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KAPITEL 3

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WESLEY

Ich wollte Danny gegenüber kein Arsch sein. Es … passierte einfach. Genauso, wie ich kein Bild von Laverne Cox sehen konnte, ohne einen Ständer zu bekommen, oder wie ich alte, kaputte Elektronikteile sammelte, wie Auntie Ade leere Margarinebecher gesammelt hatte, weil man nie wusste, wann man sie mal brauchen konnte. Um mich zu schlagen und ihn wegzustoßen, war eine instinktive Reaktion.

Und ganz ehrlich, mir hatte noch nie jemand gesagt, dass ich ein Genie wäre, wenn es um zwischenmenschliche Fähigkeiten ging. Eigentlich hatten meine eigenen Eltern genau das Gegenteil gesagt.

Mit der richtigen Ausrüstung an einem abgelegenen Ort konnte ich die Welt beherrschen, zumindest, bis jemand einen Blick hinter die Kulissen warf und sah, wer die Dinge in der Hand hielt. Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich zu jemandem wie Danny eine Beziehung aufbauen sollte. Ich wollte ihn – Himmel, wer bei klarem Verstand hätte ihn nicht gewollt? –, aber er war zu jung und süß und voller Leben für jemanden wie mich. Im besten Fall würde ich einen Mitleidsfick bekommen und mich am Ende nach einem Typen sehnen, der mich für ein Arschloch hielt. Im schlimmsten Fall würde ich nicht in der Lage sein, Charlies Mission zu beenden.

Obwohl ein großer Teil von mir also wusste, dass es das Richtige wäre, Danny nachzulaufen und mich zu entschuldigen, zwang ich mich, auf meinem Stuhl sitzen zu bleiben und meine Gedanken wieder auf den Job zu fokussieren.

Ein paar Minuten später klingelte mein Handy, als hätten Auntie Ades Spinnensinne in dem Moment angefangen zu kribbeln, als ich die falsche Entscheidung getroffen hatte.

»Hey, Auntie«, begrüßte ich sie. »Wie läuft’s?«

»Komm mir nicht mit ›Auntie‹, omo. ›Wie läuft’s?‹, fragt er. Tja, das wüsstest du, nicht wahr, wenn du mich in den letzten drei Wochen angerufen hättest.«

Ich verzog das Gesicht und lehnte mich zurück. Nichts wies mich so in meine Schranken, wie wenn sie mich in ihrer Muttersprache Yoruba »Junge« nannte.

»Entschuldige, Auntie. Ich war … beschäftigt. Hast du das Geld bekommen, das ich dir geschickt habe?«

Sie schnaubte. »Natürlich. Aber du weißt, dass ich nicht deshalb mit dir reden will.«

Ich wusste es, und die Liebe in ihrer Stimme, als sie schimpfte, brachte mich zum Lächeln. Das tat sie immer.

Irgendwie hatte diese starke, intelligente Frau, die aus Nigeria immigriert war und noch immer keinen Skype-Anruf starten konnte, ohne dass einer der Jungs aus der Nachbarschaft ihr dabei half, inoffiziell das rothaarige Stiefkind aus der Mittelklassefamilie um die Ecke adoptiert, das immer wieder in Schwierigkeiten geriet, weil es sich ins Sicherheitssystem der Schule einhackte oder die Handys seiner Mitschüler kopierte. Vielleicht war sie der einzige Mensch auf der Welt, der sich die Mühe gemacht hatte, mich verstehen zu wollen, und sie liebte mich seit meiner Kindheit bedingungslos.

»Ich verspreche, dass ich öfter anrufe«, gelobte ich und meinte es auch so. »Wie geht’s Javier und Mikey?« Zwei andere Kinder aus der Nachbarschaft, die sie inoffiziell adoptiert hatte und die beide noch auf die Highschool gingen.

»Schlitzohren, wie du eines warst. Und sie bedanken sich für die Xbox.« Sie zögerte. »Will ich wissen, womit du beschäftigt bist?«

Ich verriet nie Einzelheiten über meine Angelegenheiten, und sie fragte nur selten. Sie zu beschützen, war das Einzige, was mir neben dem Rausch des Gewinnens wichtig war.

Und Charlie hatte das gewusst, verdammt.

