Читать книгу Eine Ahnung von der Ewigkeit - Anne Woeller - Страница 7

Ruhezeit

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Auch für die Profiliga kam nun die Ruhepause. Die freie Zeit genoss Rick in vollen Zügen. Er schlief lange aus, begleitete Kris zu den vielen Kunstausstellungen und traf sich mit seinen

Sportkameraden auf ein Bier. Er gab Interviews und unterhielt sich mit einigen Managern über seine Zukunft.

»Nach dem Spiel habe ich dich kaum für mich alleine gehabt«, beschwerte sich Kris eines Abends. Rick lächelte vergnügt.

»Ich bin ein Baseballstar. Da muss ich viele Hände schütteln. Für mich gilt es jetzt Kontakte zu knüpfen, um die nächste Saison wieder zur meinigen zu machen.«

»Ich weiß, aber ich möchte mal wieder ganz alleine mit dir etwas unternehmen, ohne Trainer, Teamkollegen, Presse oder sonst noch jemand. Wie wäre es mit einem Skiausflug, hoch hinauf in die Berge?«

»Skifahren? Das habe ich noch nie gekonnt.«

»Wir müssen ja nicht gleich mit den schwarzen Pisten anfangen. Ein bisschen hin und her rutschen, um uns am Abend von dem langen Tag im Schnee zu erholen.«

»Bei ausgiebigem Essen und scharfen Getränken?«

»Selbstredend!«, grinste Kris ihn verschmitzt an.

»Dann können wir doch gleich hierbleiben?«

Kris zog eine Augenbraue hoch und schaute ihn erwartungsvoll an. Rick willigte also ein und der Ski Trip war gebucht.

In seinem Gepäck verwahrte Rick den Homerunball.

»Der muss ab jetzt immer mit!«, hatte er noch gesagt. Nach dem sie sich im Hotelzimmer ausgebreitet hatten, machte sich Kris schon für die Piste fertig. Elegant zog sie sich ihre Schneekleidung an, während Rick auf dem Bett lag und teilnahmslos seinen Baseball in die Luft warf.

»Sollen wir nicht erst morgen früh auf die Piste? Die Sonne wird bald untergehen.«

»Noch ist es hell draußen. Los! Komm!«, forderte sie ihn auf, »zieh dich an. Eine Abfahrt schaffen wir noch.«

Rick platzierte folgsam seinen Baseball auf dem Nachttisch und freute sich schon darauf, mit diesem später wieder spielen zu können. Etwas umständlich zog er seine Skiausrüstung an und folgte Kris hinaus zum Lift.

Die Sonne stand schon tief am Himmel, als Rick sich in seine Skier einklinkte. Kris war schon ungebremst vorgefahren. Mit einem Handkuss hatte sie noch gesagt:

»Wir treffen uns unten.«

Rick richtete sich noch einmal auf, um den schönen Ausblick zu genießen. Er stand auf einem der höchsten Berge und schaute ins Tal hinunter. Dort ging schon vereinzelt die Nachtbeleuchtung an. Die Sonne sendete ihre letzten Strahlen in einem prächtigen Farbenspiel. Das Bergpanorama war in ein wunderschönes Abendrot getaucht. Der Schnee funkelte wie viele kleine Diamanten. Rick nahm die Skistöcke auf und stieß sich ab. Doch durch das lange Stehen waren seine Kufen an der Schneedecke festgefroren und er musste sich noch einmal umständlich abstoßen. Noch einmal! Stärker diesmal! Mit einem kräftigen Ruck befreite sich ein Ski vom Eis. Der andere Ski aber blieb fest an der Stelle und gab nicht nach. Rick verlor das Gleichgewicht und rutschte zur Seite weg. Der freie Ski folgte dieser Richtung, jedoch der andere blieb verkeilt und zwang Ricks Knie in eine unnatürliche Bewegung. Es knackste laut und ein lähmender Schmerz durchfuhr seinen ganzen Körper wie ein Blitz. Er versuchte sich verzweifelt von dem verkeilten Ski zu befreien. Dabei verdrehte sich Ricks Körper aber umso mehr. Der Schmerz wurde immer schlimmer und er konnte nicht anders, als laut zu schreien. Wie ein Tier krümmte er sich am Boden und brüllte vor Schmerzen. Er konnte seinen Herzschlag spüren. Es drohte ihm aus der Brust zu springen. Schweiß quoll aus all seinen Poren. Ihm stockte der Atem. Sein Magen drehte sich um, während er mit dem Kopf voraus auf den Boden schlug. Der Schweiß auf seiner Stirn, vermischte sich mit Blut, das aus der Platzwunde hervorquoll und den Schnee rot färbte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Rick in den dunklen Himmel.

