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1 Suche Stelle als Talk-Gast
ОглавлениеAnne Swalski
Suche Stelle als Talk-Gast
-Satiren bei Funk und TV-
Inhaltsverzeichnis:
1 Suche Stelle als Talk-Gast
2 Zwischenspiel: Kölle
3 Die schwarze Witwe
4 Ein Königreich für einen Zuschauer
5 Zwischenspiel: Frühe Bots
6 Der Kilometerzähler
7 Die Dame ohne Unterleib
8 Zwischenspiel: Die Wohnung
9 Karo von Reibach
10 Talk im Tal
11 Der Geschäftsmann
12 Zwischenspiel: Grillen
13 Feindliche Übernahme
14 Forschungsspitzen
15 Der Unsterbliche
16 Frau Knoblauch als Kulturpflanze
17 Zwischenspiel: Weibliche Endungen
18 Polit-Buffet
19 Außenpolitik
20 Inländer-Feindlichkeit
21 Zwischenspiel: Herrenbesuch
22 Herr Online
23 Das karnevalistische Huhn
24 Medienfest
25 Zwischenspiel: Verstimmung
26 Kunst und Kacke
27 Nachts durch die Tundra
28 Zwischenspiel: Der Umzug
29 Nachwort: Offener Brief an den Anchorman
Es gibt heute Prominente, die so häufig zu Talk-Shows eingeladen werden, dass sie ihren Beruf aufgegeben haben und ein zufriedenstellendes Einkommen über die Honorare als Talk-Gast verbuchen können. Sogar die Industrie- und Handelskammer war schon bei dem einen oder anderen Sender vorstellig geworden, um etwas über die Voraussetzungen für den neuen Beruf als Talk-Gast zu erfahren. Auch Personen in der zweiten Reihe des öffentlichen Lebens, wie beispielsweise Köche oder Herrenausstatter, haben erkannt, dass sie sich mit Reden vor einer Kamera ein erkleckliches Zubrot verdienen können.
So hatte auch ein Herr Möhre ebenfalls schon von dem neuen Berufsbild gehört, und nach einigem hin und her entschieden, sich als Talk-Gast zu verdingen. Es lag ihm daran, sich beruflich neu zu orientieren, denn er war Sex-Schriftsteller der mehr oder minder härteren Sorte und hatte bei sich einen Burn-Out diagnostiziert. Seit er um die fünfzig war, fiel es ihm zunehmend schwerer, sich etwas Schlüpfriges einfallen zu lassen. Immer häufiger musste er in seinen Erinnerungen nach Lampenschirmen und ähnlichem suchen, um einen neuen Story-Mix zu kreieren, den er, statt mit ‚Frühlingsrollen‘, mit ‚Augenrollen‘ nach oben begleitete. Während andere noch mit 55 eine neue Ehe eingingen, kam er sich wie leer geschossen vor.
Herr Möhre suchte also die Casting-Agentur Rhing-Gold in Kölle auf, ein Unternehmen, das u.a. Personen auf ihre Fernseh-Tauglichkeit untersuchte. Talkgäste sollten ihre Meinung zu biblischen Offenbarungen aufwerten können, flunkern erlaubt, und auch weitere Qualifikationen - wie Unterscheidungsvermögen zwischen Reden und Labern - entwickelt haben: Der Moderator darf labern, tut es aber nicht, der Gast darf auf keinen Fall labern, tut es aber manchmal doch. Nachdem Herr Möhre beim Telegen-Test ganz gut abgeschnitten hatte, er trug ein vorteilhaftes Toupet, ging es ans Eingemachte.
„Was können Sie denn?“ fragte der junge Angestellte. Auf seinem Schreibtisch standen mehrere beschriftete Boxen mit Datenträgern, und aus der ihm nächsten entnahm er eine Disc und lud sie in den Computer.
„Ich bin Schriftsteller“, antwortete Herr Möhre, glaubend, dass damit nun alles gesagt wäre. Doch der junge Mann runzelte die Stirn und suchte weiter auf dem Schirm, und als hätte er verstanden, was sein Gegenüber gedacht hatte, widersprach er:
„Das reicht heute nicht mehr.“
„Ach, was!“
„Wir müssten Sie auch in Spielshows unterbringen können, das würde dann gehen.“ Herrn Möhre wurde mulmig. Der Angestellte setzte seine Fragerei fort.