»Zur Abwechslung mal gute Dinge. Kennst du Senator John Harlan?«

»Der aus der Zeitung, der den Jungs wehgetan hat?« Sie gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. »Das warst du?«

»Mit viel Hilfe, ja.«

Auntie Ade schwieg eine Sekunde. »Bin stolz auf dich, Wesley. Weißt du das? Immer, immer. Okay?«

»Ja, Ma’am«, stimmte ich zu. Meine Stimme war etwas belegt, und ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. »Okay.«

»Also, dann sag mir, was dich bedrückt.«

»Ich … was?«

»Tsk. Erzähl mir alles.«

Es hätte mich nicht überraschen sollen, dass sie meine Gedanken lesen konnte. Das hatte sie schon immer gekonnt. »Es ist nichts, Auntie. Ich hab nur ein paar Dinge zu jemandem gesagt, auf die ich nicht wirklich stolz bin.«

»Dann bringst du es wieder in Ordnung«, sagte sie sofort.

Ich seufzte. »Es ist nicht immer so einfach.«

»Es ist immer so leicht, Liebling. Das ist nicht dasselbe.«

Sie hatte recht, und ich wusste es. Es war nicht Dannys Schuld, dass er verdammt heiß war, und er verdiente meine beschissene Einstellung genauso wenig, wie er John Harlans Missbrauch verdient hatte. Leicht, nicht einfach.

»Ich werde es versuchen«, versprach ich.

»Wenn du es versuchst, Wesley, wirst du immer Erfolg haben«, sagte sie überzeugt. Ich wünschte, ich hätte so viel Vertrauen in mich selbst. »Ich hab dich lieb.«

»Ich hab dich auch lieb, Auntie.« Ich legte auf, nachdem ich ihr wie immer versprochen hatte, öfter anzurufen. Ich beneidete sie darum, dass sie diese Worte so einfach sagen konnte, dass sie vertrauen und Menschen lieben konnte, die ihre Liebe und ihr Vertrauen nicht immer erwiderten.

»Hey.« Breck kam in den Raum geschlendert. Er trug ein blaues T-Shirt mit der Aufschrift »Bitte zwing mich nicht zum Arbeiten« – wahrscheinlich gestohlen – und eine kurze Hose. Er machte es sich auf dem Sofa bequem, als hätte er vor, eine Weile zu bleiben. »Wo ist Danny?«

»Woher soll ich das wissen?«, fragte ich. »Ich bin nicht sein Aufpasser.«

Breck hob ergeben die Hände. »Himmel. Mach dir mal nicht gleich ins Hemd, du Geek.«

Ich klopfte auf mein T-Shirt. »Wenigstens habe ich ein Shirt an. Ich bin nicht derjenige, der ständig vergisst, sich anzuziehen.«

Breck legte den Kopf schräg und sah mich forschend an. »Du bist heute vieles nicht.«

»Hey«, sagte Steele, als er ebenfalls hereinkam. Er schaute zwischen Breck und mir hin und her. »Was ist los?«

»Nichts«, antworteten Breck und ich gleichzeitig.

Steele setzte sich so nah neben Breck, dass kein einziger Sauerstoffpartikel zwischen ihnen Platz hatte, und weil das offensichtlich immer noch zu weit weg war, zog er den kichernden Breck auf seinen Schoß.

Widerlich.

»Ich hab deinem Freund gesagt, dass Danny nicht hier ist, also …«

»Hey!«, sagte Ridge. Er brachte eine große Schüssel Popcorn und eine Limodose mit, obwohl er wusste, was ich davon hielt, wenn neben meiner Elektronik gegessen wurde. Aber bevor ich ihn daran erinnern konnte, betrat Carson hinter ihm den Raum.

Carson hatte sich die Haare mit zehn Pfund Gel zurückgestrichen, und an seinem Kiefer waren Reste von Make-up zu erkennen. Mafioso? Lounge-Sänger? Vorsingen für die West Side Story? Ich war so abgelenkt, dass ich vergaß, mit Ridge zu schimpfen, und bevor ich michs versah, stapelten sich vier Körper auf meinem Sofa.

Territorial? Ich? Oh ja.

»Jetzt muss nur noch Leo auftauchen, dann haben wir eine Party«, meckerte ich.

»Du hast gerufen?« Leo tauchte im Türrahmen auf und lächelte mich an. »Hey, weiß jemand, wo Danny ist?«

Ich sog die Luft ein. Es ging Leo verdammt noch mal nichts an, wo Danny war. Leo war viel, viel zu alt für ihn.