Die Sonne war untergegangen.

In der Zeitung stand

Rick Tylor, der Zukunftsstar des amerikanischen Baseballs, verletzte sich bei einem Skiunfall in den Bergen so schwer, dass es das Aus für ihn als Profisportler bedeutet. Wie das Sportmanagement heute mitteilte, wird Rick Tylor nicht mehr in der Lage sein, ohne Gehhilfe zu laufen, geschweige denn Baseball zu spielen. Noch bevor die Profikarriere des jungen Sportlers richtig angefangen hat, ist sie auch schon wieder vorbei. Rick befindet sich noch im Krankenhaus unter dem Einfluss von Schmerzmitteln, die ab sofort sein Leben begleiten werden. Seine Fans trauern um ihn, da er für sie als Held der Homeruns gestorben ist. Wir wünschen ihm alles Gute.

Henrik zerknüllte wütend die Zeitung und warf sie in die Ecke.

‚Zuerst verehren sie dich, dann begraben sie dich lebendig.‘

Die Atmosphäre im Krankenhaus war zum Schneiden. Wie schwerer Nebel hing die Stimmung in der Luft.

Die Krankenpfleger hatten eine ernste Miene, als sie aus Ricks Zimmer kamen. Vor der Türe stand ein Leibwächter, der wütende Fans abhalten sollte. Er blickte ebenso betroffen drein.

Henrik lief aus dem Krankenzimmer heraus. Er lief zu einigen Leuten des Managements, die abseits unter einer Baumgruppe standen.

»Er hat überlebt, aber er hat sehr viel Blut verloren. Man hat ihn zu spät gefunden. Kris wird als mögliche Blutspenderin getestet.«

»Verloren...«, wiederholte einer von ihnen betroffen, »er hat seine Gesundheit verloren und seine Zukunft als Profisportler.«

»Immer wieder öffnet er die Augen, ist aber so am Boden zerstört, dass er niemanden an sich ranlässt. Er antwortet niemandem, obwohl die Ärzte meinen, dass er mitbekommt was um ihn herum geschieht.«

»Er schämt sich.«

»Er schämt sich so sehr. Als bemerkenswert gut aussehender Leistungssportler hatte er eine goldene Zukunft, Werbeverträge, Ruhm und sein geliebtes Baseballspiel vor sich.«

»Er denkt, zu viel nach. Es gibt auch ein Leben nach dieser Diagnose.«

»Aber nicht das, was er sich vorgestellt hatte.«

»Es gibt so viele Spiele, die man spielen kann. Er ist nicht gestorben, er lebt. Das sollte er sich als Grund nehmen, weiter zu machen.«

»Was ist mit seiner Verlobten Kris?«, fragte einer.

»Kris hat die letzten Tage immer wieder versucht, an ihn heranzukommen. Wir haben sie zu uns geholt und sie hat mit verschiedenen Teampsychologen Gespräche geführt. Aber wir können ihr keinen guten Rat geben, wie sie sich vor Rick verhalten soll. Er tut sich selber leid und verweigert jeden Kontakt, selbst zu ihr.«

Kris öffnete die schwere Türe zum Krankenzimmer. Sie sah das Fußende des Bettes und ein verhülltes Bein. Als sie langsam um die Ecke ging, sah sie in Ricks Augen. Sie waren müde und leer. Sie blieb stehen und seufzte schwer. Kris hatte sich so sehr nach Rick gesehnt. Die Operation dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Jetzt aber wünschte sie sich in diese Ewigkeit zurück, als sie in die Augen eines fast Fremden sah.