„Haben Sie irgendeine besondere Neigung oder Fertigkeit? Können Sie Sackhüpfen?“ Sein Gesprächspartner kannte das Wort in einem anderen Zusammenhang über gut.
„Sackhüpfen? Nein, kann ich nicht.“ Er schüttelte den Kopf.
„Wie ist es mit ‚auf dem Strich gehen‘? Das wird bei Spielshows häufig erwartet.“ Herr Möhre schüttelte wieder den Kopf. Nicht er. Das Thema hatte er satt.
„Schade, die Sendung ‚Kinderschreck‘ lädt auch Erwachsene ein, die für ein Spiel eine sportliche Qualifikation aufweisen können. Im Moment ist Sackhüpfen und Auf-dem-Strich-Gehen der Renner, die Leute lachen sich kaputt. Aber das ändert sich alle paar Monate. Im nächsten Quartal kann es ‚Blindekuh‘ sein.“
„Ah, ja“, sagte der Schriftsteller. Er verfiel eine Sekunde in Nachdenken, denn das Wort erinnerte ihn an etwas. Richtig, er hatte mal was geschrieben. Jahre her, aber er hatte das Stück ‚Die blinde Kuh‘ genannt.
„Was gäbe es denn noch, womit Sie aufwarten könnten?“ Der junge Mann wandte sich vom Computer ab, holte einen weiteren Kasten mit Discs vom Regal und suchte darin.
„Ich bin gut im Assoziieren“, fiel Herrn Möhre ein, „gibt es nicht Spielshows, wo man etwas erraten muss?“
„Doch, schon, aber da nehmen wir zur Zeit verarmten Adel.“
„Politische Diskussionen?“
„Dafür kommen im Moment nur Behinderte in Frage - wegen der Teilhabe. Sie müssten schon irgendetwas Besonderes können. Etwas, was andere nicht können.“ Herr Möhre überlegte angestrengt. Ihm fiel ein, dass er als junger Mann Sprachen studiert hatte und warf diese Karte ins Spiel:
„Ich kann einige Brocken Rätoromanisch sprechen …“
„Ach“, winkte der Angestellte kopfschüttelnd ab, „so oft haben wir keine Schweizer Bergvölker zu Besuch!“
„Das kann aber nicht jeder!“ erwiderte Möhre trotzig. Ihm sank der Kopf; er hatte sich vorgestellt, dass es einfacher wäre. Aber einen Angebotspool von solchen Leuten wie er einer war, gab es offensichtlich en masse. Der junge Mann stellte den Kasten zurück und holte aus einer Schublade Listen hervor und sah sie durch. Herrn Möhre war nicht klar, ob die Listen irgendetwas mit diesem Interview zu tun hatten und sagte in das Blättern hinein:
„Ich bin schon Spezialist. Aber ich möchte auf diesem Gebiet nicht mehr arbeiten.“ Er machte eine Pause und fuhr fort:
„Sieht nicht gut aus, wie?“
„Ja, sieht schwierig aus. Sagen Sie mal, was schreiben Sie denn als Schriftsteller?“ Vor diesem Augenblick hatte Herr Möhre gezittert.
„Ja, ich, wie gesagt, ich wollte da eigentlich nicht mehr arbeiten auf dem Gebiet.“
„Ach, Gott, kommen Sie, sagen Sie schon, vielleicht lässt sich da etwas machen.“ Möhre war im Zwiespalt und wand sich innerlich.
„Ja, was denn nun?“ Der junge Mann von Rhing-Gold fixierte Möhre aufmerksam. In einem augenblicklichen Anfall von Schwachsinn antwortete dieser:
„Ich schreibe über Sex. Ich denke mir Geschichten aus, kurze, lange, manchmal wird es ein Roman, dann schreibe ich Drehbücher für Sexfilme und bediene die Werbebranche mit diesem oder jenem Slogan, der eindeutig zweideutig ist. Ich bin dafür bekannt.“ Nun war es heraus.