»Er ist kein Gefangener«, antwortete ich. »Er darf in Frieden spazieren gehen, verdammt.«

Breck verengte die Augen. »Tut er das? Spazieren gehen?«

»Woher soll ich das wissen?«, explodierte ich. »Er war hier, und dann ist er … gegangen.«

»Oh, Mann«, stöhnte Breck. »Was hast du zu ihm gesagt?«

»Ich?«, fragte ich empört. »Warum denkst du, dass ich etwas … damit zu tun habe?«

»Weil du nicht mit Danny in einem Raum sein kannst, ohne dich wie ein Arsch zu verhalten«, erklärte Carson und wiederholte damit Dannys Worte von vorhin auf eine Art und Weise, bei der ich die Zähne zusammenbeißen musste. Er nahm sich eine Handvoll Popcorn aus Ridges Schüssel.

Ich würde seinen Computer so was von hacken.

»Tja, da ihr es euch alle gemütlich gemacht habt, können wir auch besprechen, was ich herausgefunden habe«, schlug ich vor. Hauptsächlich, damit ihr nicht wieder hierherkommen müsst.

»Aber wir sind nicht alle hier«, erinnerte mich Breck. Er hielt sein Handy hoch und wackelte damit. »Ich hab Danny zwei Mal geschrieben, und er antwortet nicht.«

»Vielleicht schläft er, vielleicht isst er, vielleicht holt er sich unten am Strand einen runter.« Und war das nicht eine schöne Vorstellung? Ich räusperte mich. »Wir können ihn später auf den neuesten Stand bringen.« Und um ehrlich zu sein, würde ich das hier um einiges leichter hinter mich bringen, wenn er nicht dabei war.

»Setz dich«, wies ich Leo an, der sich auf der Armlehne des Sofas niederließ. »Ich zeig euch, was ich habe.«

Ich drückte ein paar Tasten, schaltete alles auf den großen Fernseher um, und der Soundtrack des Videospiels, der für miserable Stimmungsmusik gesorgt hatte, verstummte.

»Willkommen im White Sands Resort auf der Isla de Santa Rosa, einer Privatinsel vor der Küste Floridas.« Ich öffnete ein paar Bilder, die ich online gefunden hatte, zusammen mit den eingescannten Fotos aus Charlies Umschlag.

»Ohhh«, schwärmte Breck. »Hübsch. Schick.«

Ich schnaubte. »Das sollte es bei den Preisen auch sein. Es ist ein All-inclusive-Resort für die Superreichen.« Ich drückte auf eine Taste und rief ein paar Instagram-Fotos von Leuten auf, die das Resort markiert hatten. »Sehr exklusiv.«

»Moment, ist das nicht Julianne Mardura aus dieser Fernsehsendung?«, wollte Carson wissen und beugte sich vor. »Ihr wisst schon, ›Real Drama‹?«

»Du … guckst Reality-TV?«, fragte Ridge mit derselben entsetzten Faszination, die er vielleicht gezeigt hätte, wenn Carson verkündet hätte, dass er an rituellen Hühneropferungen teilnahm.

Eigentlich hätte uns das Hühneropfer nicht so sehr beeindruckt wie diese kleine Offenbarung.

»Ich habe Hobbys, Ridge«, sagte Carson schnaubend, ehe er sich zurücklehnte. Er winkte mir gebieterisch zu. »Mach weiter, Wesley.«

»Ja, Majestät.« Ich rief ein Luftbild von der Insel auf, auf dem die Privatbungalows, die umwerfenden Strände, mehrere Pools und ein schmutziges, schmutziges Geheimnis zu sehen waren. »Das Resort gehört demselben Typen, der auch die Insel besitzt. Marvin Mason. Sie ist seit den Fünfzigern in seiner Familie.«

Carson pfiff leise. »Ich bin überrascht, dass die Marriott-Gruppe oder ein ähnlicher Konzern das Resort oder die ganze Insel noch nicht gekauft hat. Das ist eine erstklassige Immobilie. Irgendwie will selbst ich da versuchen, es ihm abzukaufen. Zum Vorzugspreis natürlich.«

»Über die Jahre hat es zahllose Angebote gegeben. Mason lehnt sie alle ab.«

Ich wechselte das Bild. »Und das ist Marvin Mason persönlich.« Wir alle starrten Marvin an, der wie einer dieser Typen in den Weihnachtsfilmen aussah, die angeblich ein einfacher Waldarbeiter sind, aber in Wahrheit ist es der Weihnachtsmann in Verkleidung. Wenn der Weihnachtsmann einen dreiteiligen Anzug tragen würde. Ich glaube, da war sogar ein Funkeln in seinen blauen Augen.

