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PROLOG

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EIN INTERESSIERTER FREUND

Der übertrieben eingeölte Schnösel, den ich aufmerksam beobachtet hatte, stolzierte zu meinem Eiswagen und sah mich über den Rand seiner verspiegelten Sonnenbrille hinweg an. Der Duft von Salzwasser und Kokosnuss-Sonnencreme, der eigentlich das Beste am Strandverkäuferdasein war, ging im Gestank seines Drogeriedeos unter.

Aber ein Kunde war ein Kunde, also zog ich die Mundwinkel nach oben und begrüßte ihn. »Willkommen bei Happy Cream! Was darf’s sein?«

»Yo, Alter. Ich brauch ’n Karamell-Schoko-Freeze.«

»Okay. Und was noch?« Vielsagend sah ich zu der süßen Brünetten im Bikini, die seine Hand hielt und das Eis mit einem Verlangen betrachtete, das ich mir normalerweise für Charlie-Hunnam-Fan-Fiction vorbehielt. »Möchten Sie auch etwas?«

Die Frau zuckte erschrocken zusammen, und ihr Blick huschte zwischen dem Schnösel und mir hin und her. »Ähm, oh, ja! Ich nehme …«

»Babe. Komm schon. Kohlenhydrate«, warnte er sie und schlug ihr, meiner Meinung nach vollkommen herablassend, auf den Hintern. »Ich date keine Fettärsche«, sagte er zu mir. Zu mir! Als wäre ich derjenige, der eine Erklärung dafür brauchte, dass er seiner Freundin eine leckere Süßigkeit verweigerte.

Ich blätterte gedanklich in meinem Katalog möglicher Arten, einen Mann zu töten, und suchte nach der unauffälligsten.

»Oh. Richtig.« Ihre Wangen wurden feuerrot, ihr Lächeln verblasste, und sie zog ihren nichtexistenten Bauch ein. »Tut mir leid, Kent.«

Natürlich hieß er Kent.

»Oh. Tut mir auch leid, Kent«, sagte ich fröhlich. »Heute gibt’s kein Eis für dich.«

»Was?« Er verengte die Augen und blickte den Strand entlang, in die Richtung, in die mein letzter Kunde verschwunden war. »Aber du hast dem Typen gerade …«

»Mmm.« Mitfühlend schnalzte ich mit der Zunge und schüttelte den Kopf. »Ja, ich weiß. Aber jetzt ist mir das Eis gerade ausgegangen.«

»Aber du hast nicht mal nachgesehen, ob du noch was hast.« Der Typ runzelte die Stirn, als würde er versuchen, die Geheimnisse des Universums zu lüften.

Ich nickte. »M-hm. Stimmt auch.«

»Was zum Teufel soll das, Mann?« Er schob sich die Sonnenbrille auf seinen teilrasierten Schädel und starrte mich finster an, als wollte er mir zeigen, dass er jetzt so richtig wütend wurde.

Ich hob eine Braue und lehnte mich gelangweilt an den Tresen. Ich hab schon FBI-Agenten mit Haftbefehlen und Gangstern mit halb automatischen Waffen gegenübergestanden, Kent. Dein empörtes Gesicht ist ein Scheiß dagegen.

»Die Sache ist die, Kent … Ich darf dich doch Kent nennen? Die Sache ist die: Ich habe hier bei Happy Cream einen strengen Grundsatz.« Ich schenkte ihm denselben verkniffenen Gesichtsausdruck, mit dem er eben seine Freundin angeschaut hatte. »Ich verkaufe Leuten, die das Wort ›Fettarsch‹ benutzen, kein Eis.«

»Ach ja?« Trotz seiner Bräune lief er dunkelrot an, und die Sehnen in seinem Nacken traten hervor, als wolle er gleich zuschlagen. »Wie wäre es, wenn ich dir helfe, deinen Arsch von innen zu betrachten, und dann sehen wir ja, ob du deine Meinung änderst.«

Gott schütze mich vor aufgepumpten, arroganten Mistkerlen.

»Ich bin ziemlich gelenkig, Kent. Schön, dass es dir auffällt. Aber ich habe es mir zur Regel gemacht, Idioten nicht einmal in die Nähe meines Hinterns kommen zu lassen, alsooo …« Ich zuckte mit den Schultern. »Wie wäre es, wenn du gehst?«

»Wie wäre es«, setzte er an, beugte sich über meinen Wagen und packte mich an meinem brandneuen Shirt, »wenn du mir mein gottverdammtes Eis gibst? Kostenlos.«

Ich sah von Kents Hand zu seinem Gesicht und wieder zurück.

Zu Kents Pech hing ich sehr an diesem T-Shirt. Es war pink, mit einem Einhorn, das regenbogenbuntes Softeis kackte, woraus sich die Worte »Happy Cream« ergaben. Ich hatte es selbst entworfen.

