zu betrachten. Ich beobachtete seine schlanken Hände, die erstaunlich schnell mit dem Messer hantierten, seine muskulösen Arme, die sich unter seinem engen schwarzen T-Shirt deutlich abzeichneten. Sein dichtes schwarzes Haar hatte er sich aus der Stirn gestrichen, seine Haut war von der ersten Frühlingssonne leicht gebräunt und bildete so einen noch unglaublicheren Kontrast zu seinen blauen Augen ... vermutlich trieb er viel Sport an der frischen Luft. Bildlich konnte ich mir die bewundernden Blicke der Frauen vorstellen, wenn er beim Joggen am Elbufer an ihnen vorbeilief.

"Du siehst mich an ...", bemerkte Tom schmunzelnd.

"Oh ... ja ... nein ... entschuldige ... ich ...", stotterte ich und widmete mich sofort wieder meinen Tomaten, deren rote Farbe ich ebenfalls gerade annahm.

Tom legte sein Messer nieder und lehnte sich mir zugewandt an die Arbeitsplatte. Mit verschränkten Armen sah er mich prüfend an: "Wie fühlst Du Dich, wenn Du mit mir zusammen bist, Merle?"

Ich ließ ebenfalls das Messer sinken und dachte über eine Antwort nach, als er hinzufügte: " ... und ich möchte eine ehrliche Antwort."

Nervös sah ich hinab auf die Arbeitsfläche und strich nervös mit der Hand drüber, während ich es nicht über mich brachte, wieder zu ihm hochzuschauen.

"Ich bin ... unsicher", brachte ich schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit heraus.

"Warum fühlst Du Dich unsicher?" fragte Tom leise.

"Ich weiß es nicht ...", flüsterte ich fast.

Kopfschüttelnd trat Tom einen Schritt näher an mich heran. "Bitte sieh mich an, Merle", bat er mich und wartete, bis ich den Kopf gehoben hatte und wieder zu ihm aufblickte. "Du weißt es sehr wohl, magst es mir aber nicht sagen ... Du bist eine schlechte Lügnerin."

Fragend sah er mich weiter an und wartete, dass ich etwas sagte. Das tat ich aber nicht.

"Soll ich Dir sagen, wie ich mich fühle, wenn ich mit Dir zusammen bin?", fragte Tom stattdessen. Zögernd nickte ich.

"Es fühlt sich richtig an", begann Tom und ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen, "ich bin gern mit Dir zusammen, genieße Deine Nähe und Deine Berührungen. ... aber ich fühle mich auch traurig, weil ich das Gefühl bekomme, dass es Dir mit mir nicht so geht. Ich wüsste so gern, warum das so ist ..."

"Nein, so ist es nicht," widersprach ich sofort energisch, senkte dann aber wieder den Kopf, "es ist nur ..."

"Ja?", sagte Tom ermutigend, als er bemerkte, dass ich wieder nicht weitersprach.

"Du bist so ... Du hast so eine unglaubliche Ausstrahlung, bist so lieb und siehst dazu noch so phantastisch aus ... und ich ..." begann ich stockend.

"Und Du bist das nicht?", hakte Tom an.

"Nein", antwortete ich fast beschämt.

Tom trat nun so nah an mich heran, dass ich seine Körperwärme deutlich spüren konnte. Mit einem Finger unter meinem Kinn zwang er mich, zu ihm aufzusehen. "Warum denkst Du bloß so über Dich, Merle?", fragte er fast traurig, "Wir haben uns zwar auf recht ungewöhnliche Weise kennengelernt, aber eins war mir bereits nach wenigen Mails, die wir ausgetauscht hatten, klar ... nämlich, dass Du ein wunderbar gefühlvoller Mensch bist und dass es sich lohnen würde, mehr von Dir zu erfahren. Du bringst mich dazu, mich in Deiner Nähe gut zu fühlen."

Sanft legte er eine Hand an meine Wange. "Jeden Tag habe ich mich auf unsere abendlichen Unterhaltungen gefreut und als wir uns endlich getroffen haben, wusste ich, dass ich Recht hatte. Du bist genau richtig so wie Du bist, Merle."

"Aber Du könntest doch jede haben ... warum hattest Du es überhaupt nötig, über so eine Partnerseite jemanden zu suchen?", fragte ich immer noch unsicher.

"Weil ich mir nichts aus Äußerlichkeiten mache ... rein gar nichts," antwortete er, "Ich bin mir durchaus bewusst, dass der liebe Gott es gut mit mir gemeint hat und ich auf Frauen wirke. Aber ich hasse auch nichts mehr als Oberflächlichkeiten. Ich möchte nicht, dass eine Frau mich an ihrer Seite haben möchte, damit sie mit mir angeben kann ... für sowas tauge ich nicht. Ich möchte eine Frau, die meine inneren Werte schätzt und nicht nur den schönen Tom sieht." Eindringlich sah er mich an und fuhr fort: "Und genau dafür ist so eine Partnerseite, wie Du sie nennst, hervorragend geeignet. Ich habe mir Dein Foto erst genauer angesehen, als wir uns schon eine Weile geschrieben haben und ich das Gefühl bekam, dass da mehr ist, als nur leeres Geschwätz. Als ich dann Deine wunderschönen Augen sah und Dein hübsches Lächeln war es schon fast um mich geschehen ... ich wollte Dich unbedingt kennenlernen."

Ich schluckte und Tränen der Rührung schossen mir in die Augen.

"Nicht weinen ... bitte nicht", sagte Tom leise und küsste sanft eine Träne von meiner Wange. Ich spürte seinen warmen Atem auf meiner Haut, was bewirkte, dass ich eine Gänsehaut bekam. "Komm her," flüsterte Tom und zog mich in seine Arme. Zärtlich küsste er mich und ich erwiderte diesen Kuss nur allzu gerne. Ich hatte wie immer, wenn Tom mich küsste, das Gefühl den Boden unter mir zu verlieren. Oh ja, ich wollte ihn in diesem Moment so sehr und als sein Kuss intensiver und fordernder wurde, wusste ich, dass es ihm genauso ging.

In dieser Nacht schliefen wir das erste Mal miteinander. Es war der liebevollste, zärtlichste und gefühlvollste Sex, den ich in meinem bisherigen Leben erlebt hatte und als ich später in Tom's starken Armen einschlief, wusste ich, dass ich ihn gefunden hatte ... meinen Traumprinzen. Unnötig zu erwähnen, dass ich mein Mickey Mouse-Shirt in dieser Nacht nicht brauchte ...


Nurfürdich

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