»Er ist also das Ziel?«, fragte Ridge etwas skeptisch.

»Möglich. Zumindest ist er ein Ziel«, stimmte ich zu. »Aber es ist etwas komplizierter. Ich, ähm, hab nach Dannys Vorschlag ein bisschen nachgeforscht.« Ich kratzte mich am Kopf und fühlte mich noch etwas schlechter, weil er nicht hier war, um das Lob dafür einzuheimsen, dass er mich in die richtige Richtung gelenkt hatte. »Da wir gerade von ihm sprechen, Breck, hat er geschrieben?«

Breck schüttelte den Kopf. »Was auch immer du gesagt hast, muss ihn echt wütend gemacht haben.«

»Ich hab nicht …«, setzte ich an, unterbrach mich aber schnaubend. »Wie auch immer. Also, die Sache ist die, dass diese Resorts nicht all ihre Mitarbeiter direkt einstellen. Bei Resorts und anderen Orten mit Saisonbetrieb, selbst hier in Florida, ist es allgemein üblich, Arbeitsplätze über eine Agentur zu vermitteln.«

Steele runzelte die Stirn. »Also genau so, wie man ein Hauswirtschaftsunternehmen anruft, um eine Reinigungskraft zu bekommen, oder eine Poolfirma für jemanden, der einem den Pool sauber macht? Man bezahlt die Firma, die bekommen einen Teil des Geldes, um ihre Fixkosten zu decken, und bezahlen dann die Person, die die eigentliche Arbeit macht?«

»Genau. Man bezahlt eine Agentur, die im Ausland Mitarbeiter findet, die in die USA wollen, aber ohne Job kein Visum bekommen. Diese Vermittler sind die Verbindung zwischen den Jobs und den Arbeitskräften. Vor etwa zwei Jahren hat Mason angefangen, eine Agentur namens Atlantis Enterprises zu nutzen, die Mark Toffler hier gehört.« Ich öffnete das Bild eines Firmenlogos und eines weiteren lächelnden Typen, der wie ein älterer, dickerer Steven Seagal aussah. »Atlantis ist in mindestens vier Ländern vertreten – auf den Philippinen, in Guatemala, Honduras und Kolumbien. Ihr Job ist es, Arbeitskräfte zu rekrutieren, ihnen beim Visumsprozess zu helfen und sie legal in die Vereinigten Staaten zu bringen, damit sie hier arbeiten können.«

»Okay«, sagte Leo und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bin nicht wirklich empört, außer darüber, wie hässlich der Anzug dieses Typen ist.« Er deutete mit dem Kopf auf Mark Tofflers Bild.

»Mhm«, machte ich. »Tja, also, so sollten die Dinge mit diesen Agenturen laufen. Aber seht euch das an.« Ich rief ein Dutzend Screenshots auf, die sich überlagerten. »Das ist ein Prozess, der kürzlich gegen eine Vermittlungsagentur geführt wurde, die dieselben Versprechen gemacht hat. Allerdings wurden die Mitarbeiter, nachdem sie den Vertrag unterschrieben hatten, gezwungen, Tausende Dollar an Gebühren zu zahlen, um hierherzukommen. Und sobald sie hier waren, wurden sie in unsicheren, überfüllten Unterkünften untergebracht, die von der Agentur zur Verfügung gestellt wurden, und mussten jede Woche Hunderte von Dollar für dieses Privileg hinblättern.«

»Verdammt«, kommentierte Steele.

»Ganz genau. Ein paar Mitarbeiter konnten schließlich mit den Behörden sprechen und das ganze Konstrukt zum Einsturz bringen, haben aber vorher Abertausende Dollar verloren, ganz zu schweigen davon, dass sie von ihren Familien und ihren Freunden getrennt waren.«

»Und wir glauben, dass das bei White Island passiert?«, wollte Carson wissen.