Mit der linken Hand packte ich Kents Daumen, drehte ihn herum, bis er gezwungen war, mein Shirt loszulassen, und dann noch ein kleines Stückchen weiter, bis ich ihm den Finger beinahe ausrenkte. Er schwankte und knickte vor Schmerz ein. Ich starrte ihn an, ließ meinen fröhlichen Gesichtsausdruck verschwinden und zeigte ihm genau das, was ich war: Jemand, mit dem er sich besser nicht anlegte.

»Ich sagte: Geh. Jetzt. Kent.«

Kent machte ein grimmiges Gesicht, schrie aber etwas, das wie »Na schön!« klang, also ließ ich los.

»Scheiß drauf. Dieses Eis ist Mist«, polterte er laut und ging rückwärts, damit er mich im Auge behalten konnte, während er seine rechte Hand mit der linken festhielt.

Ich atmete tief und reinigend durch, klatschte einmal in die Hände und wandte mich an seine Freundin. »Also dann! Ein Eis?«

Sie schüttelte hastig den Kopf und huschte Kent hinterher, wobei sie mich über die Schulter ansah, als wäre ich der Bösewicht in diesem Stück.

Seufzend schaute ich ihr nach. Ein Ex-Verbrecher zu sein, war anscheinend gar nicht so einfach. Es reichte jedenfalls nicht, lediglich das Gesetz nicht mehr zu brechen.

»Weißt du, als du sagtest, dass du dich am Strand mit mir treffen willst, um weniger Aufsehen zu erregen, hab ich mir irgendwie etwas anderes vorgestellt.«

Ich drehte mich um und stellte fest, dass mich Miranda Bosley, eine gute Freundin und hin und wieder auch Geschäftspartnerin, mit einer hochgezogenen Augenbraue musterte. Ihre dunklen Haare glänzten im Sonnenlicht, und ihr maßgeschneidertes blaues Kleid war trotz der hohen Temperaturen makellos und frisch.

»Ich dachte, du hättest dich als Strandgammler verkleidet«, fuhr sie fort und warf ihre Aktentasche auf den Wagen. »Vielleicht auch als Tourist. Oder Rettungsschwimmer. Ich hatte nicht erwartet, dass du Möchtegern-Reality-TV-Sternchen bedrohen würdest, und ganz sicher hätte ich nicht … das erwartet.« Sie deutete mit dem Kopf auf mein Einhorn-T-Shirt, das von Blödmann Kents Faust noch immer ausgeleiert war.

»Du hast also angenommen, ich hätte mich als Strandgammler verkleidet«, wiederholte ich. »Also dachtest du: Lass mich mein schickstes Kleid und …« Ich beugte mich über den Tresen, um nachzusehen. »Und meine Jimmy-Choo-Pumps anziehen und mit Aktentasche zu diesem zwanglosen Treffen gehen. Randa-Panda, jemand muss dir mal erklären, wie man sich unauffällig an seine Umgebung anpasst.«

»Für den Fall, dass du einen Sonnenstich hast«, sagte sie und setzte sich eine riesige dunkle Sonnenbrille auf, »möchte ich dich gern daran erinnern, dass ich Anwältin bin. Ich passe mich nicht an meine Umgebung an. Das überlasse ich euch Kriminellen. Mein Job ist es, im Vordergrund zu stehen.«

Und sie tat es so gut. Seit Charlie Bingham, Informationsmakler für Leute mit dunkler Weste, weißer Weste und all den regenbogenfarbenen Westen dazwischen, vor ein paar Monaten diese Welt verlassen hatte, war Miranda dafür verantwortlich, seinen Nachlass zu verwalten und seine letzten Wünsche auszuführen. So, wie Charlie seine Millionen verdient hatte, hätte es niemanden überraschen sollen, dass es bei seinen letzten Wünschen weder um wohltätige Vermächtnisse noch um einen Treuhandfonds für seinen Pudel-Mops-Mischling ging, sondern darum, außerhalb des Rechtssystems für Gerechtigkeit zu sorgen.

Ich jedenfalls war ganz sicher nicht überrascht. Aber auf die fünf kriminellen Superhirne, die Miranda praktisch erpresst hatte, damit sie Charlies Drecksarbeit machten, traf das wahrscheinlich nicht zu.

»Willst du ein Eis?«, fragte ich, nahm ein Karamell-Schoko-Freeze aus dem Behälter und stellte dann ein Schild mit der Aufschrift »Umsonst, greifen Sie zu« auf.