„Ja, Mann!“, rief der Angestellte aus, und eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn, „warum sagen Sie das denn nicht gleich? Lassen mich hier wulachen wie einen Verrückten, ganze Listen durchkämmen, und dann sagen Sie, dass Sie W-Vorlagen herstellen können. Mann!“ Der Schriftsteller war etwas irritiert. Er wusste, dass normale Bundesbürger erschreckt auf den Inhalt seiner Schreiberei reagierten, aber diesen freizügigen Ausbruch bei einem relativ so jungen Mann hielt er denn doch für übertrieben. Der Angestellte regte sich langsam ab und kam zur Sache zurück. Er legte den Stapel Papiere beiseite und wählte aus der zweiten Box auf seinem Schreibtisch eine CD, die er in den Computer lud.
„So“, sagte er, „dann wollen wir mal. Ich kann Ihnen eine ganze Reihe von Shows nennen, die in Frage kommen. Nicht alle deutschlandweit, auch regionale, aber die sind ja über Satellit mindestens europaweit zu empfangen. Es geht nicht immer so simpel um Sex, etwas schlauer schon. Einmal steht der eine Aspekt im Vordergrund, dann ein anderer. Sie müssen sich ganz klar daran halten. Abweichungen werden nicht geduldet. Wenn Sie das nicht können, ist es aus.“ Der Schriftsteller lehnte sich in seinem Sessel zurück, er wusste nicht, wie ihm geschah. War er etwa engagiert?
„Ja, aber das ist noch nicht alles“, hörte Möhre wie von fern, „ich kann Ihnen noch Beraterverträge anbieten. Und natürlich Verträge als Autor bei der Themenfindung. Herr Möhre“, der junge Mann redete ihn zum ersten Mal an diesem Nachmittag mit Namen an, „Herr Möhre, Sie sind eine Goldgrube.“ Der junge Mann lachte ihn an, und ein Virus von ihm sprang zu seinem Besucher hinüber.
„Übrigens heiße ich Wolf Müller. Für Sie Wolf.“ Er reichte Möhre die Hand. Wie im Reflex reichte auch dieser ihm die Hand, ein kurzes Schütteln und Kopfnicken.
„Das gibt Provisionen für uns, wissen Sie, richtig Schotter. Wenn Sie bei uns unterschreiben, Herr Möhre, mach ich Ihnen die Frühlingsrolle!“ Der junge Mann beugte sich vor, klopfte seinem unerwartet interessanten Gast freundschaftlich auf die Schulter und sagte:
„Nehmen Sie es nicht so schwer.“
„Ich wollte doch nicht mehr.“
„Ach, kommen Sie. Sie müssen nichts Neues machen. Sie schöpfen ausschließlich aus Ihrem Fundus. Wissen Sie, die Leute sind eigentlich bescheiden. Ein Teil unserer Klientel will nichts mehr als immer nur dasselbe. Und zwar immer wieder. Jeden Tag tun sie so, als müssten sie es neu erfinden.“
„Das ödet mich ja so an!“
„Ach, Herr Möhre, wenn Sie es verstehen, ziehen Sie doch Kapital daraus. Es kommt nur auf Ihre Haltung an. Es ist doch für Sie Routine. Alles wird mal zur Routine, glauben Sie mir. Nun?“ Möhre war überrascht, was dieser Wolf da so von sich gab. Klug war er. Und er hatte offenbar mehr Realitätssinn als er, der wohl doppelt so alt war.
„Vielleicht haben Sie angefangen über Sex zu schreiben, als Sex noch nicht gesellschaftsfähig war.“ Möhre musste husten. Offenbar las der junge Mann in ihm wie in einem Buch.
„Machen Sie sich frei davon. Heute wird Gangbang-Sex den Grundschülern beigebracht und ist nicht nur gesellschaftsfähig, für die Medienschaffenden ist er sogar eine Quelle des Wohlstands geworden.“
‚Wie für die Zuhälter‘, dachte Möhre. Wolf Müller lud eine andere Disc in den Computer und tippte Möhres Namen ein.
„Herr Möhre, ich habe mir hier ein Vertragsformular auf den Schirm geholt. Wir können es danach gleich ausdrucken.“
„Vielleicht doch nicht so schnell“, stoppte er den jungen Mann.