»Im White Sands Resort«, korrigierte ich ihn. »Und ja. Außer dass es möglicherweise noch schlimmer ist.« Ich verzog das Gesicht. »Zumindest waren die Mitarbeiter in diesem anderen Fall auf dem Festland, wo sie schließlich Hilfe holen konnten. Wenn die Bilder aus Charlies Umschlag korrekt sind, werden Arbeitern wie Tala bei White Sands vielleicht die Pässe abgenommen. Wenn das der Fall ist, stecken sie dort fest, ohne Aussicht auf Hilfe oder darauf, wieder nach Hause zu kommen.«

»Also werden wir sie da rausholen«, erklärte Ridge. »Wir finden die Pässe und holen alle Arbeiter von der Insel.« Er nickte vor sich hin, als wäre es beschlossene Sache.

»Nicht so schnell, Cowboy«, widersprach Leo. »Wenn wir ihre Geschäfte auf Dauer zerschlagen wollen, müssen wir den Hässlichen und den Weihnachtsmann festnageln.«

»Auch bekannt als Mark Toffler und Marvin Mason«, sagte ich und rief ihre Bilder nebeneinander auf dem Bildschirm auf.

»Mark und Marvin. Klingt wie eine Sitcom«, meinte Breck.

»Du denkst an Mork und Mindy, Babe«, entgegnete Steele und drückte Breck noch fester an sich. »Allerdings ist an dieser Sache nichts lustig.«

»Überhaupt nichts«, stimmte Carson zu.

»Um Mark und Marvin damit in Verbindung zu bringen, werden wir die Finanzunterlagen brauchen«, sagte Leo und strich sich übers Kinn, während er auf den Bildschirm starrte. »Beweise dafür, was sie diesen Arbeitern abnehmen, Schecks …«

»Das heißt, wenn sie sie überhaupt bezahlen«, warf Ridge ein. »Ich meine, haben wir irgendwelche Beweise dafür?«

»Sie bezahlen jemanden. Aber ich weiß nicht, wen. Sie benutzen eine interne Gehaltssoftware. Das ganze Ding ist komplett veraltet.« Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich denke nicht, dass Marvin etwas geändert hat, seit sein Großvater es eingerichtet hat. Wahrscheinlich sitzt im Hinterzimmer ein vierhundert Jahre alter Typ, der mit einem Federkiel die Buchhaltung macht.«

»Ich kann nicht glauben, dass du nichts über diesen Kerl gefunden hast«, sagte Steele. »Du könntest die Seriennummern der Himmelstore herausfinden.«

Steele und ich hatten vor der ganzen Charlie-Sache ein paarmal zusammengearbeitet. Er wusste, was ich draufhatte.

»Weil Marvin ein Dinosaurier ist.« Ich ließ mich auf die Couch fallen. »Er benutzt ein handelsübliches desktopbasiertes Programm für die Gehaltsabrechnungen. Es gibt keinen Server, kein Netzwerk, das ich finden konnte. Auf seinem verdammten Computer läuft Windows XP, und er benutzt Excel-Tabellen für die Buchhaltung!«

»Wie kann man so ein Multimillionen-Dollar-Unternehmen führen?«

»Nur sehr schlecht. Bis vor zwei Jahren, ungefähr zu der Zeit, als er Atlantis angeheuert hat, hat das Resort im großen Stil Geld verloren, und Marvin hat von einem Familienfonds gelebt. Aber das ganze Ding ist in Privatbesitz. Kein Vorstand, keine Aktionäre. Er führt dieses Resort, als wäre es ein Hostel in Daytona Beach.«

»Reizend«, stellte Carson fest. »Einfach reizend. Die Mitarbeiter könnten also missbraucht werden oder sogar Sexarbeiter sein, soweit wir wissen.«

»Ja«, bestätigte Leo. »Wir können es nicht wissen … es sei denn, wir gehen selbst dorthin.«

Ich seufzte. »Ich hab befürchtet, dass du das sagen würdest.«

»Hast du eine bessere Idee?«, fragte Leo und drehte sich zu mir.

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Wir müssen uns persönlich darum kümmern. Marks und Marvins Finanzen sind blitzsauber, genauso wie die offiziellen Bücher des Resorts und von Atlantis. Natürlich glaube ich nicht eine Millisekunde, dass das die einzigen oder sogar die ›echten‹ Bücher sind.«

»Beeindruckend«, sagte Leo.

»Dafür bezahlt ihr mich.« Ich konnte viele Dinge gut. Nur nicht, na ja, Dinge, die mit Danny zu tun hatten.