Miranda verdrehte hinter ihrer Sonnenbrille die Augen, doch ihre Lippen zuckten. »Oh, na gut«, sagte sie. »Aber erzähl es nicht Josie.«

»Meine Lippen sind versiegelt«, versicherte ich ihr, nahm ein weiteres Eis und reichte es ihr mit einem ganzen Stapel Servietten. Miranda würde für den Rest des Tages sauer sein, wenn sie sich bekleckerte. »Da wir gerade von Josie sprechen, wie geht’s meiner liebsten multitalentierten Haushälterin? Ich hab sie seit Wochen kaum gesehen.«

»Ihr geht’s gut. Aber bei ihr scheint ein bislang verborgener Mutterinstinkt zutage getreten zu sein. Sie verwöhnt Charlies kriminelle Bande nach Strich und Faden«, sagte sie ironisch. »Ich bin immer noch nicht sicher, ob die Männer einander mögen, aber für Josie würden sie alle sterben.«

Ich schälte die Verpackung von meinem Eis und ging Miranda voraus den Gehweg hinunter zu einer grellpinken Bank. Obwohl das Meer von hier aus nicht zu sehen war, konnte ich die Rufe der Seevögel hören, die am Himmel kreisten, und die Brise spüren, die vom Golf von Mexiko herüberwehte. Die Leute sprachen begeistert vom Herbst in Neuengland, aber ich zog Palm Beach im Oktober vor – mögliche Hurrikans und alles inklusive.

»Du vergisst, dass ich die Videoaufzeichnungen vom letzten Monat angeschaut habe.« Ich setzte mich auf die Bank, streckte die Beine aus und überkreuzte sie an den Knöcheln. »Sie haben verdammt gut zusammengearbeitet, um John Harlan zu Fall zu bringen. Das wäre nicht passiert, wenn sie einander nicht vertraut hätten. Und dir.« Ich leckte an meinem Eis, das genauso schokoladig und karamellig war, wie es die Verpackung versprach. Vielleicht sollte ich in die Firma investieren.

Miranda gab einen unverbindlichen Laut von sich und musterte die Bank eine Sekunde, ehe sie mit den Schultern zuckte und sich vorsichtig setzte. Ich hustete, um mein Grinsen zu verbergen. Ah, die pingelige Ms Bosley.

»Ich liebe dich, weißt du?«, sagte ich.

Sie wandte mir ihr Gesicht zu und hob eine Braue. »Ich weiß«, entgegnete sie widerwillig. »Deswegen tue ich das. Für dich. Für Charlie.«

»Und vielleicht ein kleines bisschen für dich selbst?«

»Ein bisschen«, gab sie zu. »Es ist schön, zur Abwechslung das Gefühl zu haben, etwas zu bewirken.« Vorsichtig löste sie die Verpackung von der Waffel und biss direkt in das Eis wie eine Banausin. »Da wir gerade davon sprechen, ich hab Danny Munroe eingestellt.«

Ich runzelte die Stirn. »Den Stricher, der eins von John Harlans Opfern war?«

Sie legte den Kopf schräg und drückte damit Du-bist-ein-voreingenommener-Idiot aus, ohne ein Wort zu sagen. »Der entzückende junge Mann, der mit Sex Geld verdienen musste, weil ihn seine Eltern rausgeschmissen haben, nachdem sie erfahren hatten, dass er schwul ist, und der dann zu einem der vielen Opfer des korrupten Senators wurde, den wir für Charlie ausschalten sollten.« Noch einmal biss sie herzhaft von ihrem Eis ab. »Der Danny.«

Ich nickte, gleichzeitig zufrieden und amüsiert. Anscheinend war Josie nicht die Einzige, die diese Jungs adoptiert hatte. Ms Miranda Bosley, Rechtsanwältin, gab eine überzeugende beschützende große Schwester ab.

»In Ordnung«, erwiderte ich. »Deine Entscheidung. Deshalb hat Charlie schließlich dir die Verantwortung überlassen. Vergiss aber nicht, dass du nicht alle retten kannst, ja?«

»Vielleicht nicht alle. Aber ich kann ganz sicher diesen einen retten, also werde ich es tun.«

Ich nickte. »Und eventuell wird er sich als nützlich erweisen. Haben sie schon den zweiten Umschlag geöffnet?«

Miranda schüttelte den Kopf und seufzte. »Wir haben uns eine kleine Auszeit genommen. Es schien sinnvoll zu sein, Steele und Breck etwas Zeit dafür zu geben, sich von den Nachwehen der traumatischen Situation zu erholen.«

Steele, der Sicherheitsspezialist in Charlies Gruppe, hatte sich während der Arbeit an dem Fall Hals über Kopf in Breck Pfeiffer verliebt, der ebenfalls ein Opfer von Harlan gewesen war. Und es ergab Sinn, dass das Team Zeit brauchte, um sich an die neue Dynamik zu gewöhnen. Aber ich war nicht sicher, ob ich Liebe als Trauma ansehen sollte.