„Kein Problem, Sie können es sich ja immer noch überlegen. Sie müssen nicht unbedingt heute unterschreiben. Erst sage ich Ihnen noch, was es dafür gibt.“ Der junge Mann machte eine Pause.
„Also“, fuhr er fort, während er die Tastatur des Computers näher zu sich schob, „Sie kriegen natürlich nur ein Honorar, wenn Sie für eine Sendung arbeiten.“ Tippen.
„Neben dem Honorar gibt es im dritten Stock hier ein größeres Büro mit einigen Arbeitsplätzen für freie Mitarbeiter, das von einer Sekretärin betreut wird.“ Er wandte sich kurz zu Möhre:
„Dort können Sie ungestört arbeiten.“ Tippen.
„Mit diesem Arbeitsplatz ist auch eine Pauschale für private Telefongespräche verbunden.“ Tippen.
„Dann gibt es eine Pauschale für Besuche von Lokalen. Wissen Sie, Sie müssen sich ja auf dem Laufenden halten und daher gehört es zur Ausstattung dieses Arbeitsplatzes, dass Sie einschlägige Lokale besuchen, um sich neue Ideen zu holen.“ Tippen.
„Ebenso können Sie Dienstreisen abrechnen, wenn Sie Recherchen in Hamburg auf der Reeperbahn machen oder in Berlin.“ Tippen.
„Dann können Sie unseren Fuhrpark benutzen. Wenn Sie ein Auto brauchen, dann melden Sie das an.“ Tippen.
„Sie kriegen ebenso Freikarten für alle Veranstaltungen der Sender bzw. für Veranstaltungen, an denen die Sender beteiligt sind, wie Medien-Preisverleihungen und so weiter.“ Tippen.
„Sie erhalten einen Ausweis, der Sie berechtigt, Studios und Produktionsräume der Sender zu betreten, selbstverständlich auch die Kantinen.“ Tippen.
„Über die Inanspruchnahme von Sonderurlaub und anderen freien Tagen sowie Überstundenvergütung erhalten Sie auf einer dem Vertrag beiliegenden Anlage Auskunft.“ Tippen.
„Wenn Sie Wert darauf legen, können wir Sie in die ‚Liste zum Frühstück mit dem Geschäftsführer‘ aufnehmen. Sollte sonst noch etwas sein, können wir über alles reden“. Der junge Mann hatte offenbar den Befehl zum Drucken gegeben, denn der Drucker ratterte nun leise und gab ein paar Blätter aus.
Herr Möhre hatte in den letzten Minuten, wo jener Wolf Müller den Computer bedient und gesprochen hatte, die Gelegenheit genutzt, durch eine Metamorphose zu gehen. Erst hatte sich sein zusammen gesunkener Körper aufgerichtet, dann hatten sich seine Muskeln gestrafft, er würde nun schlanker und größer wirken, dann hatte er seine Vergangenheit abgestreift: Nie mehr billige Hotels und nie mehr noch billigere Studios, und als Wolf Müller beim Ausweis angelangt war, war Herr Möhre nur noch dynamische Gegenwart mit noch dynamischerer Zukunft. Selbstverständlich würde er den Vertrag unterschreiben. Aber nur, wenn die Zahlen stimmten. Er würde das kurz überschlagen und mit seinem Rechtsanwalt bereden, ob er sich nicht noch – im Falle, er würde doch aussteigen wollen – eine Summe als Abfindung ausbedingen sollte, vielleicht ein Jahresgehalt oder ähnlich. Man hatte ihm ja das Reden angeboten, und er würde das zu nutzen verstehen. Er dachte nun nicht mehr daran, dass es Schwachsinn gewesen war, sich zu öffnen. Nein, er hatte sehr viel eher Realitätssinn bewiesen.
Als ihn Wolf Müller zum Schluss fragte, was ihn am meisten überzeugt hätte, nun doch weiter zu machen, da sagte er, dass es das Angebot gewesen wäre, mit dem Geschäftsführer zu frühstücken. Da lachte Wolf Müller und sagte:
„Ja, das überzeugt die meisten.“