»Breck, schreibst du Danny noch mal?«, fragte ich, denn langsam machte ich mir Sorgen. Es passte nicht zu Danny, nachtragend zu sein, und normalerweise spürte er es, wenn etwas Aufregendes ohne ihn passierte. Eigentlich hätte er schon vor einer Weile hereinmarschieren und mich mit bösen Blicken quälen müssen. »Wenn wir vorhaben, dahin zu gehen, muss er bei der Planung dabei sein.«

Breck nickte.

»Also, wie kommen wir dorthin?«, hakte Steele nach. »Ich meine, abgesehen von einem Flugzeug. Was ist unsere Tarnung?«

»Ohh, kann ich einen riesigen Sonnenhut und noch mehr Badehosen kaufen?«, erkundigte sich Breck.

»Sollte ich ein paar Shirts kaufen?«, fragte Ridge säuerlich. »Oder ist das so ein Ort, an dem Klamotten optional sind?«

»Na ja, was das angeht …« Ich rief weitere Bilder auf. »Es würde unglaublich verdächtig wirken, wenn wir alle dort aufschlagen. Dieses Resort wird weit im Voraus gebucht, und obwohl ich hinter den Kulissen ein paar Strippen ziehen und einen Bungalow frei bekommen kann, kann nicht einmal ich sechs Reservierungen manipulieren, ohne dass es jemand mitkriegt.«

»Mir gefällt nicht, worauf das hinausläuft«, sagte Leo.

»Ich meine, in jedem Fall müssen wir nicht nur an die Büroleute herankommen, um herauszufinden, wo Marvin seine echten Finanzunterlagen aufbewahrt, sondern müssten auch mit den Mitarbeitern reden. Hoffentlich werden sie nicht überwacht.« Ich räusperte mich. »Ähm, spricht jemand Spanisch? Ich nehme an, dass die Mitarbeiter in den Gärten und auf den Außenanlagen am wenigsten überwacht werden.«

»Ich«, gab Carson seufzend zu. »¿Supongo que estaré sudando por el sol caliente haciendo trabajo pesado?«

»Ja. Aber ich wette, dass du entzückend aussiehst, wenn du in der heißen Sonne hart arbeitest«, antwortete ich.

Die Art, wie er den Mittelfinger hob, musste nicht übersetzt werden.

Ich rief eine Liste mit freien Stellen auf und las sie laut vor. »Im Moment fehlen dem Resort ein Wartungsmitarbeiter, ein Barkeeper, ein Hausmeister, ein Betreuer für das Kindercamp und ein Lehrer für lateinamerikanische Tänze.« Ich klatschte einmal in die Hände. »Sucht euch was aus.«

»Barkeeper«, sagte Leo. »Ich bin der Einzige hier, der den Unterschied zwischen Whisky und Whiskey-mit-e kennt.«

»Alles klar«, stimmte ich zu. »Und ich will sehen, wie du Flaschen herumwirbelst wie Tom Cruise in diesem Film.«

Er zeigte mir den Mittelfinger.

»Und ich kümmere mich um Anlage und Gärten.« Carson wimmerte beinahe. »So viel dazu, nicht braun zu werden.«

»Ich verstehe immer noch nicht, warum …«, setzte Ridge an, aber Carson schnitt ihm mit einem Blick das Wort ab.

»Ich mische mich auch nicht in Ihre Angelegenheiten ein, Mr Pfeiffer.«

Ridge schüttelte den Kopf.

»Wartung«, meldete sich Breck freiwillig. »Was? Ich bin in einem Trailerpark aufgewachsen. Ich kann viele Dinge reparieren. Autos, Klimaanlagen, Waschmaschinen. Ridgie, hilf mir mal.«

»Das stimmt. Er kann ziemlich gut Sachen reparieren«, pflichtete Ridge ihm bei.

»Außerdem, Werkzeuggürtel«, flüsterte Breck Steele laut zu. »Heiß.«

»Was wirst du machen?«, fragte Leo Ridge.

Ridge runzelte die Stirn, als er versuchte, sich die am wenigsten schlimme Stelle auszusuchen. »Tanzlehrer«, verkündete er schnell. »Ich hab Rhythmusgefühl.«

»Und du warst der beste Salsatänzer im Sportunterricht auf der Highschool«, bestätigte Breck. »Obwohl du die meiste Zeit damit verbracht hast, deine Hand auf Carrie Meyers …«

»Nein!«, unterbrach Steele und riss die Augen auf. Ihm war gerade erst klar geworden, welche Position noch übrig war. »Nein! Also … Sucht mir einen anderen Job. Hausmeister.« Er spannte seinen Oberarm an. »Leute, diese Muskeln wurden für harte Arbeit in der Sonne gemacht.«

»Aber du sprichst kein Spanisch und verstehst es kaum«, erinnerte ich ihn und hob einen Mundwinkel. »Lo siento, amigo.«

»Aber … Kinderbetreuung?« Steele wurde etwas blass und sah geradezu verängstigt aus.