»Erholen nennt man das jetzt also?«, fragte ich und wackelte mit den Brauen. »Steeles magischer Schwanz heilt alle Beschwerden? Oh, Steele, Baby! Gib mir die Medizin, die ich brauche!«

»Pfui. Du bist so ungehobelt.«

Ich lachte laut auf. »Ich weiß. Aber wir können nicht alle einflussreiche Anwälte sein oder in schicken Villen am Meer wohnen. Denk dran, ich bin nach Charlies Tod obdachlos geworden.« Ich klimperte mit den Wimpern und schmollte wie das Waisenkind, das ich war.

Sie schnaubte. »Richtig. Obdachlos, nicht mittellos. Und in Charlies Testament stand nicht, dass du gehen musst, mein Schatz, du hast dich dafür entschieden! ›Was, wenn die anderen nicht nett zu mir sind? Was, wenn der große, böse FBI-Agent misstrauisch wird?‹«

»Hey!«, sagte ich getroffen, denn sie war der Wahrheit etwas zu nah gekommen. »Das ist nicht nett, Randa.«

Vor allem der Teil mit Special Agent Leo Shook. Ich war irgendwie seit Jahren in ihn verknallt … wenn man es so nennen wollte, dass ich wegen des Typen, der davon besessen gewesen war, Charlie Bingham festzunehmen, einen Ständer bekam. Es war eher wie ein verdammtes Tauziehen. Leo hatte Charlie schnappen wollen, Charlie hatte nicht geschnappt werden wollen. Mein Überleben hing von Charlie ab, obwohl mich Shook mit seinen freundlichen Augen und der schrecklichen Angewohnheit, gut, moralisch und vertrauenswürdig zu sein, wie ein Magnet anzog. Und um es noch erbärmlicher zu machen, hatte Leo nicht einmal gewusst, dass ich existierte, bis ich ihn letzten Monat in einem Moment der Schwäche angerufen hatte. Er wusste immer noch nicht, wie ich aussah oder wie ich hieß oder irgendetwas über mich, er kannte bloß den Klang meiner Stimme.

Tiefer. Theatralischer. Seufzer.

Miranda, die hinter der Fassade ihres eleganten Seidenkleides sehr sentimental war, bemerkte meinen düsteren Blick und runzelte die Stirn. »Du weißt, dass ich nur Spaß mache, oder? Ich verstehe, warum du diese Entscheidung getroffen hast. Ich respektiere sie.«

»Ich weiß.«

Sie legte eine Hand auf mein Knie. »Und ich bin dir gegenüber genauso loyal wie gegenüber Charlie.«

»Das weiß ich auch.« Ich drückte ihre Hand. Ich hasste es abgrundtief, traurig zu sein, und manchmal, wenn ich zu lange an Leo Shook dachte … na ja, war ich, ganz seinem Namen gemäß, wie geschockt. Ha. »Also, Umschlag Nummer zwei?«

»Ja. Wesley Bonds Umschlag.« Sie nickte. »Als sich die Jungs zum ersten Mal trafen, hat Shook angedeutet, Bond sei der Einzige in der Truppe, über den er keine Informationen hat. Ich frage mich, was zum Teufel Charlie ausgegraben hat, das Shook und das FBI nicht finden konnten.«

Ich lächelte sie schief an. »Charlie war der Beste. Aber denk dran, er war auch irgendwie der Schlimmste. Bond ist nicht der Typ, der anderen gegenüber nett ist, wenn er keinen richtigen Anreiz dafür hat, also …«

»Du willst mir also sagen, dass das, was Charlie gegen ihn in der Hand hatte, etwas Großes ist?«

»Eher etwas sehr Persönliches.«

»Großartig.« Miranda erhob sich und warf die Verpackung in den Müll, ehe sie sich gründlich mit den Servietten die Hände abwischte. »Welche tiefgründigeren Emotionen Bond auch immer hat, er hält sie fest verschlossen. Momentan scheint er nur zu Verärgerung, Gereiztheit und Belustigung fähig zu sein.« Sie hielt inne. »Und normalerweise richten sich all diese Gefühle gegen Danny Munroe.«

Sie rieb sich über die Stirn, als würde sie schon Kopfschmerzen bekommen, wenn sie sich nur vorstellte, wie die Dinge im Haus heute Nachmittag ablaufen würden.

Ich stand auf und legte einen Arm um ihre Taille. »Hab ein wenig Vertrauen, Randa. Hat dich Charlie jemals in die falsche Richtung gelenkt?«

»Noch nicht«, sagte sie. »Aber es gibt immer ein erstes Mal.«

Pros & Cons: Wesley

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