»Was hast du erwartet?«, fragte Rick leise mit belegter Stimme.

Voller Abneigung blickte er sie an.

Kris fühlte sich schwer wie Blei. Sie stand einfach nur da. Wie sie sich wieder in diese Ewigkeit zurücksehnte. Sie wollte Rick in die Arme nehmen, traute sich aber nicht. Zu viele Schläuche, die an ihm hingen, zu unreal die Situation, ihn dort liegen zu sehen. Sie wollte, dass alles wieder wie früher werde. Eine Vorstellung, deren süße Sehnsucht sie zwar verzehrte, in der ihr aber die Hoffnung blieb. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ricks Gesicht wurde fahl und er drehte sich zum Fenster. Sein Gesichtsausdruck wurde noch unglücklicher. Kris schluckte und rückte den Stuhl an sein Bett. Das Zimmer war übersät mit Blumen und Genesungskarten. Einige Luftballons suchten an der Decke einen Ausgang. Ein Fenster gewährte den Blick nach draußen. Die Wolken hingen tief an diesem Tag.

»Soll ich dir etwas von zu Hause bringen?«

»Mein altes Leben hätte ich gerne wieder!«

»... altes Leben«, wiederholte sie nachdenklich.

Ein dunkles Wort und doch so lieblich und schön. Rick biss sich auf die Unterlippe, als Kris seine Hand nahm. Er zog sie weg. Die Berührung verursachte in ihm ein seltsames Gefühl. Es kam ihm vor wie ein sehr leise schneidendes Messer, das qualvoll in der Vergangenheit steckte.

Er ertrug es nicht. Er ertrug sie nicht mehr. Kris stellte sein altes Leben dar. Sein altes, nimmer wiederkehrendes Leben, voller

Glanz, Leichtigkeit, Freude und wilder ungehemmter Siegesgeschichten.

»Die Vergangenheit kann ich dir nicht wiederbringen, Rick. Ich kann dir auch nicht die Zukunft vorhersagen. Ich kann dir nur im Hier und Jetzt mein Herz geben.«

Teilnahmslos starrte Rick aus dem Fenster, dann veränderte sich der Ausdruck in seinem Gesicht.

Er wurde wütend.

»Was soll ich denn damit? Das bringt mir nichts! Lass mich alleine!«, fauchte er. Kris erschrak.

Für eine kurze Zeit schauten sie sich in die Augen.

Er schämte sich im gleichen Moment, als diese Worte über seine Lippen kamen. Aber er ließ nicht von seiner Wut ab. Kris fragte ihn verzweifelt: »Siehst du nicht, dass ich dir helfen will?«

»Nein!«, schrie er zurück, »ich sehe es nicht! Ich will es nicht sehen! Ich will dich nicht mehr sehen! Lass mich in Ruhe!«

Kris saß reglos auf dem Stuhl. Ihre Hände lagen in ihrem Schoß.

Ricks Stimme zitterte als er sagte:

»Was willst du noch von mir?«

»Dein altes Ich!«, antwortete sie, stand auf und verließ eilig das Zimmer. Rick blieb alleine zurück.

»Du bist nicht in der Position irgendetwas verlangen zu können!«, schrie er ihr hinterher.

Der Arzt erklärte Kris die Umstände und den Zustand seines Patienten.

»Ihr Verlobter wird nicht mehr als Profispieler spielen können. Er kann von Glück sprechen, wenn er irgendwann wieder selbstständig laufen kann. Diese Umstände lassen ihn natürlich anders werden und handeln. Es werden Dinge gesagt und getan, die er so nicht meint. Denken sie daran, dass er viele Schmerzmittel einnehmen muss. Bringen sie viel Verständnis für ihn auf. Sie wissen was er durchgemacht hat. Bis man ihn gefunden hat und in ein Krankenhaus bringen konnte, hat er viel Blut verloren. Sein Körper ist noch sehr schwach.«

Der Arzt sprach schnell, als wolle er keine Reaktion auf diese schrecklichen Worte abwarten.

Kris verließ das Krankenhaus.

Eine Ahnung von der Ewigkeit

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