Hm. Ich hätte Geld darauf gewettet, dass ihm nichts Angst machte.

»Du würdest mit Fünf- bis Zehnjährigen arbeiten, wenn du dich dadurch besser fühlst«, sagte ich und versuchte, mein Lächeln zu verbergen. »Es sind keine Neugeborenen oder so.«

»Das ist alles die Schuld meiner Mama«, murmelte Steele und sackte gegen die Couchkissen. Steeles Mutter war eine kubanische Immigrantin der ersten Generation, die mit ihrem kleinen Sohn aus Miami weggezogen war. Sie hatte sich geweigert, den Namen des Vaters zu verraten, war in eine Stadt am Rand des Okefenokee-Sumpfs gezogen, die nicht mehr als ein Fliegenschiss auf der Landkarte war, und hatte alle Verbindungen zu ihrer Familie abgebrochen. Steele sah aus wie eine heißere Version von Antonio Banderas und hörte sich, wenn er nicht aufpasste, an wie ein – na ja, wie ich mir einen Hinterwäldler aus den Sümpfen von Georgia vorstellte.

»Und du wirst in der Zwischenzeit was tun?«, wollte Leo wissen. »Mai Tais schlürfen?«

»Jap. Also mach sie schön stark, Barkeeper«, sagte ich grinsend. »Ich bin derjenige, der sich die Finanzunterlagen schnappen muss, also ist es sinnvoll, wenn ich der Frontmann bin.«

»Und Danny?«, fragte Breck.

Ich zuckte mit den Schultern. »Danny kann hier im Haus bleiben und mit Josie das Fort bewachen. In der Sonne liegen und entspannen.« Das würde mich davor bewahren, den ganzen Tag lang hart und abgelenkt zu sein.

»Hey!« Breck sah mich finster an. »Danny ist nicht nur Dekoration. Gib ihm eine Chance. Er hat eine ziemlich beschissene Zeit hinter sich, weißt du?«

»Ich weiß«, stimmte ich zu. »Noch ein Grund mehr für ihn, hierzubleiben. Wo es sicher ist.«

Leo schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Du hast gesagt, dass du an die Finanzunterlagen ranmusst, aber ohne einen Partner wird das sehr viel schwerer, und es wäre komisch, wenn du dich zu sehr mit uns Gesindel anfreundest. Außerdem«, fuhr er fort, und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, »ist es eine Realität in der Undercover-Arbeit, dass Paare zehnmal weniger verdächtig sind als alleinstehende Männer.«

»Das ist eine Lüge. Woher zum Teufel hast du diese Statistik?«, wollte ich wissen.

Leo zuckte mit den Schultern. »Quantico. Denk drüber nach. Wenn du ein heterosexueller Typ wärst, wen würdest du eher im Auge behalten: die zwei schwulen Jungs, die total ineinander vernarrt sind? Oder den Single, der Fragen stellt und versucht, sich bei deinen Empfangsmitarbeitern einzuschleimen?«

Verdammt. Ich steckte so tief in der Klemme, dass ich hätte heulen können. Und das Schlimmste war, dass Danny nicht mal hier war, um sich an meinem Unglück zu weiden. »Breck, wohin zum Teufel ist mein ›Scheinfreund‹ verschwunden?«

Breck schüttelte den Kopf und hatte das Handy schon am Ohr. »Weiß nicht. Ich rufe ihn an, aber …«

Carson runzelte die Stirn, zog eines der Sofakissen zur Seite und entdeckte Dannys vibrierendes Handy mit Brecks Kontaktnamen auf dem Display. »Er nennt dich immer noch Rocky?«, fragte Carson und meinte damit den Decknamen, den Breck in seiner Zeit als Escort benutzt hatte.

Breck zuckte mit den Schultern. »Alte Gewohnheit, nehme ich an. Danny hat abgesehen von seiner Schwester keine Familie, oder zumindest keine, die etwas von ihm wissen will. Er braucht etwas, woran er sich festhalten kann.«

Ich atmete scharf ein. Ich kannte dieses Gefühl nur allzu gut und konnte beinahe hören, wie Auntie Ade mir sagte, was das Richtige war.

Wenn du an einen Scheideweg kommst, frag dich selbst: Ist das eine Entscheidung, mit der du leben kannst? Es ist egal, was alle anderen denken, Wesley, solange du dich selbst respektieren kannst.

Ich schuldete Danny eine Entschuldigung. Und vielleicht einen ernsthaften Versuch, mich mit ihm anzufreunden.

»Hallöchen, Jungs«, begrüßte uns Josie, als sie ins Zimmer schlenderte. Sie schaute sich um und zählte durch. »Wo ist Danny?«

Jeder einzelne dieser Verräter sah mich an. »Ich weiß es nicht!«, brüllte ich und warf die Hände in die Luft. »Und er hat sein Handy nicht bei sich, also kann ich ihn nicht aufspüren.«

»Das ist ungünstig«, stellte Leo fest, als würde er erwarten, dass ich für so eine Eventualität einen Plan hätte.

Ich schnaubte frustriert. »Soll ich einen Chip in seiner Badehose anbringen, Shook? Er ist ein erwachsener Mann, kein Schoßhund.«

»Kannst du ein Auto aufspüren?«, wandte sich Josie an mich.

»Du meinst, allgemein?«

»Nein. Idiota. Ich meine, wenn das rote BMW-Cabrio in der Garage fehlt, könntest du herausfinden, wohin Danny gefahren ist?«, fragte sie scharf. Ich hatte sie noch nie zuvor wütend gesehen, aber ich wusste, dass sie eine Schwäche für Danny hatte.

Das hatten alle. Anscheinend sogar ich.

»Er hat ein Auto genommen?«, wollte ich wissen. »Was zum Teufel hat er sich dabei gedacht? Wo ist er hingefahren?« Ich meine, sicher, wir hatten die Bedrohung durch John Harlan ausgeschaltet, und soweit Dannys und Brecks alter Zuhälter wusste, waren die beiden tot, aber es gab noch immer Hunderte oder Tausende, sogar verdammte Millionen andere Variablen da draußen. Leute, die ihn absichtlich oder ungewollt verletzen konnten. Unfälle und Hurrikans und …

Ganz zu schweigen davon, dass der Idiot halb nackt aus dem Zimmer geflohen war und sicher wenig Hoffnung bestand, dass er sich in seinem Zimmer ein Shirt geholt hatte.

Breck grinste. »Ich dachte, er wäre kein Gefangener? Ich dachte, er könnte gehen, wohin er will, weil du nicht sein Aufpasser bist?«

Ich zeigte Breck den Mittelfinger und öffnete mit der anderen Hand die Tracking-Software. Am Tag unseres Einzugs hatte ich jedes Auto mit einem Sender versehen, hatte aber nicht erwartet, dass wir sie so schnell brauchen würden.

»Er ist auf der Benville Road. Vor einem Laden namens ›Green Hippo‹?« Ich sah von der Karte auf. »Ist das eine Bar?«

»Eine Schwulenbar«, bestätigte Breck. »Wir waren vor ein paar Tagen dort.«

»Bis Breck von einem Arschloch auf der Tanzfläche angegrapscht wurde«, fügte Steele hinzu. Offensichtlich war er noch immer nicht über den Vorfall hinweg.

»Er hat mich nicht wirklich begrapscht«, beruhigte ihn Breck. »Er hat sich einfach …«

»Unanständig an dir gerieben?«, fragte Steele. »Hat deinen Hintern gepackt, während du getanzt hast, obwohl es verdammt klar war, dass du mit mir da warst? Hat praktisch darum gebettelt, eine Hand zu verlieren, wenn du mich nicht aufgehalten hättest?«

Breck seufzte geschlagen und schmiegte sich enger an Steele. »Er hat mich begrapscht.«

Ich schnappte mir Handy und Brieftasche und rannte aus dem Zimmer.

»Wes?«, rief Ridge, aber ich blieb nicht stehen.

»Bond!«, brüllte Leo, aber ich ignorierte auch ihn.

»Wo will er hin?«, fragte Steele.

»Er wird Danny zurückholen«, sagte Josie. »Offensichtlich.«

Der Klang von Carsons Lachen folgte mir die Treppe hinunter. »Scheinfreund, von wegen.«

Pros & Cons: Wesley

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